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Eine amerikanische Studie konnte den Vorteil eines Lungenkarzinomscreenings belegen. Aber kann man daraus schon Empfehlungen ableiten? Einen Überblick über die Herausforderungen sowie Schweizer Meinung und Vorgehen gab Prof. Dr. Malcolm Kohler, Direktor der Klinik für Pneumologie am Universitätsspital Zürich.
ARS MEDICI: Warum ist ein Screening eine Überlegung wert? Prof. Dr. Malcolm Kohler: Das Bronchialkarzinom ist weltweit und auch in der Schweiz das häufigste zum Tod führende Karzinom, seine Inzidenz ist ähnlich der des kolorektalen Karzinoms. Aufgrund von Symptomen oder als Zufallsbefund wird es meist in den Stadien UICC III und IV entdeckt, in denen häufig keine kurative Therapie mehr möglich ist. Nur eine Erkennung bis zum Stadium IIIa ermöglicht in vielen Fällen noch eine operative Therapie mit kurativem Ansatz. Insofern wäre es gut, wenn man möglichst viele Fälle im Stadium I und II entdecken könnte.
Wer sollte im Rahmen eines Screenings untersucht werden? Alles, was wir im Moment sagen können, ist, das genau die im National Lung Screening Trial untersuchte Klientel zu profitieren scheint. Für alle anderen Überlegungen – ob ein Screening auch für Jüngere oder für weniger starke Raucher infrage käme – haben wir derzeit keine Evidenz. Erwogen wird, ob eine COPD als zusätzliches Merkmal sinnvoll sein könnte, da die Inflammation in den Bronchien eventuell die Karzinogenese begünstigt und die COPD neben dem Rauchen einen eigenen Risikofaktor darstellt. Diskutiert wird auch, ob andere Risikogruppen gescreent werden sollten.
Wie sieht es mit der Durchführbarkeit eines solchen Screenings aus? Für die Schweiz gibt es gewisse Hochrechnungen, wer in die empfohlene Altersgruppe fiele, geraucht hat oder immer
Lungenkarzinom: Screenen oder nicht?
noch raucht. Allein für den Kanton Zürich wären das etwa 400 000 Leute, hochgerechnet auf die ganze Schweiz kämen wir wohl an 1 Million heran. Wenn ein CT-Gerät an 365 Tagen den ganzen Tag laufen würde, könnte man etwa 10 000 Untersuchungen pro Jahr durchführen – also etwa 5 Prozent der Risikopopulation untersuchen. Die Durchführbarkeit eines solchen Screenings ist also höchst fraglich, neben der Frage der Evidenz und der Kosten.
Gibt es Länder, die bereits ein Screening anbieten? Meines Wissens nicht. Machbarkeit und Finanzierbarkeit sind noch nicht gelöste, sehr wichtige Aspekte. Ausserdem sind noch etliche Fragen offen: Wie viele Runden ein Screening umfassen sollte, ob wir eine Überdiagnose befürchten müssen und wie es mit der Kosteneffektivität aussieht. Nicht zuletzt werden wir uns auch mit ethischen Aspekten befassen müssen, wie sie Boiselle im «JAMA» anhand einer Kasuistik diskutiert (2): Es geht um eine Studienteilnehmerin und die Frage, was danach zu tun ist? Das Screening weiter-
führen? Wer bezahlt das? Ist die private Finanzierung ethisch vertretbar gegenüber denen, die keine entsprechenden Mittel haben?
Wie lautet Ihre aktuelle Empfehlung? Zurzeit gibt es nur eine positive Studie, Daten aus Europa oder aus laufenden Studien fehlen noch. Wir haben von Zürich aus eine Expertengruppe initiiert, in der alle Schweizer Universitätsspitäler vertreten sind. Sie wird sich mit der Frage der Evidenz beschäftigen. Derzeit empfehlen wir, abzuwarten und ein Screening nur im Rahmen einer Beobachtungsstudie zu machen. Eine solche ist in der Schweiz geplant, startet aber wahrscheinlich erst im nächsten Jahr.
Das Interview führte Christine Mücke.
Literatur: 1. National Lung Screening Trial Research Team, Aberle DR et al. Reduced lung-cancer mortality with low-dose computed tomographic screening. N Engl J Med. 2011; 365 (5): 395–409. 2. Boiselle PM. Computed tomography screening for lung cancer. JAMA. 2013; 309 (11): 1163–1170.
National Lung Screening Trial
Patienten zwischen 55 und 74 Jahren, die mindestens 30 Packungsjahre aufwiesen und
immer noch rauchten oder vor weniger als 15 Jahren damit aufgehört hatten, profitier-
ten von einem Lungenkarzinom-Screening per CT (1). Fast 53 500 Patienten wurden ran-
domisiert entweder mit Niedrigdosis-CT oder Röntgenthorax in jährlichen Intervallen
dreimal untersucht. Bei den CT-gescreenten Patienten konnte die Lungenkrebs-assozi-
ierte Mortalität pro 100 000 Patientenjahre im Vergleich zu den Patienten mit Röntgen-
thoraxuntersuchung signifikant um 20 Prozent reduziert werden (p = 0,004), die Ge-
samtmortalität um 6,7 Prozent (p = 0,02). Die Hälfte der CT-diagnostizierten Fälle waren
Bronchialkarzinome im Stadium I, mit der Röntgenuntersuchung lag der grösste Anteil
mit 36,1 Prozent im Stadium IV. Nicht entdeckt wurden 4,2 Prozent (CT) respektive
14,6 Prozent (Röntgen). Demzufolge empfehlen AATS, ACCP, ASCO und NCCN genau für
die in dieser Studie untersuchte Klientel das Screening mit einem Evidenzgrad B. Die
American Association for Thoracic Surgery (AATS) und das National Comprehensive Can-
cer Network (NCCN) empfehlen ein Screening ebenfalls für Patienten ab 50 Jahren mit
mindestens 20 Packungsjahren und zusätzlichen Risikofaktoren (Evidenzgrad B) oder
Patienten, die ein Lungenkarzinom mindestens 5 Jahre überlebt haben (nur AATS, Evi-
denzgrad C).
Mü
14 Allergologie, Immunologie und Pneumologie SGAI/SGP 2013