Transkript
CongressSelection
Immundefizienz, Labordiagnostik, Allergien ...
Kongresshöhepunkte
aus Sicht eines Allergologen
Das Spektrum der gemeinsamen Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie reichte von der Grundlagenforschung bis zur Klinik. Über Hintergründe und Höhepunkte sprachen wir mit dem Leiter der Allergiestation des Zürcher Universitätsspitals, Prof. Dr. Peter Schmid-Grendelmeier.
A rs Medici: Wie kam es zur gemeinsamen Jahrestagung beider Gesellschaften? Prof. Dr. Peter Schmid-Grendelmeier: Die Allergologie ist per se interdisziplinär, wir schauen uns jedes Jahr nach Partnern für unsere Veranstaltung um. Eine solche Kooperation ist fachlich befruchtend, darüber hinaus gibt es wirtschaftliche Argumente. Mit den Pneumologen führen wir bereits zum zweiten Mal den Kongress durch; das
war erneut ein sehr guter Austausch, und ich denke, dass alle davon profitieren.
Die Vorträge schienen teilweise recht
theoretischer Natur zu sein ...
In der Schweizerischen Gesellschaft für
Allergologie und Immunologie sind kli-
nisch tätige Allergologen und Immunolo-
gen sowie Grundlagenforscher, die die
Hälfte unserer Gesellschaft ausmachen.
Peter
Dementsprechend umfasst das Spektrum
Schmid-Grendelmeier der Vorträge alles von Grundlagenfor-
schung bis zur Klinik. Sehr praktisch ori-
entiert sind demgegenüber die Workshops, welche die
verschiedensten Themen in Kleingruppen erarbeiteten.
Welche Themen sind Ihnen besonders aufgefallen? Gleich zum Auftakt ging es in der ersten Plenary Session um die Immundefizienz. Prof. Charlotte CunninghamRundles aus New York hat einen sehr guten Überblick gebracht. Diese Störungen sind zum Teil selten, aber wichtig. Bei rezidivierenden Infekten stellt sich ja immer wieder die Frage, ob eine Immunschwäche dahintersteckt. Ein weiteres spannendes Thema aus dem Bereich der Grundlagenforschung mit klinischem Bezug waren die «Barrierendefekte und Immunantworten bei Haut, Darm und Lunge». Renommierte Experten präsentierten hochstehende Forschung etwa: Prof. Thomas Bieber aus Bonn zur Neurodermitis; er sprach über eine Mischung aus Genetik und Barrieredefekt. Die Haut lässt nicht nur selektiv
Substanzen penetrieren, sondern hat auch eine steuernde Funktion, wenn es darum geht, ob eine allergische oder eine entzündungshemmende Reaktion initiiert wird. Der Dermatologe Prof. Michel Gilliet aus Lausanne hat sich mit mikrobiellen Peptiden und ihren Auswirkungen, beispielsweise auf die Psoriasis, beschäftigt, und der Gastroenterologe Prof. Richard Blumberg aus Boston stellte neue Zytokine vor.
Wie nah sind diese Fragestellungen dem klinischen Alltag? Sie umfassen Aspekte, die man kennt, die in der Praxis bereits eine Rolle spielen. Daneben gibt es Aspekte, die für die Praxis immer wichtiger werden. Zytokine beispielsweise werden jetzt auch als Biologics eingesetzt. Beim Asthma ist man bereits weiter als bei der Neurodermitis, es tut sich was.
Gibt es weitere Vorträge, die hier erwähnt werden sollten? Ja, beispielsweise zur Labordiagnostik. Es gibt zunehmend differenzierte Tests für Autoimmunerkrankungen, neurologische Erkrankungen oder Darmerkrankungen. Eine ausgezeichnete und sehr nützliche Übersicht zum Lungenkrebsscreening stellte Prof. Malcolm Kohler aus Zürich vor. Herausragend ist ebenfalls die von Fabian Zellweger präsentierte Arbeit der Gruppe um Prof. Beda Stadler und Dr. Monique Vogel aus Bern zur Hemmung der Basophilenaktivierung durch ein spezifisches DARPin (designed ankyrin repeat protein). Sie haben damit ein Molekül entwickelt, das auf ganz elegante Art selektiv den IgE-Rezeptor blockiert. Bereits mehrere Publikationen zeugen vom Potenzial dieser Entwicklung. Falls sich dieser Ansatz auch in der Klinik bewährt, könnte diesem eine wichtige Rolle in der Prävention oder der Sofortbehandlung allergischer Reaktionen zukommen. Beim hereditären Angioödem hat sich einiges getan, vor allem in therapeutischer Hinsicht. In der Schweiz dürfte es insgesamt wohl mindestens 150 Betroffene geben, wovon
2 Allergologie, Immunologie und Pneumologie SGAI/SGP 2013
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ungefähr 120 Fälle dieser Orphan-Erkrankung bekannt sind. Dank C1-Esterase-Inhibitoren und Bradykinin-Antagonisten lässt sich diese Erkrankung heute sehr gut behandeln. Auch bei der Urtikaria tut sich etwas, vor allem therapeutisch; das ist auch für die Grundversorger wichtig. Hoch dosierte Anithistaminika sind bei vielen Patienten sehr erfolgreich. Neue Antihistaminika wie Bilastin sedieren praktisch nicht mehr und zeigen kaum Interaktionen, sodass die höhere Dosierung einfacher ist. Für schwere, therapierefraktäre Fälle kann Cyclosporin A oder, wie neuste Studien zeigen, auch Omalizumab sehr wirksam eingesetzt werden.
Gibt es Neuigkeiten für Patienten mit allergischer Rhinitis? Gegen die allergische Rhinokonjunktivitis hat die etablierte britische Allergologin Dr. Glenis Scadding ein neues Produkt vorgestellt, dessen Markteinführung auch in der Schweiz geplant ist. Es handelt sich dabei um eine vielversprechende topische Kombination mit überzeugenden Daten aus dem nasalen Antihistaminikum Azelastin und dem Steroid Fluticason. Kollegen aus dem benachbarten Ausland berichten bereits über gute Erfahrungen. Erst ganz zum Schluss der Therapiemassnahmen kommt bei allergischer Rhinitis ein chirurgischer Eingriff infrage, im Gegensatz etwa zur Polyposis nasi oder bei Tumoren. Allerdings sind heute mit Hightech-Fibroendoskopen oder computergesteuerten Lasereingriffen auch sehr schwierig zugängliche Regionen erreichbar, wie Prof. Marco Caversaccio aus Bern eindrücklich anhand von Videos zeigte. Man kann Ballons in der Nase deponieren, um eine Nasennebenhöhle eine Zeitlang stillzulegen, dann heilt oft vieles aus. Auch Medikamente können gezielt deponiert werden, die dann über zwei, drei Wochen hochselektiv in die Schleimhaut diffundieren.
Ein weiteres Thema waren Hauttests und Asthma. Was sollte man darüber wissen? Bei asthmatischen Beschwerden können Hauttests sehr nützlich sein, um rasch und recht zuverlässig eine mögliche allergische Genese zu erfassen oder auszuschliessen. Sie bieten sich daher als einfaches Untersuchungsverfahren in der Praxis an, idealerweise bei Allergenverdacht ergänzt um die Bestimmung von spezifischem IgE im Serum.
Stichwort Desensibilisierung: Was lässt sich heute bei allergischer Rhinitis beziehungweise bei Asthma erreichen? Bei guter Patientenauswahl sind bei Pollenallergien Besserungsraten zwischen 70 und 80 Prozent, bei Hausstaubmilben oder Tierepithelien um 60 Prozent gut möglich. Bei Schimmelpilzallergien sind aufgrund schwierig zu standardisierender Extrakte die Erfolgschancen leider unbefriedigend und erreichen nur rund 30 bis 40 Prozent; Ausnahmen mit besserem Erfolg sind Allergien ausschliesslich auf Alternaria oder Cladosporium. Die Erfolgschancen bei leichtem und mittelschwerem all-
ergischem Asthma sind durchaus vergleichbar. Limitierend ist hier aber, dass das Asthma stabil sein sollte, um asthmatische Reaktionen als Nebenwirkungen der SIT möglichst zu vermeiden. Bei langjährigem und vor allem auch schwerem Asthma ist die SIT allerdings zu heikel und möglicherweise wegen des dann oft auch stattfindenden pulmonalen Umbaus auch nur noch beschränkt wirksam und daher kontraindiziert.
Was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis, die Sie vom Kongress mitnehmen? Bei chronisch idiopathischer (spontaner) Urtikaria kann Omalizumab bei schweren, bis anhin der Therapie nur sehr beschränkt zugänglichen Verläufen eine valable Therapieoption darstellen (Maurer et al., NEJM 2013). Der Einsatz ist aber vorerst nur im Off-label-Bereich möglich und erfordert daher ein Gesuch um Kostengutsprache.
Zu guter Letzt: Was halten Sie von Apps für Allergiker? Können Sie etwas empfehlen? Die App e-symptoms ist durchaus sinnvoll und zu empfehlen. Diese App wird mit stärkerer Verbreitung und Feedback auch von ärztlicher Seite noch besser.
Das Gespräch führte Christine Mücke.
Elektronisches Allergietagebuch
Ein elektronisches Tagebuch für Allergiker bietet die App e-symptoms, die Allergie- und Asthmabetroffene sowie Betreuende beim Management der Erkrankung unterstützen kann. Einmal täglich werden relevante Symptome, Medikamente und Angaben zu Lebensgewohnheiten abgefragt und können einfach dokumentiert werden. Zusätzlich können Hautsymptome per Foto festgehalten werden. Vor einer Konsultation kann dem betreuenden Arzt per Knopfdruck eine Zusammenstellung (siehe Abbildung) übermittelt werden, die durch Daten zu Pollenflug, Luftschadstoffen und Regen ergänzt wird. Ausserdem umfasst die App einen Ratgeberteil mit grundlegenden Informationen und Tipps sowie eine
regionale Pollenprognose zur Einschätzung der aktuellen Situation. Die App wurde durch aha! Allergiezentrum Schweiz, CKCARE sowie das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Aerobiologie zur Verfügung gestellt. Sie ist sowohl für Android-Smartphones als auch für iPhones erhätlich. Links zum Download finden Sie zum Beispiel auf der Internetseite von aha! Allergiezentrum Schweiz (www.aha-ch).
SGAI/SGP 2013 Allergologie, Immunologie und Pneumologie
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