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Aktuelle Richtlinien zur Herzinsuffizienz
Was bringen die neuen ESC-Empfehlungen?
Die aktuellen Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Herzinsuffizienz enthalten einige Änderungen (1): So sind Aldosteronantagonisten nun wesentlich früher einzusetzen, da Studien ihre Effektivität auch bei NYHA-II-Patienten nachgewiesen haben. Bei anhaltender Symptomatik wird der Einsatz von Ivabradin empfohlen. Neu ist zudem, dass implantierbare Cardioverterdefibrillatoren aufgrund der geringen Lebenserwartung für bestimmte NYHA-IV-Patienten nicht indiziert sind. Insgesamt beklagten Experten, dass in der Schweiz die Rate an Patienten, die einen implantierbaren Cardioverterdefibrillator erhalten, im Vergleich zu anderen Ländern noch suboptimal sei.
W ie sieht die medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz (HI) nach den aktuellen Richtlinien aus? PD Dr. Philippe Meyer vom Universitätskrankenhaus Genf gibt in seinem Vortrag einen praxisnahen Überblick. Eines vorweg: Der Ansatz der drei Schritte gilt auch heute noch – allerdings mit leichten Änderungen.
Neu: MR-Antagonisten früher einsetzen
Als erster Schritt sind nach wie vor Diuretika einzusetzen, zusätzlich zu ACE-Hemmern (oder Angiotensinrezeptorblocker [ARB] bei ACE-Hemmer-Unverträglichkeit) sowie Betablockern; «wichtig ist hier das langsame und vorsichtige Hochdosieren». Der nächste Schritt beinhaltet dann eine Neuigkeit: Sind Patienten immer noch symptomatisch (NYHA II–IV), wird zusätzlich ein MR-(Aldosteron-)Antagonist (MRA) verabreicht. «Früher war dieser Wirkstoff Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz vorbehalten», so Meyer, doch nun habe eine neue Studie mit 2700 Patienten gezeigt, dass auch Patienten mit NYHA II von MR-Antagonisten profitierten (2). Die Therapie reduzierte nicht nur die kardiovaskuläre Todesrate oder herzinsuffizienzbedingte Hospitalisationen um 37 Prozent (relative Reduktion), sondern «es zeigte sich auch eine Senkung der Gesamtmortalität», sagte der Experte.
Senkung des Risikos der Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz und des Risikos für frühzeitigen Tod einzusetzen.
In der Praxis ist hier zwischen Spironolacton und Eplerenon zu wählen. «Letzteres ist spezifischer und zeigt weniger Nebenwirkungen, hat aber auch einen höheren Preis», so Meyer, der auf die Vor- und Nachteile verwies. Einzuleiten ist die Therapie in einer Dosis von 25 mg/Tag, oder 25 mg alle zwei Tage bei geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) von 30 bis 49 ml/min, nach vier Wochen ist eine Dosisverdoppelung möglich, unter engmaschiger Kontrolle hinsichtlich Hyperkaliämie und Nierenversagen.
Ivabradin: Senkung von Herzfrequenz und kardiovaskulärem Risiko Bei unvermindert anhaltender Symptomatik (LVEF ≤ 35%) trotz Behandlung und bei Vorliegen eines Sinusrhythmus (SR) und einer Herzfrequenz (HF) von ≥ 70 ist Ivabradin zu erwägen (IIa-B-Empfehlung). Der Hemmer des If-Ionenkanals am Sinusknoten führt ausschliesslich zur Senkung der Herzfrequenz. Mit positiven Folgen: In der SHIFT-Studie von Swedberg et al. führte der Einsatz von Ivabradin
Take-home-Messages
Empfehlung zum Einsatz von MRA (IA): MRA sind bei allen Patienten mit persistierenden Symptomatik (NYHA II–IV, Ejektionsfraktion [EF] ≤ 35%) trotz Behandlung mit ACE-Hemmer (oder ARB bei Unverträglichkeit) und Betablocker, zur
• Auftitrierung von ACE-Hemmer und Betablocker • MR-(Aldosteron-)Antagonisten bereits bei NYHA II • Ivabradin erwägen bei HF ≥ 70 Schlägen/min in Sinusrhyth-
mus bei optimaler medikamentöser Therapie • Körperliches Training und Aufklärung der Patienten
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versus Plazebo zu einer relativen Risikoreduktion des kardiovaskulären Todes oder der Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz von 18 Prozent (3). Diese Resultate waren die Basis für den Eingang in die neuen Guidelines. Einzuleiten ist der Wirkstoff mit 5 mg zweimal täglich (2,5 mg zweimal täglich bei Alter > 75 Jahre), eine Erhöhung auf 7,5 mg ist nach vier Wochen möglich; 5 mg zweimal täglich werden bei einer HF von 50 bis 60 verabreicht, eine Senkung erfolgt, falls die HF auf < 50 fällt. Nebenwirkungen sind selten und oft vorübergehend. Sie umfassen Sehstörungen wie Phosphene, selten Interaktionen mit CYP3A4. Der Experte plädierte für die Ausschöpfung der pharmakologischen Möglichkeiten vor dem Einsatz der Devices.
Empfehlung für Ivabradin (IIa-B): Ivabradin sollte erwogen werden bei Patienten mit Sinusrhythmus und einer EF ≤ 35 Prozent, einer anhaltenden Herzfrequenz ≥ 70/ Minute und persistierenden Symptomen (NYHA II–IV) trotz Therapie mit evidenzbasierter Dosis an Betablockern (oder der maximal tolerierten Dosis darunter), ACE-Hemmer (oder ARB) und MRA (oder ARB), um das Risiko einer Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz zu reduzieren.
«Nicht zu vergessen sind zudem die nicht pharmakologischen Behandlungen», so der Experte, der auf die Empfehlungen für aerobes körperliches Training (IA) sowie auf
Empfehlungen für die chirurgische Therapie bei Herzinsuffizienz
Nach PD Dr. Markus J. Wilhelm von der Klinik für Herz- und Gefässchirurgie am Universitätsspital Zürich.
I. Prozeduren • Coronary Artery Bypass Graft (CABG) (Empfehlungsgrad
IC): – Angina und signifikante linke Hauptstenose – für OP geeignete Patienten – Überleben erwartungsgemäss länger als 1 Jahr mit gutem
funktionellen Status – zur Senkung des Risikos für vorzeitigen Tod • CABG (Empfehlungsgrad IB): – Angina und Zwei- oder Drei-Gefäss-KHK, einschliesslich
LAD-Stenose – für OP geeignete Patienten – Überleben erwartungsgemäss länger als 1 Jahr mit gutem
funktionellem Status – Senkung des Risikos der Hospitalisierung für kardiovas-
kuläre Ursachen – Senkung des Risikos für vorzeitigen Tod aufgrund kardio-
vaskulärer Ursache • Perkutane Koronarintervention (PCI) als Alternative zu
CABG: – kann erwogen werden in obigen Kategorien von Patienten,
die für OP ungeeignet sind
CABG und PCI werden nicht empfohlen bei Patienten ohne Angina und ohne Myokardvitalität.
Wilhelm: «Die Wahl zwischen PCI und CABG ist von einem Herzteam gemeinsam zu treffen, basierend auf dem Ausmass der KHK, der erwarteten Vollständigkeit der Revaskularisierung sowie auf assoziierten Gefässerkrankungen und Anwesenheit von Komorbiditäten.»
II. Krankheiten 1. Aortenstenose: • Optimierung der medikamentösen Behandlung (sollte aber
nicht die chirurgische Entscheidungsfindung verzögern) – Cave! Vasodilatoren können eine erhebliche Hypotonie verursachen • Bei Patienten, nicht für OP geeignet sind (etwa bei schwerer Lungenerkrankung), sollte TAVI erwogen werden
2. Aorteninsuffizienz: • Reparatur der Aortenklappen oder ihr Ersatz empfohlen bei
symptomatischen Patienten mit schwerer Regurgitation • Alle asymptomatischen Patienten mit schwerer Regurgita-
tion und EF < 50% oder LVEDD > 70 mm oder LVESD > 50 mm
3. Mitralinsuffizienz: Die Entscheidung zur Empfehlung eines chirurgischen Eingriffs sollte die wichtigsten Prädiktoren des postoperativen Outcomes berücksichtigen: Symptome, Alter, begleitendes Vorhofflimmern, verminderte linksventrikuläre systolische Funktion, pulmonale Hypertonie sowie Eignung der Klappe für die Reparatur
4. Herztransplantation: Indikationen: • klinisch Endstadium Herzinsuffizienz mit schwerer Sympto-
matik • schlechte Prognose • keine verbliebene alternative Behandlungsoption • psychosoziale Aspekte: Patient ist motiviert, gut informiert,
emotional stabil, in der Lage, den Anweisungen der intensiven postoperativen Behandlung zu folgen.
Konsensus Angemessene Auswahlkriterien vorausgesetzt, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Herztransplantation (verglichen mit konventioneller Behandlung) signifikant • Überleben, Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und Rück-
kehr in den Beruf • kontrollierte Trials wurden allerdings noch nie durchgeführt
Zu den Hauptherausforderungen zählen • Mangel an Spenderherzen • Folgen der eingeschränkten Effektivität (Komplikationen der
Immunsuppression (Infektion, Tumor, Nierenversagen)
Kontraindikationen akute Infektionen, schwere periphere Gefässerkrankung, andere schwere Erkrankungen
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den Einschluss in ein multidisziplinäres Managementprogramm (IA) aufmerksam machte.
Nächster Schritt: Geräte
Von den Empfehlungen für den Einsatz technischer Geräte berichtet Prof. Dr. Angelo Auricchio, Direktor Cardiac Electrophysiology Programme, Fondazione Cardiocentro Ticino, Lugano und Universität Magdeburg. Nur zwei Geräte sind in die Richtlinien 2012 für Herzinsuffizienz eingeschlossen: der implantierbare Cardioverterdefibrillator (ICD) sowie die kardiale Resynchronisationstherapie (CRT). Die Neuigkeit dieser Richtlinien: Ein ICD ist nicht indiziert bei Patienten mit Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse IV mit schweren, medikamentös therapierefraktären Symptomen, die nicht Kandidaten für eine CRT, einen ventrikulären Assist-Device oder eine Herztransplantation sind – da diese eine sehr eingeschränkte Lebenserwartung sowie eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, aufgrund von Pumpversagen zu sterben. «Was für die klinische Praxis ein sehr wichtiger Schritt ist: Bei Verschlechterung der Herzinsuffizienz kann die Deaktivierung eines ICD erwogen werden, nach entsprechender Beratschlagung mit Patient und Betreuern», so Auricchio.
Million Einwohner – in Deutschland liegt sie beispielsweise bei 278 pro eine Million Einwohner (5). Hier sei mit entsprechenden Massnahmen gegenzulenken, sagte Auricchio abschliessend.
Lydia Unger-Hunt
Referenzen: 1. ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2012. European Heart Journal 2012; 33: 1787–1847. 2. Zannad et al. Eplerenone in patients with systolic heart failure and mild symptoms. NEJM 2011; 364: 11–21. 3. SHIFT-Studie von Swedberg et al. Ivabradine and outcomes in chronic heart failure (SHIFT): a randomised placebo-controlled study. Lancet 2010; 376: 875–885. 4. Kutyifa et al. The influence of left ventricular ejection fraction on the effectiveness of cardiac resynchronization therapy: MADIT-CRT (Multicenter Automatic Defibrillator Implantation Trial With Cardiac Resynchronization Therapy). JACC 2013; 61: 936–944. 5. Arribas F. et al. European Heart Rhythm Association (EHRA) White Book; Europace 2012; 14 (suppl 3): ii1-ii55 doi:10.1093/europace/eus256.
Quelle: «New ESC Guidelines: Heart failure», SGK-Jahreskongress 2013, 12. bis 14. Juni 2013 in Lugano.
Empfehlung für ICD für HI-Patienten (IA) Sekundärprävention: Patienten mit ventrikulärer Arrhythmie, die zu hämodynamischer Instabilität führt, die voraussichtlich länger als 1 Jahr mit gutem funktionellem Status überleben, zur Reduktion des Risikos für plötzlichen Tod. Primärprävention: Patienten mit symptomatischer HI (II–III) und linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF) < 35 Prozent trotz länger als 3 Monate optimaler medikamentöser Therapie, die voraussichtlich länger als 1 Jahr mit gutem funktionellem Status überleben, zur Reduktion des Risikos für plötzlichen Tod. CRT: Nutzen auch bei höherer LVEF Von einer CRT könnten übrigens auch Patienten mit einer LVEF von > 35 Prozent profitieren, berichtet Auricchio vom MADIT-CRT-Trial mit Patienten mit leichter HI (4). Die Autoren analysierten das echokardiografische Ansprechen nach CRT (definiert als prozentuelle Veränderung des linksventrikulären enddiastolischen Volumens [LVEDV]) in drei LVEFGruppen: > 30 Prozent, 26 bis 30 Prozent und 25 Prozent. Primäre Endpunkte waren Herzinsuffizienz oder Tod. Ergebnis: Die CRT mit Defibrillator reduzierte bei allen Gruppen vergleichbar das Risiko für HI/Tod (LVEF > 30%: HR 0,56; LVEF 26–30%: HR 0,67; LVEF 25%: HR 0,57). «Doch trotz dieser offensichtlich positiven Effekte für Patienten zeigte eine Studie, dass die ICD-Implantation in der Schweiz noch suboptimal ist», so der Kardiologe. Laut dieser Untersuchung von Arribas et al. liegt die Rate an ICD-Implantation in der Schweiz bei lediglich 142 pro eine
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