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«Das Wichtigste? Die Motivation der Patienten»
Interview mit dem SGK-Präsidenten Professor Dr. François Mach, Genf
Am Rande der Tagung sprachen wir mit Prof. Dr. François Mach, dem Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, über seine persönlichen Highlights am SGK/SGHC-Jahreskongress. Neben den Neuigkeiten auf dem Gebiet der oralen Antikoagulation und den aktuellen Trends bei der lipidsenkenden Therapie – Stichwort monoklonale Antikörper – liegt dem Kardiologen vor allem ein Thema am Herzen: die Motivation der Patienten.
W ie kam es überhaupt zum Kongressthema «Herz und Hirn»? Prof. Dr. François Mach: Vaskuläre Erkrankun-
gen wie Hypertonie oder erhöhte Lipidwerte betreffen ne-
ben dem Herz als weiteres wichtiges Organ auch das Ge-
hirn; der Schlaganfall wird in den nächsten 5 bis 10 Jahren
den akuten Myokardinfarkt quasi überholen. Im Grundprin-
zip ist es ja dieselbe Krankheit an verschiedenen Lokalisa-
tionen – daher die Idee der gemeinsamen
Prävention.
Eine weitere Krankheit, deren Prävalenz
im Ansteigen begriffen ist, ist das Vor-
hofflimmern, also AF – eine kardiale Er-
krankung mit zerebralen Folgen, deren
individuelle und gesundheitspolitische
Bedeutung man sich mit einigen Zahlen
vor Augen führen kann: Jedes Jahr mit
AF bedeutet eine 2- bis 5-prozentige Er-
François Mach
höhung des Schlaganfallrisikos. Wer
20 Jahre mit AF lebt, hat zu diesem Zeit-
punkt ein 50-prozentiges Risiko für einen Schlaganfall!
Daher auch die Entwicklung der neuen oralen Antikoagu-
lanzien, die zumindest die gleiche Effektivität wie die Vi-
tamin-K-Antagonisten haben. Das Interesse an diesen
Wirkstoffen ist also ebenfalls eine kollegiale Schnittstelle
mit den Neurologen.
Was waren für Sie die Highlights des Kongresses? Mach: Dazu zählen die neuen oralen Antikoagulanzien. Sie sind natürlich nicht komplett neu, aber auf jeden Fall ein Hauptthema; diese neuen Wirkstoffe helfen dabei, die Schlaganfallraten zu senken. Das zweite, ganz grosse Highlight ist die GLOBAL-LEADERS-Studie, an der auch die Schweiz beteiligt sein wird (1). Hier untersuchen wir die Frage, ob bei Patienten nach Stentimplantation die nur 1-monatige Dualtherapie mit ASS plus Ticagrelor zu ebenso guten Ergebnissen führt wie die derzeit üblichen
12 Monate Dualtherapie. In anderen Worten, wir stellen die Frage: Brauchen wir die Dualtherapie überhaupt noch? Wenn diese Untersuchung zu positiven Ergebnissen führt, wäre das sicher ein Meilenstein in der Sekundärprävention.
Wie sieht der Zeitplan der GLOBAL-LEADERS-Studie denn aus? Mach: Das Studiendesign hat derzeit grünes Licht vom Ethikkomitee erhalten; der erste Patient aus der Schweiz wird vermutlich Mitte August aufgenommen werden. Wir stehen allerdings unter einem gewissen Druck, so rasch wie möglich die geplanten 16 000 Patienten einzuschliessen. Es ist eine Studie mit enormer Patientenzahl, von unglaublicher klinischer Bedeutung und rein von wissenschaftlichem Interesse getrieben, nicht von Geld. Ich denke, in einigen Jahren lautet die Frage in Schweizer Kardiologenkreisen: Waren Sie dabei – oder nicht? Und dann wird sich jeder freuen, der mit Ja antworten kann.
Das würde den Platz von ASS auf der Rangliste doch gewaltig reduzieren … Mach: Heute würde ASS sicher nicht mehr der Überprüfung durch das Ethikkomitee standhalten. ASS ist ein alter, wohlbekannter Wirkstoff und hat in den letzten 50 bis 60 Jahren ausgezeichnete Arbeit geleistet, aber es hat auch seine gefährlichen Nebenwirkungen. Die GLOBALLEADERS-Studie zielt auf Überlegenheit ab: Wenn die Ergebnisse diese zeigen, muss ein alter Wirkstoff wie ASS in der Sekundärprävention des akuten Koronarsyndroms wohl seinen Hut nehmen.
Welche Neuigkeiten sollten weiterhin erwähnt werden? Mach: Spannend ist, was jetzt nach den Statinen in der Behandlung der Hyperlipidämie kommt. Monoklonale Antikörper – eine für uns Kardiologen ja erstmalige Neuigkeit. Patienten werden derzeit in Phase-III- und -IV-Studien ein-
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Motivation der Patienten ein grosses Problem: Es ist eine komplett asymptomatische Erkrankung, die soll ich jetzt jahrelang therapieren, womöglich mit Nebenwirkungen … Aber: das erste Symptom kann eben auch das letzte sein. In der Sekundärprävention sieht es besser aus.
Foto: SGK
In einem spannenden Quiz, das Prof. Dr. Franz Messerli, New York, moderierte, konnten sich zukünftige Kardiologen aus der Genfer Universitätsklinik (links) gegen ihre Konkurrenz aus St. Gallen durchsetzen und gewannen den mit Fr. 3000.– dotierten Preis, den die Firma Daiichi Sankyo gespendet hat.
Welche Kollegen sind denn noch zu motivieren? Mach: Sowohl einige wenige Kardiologen als auch Primärversorger. Diese haben es oft schwer, das muss man anerkennen. Im Falle der neuen oralen Antikoagulanzien beispielsweise ist häufig noch nicht genügend Wissen über deren Funktionsweise vorhanden, stattdessen Angst vor Blutungen – da hilft nur umfassende Information.
geschlossen, um den monoklonalen PCSK9-Antikörper zu prüfen, der das LDL um bis zu 80 Prozent senken soll, zudem mit einer einzigen Injektion s.c. pro Monat verabreicht wird und keine Nebenwirkungen zu haben scheint. Ergebnisse aus Phase-II-Untersuchungen zeigten, dass es zu einer noch nie gesehenen Compliance der Patienten kommt, kein Wunder.
Wann werden diese Wirkstoffe auf dem Markt erwartet? Mach: Für die Primärprävention erwarten wir eine Einführung bereits im nächsten Jahr. Zudem läuft derzeit eine Studie zur Sekundärprävention an 22 000 Patienten nach Myokardinfarkt an, die eine 4-jährige Follow-up-Phase hat. Und dann gibt es auch Neuigkeiten auf dem Gebiet der Devices wie den Aortenklappenersatz oder den Mitralclip, der kein Ersatz der Mitralklappe ist, sondern die Mitralinsuffizienz, also die Regurgitation, vermindern soll. In diesem Zusammenhang möchte ich noch erwähnen, dass es meiner Meinung nach besser ist, diese Prozeduren an einigen wenigen Zentren durchzuführen – besser 5 Zentren in der Schweiz, die 20 oder 30 solche Prozeduren durchführen, als 20 Zentren, von denen jedes jährlich nur 5 durchführt.
Was gibt es zu den am Kongress vorgestellten Guidelines zu sagen? Mach: Nun, die Richtlinien sind nicht ganz neu; was neu ist, ist die Erkenntnis, dass nicht genügend Ärzte ihnen folgen. Es ist daher unser Job, unsere Kollegen davon zu überzeugen, dass es gewisse Beweislevel gibt und daraus Empfehlungen folgen. Als Ärzte sollten wir schützen und verhindern – Prävention ist immer besser als die Behandlung. Es ist natürlich schwierig, wenn zum Beispiel die Empfehlungen für die Lipidwerte immer weiter gesenkt werden. Da gibt es verschiedene Ansätze: In Grossbritannien etwa werden meines Wissens die Ärzte je nach Cholesterinwert des Patienten bezahlt. Und damit sind sowohl die Cholesterinwerte als auch die Raten an kardiovaskulären Erkrankungen stark gesunken, und zwar dramatisch. Das beweist doch, dass Cholesterin ein Risikofaktor ist, dessen Behandlung mehr Gesundheit erhält. Bei den Lipiden ist die
Auf was möchten Sie noch hinweisen? Mach: In den letzten vier Jahren haben wir dank der grosszügigen Hilfe der Swiss National Science Foundation ein spezielles Programm gestartet, SPUM, mit dem wir herausfinden wollen, warum Patienten ihre Arzneimittel nicht einnehmen (2). Wir haben 5000 Patienten aufgenommen und können bereits erste Ergebnisse vorstellen. Das Ziel ist natürlich eine Verbesserung der Situation: Wie können wir die Compliance verbessern, um die Mortalität zu senken? Es gibt keinen Zweifel, wir haben ausgezeichnete Wirkstoffe, aber die Patienten nehmen sie oftmals nicht ein, oder nicht so, wie sie sollten, und wir Ärzte sind nicht für die Motivationsarbeit ausgebildet.
Also ein System der Bezahlung wie in UK – oder lieber auf die Motivation setzen? Mach: Unser Job als Ärzte ist die Verschreibung, das Motivationsgespräch sollten wir entsprechend ausgebildeten Professionellen überlassen – vergessen Sie den Arzt, der kann das nicht. An unserer Klinik führen jetzt alle diese Patienten ein einstündiges Motivationsgespräch mit einer eigens dafür ausgebildeten Krankenschwester und erhalten dieselbe CD-ROM über Atherosklerose und die Folgen. Die Patientenkommentare sind unglaublich: «Sie wissen ja gar nicht, was ich alles gelernt habe», «Jetzt weiss ich endlich, was mir passiert ist», etc.
Würde das auch in der Primärprävention funktionieren? Mach: Davon gehe ich aus, ja. Wissen Sie, was diese Aufklärung für einen «Kollateralschaden» in den Familien der Patienten ausgelöst hat? Die meisten geben die CD-ROM in der Familie weiter, es wird darüber geredet, es ist erstaunlich, wie sich dieses Wissen jetzt ausbreitet – auch unter Menschen, die noch kein kardiovaskuläres Ereignis erlebt haben. Die Motivation der Patienten, das ist das Wichtigste und daher meine Take-Home-Message.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Chrstine Mücke
1. http://clinicaltrials.gov/show/NCT01813435 2. www.spum-acs.ch
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