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Die Ursachen einer primären vorzeitigen Ejakulation liegen, so die neuere Forschung, im Mangel an Serotonin in den Synapsen absteigender, inhibitorischer Bahnen. Medikamente, die den Serotoninspiegel beeinflussen, haben sich als hilfreich erwiesen.
Ejaculatio praecox: Keine Evidenz für die Psychologie
Ejaculatio praecox stellt ein erhebliches Problem in der täglichen urologisch-andrologischen Praxis dar. Nicht wenige Ärzte wissen darauf keine Antwort, wie Dr. Andrea Salonia, Leiter der Abteilung für Sexual- und Reproduktionsmedizin an der Medizinuniversität Vita-Salute San Raffaele, betont. Er stützt diese pessimistische Einschätzung der Lage auf eine Befragung, die 2010 im Rahmen des 8th European Urology Education Programme in Prag unter Urologen durchgeführt wurde. Diese zeigte, dass sich die Mehrzahl der Befragten zwar in der Diagnostik, nicht jedoch in der Therapie an die aktuellen Guidelines hielt. So nannten 46,4 Prozent psychologische Methoden als Behandlung der ersten Wahl, vor Lokalanästhetika. Nur 1,4 Prozent würden als First-Line zur täglichen Gabe von SSRI greifen (1). Salonias harte Schlussfolgerung: «Die Befragten hatten offenbar eine ungenügende Ausbildung in Sexualmedizin.»
Anamnese und urologische Untersuchung
Die EAU-Guidelines sind klar. Sie empfehlen eine Diagnose der Ejaculatio praecox anhand der medizinischen und sexuellen Anamnese. Dabei reicht die Selbsteinschätzung der Zeit bis zur Ejakulation (IELT – Intravaginal ejaculation latency time) vollkommen aus. Salonia: «Die Messung der IELT mit der Stoppuhr ist etwas für klinische Studien. Niemand macht das im Alltag.» Ausserdem sollte eine urologische Untersuchung durchgeführt werden. So kommt beispielsweise eine Prostatitis als Ursache infrage – besonders wenn das Problem erst später im Laufe des Sexuallebens aufgetreten ist. Neurophysiologische Tests hingegen werden nicht generell empfohlen.
Primäre und sekundäre Störung unterscheiden Salonia betont die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Ejaculatio praecox: «Wenn Ejakulationsprobleme nicht immer vorhanden waren, sondern später auftraten, sollte gründlich nach den Ursachen gesucht werden. Eine primäre, also lebenslang bestehende Störung ist ganz anders zu behandeln als eine sekundäre.» Lange Zeit wurde die primäre Ejaculatio praecox als rein psychologisches Problem behandelt. Salonia: «Das ist absolut nicht richtig, obwohl psychologische Faktoren zu einer Exazerbation des Problems führen können.» Die EAU-Guidelines halten fest, dass eine psychologische Behandlung versucht werden kann, obwohl es dafür keine Evidenz gibt. Diese Empfehlung hat den Grad 3C. Ein relativ rezenter Cochrane-Review fand für die Wirksamkeit psychologischer Verfahren lediglich schwache und inkonsistente Evidenz und betont, dass die sehr erfolgreichen frühen Interventionsversuche von Masters und Johnson niemals reproduziert werden konnten (2). Die pathophysiologischen Hintergründe der Ejaculatio praecox sind mittlerweile bekannt: Aus unterschiedlichen Gründen kann es zu einer Störung jener absteigenden Hemmung kommen, die bei gesunden Männern eine sehr schnelle Ejakulation verhindert (3). Dies kann beispielsweise die Folge von Hyperthyreoidismus sein (4). In diesem wie in anderen Fällen von sekundärer Ejaculatio praecox verschwindet die Ejakulationsstörung meist mit der Therapie der Grundkrankheit. Das ist bei der primären Störung nicht der Fall, der ein konstitutioneller Mangel an Serotonin in den absteigenden inhibitorischen Bahnen zugrunde liegt. Wie es genau zu diesem Defizit kommt, ist nicht geklärt (5). Salonia: «Wir haben es also mit
einem neurobiologischen Defekt zu tun. Das ist der Grund, warum SSRI off-label in dieser Indikation eingesetzt werden, wobei Paroxetin die besten Ergebnisse bringt.» Zugelassen ist hingegen Dapoxetin, ein Serotonin-Transporter-Inhibitor, der eigens als Bedarfstherapie der Ejaculatio praecox entwickelt wurde und keine antidepressive Wirkung aufweist. In Studien zeigte die Substanz gute Wirksamkeit, aber auch häufige und unangenehme Nebenwirkungen (6). Dapoxetin wurde und wird in weiteren Studien untersucht und zeigt dabei bei bis zu zwei Drittel der Patienten gute Wirkung. In den EAU-Guidelines wird der Einsatz sowohl der SSRI als auch von Dapoxetin mit einer 1A-Empfehlung versehen. Bemerkenswerterweise verleihen die Guidelines den nicht zugelassenen SRRI den Status der First-LineTherapie.
Opioid in Studien erfolgreich
Ebenfalls in mehreren Studien bewährt hat sich Tramadol, ein Opioid mit zusätzlicher SNRI-Wirkung, das ebenfalls offlabel als Bedarfsmedikation eingesetzt werden kann (7). In der Praxis sollten, so Salonas, bei der Wahl des Medikaments die individuellen Bedürfnisse des Patienten so weit als möglich berücksichtigt werden.
Reno Barth
Referenzen: 1. Saturnino L et al. J Sex Med, 2010; 9: 404–410. 2. Althof S et al. Cochrane Database Syst Rev, 2011; (8): CD008195. 3. Buvat J. J Sex Med 2011; 8 (suppl. 4): 316–327. 4. Carani C et al. J Clin Endocrinol Metab 2005; 90: 6472–6479. 5. Giuliano F et al. Eur Urol 2006; 50 (3): 454–466. 6. Pryor JL et al. Lancet, 2006; 368 (9539): 929–937. 7. Wu T et al. Urology, 2012; 80: 618–624.
Quelle: State-of-the-Art-Lecture «Modern Management of Ejaculatory Disorders» im Rahmen des EAU-Kongresses am 18. März 2013 in Mailand.
12 Urologie EAU 2013