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Vom Heilen, Schäden vermeiden und Verjüngen
Beim Studium des EADV-Kongressprogrammes 2012 in Prag zeigte sich im thematischen Index die längste Angebotsliste für die korrektive, ästhetische und kosmetische Dermatologie mit 21 Programmpunkten. Es folgten Onkologie (12), Psoriasis (12), Allergie (12) und Akne (10). Das Programm widerspiegelt damit einerseits die Interessensschwerpunkte der Besucher und damit die Praxisbezogenheit dieses wichtigen Kongresses, andererseits zeigt es auch die wichtigsten Problemfelder auf.
A us über 800 Workshops, Seminaren und State-ofthe-Art-Vorträgen als Kongressteilnehmer eine Auswahl zu treffen, fällt schwer. Darum wird wohl jeder der mehr als 8300 Teilnehmer am EADV-Kongress in Prag seine persönlichen Highlights haben. Der wohl grösste Fortschritt für alle Dermatologen gemeinsam sind neue Therapieoptionen in der Dermatoonkologie beim malignen Melanom (MM) und beim Basalzellkarzinom (BCC). Endlich kann man auch beim weit fortgeschrittenen MM und beim weissen Hautkrebs und seinen Vorstufen neben der Chirurgie weitere Therapieoptionen anbieten, wie in zahlreichen Sitzungen betont wurde. Aber auch darüber wurde diskutiert, dass Patienten ihr Krebs- oder Allergierisiko anhand eines Gentestes erfahren und die Ergebnisse mit dem Dermatologen diskutieren wollen – die personalisierte Medizin hält auch in der Dermatologie verstärkt Einzug. Prof. Dr. Martin Röcken, Tübingen, und Prof. Dr. Johannes Ring, München, warnten in der Pressekonferenz davor, bei all den bereits kommerziell angebotenen Testmöglichkeiten in Hysterie zu verfallen. Das gelte für Patienten und Ärzte.
Medizinische Rejuvenation
Die korrektive, ästhetische und kosmetische Dermatologie bietet eine fast unüberschaubare Methodenvielfalt zur Rejuvenation der Haut. Zahlreiche Workshops in Prag gaben die Gelegenheit, Experten einer bestimmten Technik über die Schulter zu sehen: Umgang mit Fillern, Narbenmanagement, kosmetische Hautdepigmentation, Tattooentfernung, Botulinumtoxinanwendung, wann welches Peeling und so weiter. Die Zukunft liegt aber in der Kombination, wurde immer wieder betont. Je nach den individuellen Wünschen der Kunden gelte es, aus den zahlreichen Möglichkeiten für den individuellen Fall das bestmögliche Ergebnis anzustreben.
«Rejuvenation bedeutet auch,
Sonnen- und Lichtschäden zu di-
agnostizieren und zu behandeln.»
Prof. Dr. Leonardo Marini aus
Triest verwies im Workshop zur
fortgeschrittenen Rejuvenation
darauf, dass weisser Hautkrebs
die häufigste Krebserkrankung
beim Menschen ist und die The-
rapie dieser Läsionen und ihrer Vorläuferstadien in Zukunft die
Michael Geiges
Dermatologen immer intensiver
beschäftigen werde. «Eine Haut
ohne Hautkrebs ist eine verjüngte
Haut. Medizinische Rejuvenation
ist die Therapie von präkanzer-
ösen und kanzerösen Läsionen»,
definierte er. Und dafür gebe es
zwei wichtige Innovationen: Inge-
nol mebutat Gel (Picato®, Leo
Pharma, zugelassen in der EU
und von der FDA) und Vismodegib (Erevidge®, Roche, zugelas-
Jana Herzogova
sen von der FDA), ein Inhibitor
des Hedgehog-Signalweges, der bei fortgeschrittenen Ba-
salzellkarzinomen zum Einsatz kommen kann. Studien mit
diesen Substanzen zeigen erstaunliche Ergebnisse, und
die Hoffnung, dass neben der Chirurgie nun auch wirk-
same Medikamente gegen das Basalzellkarzinom und
seine Metastasen zur Verfügung stehen, hat sich erfüllt,
so der Experte. Die Nebenwirkungen sind beherrschbar,
die meisten Patienten hatten unerwünschte Ereignisse
Grad 1 oder 2 (Verlust des Geschmacks, Muskelkrämpfe,
Haarausfall, Gewichtsverlust).
Für die Rejuvenation spielt die Aktivierung von adulten
Stammzellen eine entscheidende Rolle, darauf verwies
2 Dermatologie SGDV/EADV 2012
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Foto: Ggia, Wikimedia
An der Südküste Kretas auf der Insel Spinalonga gab es von 1903 bis 1957 eine Leprakolonie, die auch heute noch besichtigt werden kann.
Dr. Michael Gold aus Nashville. Zahlreiche Organe besitzen in gewissen Nischen pluripotente adulte Stammzellen für die Regeneration. Auch diese unterliegen einem Alterungsprozess. Seneszente Fibroblasten setzen zum Beispiel den epithelialen Wachstumsfaktor, inflammatorische Zytokine und Matrixmetalloproteasen frei. Können wir diese Stammzellen bei der Rejuvenation unterstützen, so gelingt eine verzögerte natürliche Hautalterung. Zahlreiche Rejuvenationsmethoden, zum Beispiel die traditionellen ablativen Laser oder tiefe chemische Peelings und so weiter, setzen hier an, die Stammzellen werden «geweckt». «Die Zukunft liegt einerseits bei mehr Prävention und andererseits bei simultaner oder sequenzieller Kombination der Rejuvenationsmethoden, um positive synergistische Effekte zu erzielen» schloss Gold.
Home-Devices und 3D
Auf eine Entwicklung, die Dermatologen zukünftig beschäftigen werde, verwies der Laserspezialist und -instruktor Godfrey Town, UK. Da immer mehr Geräte zur Hautverbesserung und -verjüngung auch für Laien und den «Hausgebrauch» angeboten werden, ist mit einer zunehmenden Thematisierung der Eigenbehandlung zu rechnen. Lasergeräte zur Haarentfernung sind bereits auf dem Markt, Lampen für die Fototherapie ebenfalls. Angst vor diesen Produkten im Sinne von Konkurrenz müsse man nicht haben, so der Experte, aber sicher sei in Zukunft damit zu rechnen, dass Patienten zur Beratung oder bei Misserfolgen kommen. Die Expertise, wirklich gute Effekte zu erzielen, liege bei den Dermatologen, betonte Town. Dass auch 3D in die Rejuvenation Einzug gehalten hat, zeigte Dr. Pandre Andre aus Paris. Mit Kanülen, Nadeln und Injektoren unterspritzt er nach genauer Analyse der Gesichtsanatomie und Mimik mit Hyaluronsäure und Hydroxylapatit (Radiesse®) bei seinen Patienten die gewünschten Partien. Auch an der Nase lassen sich so für manche Patienten zufriedenstellende Ergebnisse ohne chirurgischen Eingriff erzielen. Insgesamt gehe der Trend dazu, ein möglichst natürliches Erscheinungsbild zu erzielen, so der Experte, überdies können so die Ausfallzeiten verkürzt werden. Die fotodynamische Therapie bei aktinischen Keratosen und BCC zeigt als Nebeneffekt, dass Falten durch Kollagenneubildung verringert und solare Lentigines, Narben
und vergrösserte Hautporen verschwinden können. Die 5-ALA-PDT nützt diese Effekte zur Hautrejuvenation, die Dosis von 5-ALA ist dabei 0,5 Prozent. Metvix® und blaues Licht (Tageslicht) sind eine weitere Option. Wichtig dabei ist ein Monitoring mit Messung der Hautfluoroszenz, führte Prof. Dr. Peter Bjerring, Aarhus aus.
Dermatoporose
Mit gesteigerter Lebenserwartung treten immer häufiger auch Extremformen des Alterungsprozesses auf. Was im Knochen die Osteoporose, ist an der Haut die Dermatoporose, deren Inzidenz steigt (1). Geprägt hat den Begriff Prof. Dr. Jean-Hilaire Saurat, Genf. Patienten über 80 Jahre, aber auch Patienten nach längerem Kortisongebrauch, zeigen nicht selten eine trockene, stark verdünnte, fragile Haut, fast wie Zigarettenpapier. Hämatome aufgrund brüchiger Gefässe, Ablösung der oberen Schichten, Nekrosen können das Bild prägen. In der neuen ICD wird die Erkrankung aufgeführt, es werden 4 Stadien unterschieden. Stadium I: Atrophie, Senile purpura and pseudocicatrices. Stadium IIa: lokalisierte und kleine oberflächliche Läsionen (< 3 cm) durch Hautfragilität. Stadium IIb: grössere Läsionen (> 3 cm). Stadium IIIa: oberflächliche Hämatome. Stadium IIIb: tiefe Hämatome ohne Hautnekrosen. Stadium IV: grosse Hautnekrosen mit zum Teil letalen Komplikationen. Die Hautalterung findet auch in den Keratinozyten statt. Bei der Dermatoporose ist nach Saurat das Hyalurosom betroffen, ein multifunktionelles Membranorgan. Die Folge ist eine chronische Hyalurondefizienz, was zur Hautverdünnung führt (1,44 auf 0,73 mm im Ultraschall). Hier setzen auch die Therapieoptionen an. Dr. Gurkan Kaya vom Universitätsspital in Genf sieht diese in der Zufuhr von Hyaluronsäurefragmenten, auch topische Retinaldehyde wirken synergistisch mit der Produktion von Hyaluron (2).
Neue Einsichten zum Haarverlust
Die durchschnittlich 100 000 bis 150 000 Haarfollikel auf dem Skalp unterliegen bekanntermassen einer inneren Zeitgebung mit Wachstums- und Ruhephasen. Stand bislang eher die Wachstumsphase im Zentrum des Interesses, so fokussiert die Forschung seit geraumer Zeit mehr auf die Ruhephase, in der ein Haarfollikel zwar vorhan-
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den, aber leer ist. Wie kann es gelingen, die für das Haarwachstum verantwortlichen Stammzellen sanft aufzuwecken und sie zur Haarproduktion anzuregen? Indem der Sauerstoffgehalt der Umgebung geändert wird, wurde auf einem Symposium von L’Oréal-Vichy von Prof. Dr. Bruno A. Bernard, Clichy, ausgeführt (3). Halloy et al. haben über 14 Jahre lang an 10 Normalpersonen und 100 Alopeziepatienten über 9000 Haarzyklen monatlich verfolgt, um mehr über die Vorgänge im Haarfollikel zu erfahren. Man weiss heute, dass sich die Stammzellen im Bulbus in einem bistabilen Equilibrium befinden, der Haarfollikel ist ein anoxisches Organ. In der «Weckphase» wird das Haar aus zwei verschiedenen Stammzelltypen gebildet, die im Follikel ein oberes und unteres Reservoir bilden. Herrscht in letzterem Hypoxie, so triggert dies die Neogenphase. Ein neues marktreifes patentiertes Produkt, ein Ergebnis aus der Haarforschung von L’Oréal, Stemoxydine, setzt hier an (4). Mit Stemoxydine wird ein sauerstoffarmes Umfeld simuliert und ein Switch in die Neogenphase eingeleitet. Die Ruhephase wird abgekürzt. In vitro zeigt die Substanz, wie eine Hypoxämie eine Stabilisierung des HI-Faktor-1 und ein entsprechendes transkriptomisches Profil hervorbringt. Ein Kolonie stimulierender Effekt ist nachweisbar, es gibt mehr aktive, spezialisierte Stammzellen (5). In einer ersten klinischen Studie mit 18- bis 55-jährigen Männern mit androgenetischer Alopezie wurden Haardichte, Haarvolumen und kosmetischer Effekt untersucht, wie Dr. Pascal Reygagne, Paris, berichtete. Es konnte gezeigt werden, dass die Telogenhaarlevel um mehr als 20 Prozent und die Gesamthaardichte um mehr als 150 Haare pro cm2 ansteigen, wenn 5%-iges Stemoxydine als hydroalkoholische Lotion (Neogenic®) über 3 Monate täglich aufgetragen wird. Hauptkriterium in der plazebokontrollierten Studie war das Fototrichogramm. Es zeigte sich, dass rund 1/3 mehr der ruhenden Bulbi «geweckt» werden konnten. Die Verträglichkeit der hypoallergenen und parabenfreien Zubereitung war sehr gut.
Einblicke durch Rückblicke
Wer die Gegenwart verstehen will, muss in die Vergangenheit gehen. Auch bei jungen Medizinern stösst die Geschichte des Faches Dermatologie auf grosses Interesse, die Sitzungen waren jedenfalls gut besucht. Und es lohnte sich, gab es doch neben historischen Fakten auch Leseund Urlaubstipps. Das Buch «The Island» von Victoria Hislop, ein Bestseller 2005, erinnert an eine heute in Griechenland fast vergessene, früher mit grossem Leid verbundene Erkrankung, die Lepra. An der Südküste Kretas auf der Insel Spinalonga wurde 1903 eine Leprakolonie gegründet, die bis 1957 bestand und für ganz Griechenland zuständig war. Dr. Panagiota Emmanouil aus Athen zeigte umfangreiches Dokumentationsmaterial über diese Einrichtung, die bis heute besichtigt werden kann.
Über die Bedeutung von Tattoos einst und jetzt sprach Dr. Michael Geiges, Zürich. Er wurde in Prag zum Präsidenten der ESHDV (European Society for the History of Dermatology and Venerology) gewählt. In seinen Ausführungen zu Tätowierungen und ihrer sozialen Bedeutung verwies er darauf , dass heute rund 20 Prozent der Bevölkerung Tattooträger sind, obwohl immer noch zahlreiche Vorurteile damit verbunden sind. Ein Experte für die Entfernung von Tattoos ist Dr. Maurice A. Adatto aus Genf, der über Fehler in der Laseranwendung sprach. Wichtige Botschaft: Patienten-, Laser- und Methodenauswahl bestimmen den Erfolg. Es sei zum Beispiel ein grosser Fehler, einen Laser zur Haarentfernung für eine Tattooentfernung zu nutzen. Er kläre die Patienten immer genau über alle möglichen Nebenwirkungen auf: Die Behandlung sei schmerzhaft, könne zur Krustenund Blasenbildung führen, Hyper- und Hypopigmentierung treten auf und so weiter. «Falls das passiert, stehen Sie dazu», forderte er die Zuhörer auf, «Bagatellisieren fällt auf einen selbst zurück». Zur Indikation sagte Adatto: Die Augenumgebung ist eine absolute Tabuzone. Und zur Auswahl der Patienten: Solche, die unzuverlässig wirken (Zuspätkommer z.B.) oder stark gebräunte Personen lehne er von vorneherein ab. Wer Dr. Oliver Kreyden aus Muttenz in der Schweiz zur Anwendung von Botulinumtoxin zugehört hat, weiss nun, was Männer (und Frauen) wirklich wollen. Nicht nur wenn sie zum Dermatologen gehen … Frau bleibe Frau und wolle das Gespräch, suche Führung und wünsche eine ausführliche Beratung, wurde auch in anderen Sitzungen zur ästhetischen Dermatologie betont. Männer hingegen kämen erst später im Leben und mit oft bereits sehr fortgeschrittener Hautalterung. Deren Beratung erfordert eine eher technische Darstellung, was wie gemacht werden kann. Männer sind Macher, sie wollen möglichst nur einen Eingriff, und damit sollte der Wunsch nach einer Verjüngung erledigt sein. Die Anwendung von Botulinumtoxin erfordert regelmässige Wiederholungen der Injektionen, das sei für viele Männer erst einmal gewöhnungsbedürftig, führte Dr. Kreyden weiter aus.
Susanne Schelosky
Literatur: 1. Mengeaud V et al. Prevalence of dermatoporosis in elderly French hospital in-patients: a cross-sectional study. Br J Dermatol 166: 442–443. 2. Kaya G. New therapeutic targets in Dermatoporosis. The Journal of Nutrition, Health & Aging© Volume 16, Number 4, 2012. 3. Bernard BA. The human hair follicle, a bistable organ. J Exp Derm 2012, 21: 401–403. 4. Halloy J. Modeling the dynamics of human hair cycles by a follicular automaton. Proc Natl Acad Sci U S A. 2000, 97: 8328–8333. 5. Garza LA et al. Bald scalp in men with androgenetic alopecia retains hair follicle stem cells but lacks CD200-rich and CD34-positive hair follicle progenitor cells. J. Clin. Invest. 2011, 121: 613–622.
Quelle: EADV-Kongress und Pressekonferenz vom 27. bis 30. September 2012 in Prag.
SGDV/EADV 2012 Dermatologie
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