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CongressSelection
Das variable Immundefektsyndrom
Vererbt, aber meist erst im Erwachsenenalter manifest
Bei Patienten mit dem variablen Immundefektsyndrom werde die richtige Diagnose oft erst nach Jahren mit multiplen Infektionen erkannt, sagte Prof. Dr. Charlotte Cunningham-Rundles, Mount Sinai School of Medicine in New York, eine bekannte Spezialistin auf diesem Gebiet.
E igenartig für eine Krankheit mit genetischem Hintergrund wird das variable Immundefektsyndrom (common variable immunodeficiency disorder, CVID) mehrheitlich erst im Erwachsenenalter klinisch manifest», betonte Cunningham-Rundles, «und das gilt wahrscheinlich für fast alle B-Zell-Erkrankungen.» Bei Frauen beträgt das durchschnittliche Alter dann zirka 36 Jahre, bei Männern etwa 25 Jahre. Ungefähr 10 Prozent der Fälle betreffen aber Kinder unter 10 Jahren, bis zum Alter von 20 Jahren werden 20 Prozent manifest. Das CVID macht mehr als ein Drittel aller Immundefekte aus. In den meisten Fällen ist ein Mangel an Antikörpern (Immunglobulin G, IgG) hervorstechendes Laborzeichen. Definitionsgemäss gehört auch ein Fehlen der Immunantwort nach Impfungen zu dieser Störung der Körperabwehr (Kasten).
Kasten
Kriterien zur Definition des variablen Immundefektsyndroms
1. Patienten sind mindestens
4 Jahre alt oder älter.
2. Bei Erwachsenen Serum-
IgG-Konzentration < 4–5 g/l (< 450 mg/dl) (oder bei Jün- geren 2,5. Perzentile für das Alter) bei gleichzeitig sehr tiefen oder fehlenden IgA und/oder IgM. 3. Fehlen einer Antikörper- antwort auf bakterielle beziehungsweise virale Anti- Serum-Elektrophorese bei variablem Immundefektsnydrom gene nach Impfung oder (schematisch). Quelle: Wikipedia Exposition (umfassende Analyse!). 4. Ausschluss aller anderen bekannten Ursachen für eine Hypogammaglobulinämie. (nach Chapel H., Cunningham-Rundles C., 2009 [1]) Umfassende Diagnostik sinnvoll Für die Diagnosestellung ist nach Cunningham-Rundles eine vollständige immunologische Abklärung absolut sinnvoll: «Ich gebe lieber etwas mehr Geld im Voraus aus, bevor ich eine sehr teure Therapie über Jahre hinaus veranlasse.» Die Diagnostik umfasst daher: • IgG, IgA, IgM • T-, B- und natürliche Killer-(NK-)Zellen • Antikörper gegen Tetanus, Diphtherie, Herpes zoster, Masern, Mumps, Röteln • Isohämagglutinine • Antikörper gegen H. influenzae beziehungsweise Pneu- mokokken nach Vakzination. Bis heute können nur einige wenige Gene mit CVID in Verbindung gebracht werden, für über 90 Prozent der Fälle bleibt die Ursache unbekannt. In der Pathogenese kommt einem Mangel der reifen B-Gedächtniszellen (isotype switched memory b cells) eine herausragende Rolle zu. Das Ausmass dieses Defekts gibt auch gewisse prognostische Hinweise, da besonders tiefe Konzentrationen von «isotype switched memory b cells» mit signifikant höheren Raten von granulomatösen und autoimmunen Begleiterkrankungen sowie mit Splenomegalie und lymphoider Hypertrophie einhergehen. Bei rezidivierenden oder besonders schweren Infektionen: daran denken Klinisch erleiden die Betroffenen schwere, rezidivierende Infektionen verschiedener Körperbereiche, wobei die Infekte der Atemwege (Sinusitis, Pneumonie, Bronchitis, Otitis) mit grossem Abstand die häufigsten sind. Als hauptsächliche Erreger bei Patienten mit Antikörpermangel gelten H. influenzae, Str. pneumoniae, Staph. aureus sowie Mykoplasmen und unter den Viren Adenoviren, Zytomegalievirus und Rhinoviren. «Vor allem Streptococcus pneumoniae ist bei diesen Patienten ein ganz typischer Keim», betonte Cunningham-Rundles. Unter fortgesetzter Immunglobulingabe (400–600 mg/kg 1-mal pro Monat i.v. [z.B. Privigen®] oder ähnliche Dosen 8 Allergologie, Immunologie und Pneumologie SGAI/SGP 2013 CongressSelection s.c. 1-mal pro Woche [z.B. Vivaglobin®]) sind IgG-Talspiegel innerhalb des Normalbereichs (z.B. 800 mg/dl) zu erreichen. Gleichzeitig werden bei Hinweis auf eine Infektion Antibiotika grosszügig verschrieben. Mit der Immunglobulingabe kann die Häufigkeit von Lungenentzündungen deutlich gesenkt werden. Dennoch kommen akute oder chronische Bronchitiden sowie Pneumonien auch unter IgG-Therapie bei 25 bis 50 Prozent der Patienten weiterhin vor. Dies ist ein Zeichen für eine weiter bestehende Immundysregulation, zum Beispiel mit gesteigerter T-ZellAktivierung. Weites Spektrum begleitender Autoimmunerkrankungen 8 bis 20 Prozent der Patienten mit CVID können auch eine systemische granulomatöse Erkrankung aufweisen. Bei Lungenbefall sind Bronchiektasen im Vergleich zu einer Lungensarkoidose häufiger, im Lungen-CT imponieren mehr Knoten, Luftbronchogramme und Halozeichen. Zudem ist in der bronchoalveolären Lavage das CD4/CD8Verhältnis der T-Zellen tiefer, und die Mortalität war in einer neuen Vergleichsstudie deutlich höher (30% vs. 0%) (2). Begleitende Autoimmunerkrankungen bei CVID umfassen ein weites Spektrum. Rund ein Drittel sind Immunthrombopenien, etwa 20 Prozent autoimmune hämolytische Anämien. Eine weitere Begleiterkrankung bei 8 bis 12 Prozent der CVID-Patienten ist die Enteropathie. Sie geht bei einem Drittel der Patienten mit Durchfällen einher und führt wegen Malabsorption zu Gewichtsverlust, Vitaminmangelzuständen und Osteoporose. Auch Malignome kommen bei CVID-Patienten gehäuft vor, insbesondere maligne Lymphome (3–8%). Diese sprechen auf eine übliche Therapie recht gut an, erwähnte Cunningham-Rundles. Nicht infektiöse Komplikationen entscheidend für die Prognose Eine amerikanischen Kohorte von 473 CVID-Patienten hat ein Bild dieser zwar nicht sehr häufigen, aber schwerwiegenden Störung aus dem klinischen Alltag gezeichnet (3). 208 waren Männer, 265 Frauen, der Symptombeginn lag bei 24 Jahren für Männer und 27 Jahren für Frauen. Die Diagnose wurde aber jeweils erst später gestellt, bei Männer mit 30 Jahren und bei Frauen mit 331/2 Jahren. Der Grund für diesen Geschlechterunterschied ist nicht bekannt. Die IgG-Spiegel lagen median bei 246 mg/dl, IgA bei 8 mg/dl und IgM bei 21 mg/dl. Ein Viertel dieser Kohorte hatte IgG-Konzentrationen von 110 mg/dl oder weniger, und 10 Prozent hatten nur 1 Prozent oder weniger B-Zellen. 52 Prozent hatten nicht infektiöse Komplikationen. Für die Prognose fielen die Komplikationen stark ins Gewicht. CVID-Patienten mit Komplikationen hatten im Vergleich zu solchen ohne nach 4 bis 5 Jahren eine knapp halb so hohe Überlebenswahrscheinlichkeit (p = 0,0001). Hinsichtlich der Prognose haben Bronchiektasen im Röntgenbild keine Aussagekraft. «Ich spreche mit Patienten im Zusammenhang mit dem Überleben gar nicht über Bronchiektasen», meinte Cunningham-Rundles. Auch Granulome sind kein prognostisch diskriminierendes Zeichen. Patienten, die nur die Infektionen als Folge des Antikörpermangels haben, weisen grundsätzlich eine bessere Prognose auf als solche, die Enteropathie, Autoimmungeschehen oder Malignome als Komplikationen zeigen. Halid Bas Literatur: 1. Chapel H, Cunningham-Rundles C. Update in understanding common variable immunodeficiency disorders (CVIDs) and the management of patients with these conditions. Br J Haematol 2009; 145(6): 709–727. doi: 10.1111/j.1365-2141.2009.07669.x. 2. Bouvry D et al. Granulomatosis-associated common variable immunodeficiency disorder: a case-control study versus sarcoidosis. Eur Respir J. 2013; 41(1): 115–122. doi: 10.1183/09031936.00189011. Epub 2012 Aug 16. 3. Resnick ES, Cunningham-Rundles C. The many faces of the clinical picture of common variable immune deficiency. Curr Opin Allergy Clin Immunol. 2012; 12(6): 595–601. doi: 10.1097/ACI.0b013e32835914b9. Quelle: «Complexities of common variable immunodeficiency: clinical phenotypes and biomarkers». Plenary Session im Rahmen der gemeinsamen Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) und der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SGP) am 18. April 2013 in Bern. SGAI/SGP 2013 Allergologie, Immunologie und Pneumologie 9