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Neue Stents und Plättchenhemmer: Welche Rolle spielt ASS in Zukunft?
Sowohl im Bereich der Stents als auch bei den Plättchenhemmern gab es in den letzten Jahren Neuerungen, die längerfristig das aktuelle Vorgehen infrage stellen könnten. Experten beleuchteten die laufenden Entwicklungen und dabei unter anderem die Rolle von Ticagrelor sowie den aktuellen Stellenwert von ASS.
Nicht selten resultierten aus den Fortschritten im Bereich der Koronarinterventionen neue Herausforderungen, seien das die Restenosen nach PTCA oder die Hyperplasien der Intima, zu denen es in der Folge herkömmlicher Metallstents gekommen sei, wie Prof. Dr. Thomas F. Lüscher, Zürich, einleitend aufzeigte. Aber daraus ergaben sich neue Ansätze, so gelang es mit medikamentenfreisetzenden Stents der ersten Generation (Drug Eluting Stents, DES) durch eine Beschichtung mit antiproliferativen Wirkstoffen das reaktive Zellwachstum zu mindern. Damit konnte zwar die Rate klinisch relevanter Restenosen gesenkt werden, gleichzeitig aber kam es aufgrund der verzögerten Endothelialisierung häufiger zu späten Stentthrombosen. Medikamentenfreisetzende Stents der zweiten Generation wie der Biomatrix-Stent schneiden diesbezüglich besser ab, wie aktuelle 4-Jahres-Ergebnisse der LEADERS-Studie zeigen konnten. Es gelang, das Risiko für späte Stentthrombosen im Vergleich zur ersten Generation um 80 Prozent zu reduzieren. Das semisynthetische Sirolimusanalgon Biolimus wird bei diesen Stents (Biolimus Eluting Stents, BES) 28 Tage lang nur noch abluminal abgegeben. Darüber hinaus ist das verwendete Polymer bioabbaubar und löst sich innerhalb von 6 bis 9 Monaten auf.
Nach einem Monat ohne ASS auskommen?
In der durch Experten initiierten GLOBAL-LEADERS-Studie soll in zehn oder mehr Ländern in 80 Zentren (unter anderem auch zahlreichen Schweizer Zentren) bei allen Patienten, die sich elektiv oder mit akutem Koronarsyndrom einer PCI mit dem neuen Biolimus freisetzenden Stent unterziehen, die duale Standardtherapie mit ASS und Ticagrelor (ACS) oder ASS und Clopidogrel (elektive Patienten) mit einer nur 30-tägigen dualen Plättchenhemmung (ASS und Ticagrelor) gefolgt von einer Monotherapie mit Ticagrelor für weitere 23 Monate verglichen werden. Bei insgesamt 16 000 Patienten soll bis 2016 die Überlegenheit letzteren Vorgehens aufgezeigt werden.
Auch in der Studie COMFORTABLE AMI konnte nach einem Jahr unter dem neuen Stent das relative Risiko für den kombinierten ersten Endpunkt (kardialer Tod, Reinfarkt im koronaren Zielgefäss und Wiedereröffnung der Zielläsion) um die Hälfte reduziert werden.
Fortschritte auch bei den Medikamenten
Auch bei den plättchenhemmenden Substanzen gab es Fortschritte. Die Wirkung von Prasugrel und Ticagrelor setzt sehr viel schneller ein als die von Clopidogrel. Auch die Nichtresponder gehören unter den neuen Substanzen der Vergangenheit an. Anders als bei den Thienopyridinen Clopidogrel und Prasugrel, die den P2Y12-Rezeptor irreversibel binden, sei die Hemmung durch das Triazolopyrimidin Ticagrelor reversibel, und die Substanz müsse nicht erst in der Leber bioaktiviert werden, erläuterte Prof. Dr. Christian Hamm, Bad Nauheim.
Die guten Ergebnisse …
Die PLATO-Studie verglich bei 18 624 Patienten mit akutem Koronarsyndrom Ticagrelor mit Clopidogrel in der Prävention atherothrombotischer Ereignisse. Die Patienten wurden bis zu einem Jahr lang therapiert und erhielten zusätzlich ASS. Der erste Endpunkt, zusammengesetzt aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall, konnte über ein Jahr hochsignifikant um 16 Prozent reduziert werden. Besonders interessant ist für Hamm die Tatsache, dass nicht nur das erste Ereignis so günstig beeinflusst werden konnte. «Wir neigen dazu, nur auf das erste Ereignis zu schauen, aber auch die Vermeidung von Folgeereignissen ist wichtig. Und die Rate sekundärer Ereignisse war in der PLATO-Studie ebenso signifikant rückläufig.» Die Wirksamkeit war unabhängig davon, ob die Patienten konventionell oder interventionell behandelt wurden. Möglicherweise geht der schützende Effekt von Ticagrelor über den plättchenhemmenden Effekt hinaus. Ebenfalls
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günstig für das Herz scheint der Einfluss auf den Adenosinmetabolismus.
… eine Frage der Dosierung von ASS?
Auffallend war jedoch das schlechtere Abschneiden von Ticagrelor in Amerika. Die Experten mutmassen einen Zusammenhang mit der Dosis von ASS: Anders als in den meisten Ländern verschreiben die US-Amerikaner ASS mit 325 mg in einer höheren Dosierung. Bei der Analyse der Werte scheint es, als liege der Cut-off-Wert dafür, ob ASS nütze oder schadet bei einer ASS-Dosis von 150 mg, wie Hamm weiter ausführte.
Doppelte oder einfache Plättchenhemmung?
Könnten wir die plättchenhemmende Therapie vielleicht in Zukunft vereinfachen, indem wir ASS weglassen? Und das Blutungsrisiko der dualen plättchenhemmenden Therapie so reduzieren? Mit dieser Frage setzte sich Prof. Dr. Stephan Windecker, Bern, auseinander. ASS hat unbestritten einen wichtigen Beitrag in der Therapie von Koronarerkrankungen geleistet und seinen Platz in der Sekundärprävention, mit limitierten Daten nach PCI und Stentimplantation. Aber es geht mit den bekannten Nebenwirkungen einher: Die irreversible Plättchenhemmung erhöht sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention das Risiko für extrakraniale Blutungen sowie hämorrhagische Schlaganfälle und ist potenziell für gastrointestinale Begleiterscheinungen verantwortlich. Daneben gibt es Probleme wie Medikamenteninteraktionen (vor allem mit NSAR), Noncompliance oder vorzeitigen Therapieabbruch. Im direkten Vergleich mit Clopidogrel in der CAPRIE-Studie schnitt ASS schlechter ab, und in der WOEST-Studie gab es unter der Dreierkombination mit oralem Antikoagulans, Clopidogrel und ASS mehr als doppelt so viele Blutungsereignisse wie ohne ASS.
Auf ASS verzichten?
Auf der einen Seite steht heute mit Ticagrelor eine Substanz zur Verfügung, mit der die Limitationen durch Clopidogrel überwunden sind. Im Vergleich zu Copidogrel konnten in der PLATO-Studie Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Todesfälle sowie Herzinfarkte signifikant reduziert werden. Zumindest in höherer Dosierung aber ist die gleichzeitige Gabe von ASS umstritten. Auf der anderen Seite gibt es mit den neuen medikamentenfreisetzenden Stents deutliche Fortschritte auch im Bereich der Devices. Unter Stents, welche Biolimus aus einem abbaubaren Polymer freisetzen, konnte im Vergleich zu Metallstents in der Studie STEMI-COMFORTABLE AMI der erste Endpunkt nach einem Jahr signifikant halbiert werden. Nach Absetzen der dualen plättchenhemmenden Therapie kam es nicht zu vermehrten Stentthrombosen. Dank dieser Entwicklungen ist ein Verzicht auf ASS heute denkbar geworden, so Windecker, und soll durch ein entsprechendes Studienszenario in der GLOBAL-LEADERSStudie (siehe Kasten) untersucht werden. «Zum einen wollen wir mit unserer Studie das höhere Blutungsrisiko vermeiden, das möglicherweise mit der Kombination von ASS und Ticagrelor einhergeht. Zum anderen möchten wir den erwiesenen Nutzen einer potenten Plättchenhemmung mit Ticagrelor im Langzeitverlauf über zwei Jahre untersuchen. Möglicherweise stellt die Gabe von Ticagrelor im Vergleich zu ASS eine bessere Basis für die Langzeittherapie besonders für Risikopatienten dar», so das Fazit des Experten.
Christine Mücke
Quelle: Satellitensymposium AstraZeneca with Biosensors: «New Stents and Antiplatelets: Is it Time to Say Goodbye to Aspirin?» Cardiology Update in Davos, 14. Februar 2013.
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