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Diabetes und Angina pectoris
Diese Patienten bedürfen
der ganzen Aufmerksamkeit
Je nach Ursache einer Angina pectoris unterscheiden sich die therapeutischen Massnahmen. Die Notwendigkeit einer sorgfältigen Diagnose bei stabiler Angina, insbesondere bei Patienten mit Diabetes, und die Behandlungsoptionen diskutierten Experten am Cardiology Update.
Eine Angina pectoris sei ein wichtiges Symptom einer kardialen Ischämie, unabhängig von der Ursache, erinnerte PD Dr. Dirk Westermann, Berlin. Aber nicht
alle Patienten mit Angina pectoris leiden an einer ob-
struktiven koronaren Herzkrankheit (KHK). Auf eine solche
sind lediglich gut 40 Prozent der pektanginösen Be-
schwerden zurückzuführen (makrovaskuläre Angina), und
nur etwa ein Viertel der Patienten mit Diabetes wies in ei-
nem amerikanischen Register mit annähernd 40 000 Pa-
tienten eine obstruktive KHK auf. Nur
wenn sich eine angiografisch sichtbare
Stenose auch in der Flussmessung als
hämodynamisch relevant erweist, ist
eine Intervention wie PCI oder Bypass
sinnvoll, so der interventionell tätige Ex-
perte. Patienten mit multiplen, aber
nicht signifikanten Stenosen, wie häufi-
ger bei Diabetes der Fall, können von ei-
ner PCI nicht profitieren.
François Mach
Als weitere Ursachen für eine nicht obstruktive Angina pectoris nannte der Ex-
perte endotheliale Dysfunktion, mikrovas-
kuläre Veränderungen sowie eine erhöhte Steifigkeit bei
diastolischer Dysfunktion, gesamthaft als mikrovaskuläre
Angina bezeichnet. «Symptomatische Patienten ohne KHK
bedürfen unserer ganzen Aufmerksamkeit, denn ihre Prog-
nose ist ebenfalls schlechter, und sie sind häufig unter-
diagnostiziert», machte Westermann deutlich. Aber auch
Angina pectoris: Noch Handlungsbedarf
Laut Prof. François Mach leiden rund 10 Millionen erwachsene Europäer unter chronischer Angina pectoris, gut die Hälfte der Patienten mit angiografisch belegter Koronarerkrankung haben sich zuvor mit einer stabilen Angina präsentiert. Bereits ein Jahr nach Diagnose hat rund ein Fünftel der Patienten eine PCI hinter sich, ein Viertel der Patienten leidet auch nach der PCI trotz medikamentöser Behandlung weiterhin unter Angina. Die damit einhergehenden Kosten belasten nicht zuletzt auch die Gesellschaft.
die Patienten mit Diabetes und KHK, die sich mit atypischer Angina, Dyspnoe oder anginaäquivalenten Beschwerden präsentieren, haben eine ähnliche Prognose wie Patienten mit Angina pectoris, wie die gerade veröffentlichte Substudie der BARI2D-Studie zeigte. In diesen Fällen bedarf es einer optimalen medikamentösen wie nicht medikamentösen Therapie.
Korrelation mit Überleben
Eine KHK manifestiert sich bei Frauen fast doppelt so häufig wie bei Männern mit einer Angina pectoris. Insbesondere die Älteren schränken daraufhin ihre Aktivitäten ein, um einen Anginaanfall zu vermeiden. Die betroffenen Frauen geben eine schlechtere Lebensqualität an als Männer. Und das ist relevant, wie Prof. Dr. François Mach, Genf, darlegte. Daten belegen, dass die physische Einschränkung direkt negativ mit dem Überleben korreliert ist. Je mehr Symptome und je stärker die Einschränkung, desto schlechter die Prognose. Um die Ischämie zu behandeln, stehen verschiedene medikamentöse Optionen zur Verfügung, die dem erhöhten Bedarf an Sauerstoff sowie der eingeschränkten Versorgung damit Rechnung tragen. Interventionell kommen PCI oder Bypass infrage, aber ein erheblicher Teil der Betroffenen leidet trotzdem weiter unter einer Ischämie. Was aber tun bei anhaltenden oder rezidivierenden Beschwerden? Erneute Revaskularisation, falls möglich, oder eine – weitaus günstigere – Anpassung der antianginösen Therapie? Mach zeigte anhand der COURAGE-Studie, dass sich der Vorteil einer PCI zusätzlich zur optimalen medikamentösen Therapie im Vergleich zur alleinigen besten medikamentösen Therapie bereits nach ein paar Monaten wieder verliert.
Was empfehlen die Guidelines?
Die initiale Behandlung der Patienten mit stabiler Angina sollte eine antithrombotische und antianginöse Therapie, Kontolle von Blutdruck und Cholesterin, Rauchstopp, Diät sowie Aufklärung und Bewegung umfassen. Als erste Me-
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dikamente kommen ein Betablocker oder ein Kalziumantagonist zum Einsatz, bei unzureichendem Erfolg eine Kombination daraus. Liegen weiter Symptome vor oder gibt es eine Kontraindikation gegen Betablocker oder Kalziumantagonist, empfehlen die Guidelines den Einsatz von lang wirksamen Nitraten, Ivabradin, Nicorandil oder Ranolazin. Letzteres wirkt weder auf Frequenz noch Blutdruck, aber bei Patienten mit Diabetes günstig auf das HbA1c, so der Experte. Eine Revaskularisation (Bypass oder PCI) kommt infrage, wenn die Symptome trotz optimaler Medikation nicht ausreichend kontrolliert werden können.
Die Bedeutung der medikamentösen Therapie
Auch Prof. Dr. Georg Noll, Zürich, unterstrich anhand von Kasuistiken, dass die medikamentöse Therapie bei symptomatischer KHK eine gute Option darstellt, und das nicht erst nach PCI, wie es in Amerika häufiger der Fall ist.
Dabei konnte Ranolazin effektiv pektanginöse Beschwerden sowie kardiale Ischämien reduzieren und die Belastbarkeit verbessern, insbesondere bei Patienten mit Diabetes, Frauen und Älteren. Die blutzuckersenkende Komponente macht den Einsatz bei Diabetikern zusätzlich interessant. Zudem scheint die Substanz günstige Effekte auf eine mikrovaskuläre Dysfunktion zu haben. Ob sich das auch prognostisch auswirkt, wird derzeit untersucht. In den Augen von Mach stellt die Verbesserung der Belastbarkeit im Alltag einen klaren Zugewinn an Lebensqualität dar. Ob die vermehrte Bewegung allein für die günstigen Auswirkungen auf das HbA1c verantwortlich ist oder weitere Effekte dazu beitragen, ist jedoch noch nicht geklärt.
Quelle: «Management of Ischemic Heart Disease – Special Focus on Patients with Diabetes mellitus», Satellitensymposium A. Menarini, Cardiology Update in Davos, 14. Februar 2013.
Kongressnotiz
Einsatz von Statinen auch in der Primärprävention?
Aufgrund der überzeugenden Datenlage für die Wirksamkeit der Statine ist Prof. Dr. Colin Baigent, Oxford, überzeugt davon, dass potenzielle Sicherheitsbedenken gemäss dem Nutzen gewichtet werden sollten. Selbst bei den Patienten mit dem geringsten Risiko (< 5% über 5 Jahre) sind die 5-Jahres-Effekte pro mmol/l LDL-C-Reduktion auf 1000 mit einem Statin behandelte Patienten deutlich: 6 vermiedenen vaskulären Ereignissen stehen 0,5 mehr Myopathien und 5 neu diagnostizierte Diabetesfälle gegenüber. Diese reduzieren den Nutzen, der aber in seinen Augen immer noch gegeben ist. Zumal nicht klar ist, ob es sich um neue oder nur neu erkannte Fälle von Diabetes handelt, wie der Experte anmerkte. Bei sorgfältiger Betrachtung und Gewichtung aller Daten kommt Baigent zu folgender Zusammenfassung der aktuellen Situation: Jede LDL-C-Senkung um 1 mmol/l reduziert die jährliche Rate grösserer vaskulärer Ereignisse um etwa ein Fünftel. Eine grössere LDL-C-Senkung geht mit grösseren Reduktionen der Inzidenzen von Myokardinfarkt, Revaskularisation und ischämischem Schlaganfall einher. Dabei konnten alle untersuchten Subgruppen gleichermassen profitieren, wir wissen heute, dass das auch die Primärprävention umfasst, wie Baigent ausführte. Kein absoluter Schwellenwert Dabei gibt es keinen absoluten Schwellenwert für einen Nutzen: Selbst Patienten mit einem LDL von 2 mmol/l oder darunter können von einer weiteren LDL-C-Senkung profitieren. Der absolute Nutzen der Statintherapie wird definiert durch das Gefässrisiko und die erzielte LDL-CSenkung. Insofern sollten Patienten mit einem hohen Risiko gemäss Vorerkrankungen und Risikofaktoren ihr LDL mit der höchsten sicheren Statindosis senken, selbst wenn der LDL-C-Wert nicht erhöht ist. Inwieweit auch Patienten mit einem niedrigen Risiko eine solche Therapie erhalten sollten, sei nicht zuletzt eine politische, soziale und eine Kostenfrage, die jedes Land für sich selber beantworten müsse, schloss der Experte. Cardiology Update 2013 17