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Zukünftige Strategien beim akuten Koronarsyndrom
Eine reversible Bindung sowie die raschere und bessere Effektivität machen den Triazolopyrimidinwirkstoff Ticagrelor zu einem Hoffnungsträger in der Therapie des akuten Koronarsyndroms. Studiendaten verweisen zudem auf die Möglichkeit, bei der oralen Antikoagulation, etwa bei perkutaner Koronarintervention, auf ASS zu verzichten – mit guten Ergebnissen bezüglich Effektivität und Sicherheit. Der aktuelle Stellenwert von ASS wird in weiteren Studien eruiert.
Die therapeutische Zielstruktur im Zentrum des Interesses sei der P2Y12-Rezeptor: Dessen ADP-vermittelte Stimulation, zusammen mit der Aktivierung des P2Y1-Rezeptors, führte wiederum zur Aktivierung des GPIIb/IIIa – und somit zur Plättchenaggregation, sagte Prof. Dr. Franz R. Eberli, Chefarzt Kardiologie am Stadtspital Triemli Zürich, der einen kurzen Wiederauffrischungskurs in Sachen Blutgerinnung gab.
Schnellere Wirkung, schnellere Ablösung
Die derzeit verfügbaren P2Y12-Rezeptorhemmer sind Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor. Die Unterschiede: Ticagrelor, ein Triazolopyrimidin, bindet reversibel an den P2Y12-Rezeptor, im Gegensatz zu den beiden Thienopyridinen, die eine irreversible Bindung eingehen. Zudem ist Ticagrelor ein aktiver Wirkstoff, Clopidogrel und Prasugrel hingegen sind Prodrugs. Aufgrund dieser Eigenschaften habe Ersteres im Vergleich zu Clopidogrel bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (KHK) einen
schnelleren Wirkeintritt und auch eine raschere Lösung vom Rezeptorort gezeigt, sagte Eberli über die Ergebnisse der ONSET/OFFSET-Studie (1). Eine weitere Studie untersuchte die erhöhte Plättchenreaktivität in der Erhaltungstherapie von Ticagrelor versus Clopidogrel (2). «Einen Tag nach der Verabreichung von Ticagrelor zeigt kein einziger Patient eine Thrombozytenhyperreaktivität, bei Clopidogrel waren es immer noch 30 Prozent, das war bis anhin ein konstantes Problem», erklärt der Kardiologe. «Zu diesem Thema hat es grosse Diskussionen gegeben, einige Studien untersuchten, ob man die Patienten auf eine Hyperreaktivität untersuchen und dann die Dosis je nach Hyperreaktivität anpassen sollte; jedoch konnte bis anhin kein Benefit dieser Vorgehensweise beobachtet werden.»
Effekt auf Myokardinfarkt, Insult und Tod
Die Auswirkungen der unterschiedlichen Thrombozytenhemmer auf die handfesten klinischen Endpunkte – die
18 Kardiologie SGK/ESH 2013
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Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt oder Insult innerhalb eines Jahres – bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom wurden in der PLATO-Studie analysiert (3). Hier zeigte sich die Überlegenheit von Ticagrelor versus Clopidogrel in der Reduktion von Myokardinfarkten (kumulative Inzidenz 5,8 vs. 6,9) und kardiovaskulärem Tod (4,0 vs. 5,1); zudem wurde eine stärkere Prävention der Stentthrombosen (Inzidenz 1,3 vs. 1,9%) beobachtet. «In absoluten Zahlen zeigten sich unter Ticagrelor 2030 klinische Ereignisse, verglichen mit 2290 unter Clopidogrel», wie Eberli ergänzte. «Und auch nach 360 Tagen zeigte sich immer noch ein Vorteil gegenüber Clopidogrel bezüglich der Zeit bis zum ersten Auftreten eines primären Effektivitätsendpunkts.» Für Unruhe sorgten allerdings diejenigen Daten der PLATO-Studie, die grosse regionale Unterschiede in der Effektivität zeigten: In den USA waren die Hazard Ratios und die Raten des primären Endpunkts unter Ticagrelor plus ASS schlechter als unter Clopidogrel plus ASS. «In den Regionen ausserhalb der USA zeigte sich allerdings wie berichtet ein klarer Benefit. Der entscheidende Faktor scheint die ASS-Dosis zu sein, wie Substudien ergaben: Während in den USA eine Dosis von 300 mg eingesetzt wird, sind es überall sonst Dosierungen zwischen 80 und 100 mg. Für die Kombination mit Ticagrelor scheint eine Dosis von 100 bis 150 mg optimal zu sein», so der Experte.
ASS überflüssig?
Daraus folge nahtlos die logische Frage: «Ist die duale oder die Einfachtherapie der Plättchenhemmung besser? Oder anders gefragt: Brauchen wir ASS überhaupt noch in der Therapie des ACS?», so Prof. Dr. Stephan Windecker, Chefarzt der Universitätsklinik für Kardiologie am Universitätskrankenhaus Bern. Die Probleme in Zusammenhang mit der ASS-Therapie seien bekannt, etwa therapeutisches Versagen bei ASS-Resistenz, Arzneimittelwechselwirkungen mit NSAR oder Blutungsrisiken. Der WOEST-Trial scheint jedenfalls in die Richtung der Einzeltherapie zu weisen: Bei Patienten unter oraler Antikoagulation, die sich einer perkutanen Koronarintervention (PCI) unterzogen hatten, war der Einsatz von Clopidogrel ohne ASS mit einer signifikanten Reduktion der Blutungsereignisse assoziiert, ohne gleichzeitige signifikante Erhöhung der ischämischen Endpunkte; «das Risiko war ähnlich ausgeprägt oder sogar verringert ohne ASS», berichtete Windecker (4). Weitere wichtige Hinweise für die Einfachtherapie erhoffen sich Experten weltweit zudem von der GLOBAL-LEADERS-Studie, so auch Windecker, einer der Studienleiter (6). Dieser grösste klinische Trial an beschichteten Stents wurde durch Experten initiiert und soll an 80 Zentren in mehr als 10 Ländern etwa 16 000 Patienten umfassen, die nach Implantation eines Biolimus freisetzenden Stents randomisiert werden auf: • 1 Monat ASS plus Ticagrelor, gefolgt von 23 Monaten Ti-
cagrelor-Monotherapie oder
• 12 Monate Dualtherapie (ASS + Ticagrelor für ACS-Patienten, ASS + Clopidogrel für elektive Patienten), gefolgt von 12 Monaten ASS-Monotherapie.
Die Nachbeobachtungsperiode wird zwei Jahre dauern – und die Ergebnisse werden zeigen, ob es an der Zeit ist, bei ACS in der Thrombozytenaggregation von der Dual- auf die Monotherapie umzusteigen.
Lydia Unger-Hunt
Franz Eberli
Referenzen:
1. Gurbel PA et al. Randomized double-blind as-
sessment of the ONSET and OFFSET of the anti-
platelet effects of ticagrelor versus clopidogrel in
patients with stable coronary artery disease: the
ONSET/OFFSET study. Circulation 2009; 120:
2577–2585.
2. Bliden KP et al. The effect of ticagrelor versus
clopidogrel on high on-treatment platelet reacti-
vity: combined analysis of the ONSET/OFFSET
and RESPOND studies. Am Heart J. 2011; 162(1):
160–165.
3. Wallentin L et al. Ticagrelor versus clopidogrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl
Stephan Windecker
J Med. 2009; 361: 1045–1057.
4. Dewilde W et al. Design and rationale of the WOEST trial: What is the
Optimal antiplatElet and anticoagulant therapy in patients with oral an-
ticoagulation and coronary StenTing (WOEST). Am Heart J. 2009; 158:
713–718.
5. Hamm CW et al. ESC Guidelines for the management of acute coro-
nary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment
elevation: The Task Force for the management of acute coronary syn-
dromes (ACS) in patients presenting without persistent ST-segment
elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2011
– 32 (23): 2999–3054.
6. http://clinicaltrials.gov/show/NCT01813435
Quelle: «Moving from dual to single in ACS: can we solve a complex problem by keeping it simple?», Satellitensymposium AstraZeneca, SGK-Jahreskongress, 13. Juni 2013 in Lugano.
Richtlinien für die antithrombotische Therapie beim akuten Koronarsyndrom (5)
Initialtherapie: • ASS-Anfangsdosis 150 bis 300mg nonenterische Formulie-
rung, gefolgt von 75 bis 100 mg/Tag (Verabreichung i.v. ist akzeptabel) • P2Y12-Rezeptorhemmer: Sättigungsdosis Ticagrelor, oder wenn Ticagrelor nicht erhältlich: Clopidogrel • Antikoagulation: – Fondaparinux 2,5 mg/Tag s.c. – Enoxaparin 1mg/kg zweimal täglich s.c. – UFH Bolus i.v. 60 bis 70 IE/kg, gefolgt von Infusion 12 bis
15 IE/kg/h, titriert zu aPTT 1,5- bis 2,5-mal Kontrolle – Bivalirudin: Indikation nur für Patienten mit geplanter
invasiver Strategie
Langfristige Therapie • ASS 100 mg • P2Y12-Rezeptorhemmer zusätzlich während 12 Monaten • PPI bei allen Patienten mit hohem Blutungsrisiko
SGK/ESH 2013 Kardiologie 19