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Einteilung und Management der chronischen Urtikaria
Zwischen Ursache und
Auslösern unterscheiden
Zur Einteilung der verschiedenen Formen von chronischer Urtikaria gibt es einen neuen europäischen Konsens. Bei den Entzündungsmediatoren steht Histamin vor Bradykinin und Interleukin-1 an erster Stelle. In gewissen Fällen ist der Nachweis einer autoimmunen Genese hilfreich. Dies schlägt sich auch in den Behandlungsempfehlungen nieder.
B eim Krankheitsbild der Urtikaria bestehen viele verschiedene Klassifikationen nebeneinander, stellte Prof. Dr. Clive Grattan, St John’s Institute of Derma-
Stress, aber auch Nahrungs- und Medikamentenunverträglichkeit. Entsprechend ist bei den Ursachen im engeren Sinn nach Allergenen (inkl. Medikamenten und Nahrungs-
tology, London, und Norfolk and Norwich University Hos- mittel-Pseudoallergenen), funktionellen Autoantikörpern
pital, Norfolk/UK, fest. Neben der Dichotomie akut/chro- wie anti-IgE oder anti-FcεRI sowie nach Infektionen
nisch werden Fälle von Nesselfieber nach ihrer Ätiologie (Fokussuche, Helicobacter u.a.) zu fahnden.
unterschieden in allergisch, autoimmun, in Zusammen- Bei spontaner und induzierbarer Urtikaria sowie bei ur-
hang mit einer Infektion oder Unverträglichkeit gegen tikarieller Vaskulitis steht Histamin als Mediator im
Nahrungsbestandteile beziehungsweise Medikamente ste- Vordergrund, bei hereditärem Angioödem Bradykinin und
hend sowie schliesslich idiopathisch. Ein neuer Konsens bei autoinflammatorischen Syndromen Interleukin-1. Die
teilt die chronischen Formen ein in chronisch spontane Forschung hat aber eine ganze Reihe weiterer Faktoren ins
Urtikaria (CSU) und chronisch induzierbare Urtikaria Spiel gebracht, zum Beispiel Neuropeptide wie Calcitonin
(CINDU). Bei den CSU-Fällen kann die Ursache bekannt Gene-Related Peptide (CGRP) und Substanz-P (SP) oder
oder unbekannt sein, unter CINDU sind viele Phänotypen Zytokine wie IL-1, -6, -8, die bei manchen Urtikariaformen
zusammengefasst (Kasten).
beteiligt sein können.
Konsensempfehlungen bei chronischer Urtikaria
Der autologe Serumhauttest ist ein Marker für Autoreaktivität. Vor allem ein negatives Resultat hat einen hohen negativen prädiktiven Wert. «Immunoassays auf IgE und
«Wichtig ist es, zwischen Ursache und aggravierenden auf FcεRI können nicht zwischen funktionellen und nicht
Faktoren zu unterscheiden», betonte Grattan. Als Ursa- funktionellen Autoantikörpern unterscheiden», gab Grat-
chen nannte er Allergie, Autoimmungeschehen, Pseudoal- tan zu bedenken.
lergie (Nahrungs- und Medikamentenintoleranz) sowie In- Die europäischen Konsensempfehlungen setzen nicht
fektion, als aggravierende Faktoren Wärme, enge Kleider, sedierende H1-Antihistaminika an die erste Stelle und
raten zu einer Dosissteigerung bis zum
Kasten:
Konsensklassifikation der chronischen Urtikaria
Vierfachen, wenn die Behandlung nach 2 Wochen nicht ausreicht (Abbildung). Zum Wechsel des Antihistaminikums
Chronische spontane Urtikaria (CSU)
CSU bei unbekannter Ursache CSU bei bekannter Ursache
Chronische induzierbare Urtikaria (CINDU)
physikalische Urtikaria: – symptomatischer Dermografismus
gibt es keine klare Evidenz. Allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Vertreter auch in ihren Nebenwirkungs-
– Kälteurtikaria – verzögerte Druckurtikaria – Sonnenurtikaria – Hitzeurtikaria – vibratorisches Angioödem
cholinerge Urtikaria
Kontakturtikaria
aquagene Urtikaria
profilen. Ein formelles Verbot zur Kombination von Antihistaminika kennen die Empfehlungen nicht. «Das Gebot lautet zwar ‹nicht mischen›, aber versuchen kann man es in Einzelfällen allenfalls doch», meinte Grattan. Im Allgemeinen bringt eine Dosissteigerung über das Vierfache bei H1-Antihistaminika nichts.
24 Allergologie, Immunologie und Pneumologie SGAI/SGP 2013
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Konsensempfehlungen zum Management bei Urtikaria
1. Zweitgeneration-H1-Antihistaminika als First-Line-Therapie der Urtikaria einsetzen (Empfehlung).
2. Aufdosierung des H1-Antihistaminikums bis zum 4-Fachen, aber nicht höher (Empfehlung).
3. Aufdosierung eines Antihistaminikums ist gegenüber dem Mischen zweier Antihistaminika vorzuziehen.
4. Als Add-on zum H1- kann ein H2-Antihistaminikum gegeben werden (Vorschlag).
5. Als Add-on kann Montelukast gegeben werden. (Empfehlung) 6. Eine Empfehlung zu Dapson ist nicht möglich. 7. Bei Kindern kann derselbe Behandlungsalgorithmus
zum Einsatz kommen (Vorschlag). 8. Bei schwangeren und bei stillenden Frauen kann derselbe
Behandlungsalgorithmus zum Einsatz kommen (Vorschlag).
Bei gegen Antihistaminika resistenter Urtikaria können auf einer nächsten Ebene bei dokumentierten Autoimmunvorgängen Ciclosporin A, Montelukast und – neu – auch Omalizumab zum Einsatz kommen.
Unterschiede zwischen den Antihistaminika
Zwischen den H1-Antihistaminika gibt es fassbare und praktisch bedeutsame Unterschiede. Grattan erwähnte eine Studie bei Patienten mit schwer zu behandelnder Urtikaria, welche bei einer Dosissteigerung auf das Vierfache dessen, was die Empfehlungen vorsehen, einen deutlichen Wirkungsanstieg bei Levocetirizin (Xyzal® oder Generika) belegt, jedoch eine nur unwesentliche Zunahme der ansprechenden Patienten unter Desloratadin (Aerius® oder Generika). Demgegenüber ist der Wert der Dosissteigerung bei Bilastin (Bilaxten®) dokumentiert und vor allem auch – unter praktischen Bedingungen wichtig – hinsichtlich einer unerwünschten zentralnervösen Wirkung unbedenklich. Bei Kälte-Kontakturtikaria konnte in einer experimentellen Studie eine dosisabhängige Reduktion der Temperaturschwelle zur Auslösung eines Urtikariaphänomens nachgewiesen werden. In einer anderen Studie wurde die tatsächliche Fahrleistung in einem
Fahrsimulator aufgezeichnet, und es zeigte sich hinsichtlich der Spurhaltegenauigkeit zwischen Bilasten 20 mg und 40 mg nach einer Woche kein Unterschied zu Plazebo, während die Probanden unter dem Erstgenerations-Antihistaminikum Hydroxyzin (Atarax®) eine deutliche Beeinträchtigung erkennen liessen. Als Zweitlinientherapien, die sich gegen bekannte auslösende Faktoren richten, nannte Grattan Kortikosteroide bei schweren Urtikariaexazerbationen, Dapson bei verzögerter Druckurtikaria und urtikarieller Vaskulitis, ferner Montelukast bei aspirinsensitiver und Druckurtikaria, Sulphasalazin bei verzögerter Druckurtikaria sowie Tranexamsäure (Cyklokapron®) beim nicht durch Histamine verursachten Angioödem. Ausserdem kann Doxepin (Sinquan®) bei ängstlicher Unruhe helfen. Hinsichtlich immunmodulatorischer Third-Line-Therapien ist die Datenlage noch wenig konsistent, und es bleibt offen, welche Patienten profitieren. Am ehesten sind solche Therapien hilfreich bei Patienten mit schwerer, auf Antihistaminika nicht ansprechender Urtikaria und Hinweis auf eine autoimmune Verursachung. In der Stufentherapie der chronischen spontanen Urtikaria steht heute Omalizumab an letzter Stelle, Basis bilden immer H1-Antihistaminika (Abbildung 2).
Neue Perspektiven dank BAT?
Bei der Erfassung der autoimmunen Aspekte urtikarieller Erkrankungen sind der Nachweis und die funktionelle Beurteilung von Autoantikörpern wichtig. Anti-IgE und anti-FcεRI lassen sich mittels autologen Serumhauttests (ASST) oder Basophilen-Aktivierungs-Tests (BAT) erfassen. Der ASST hat in der Praxis etliche Nachteile, erklärte Dr. Oliver Hausmann, Universitätsklinik für Rheumatologie, klinische Immunologie und Allergologie (RIA), Bern. Seine Ergebnisse hängen stark von Begleitfaktoren wie Dermografismus und Antihistaminikamedikation ab. Demgegenüber kann der BAT aus einer venösen Blutprobe erfolgen, setzt aber entsprechende Laborerfahrungen voraus. Beim BAT werden Spenderbasophile mit dem
nicht sedierende H1-Antihistaminika
↓ wenn Symptome nach 2 Wochen persistieren
höhere Dosierung (bis zu 4-fach) des nicht sedierenden H1-Antihistaminikums
↓ wenn Symptome nach 1 bis 4 Wochen persistieren
Ciclosporin A hinzufügen
Montelukast
Omalizumab
Exazerbation: systemische Steroide für 10 Tage
Abbildung 1: Europäische Konsensempfehlungen zum Management der chronischen Urtikaria
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gezielte Therapien Immuntherapien Omalizumab Quelle: Grattan C, SGAI-Kongress 2013
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Patientenserum inkubiert und das Vorliegen einer Degranulation der Basophilen dokumentiert. Gegenüber dem blossen Nachweis von Autoantikörpern im Patientenserum bietet der BAT somit eine Information in Bezug auf deren Funktionalität in der Auslösung einer Mediatorfreisetzung. Mittels BAT ist auch eine Unterscheidung der auslösenden Degranulationsmechanismen hinsichtlich IgE, IgG sowie von Nicht-IgG-Faktoren wie Komplementspaltprodukten (z.B. C5a) oder Zytokinen möglich. Der BAT, welcher nicht überall erhältlich ist und vorderhand durch die Krankenkassen nicht erstattet wird, kann in der Differenzialtherapie der Urtikaria den Weg weisen, erklärte Hausmann. Bei negativem BAT ist die Indikation für Antihistaminika gegeben, bei positivem BAT und Nachweis einer Verursachung durch Antikörper erscheint zusätzlich eine Immunmodulation angezeigt, bei BAT-positiven Patienten ohne Anhalt für eine Antikörperverursachung muss nach Infektionen (Fokus) und anderen Mechanismen gesucht werden. Noch bleibt ein solches perfektes Zusammenspiel von Symptomen, Laborbefunden inklusive BAT und Therapie ein Wunsch für die Zukunft.
Halid Bas
Literatur: 1. Maurer M et al. Chronic idiopathic urticaria (CIU) is no longer idiopathic: time for an update. Br J Dermatol. 2013; 168(2): 455–456. doi: 10.1111/j.1365-2133.2012.11171.x. 2. Grattan CE et al. Guidelines for evaluation and management of urticaria in adults and children. Br J Dermatol. 2007; 157(6): 1116–1123.
H1-Antihistaminika × 4
H1-Antihist- H1-Antihist- H1-Antihist- H1-Antihist- H1-Antihistaminika × 1 aminika × 1 aminika × 1 aminika × 1 aminika × 1
Abbildung 2: Stufentherapie der chronisch spontanen Urtikaria
3. Zuberbier T et al. EAACI/GA(2)LEN/EDF/WAO guideline: definition, classification and diagnosis of urticaria. Allergy. 2009; 64(10): 1417– 1426. doi: 10.1111/j.1398-9995.2009.02179.x. 4. Staevska et al. The effectiveness of levocetirizine and desloratadine in up to 4 times conventional doses in difficult to treat urticaria. J Allergy Clin Immunol 2010, 125: 676–682. 5. Conen S et al. Acute and subchronic effects of bilastine (20 and 40 mg) and hydroxyzine (50 mg) on actual driving performance in healthy volunteers. J Psychopharmacol 2010; 25: 1517–1523.
Quelle: «Urticaria». Satellitensymposium der Firma Menarini AG im Rahmen der gemeinsamen Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) und der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SGP) am 19. April 2013 in Bern.
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