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Gezielte Tipps statt Verbote
Milch im Tee reduziert das Steinrisiko
Personen, die ein genetisches Risiko für die Entwicklung von Nierensteinen tragen, sollten eine Reihe von Ernährungsempfehlungen beachten. Mehr als mit einer schlichten Liste von Verboten erreicht man jedoch mit ausführlicher Beratung, die auch auf individuelle Vorlieben und mögliche Ernährungsprobleme eingeht.
Mit der schlichten Empfehlung, mehr zu trinken oder den Schokoladekonsum einzuschränken, kommt man nicht weit. Patienten nach der Entfernung von Nierensteinen haben ein erhebliches Rezidivrisiko, dem nicht zuletzt mit gezielten Lebensstiländerungen begegnet werden kann und soll. Die empfohlenen Ernährungsmassnahmen umfassen unter anderem hohe Flüssigkeitsaufnahme (die Urinmenge soll 2 bis 2,5 l/Tag betragen) und eine anhand extensiver biochemischer Evaluation erstellte Diät. Was in solchen Überlegungen fehlt, ist die Sicht des Patienten. Dieser reagiert mit begrenzter Adhärenz. Daten aus spezialisierten Steinzentren zeigen Drop-out-Raten in der Höhe von 20 bis 30 Prozent pro Jahr (1).
Eine Frage der Kommunikation
Das sei nicht selten eine Folge missglückter Kommunikation, sagt der Zürcher Nephrologe PD Dr. Bernhard Hess. Um dem Patienten die Prinzipien der Ernährung bei Urolithiasis samt praktischer Anwendung zu erklären und nach individuellem Veränderungspotenzial hinsichtlich des Lebensstils zu suchen (auch Stress erhöht das Steinrisiko), veranschlagt Hess ein Patientengespräch von 60 bis 75 Minuten. Dabei geht es um die gezielte Umstellung der Ernährung. Und gezielt bedeutet in diesem Fall: individualisiert. «Wir bestellen die Patienten nicht früher als 3 Monate nach einer Steinepisode zur Untersuchung, weil wir sie in jenem stabilen Zustand sehen wollen, in dem sie auch die Steine gebildet haben. Ich lasse mir von den Patienten genau aufschreiben, was sie essen und trinken. Und ich lasse sie 2-mal über 24 Stunden den Urin sammeln. Dazu kommen eine Blutuntersuchung (Natrium, Kalium, Kalzium, Bikarbonat, Harnstoff, Kreatinin und Harnsäure) nach 12-stündiger Nahrungskarenz sowie eine Untersuchung des zweiten Morgenharns. Der Patient soll auch mehrmals den pH-Wert des zweiten Morgenharns selbst bestimmen. Falls verfügbar, interessiert uns natürlich auch die Steinanalyse», führt der Experte aus.
Empfehlung: mehr trinken
Die allgemeinen Empfehlungen (in die-
sem Fall für Patienten mit Kalziumstei-
nen) liegen auf der Hand: Die Flüssig-
keitsaufnahme soll gesteigert werden.
Ebenso die Kalziumzufuhr auf 1200 mg/
Tag, wobei das Kalzium gemeinsam mit
den Mahlzeiten aufgenommen werden
soll. Ebenso sollten mehr basische Nah-
Bernhard Hess
rungsmittel, also vor allem Früchte und
Gemüse, und weniger Fleisch konsumiert werden. Zu ver-
meiden sind Vitamin-C-Mengen von mehr als 500 mg am
Tag sowie oxalathaltige Speisen und Getränke, sofern
diese nicht gemeinsam mit Kalzium gegessen oder ge-
trunken werden. Medikamente sind nur bei einer Minder-
heit der Patienten erforderlich, wobei Hess ausschliesslich
Kaliumzitrat einsetzt.
Zu einem auf den konkreten Patienten massgeschneider-
ten Vorgehen gehört aber vor allem auch eine sehr gründ-
liche Anamnese. Wer zum Beispiel viel Sport betreibt und
viel schwitzt, muss das bei der Planung seiner Ernährung
und Flüssigkeitszufuhr berücksichtigen. Hess: «Über all
die Jahre habe ich gelernt, dass die Laborergebnisse zwar
eine gewisse Aussagekraft haben, dass man aber durch-
aus auch bei unauffälligem Labor Fälle sieht, bei denen
es wieder zu Steinen kommt. Wenn ich allerdings länger
mit dem Patienten spreche, genau nach den Lebensge-
wohnheiten frage und ich dann noch die Zusammenset-
zung des Steines kenne, kann ich mir in den meisten Fäl-
len schon zusammenreimen, wie es zu diesem Stein
gekommen ist, und kann den Patienten gezielter beraten,
um weitere Steine zu verhindern.» Häufig liegt der Grund
für das erneute Auftreten von Nierensteinen nämlich in
kurzfristigen Entgleisungen des Oxalatspiegels. Hess:
«Kurzfristig auftretende Spitzenkonzentrationen lassen
sich im 24-Stunden-Harn nicht feststellen. Wir haben am
Institut vor einigen Jahren für die Diplomarbeit einer Stu-
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dentin unsere eigenen Oxalatwerte gemessen. Beim Konsum oxalathaltiger Speisen und normaler Kalziummengen waren dann bei einigen sofort Mikrosteine nachweisbar. Bei einem Menschen mit einer genetischen Disposition für die Steinbildung können dann diese kurzfristigen Spitzenkonzentrationen schon dazu führen, dass sich ein Stein bildet, der gross genug ist, um Symptome zu verursachen.» Diese Veranlagung bringen rund 10 bis 15 Prozent der europäischen Bevölkerung mit. Für sie werden Ernährungsgewohnheiten, die für andere ohne Folgen bleiben, zu Ernährungsfehlern mit Konsequenzen. Für solche Menschen ist zum Beispiel Schwarztee ein Problem. Eistee gegen den Durst im Sommer kann sich dann ebenso verheerend auswirken wie der sehr konzentrierte Schwarztee, der zum Beispiel in der Türkei getrunken wird. «Das Oxalat kann dann sehr leicht im Darm aufgenommen werden und geht direkt in den Harn. Ein Weg, das zu verhindern, ist die gleichzeitige Aufnahme von Kalzium. Dadurch kristallisiert Oxalat bereits im Darm aus, wird nicht aufgenommen und kann auch keine Steine verursachen. Tee mit Milch ist also wesentlich günstiger als schwarzer Tee. Da muss man dann individuelle Lösungen finden. Einem Türken können Sie nicht den Schwarztee verbieten, aber er kann dazu ein Joghurt oder ein Stück Käse essen. Wir haben das Glück, dass wir in der Schweiz Mineralwässer mit hohem Kalziumgehalt haben. Die kann man zum Beispiel zum Spinat oder zur Schokolade trinken, und das Oxalat gelangt nicht in den Körper. Wenn es gar nicht anders geht, muss man eben zu Kalziumtabletten greifen.»
Auf der Suche nach individuellen Risikofaktoren
Bei vielen Patienten müssen Verhaltensweisen, die das Steinrisiko erhöhen, in detektivischer Kleinarbeit aufgespürt werden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sich weitere Steine einstellen, obwohl die Empfehlungen – zumindest aus Sicht des Patienten – genauestens eingehalten werden. Hess nennt den Fall eines Patienten, bei dem es trotz scheinbar genauer Befolgung der Empfehlungen mehrfach zu Steinrezidiven kam. Das ausführliche Patientengespräch ergab, dass der Mann intensives Ausdauertraining betrieb, dabei Leitungswasser und Energydrinks
mit sehr niedrigem Kalziumgehalt konsumierte und seinen Blutzucker regelmässig mit Schokoladeriegeln normalisierte. Die Kombination von Flüssigkeitsverlust durch das Schwitzen, Rehydrierung ohne Kalzium und Oxalat in der Schokolade genügte, um bei sonst peinlich genauer Befolgung der Ratschläge Steine zu verursachen – und das ohne nennenswerte Auffälligkeiten im 24-Stunden-Harn. Hess präsentierte im Rahmen seines Vortrags auch Daten einer von ihm durchgeführten Befragung bei Patienten mit rezidivierenden Nierensteinen. Diese Befragung diente einerseits der Selbstevaluation, andererseits aber auch der Beschreibung einer nicht immer einfachen Patientenpopulation. Für die aktuelle Interimsanalyse liegen die Antworten von 38 Patienten vor. Diese zeigen, dass 60 Prozent der Meinung waren, die Diät- und Lebensstilempfehlungen zumindest zu 80 Prozent verstanden zu haben. Das liess sich jedoch nicht einfach auf die Adhärenz umlegen. Nur 21,1 Prozent der Patienten gaben an, die Empfehlungen zu mindestens 80 Prozent beachtet zu haben. Die Mehrheit (61,1%) hielt sich zu 50 bis 80 Prozent an die ärztlichen Ratschläge. Eine Analyse dieser Daten ergab, dass Patienten, die den Eindruck hatten, die Empfehlungen zu verstehen, sich auch besser daran hielten. Nach der Zahl der Tage gefragt, an denen die Empfehlungen zu 100 Prozent umgesetzt wurden, zeigte ebenfalls die Mehrheit mittelmässige Compliance: 55,3 Prozent der Befragten nahmen es an 4 bis 5 Tagen in der Woche genau mit den Ernährungsregeln. Auf die Frage nach konkreten Veränderungen gaben jeweils mehr als 80 Prozent der Patienten an, mehr zu trinken und mehr Kalzium zu sich zu nehmen. Auch die Empfehlung mehr Früchte und Gemüse zu essen, wurde gut umgesetzt. Weniger gut wurden die Reduktion des Fleischkonsums (60%) und der Oxalataufnahme (unter 60%) angenommen. Stressabbau betrieb lediglich eine Minderheit von rund einem Drittel. Gut war die Compliance bei jenen Patienten, die Medikamente bekamen. Diese wurden nämlich von zwei Drittel an 6 bis 7 Tagen in der Woche eingenommen. Eine überwiegende Mehrzahl der Befragten würde diese Art der Beratung auch anderen Patienten mit Nierensteinen empfehlen. Es sei also, so Hess, durchaus möglich, Patienten ausreichend über die empfohlenen Diätmassnahmen zu informieren. Es brauche eben nur etwas Zeit.
Reno Barth
Falls Medikamente erforderlich werden
Wenn die Aufnahme von Kalzium über die Ernährung ungenügend sein sollte, können Kalziumtablettten zur Ausfällung von Nahrungsoxalat im Darm zum Einsatz kommen. Hier kann jedes medizinische Kalziumsupplement verwendet werden, beispielsweise Calcimagon D3, Calperos D3, Calcium Sandoz, Kalzipos D3 und so weiter (Liste unvollständig). Zur Steigerung der Zitraturie findet bei Bedarf Citrat Verwendung. Dieses wird als Kaliumzitrat (in den USA und in der Schweiz Urocit) verschrieben.
Referenz: 1. Parks JH et al. J Urol 2001; 166: 2057–2060.
Quelle: Urolithiasis – On the Way to Personalised Management. Meeting of the EAU Section of Urolithiasis (EULIS) am 16. März 2013 in Mailand.
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