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Metastasiertes Nierenzellkarzinom
Systemische Therapien im Überblick
Seit der Einführung der TKI konnte das Überleben der Patienten mit Nierenzellkarzinom deutlich verbessert werden. Prof. Dr. Axel Merseburger, Medizinische Hochschule Hannover, gab in einer State-of-the-Art-Lecture am Europäischen Urologiekongress einen Überblick über eine Dekade zielgerichteter Therapien und erläuterte die aktuellen Entwicklungen.
Heute stehen zwei verschiedene Klassen zielgerichteter Substanzen zur Verfügung: VEGFR-gerichtete und mTOR-Inhibitoren. Zu Ersteren zählen neben Bevacizumab die Tyrosinkinasehemmer (TKI) wie Axitinib, Pazopanib, Sunitinib oder Sorafenib. Ebenfalls untersucht werden immunbasierte Therapien mit neuen Substanzen wie PD-1-Inhibitoren oder Vakzinen, neue Ziele wie MET oder FGFR, die durch Carbozantinib beziehungsweise Dovitinib inhibiert werden, oder neue TKI wie Tivozanib. «Mit den zugelassenen neuen TKI sprechen wir bei der Erstlinientherapie über ein progressionsfreies Überleben von 8 bis 11 Monaten», wie Merseburger ausführte. Auch unter Bevacizumab in Kombination mit Interferon liegt das progressionsfreie Überleben (PFS) mehrheitlich
Was tun bei kleinen renalen Tumoren?
Viele Kliniker schätzen kleine Nierenzelltumoren als gutartig ein und begnügen sich häufig mit abwartender Beobachtung. Eine grosse, retrospektive, multizentrische Studie untersuchte zwischen 1990 und 2011 2197 Patienten aus sechs Zentren mit einem Nierenzellkarzinom von 4 cm oder kleiner hinsichtlich Tumorwachstum und Metastasenentwicklung (1). Mit zunehmendem Tumordurchmesser stieg das Risiko der Progression oder entfernter Metastasen. Lagen zum Zeitpunkt der Diagnose oder Operation keine Metastasen vor, war die Fünfjahres-krebsbedingte Todesrate signifikant niedriger als bei jenen, die bereits Metastasen aufwiesen. Dass es selbst bei kleinen Tumoren zu Metastasen kommen kann, ist umso wichtiger zu wissen, als die Zahl der Patienten mit kleinen Nierentumoren zunimmt und bei diesen üblicherweise ohne Operation beobachtet wird. Bei ausgesuchten älteren Patienten oder solchen mit Komorbiditäten kann bei renalen Tumoren kleiner Masse die abwartende Beobachtung mit verzögerter Intervention eine sichere Alternative darstellen, so Prof. Dr. Axel Merseburger, Hannover. Diese Aussage basiert auf der Beobachtung von Volpe et al. (2), einer ersten italienischen prospektiven Untersuchung.
1. Steffens S et al. Abstract 338; 28. EAU-Kongress 2. Volpe et al. Abstract 174; 28. EAU-Kongress
zwischen 8 und 10 Monaten, so der Experte weiter, mit Ausnahme der BEVLIN-Studie (bis zu 15,3 Monate). Im Folgenden fasste der Referent einige aktuelle Daten zusammen.
Wirksamkeit und Verträglichkeit im Fokus
Die COMPARZ-Studie verglich Pazopanib mit Sunitinib in der First-Line-Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms (1). Der erste Endpunkt wurde erreicht, Pazopanib war Sunitinib mit einem medianen PFS von 8,4 vs. 9,5 Monaten (HR = 1,047) nicht unterlegen. Als zweiter Endpunkt waren Gesamtüberleben, objektive Ansprechrate sowie Nebenwirkungen im Fokus (2). Das mediane Gesamtüberleben unterschied sich in der Interimsanalyse mit 28,4 (Pazopanib) vs. 29,3 Monate (Sunitinib) nicht signifikant. Der Studie zufolge erwies sich Pazopanib bei gleicher Wirksamkeit hinsichtlich Fatigue Sunitinib als überlegen. Auch in weiteren Parametern der Lebensqualität schnitt Pazopanib besser ab. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang unter Experten der Zeitpunkt der Abfrage, so Merseburger, da die Lebensqualität jeweils zum Ende der Einnahme von Sunitinib und nicht erst nach der Therapiepause erhoben wurde. Letztlich aber sollten die erhobenen Werte den Gesamtzeitraum spiegeln und nicht nur einen einzigen Tag. Die AGILE-Studie hat Axitinib in der First-Line mit Sorafenib verglichen (3). Trotz besserer Ergebnisse im medianen progressionsfreien Überleben für Axitinib wurde der erste Endpunkt aufgrund der zuvor definierten Grössenordnung knapp verfehlt. Das eigentlich als etwas schwächer eingeschätzte Sorafenib scheint «wie roter Wein mit zunehmendem Alter besser zu werden», zitierte Merseburger Prof. Dr. Manuela Schmidinger, Wien. Auch die TIVO-1-Studie wählte Sorafenib als Vergleichssubstanz für Tivozanib in der First-Line-Therapie (4). Bei Progression unter Sorafenib war ein Cross-over zur Vergleichssubstanz möglich. Das mediane progressionsfreie
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Überleben fiel unter Tivozanib besser aus (11,9 vs. 9,1 Monate, p = 0,042). Betrachtetet man lediglich die therapienaiven Patienten, schnitten diejenigen unter Tivozanib noch einmal besser ab: Mit einem medianen PFS von 12,7 vs. 9,1 Monaten (p = 0,037) konnte das Plateau von einem Jahr überschritten werden. Dass das Gesamtüberleben nicht besser abgeschnitten habe, erklärte der Experte mit den Patienten, die erst nach Progression unter Sorafenib auf Tivozanib gewechselt hatten. Alles in allem eine vielversprechende und gut verträgliche Substanz, die aber aktuell noch nicht zugelassen ist.
Was bringen die modernen Kombinationstherapien?
In der BEST-Studie wurden in vier Armen neben Bevacizumab drei verschiedene Kombinationen untersucht (5): Bevacizumab plus Temsirolimus, Bevacizumab plus Sorafenib sowie Sorafenib plus Temsirolimus, zu denen die Patienten je nach vorheriger Impfung oder Zytokinbehandlung sowie Motzer-Risikokategorie zugeteilt wurden. Beim progressionsfreien Überleben konnte kein statistisch signifikanter Unterschied festgestellt werden. Aber hinsichtlich der Nebenwirkungen traten unter allen neuen Kombinationen signifikant mehr Grad-3/4-Nebenwirkungen auf als unter der zugelassenen Standardkombination von Bevacizumab und Interferon. «Die einzige Kombination bis anhin, die stabile Resultate liefert, ist also die bereits zugelassene», so der Experte. Die Chancen auf Zulassung der neuen Kombinationen seien nach den vorliegenden Resultaten der BEST-Studie fraglich.
Überwindung des PFS-Plateaus
Aktuell liegt das Plateau des PFS bei etwa einem Jahr; verschiedene Ansätze werden diskutiert, wie dieses Plateau zu überwinden sein könnte. Die Vorschläge gehen dahin, das Vorgehen individuell an Patient, Tumor und Ansprechen zu orientieren. Laut einem Vorschlag von Figlin sollten VEGF-empfindliche Patienten bei dieser Therapie bleiben, Patienten mit intermediärer VEGF-Empfindlichkeit könnten gute Kandidaten für Kombinationen mit mTorInhibitoren oder anderen nicht VEGF-gerichteten Therapien sein, und schliesslich können jene, die nicht VEGF-empfindlich sind, von mTor-Inhibitoren oder nicht VEGF-gerichteten Therapien profitieren. Ein weiterer Ansatz sind neue Substanzen, wie beispielsweise Anti-PD-1-monoklonale Antikörper.
Christine Mücke
Referenzen: 1. Motzer et al. Nr. LBA 8 ESMO 2012. 2. Cella et al. Nr. 346 ASCO GU 2013. 3. Hutson et al. Nr. LBA 348 ASCO GU 2013. 4. Motzer et al. ASCO 2012 Nr. 4501. 5. McDermott et al. Nr. 345 ASCO GU 2013. 6. Pal and Figlin. ASCO GU Educational Booklet, 2013.
Quelle: «Systemic therapy in urological cancers: Systemic therapy for renal cell cancer», EAU-Kongress, 18. März 2013 in Mailand.
Personalisierte Therapie beim mRCC
Aufgrund der sehr heterogenen Zusammensetzung der Patienten mit metastasierten Nierenzellkarzinomen könnte eine individualisierte Therapie dieser Patienten sehr hilfreich sein, so Prof. Dr. Bernard Escudier, Villejuif, Frankreich, anlässlich des EAU-Kongresses. Der Experte diskutierte, welche Parameter dabei helfen könnten, die richtige Therapie zu wählen, ein Therapieversagen vorherzusagen oder die Toxizität zu minimieren. Die Histologie hat sich als wenig nützlich erwiesen, und auch Biomarker konnten bis anhin nicht als prädiktive Anhaltspunkte bestätigt werden. Lediglich die PD-L1-Expression könnte, nicht nur beim mRCC, eine Ausnahme darstellen. Erste Hinweise dafür liefert eine Studie von Topalian et al.; demnach lag die Chance auf ein Ansprechen auf die Therapie mit Anti-PD-1-Antikörpern bei PD-L1-positiven Patienten über 60 Prozent, wohingegen keiner der PD-L1-negativen Patienten auf die Therapie ansprach (1). Bei den Patientencharakteristika spielen Alter und Komorbiditäten eine wichtige Rolle, schliesslich sind die Therapien nicht kurativ, gehen mit Nebenwirkungen einher und können die Lebensqualität beeinträchtigen. Darüber müssen die Patienten orientiert sein, betonte der Experte, um gemeinsam die Strategie zu besprechen. Um mehr über die Perspektive der Patienten zu erfahren, hat man in Untersuchungen wie beispielsweise der PISCES-Studie Patientenpräferenzen erfragt. Mehr Patienten sprachen sich darin beim verblindeten Vergleich von Pazopanib und Sunitinib zugunsten von Pazopanib aus (70 vs. 22%, [2]).
Kriterien für Risikogruppeneinteilung Auch der Krankheitsverlauf ist ein wichtiger Aspekt – und dieser kann bei einigen Patienten sehr langsam sein. In ausgewählten Fällen kann der Beginn einer Therapie verzögert werden, ohne dass das progressionsfreie Überleben schlechter ausfällt als bei unmittelbarem Therapiebeginn, so der Experte. Für die prognostische Einteilung in Risikogruppen erinnerte Escudier an die Heng-Kriterien, eine Abwandlung der Motzer-Kriterien, die anstelle des LDH-Wertes neutrophile Granulozyten sowie Thrombozyten umfassen. Diese Kriterien erlauben eine gute Einschätzung des zu erwartenden Gesamtüberlebens und könnten so auch einen Beitrag zur Entscheidung über den Zeitpunkt des Therapiebeginns leisten.
Klinische Biomarker und Radiologie
Alles in allem personalisieren wir heute mehrheitlich anhand von
Therapiewirkungen, so Escudier. Einen wichtigen Anhaltspunkt
hinsichtlich der Wirksamkeit geben dabei auch Nebenwirkungen,
wie zum Beispiel die Hypertonie, der bekannteste Biomarker für
VEGF-Inhibitoren. So konnten etwa Rini et al. am ASCO 2012 zei-
gen, dass ein Blutdruckanstieg unter Axitinib mit einem besse-
ren Therapieansprechen einherging. Auch das Konzept der Do-
sistitration könnte bei Substanzen wie Axitinib oder Tivozanib
attraktiv sein.
Bildgebende Techniken können heute ebenfalls dabei helfen, die
Behandlung zu leiten. Anhand von MRI, dynamischem CT oder
Dopplersonografie kann die Tumorvaskularisation monitorisiert
werden, wie Escudier am Beispiel eines Patienten unter Axitinib
zeigte. Die dokumentierten Veränderungen in der Vaskularisa-
tion korrelierten mit dem deutlichen Rückgang des Tumors im CT
nach zwei Monaten.
Mü
Referenzen: 1. Topalian SL et al. N Engl J Med. 2012; 366 (26): 2443–2454. 2. Escudier B et al. Abstr. CRA4502, am ASCO 2012
Quelle: «Personalised appraoch in renal cancer», EAU-Kongress, 16. März 2013 in Mailand
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