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Hauttumoren: Radiotherapie oder andere Behandlungen?
(Fotos: Klaus Duffner)
Schon seit rund hundert Jahren kommt die dermatologische Radiotherapie zur Behandlung von Hauttumoren zum Einsatz. Heute steht eine Reihe weiterer wirkungsvoller Verfahren zur Verfügung. Welchen Platz hat da die Bestrahlung? Am EADV wurden in einer Controversy Session unterschiedliche Standpunkte ausgetauscht.
Nachdem die Radiotherapie in den Achtziger- und Neunzigerjahren etwas in den Hintergrund getreten ist, kommt sie in jüngerer Zeit wieder verstärkt zur Anwendung. Trotzdem bestehen unterschiedliche Ansichten zur Wahl des adäquaten Verfahrens. In einer freundschaftlichen Kontroverse hatten am EADV-Kongress in Prag mit Prof. Dr. Stephan Lautenschlager vom Triemlispital Zürich und Prof. Dr. Eggert Stockfleth von der Charité in Berlin zwei dermatologische Schwergewichte die Möglichkeit, ihre Sicht zum jeweils favorisierten Therapieverfahren darzulegen.
Radiotherapie bei Basalzellkarzinomen: Heilungsraten über 90 Prozent
Vor allem ältere Patienten von über 60 Jahren mit ausgedehnten Läsionen oder heiklen Lokalisationen, erklärte Lautenschlager in Prag, würden von einer Radiotherapie profitieren. Dazu gehören beispielsweise der mediale Augenwinkel, der untere Lidrand oder der Nasenbereich mit Nasenflügel oder Nasenspitze. Aber auch beim Vorliegen von Komorbiditäten (z.B. bei antikoagulierten Patienten), die eine operative Entfernung der Tumoren schwierig machen, sollte eine Bestrahlung in Betracht gezogen werden. Die Vorteile der Behandlung mit Röntgenstrahlen liegen auf der Hand: Die Methode schone gesundes Gewebe, sei hoch effektiv und schmerzlos, und die kosmetischen wie auch die funktionellen Resultate seien gut bis exzellent, so der Zürcher Spezialist. So lägen die lokalen Heilungsraten bei 90 bis 95 Prozent und damit ähnlich hoch wie bei chirurgischen Eingriffen. Natürlich ist dabei mit Nebenwirkungen zu rechnen: Bei der Entfernung von Basalzellkarzinomen (BCC) können Haarverlust, epidermale Atrophien, subdermale Fibrosen oder auch strahlungsbedingte maligne Veränderungen auftreten. Für Letzteres besteht jedoch nur ein sehr geringes Risiko (1:1000 nach 10 bis 15 Jahren). Bei Hochrisiko-Plattenepithelkarzinomen (SCC) sind allerdings die lokalen Heilungsraten deutlich geringer, weshalb bei solchen Hochrisikotumoren eine
operative Lösung das Mittel der
Wahl ist, sagte Lautenschlager,
der die dermatologische Abtei-
lung des Triemlispitals Zürich
leitet. Dort hat man eine grosse
radiotherapeutische Erfahrung.
So wurden zwischen 1997 und
2011 rund 1200 BCC und SCC an
715 Patienten (Durchschnittsalter
78 Jahre) bestrahlt. Dabei lag die Stephan Lautenschlager
Wiederkehrrate der Läsionen nach
rund 2,5 Jahren bei 4 (BCC) be-
ziehungsweise 6 Prozent (SCC).
Weitere Indikationen für eine
radiologische Behandlung seien
Morbus Bowen sowie die Lentigo
maligna, erläuterte Prof. Lauten-
schlager. Für Morbus Bowen –
eine In-situ-Vorstufe des bösar-
tigen Plattenepithelkarzinoms –
sind Heilungsraten zwischen 89 und 100 Prozent publiziert.
Eggert Stockfleth
Das betrifft wiederum vor allem grosse beziehungsweise
multiple Läsionen oder kosmetisch heikle Regionen.
Aktinische Keratosen
Aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte hat sich in der Dermatologie die Ansicht durchgesetzt, dass prinzipiell alle aktinischen Keratosen (AK) als frühe Carzinoma in situ zu betrachten sind und daher konsequent angegangen werden sollten. Allerdings steht heute eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ob mit Gelen und Cremes (z.B. Diclofenac plus Hyaluronsäure, Imiquimod oder einigen zu erwartenden neuen Substanzen), Kryotherapie, mechanischer Abtragung, Operation, Chemochirurgie, fotodynamischer Therapie (PDT), Lasertherapie oder Radiotherapie – welches Verfahren letztlich eingesetzt wird, kann nur unter sorgfältiger
16 Dermatologie SGDV/EADV 2012
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Abb.: Lautenschlager
Berücksichtigung der individuellen Situation des
Patienten entschieden werden. Obwohl AK durch
Standardtherapien normalerweise einfach zu be-
handeln sind, kann es doch Situationen geben, in
denen eine Bestrahlung sinnvoll erscheint, so
Lautenschlager. Das können zahlreiche, stark hy-
perkeratotische Läsionen oder sehr ausgedehnte
Läsionen bei Immungesunden sein. Auch die Wün-
sche der Patienten seien zu berücksichtigen. Den
Vorteilen einer Strahlentherapie bei AK, wie zum
Beispiel die vorhersagbare Gewebepenetration, Abbildung 1: Basalzellkarzinom des Ungute Heilungsraten oder minimale Wundbildung, terlides, 4 Jahre nach Therapie
Abbildung 2: Plattenepithelkarzinom der Nasenspitze, 3 Jahre nach Therapie
stehen eine recht lange Behandlungszeit, even-
tuell eine irreversible Alopezie und die höheren Kosten Vor- und Nachteile der Radiotherapie gegenüber. Das beste Argument für eine Radiotherapie sei bei Hauttumoren
jedoch wahrscheinlich die im Vergleich zu anderen Methoden längere Remissionszeit.
Vorteile schmerzlos und gewebe-
Nachteile nur für ausgewählte
Behandlungsoptionen gegen Feldkanzerisierungen
Wer unter einer Feldkanzerisierung leidet, besitzt ein deutlich höheres Risiko, auch aggressive invasive Hauttumoren zu entwickeln, warnte Prof. Eggert Stockfleth aus Berlin. Feldkanzerisierungen entwickeln sich in sonnen-
schonend
kosmetisches Resultat meist gut bis sehr gut (z.B. Gesicht)
für ausgedehnte Läsionen geeignet
geeignet für schwierige anatomische Areale (z.B. Gesicht)
Patienten > 60 Jahre
Fibrose und Teleangiektasien
keine Zweitbestrahlung an gleicher Stelle möglich
permanenter Haarverlust möglich
geschädigter Haut und bilden auf einem grösseren Areal ein Kontinuum, das von klinisch sichtbaren und unsicht-
ambulante Behandlung
mehrere Sitzungen notwendig
baren aktinischen Keratosen bis hin zu Plattenepithelkar- bei antikoagulierten
höhere Kosten
zinomen reicht. Ist für die Behandlung solcher Felder die Patienten möglich
Radiotherapie eine Alternative? «Meiner Meinung nach
nicht», so der Experte. Stattdessen sei für einzelne akti- Ergebnisse erzielt, allerdings wird sie nicht grossflächig
nische Keratosen die Kryotherapie eine gute Option, je- eingesetzt, sondern ist auf 25 cm2 grosse Areale be-
doch niemals für ganze Felder. 5-Fluorouracil sei hingegen schränkt. Bei dieser Fülle von Therapieoptionen sei die
wegen seiner toxischen Reaktion mit schweren Schmerzen Radiotherapie für die Behandlung von Feldkanzerisierun-
und Entzündungen verbunden. Im Grunde existiere über- gen nicht notwendig, so der Berliner Dermatologe.
haupt kein Evidenzlevel für die Behandlung von AK mit Fluorpyrimidin. Deswegen sei sein Einsatz überholt, be-
Neue Therapieoptionen in Sicht
tonte Stockfleth. Die Kombination aus Diclofenac plus Trotz dieser vielfältigen Behandlungsoptionen gebe es in
Hyaluronsäure induziert dagegen die Apoptose der Tu- puncto Wirksamkeit, Tolerabilität, Compliance und Kos-
morzellen, verhindert deren Proliferation und blockiert die teneffektivität durchaus noch Raum für Verbesserungen.
Angiogenese. In älteren Studien wurden Responderraten So wird eine neue Generation Immunmodulatoren erwar-
von 79 Prozent und komplette Heilungen bei etwa der tet (Imiquimod 3,75%, Resiquimod), die zum Teil deutlich
Hälfte der Behandelten festgestellt. Nebenwirkungen sind wirkungsvoller sind und gleichzeitig grossflächigere Be-
Pruritus, Erytheme, trockene Haut und Parästhesien. Mit handlungsmöglichkeiten versprechen. Schliesslich führt
dem Immunmodulator Imiquimod wird eine Entzündungs- eine neue aus der Gartenwolfsmilch gewonnene Substanz
reaktion der körpereigenen Abwehr veranlasst. Als Folge (Ingenol Mebutat) einerseits zum raschen Absterben von
werden die Th1-zellvermittelte zytotoxische Reaktion Tumorzellen und andererseits zur Aktivierung des körper-
gefördert und Entzündungszellen stimuliert. Das führt eigenen Immunsystems. Auch niedrig dosiertes 5-Fluo-
zur Vernichtung und Abstossung von Tumorzellen. Die rouracil in Kombination mit Salicylsäure wird derzeit in
Werte für eine komplette Remission schwanken, je nach einer grossen Studie getestet. Schliesslich könnte auch
Studie zwischen 45,1 und 84 Prozent, man geht aber von ein neues 5-ALA-Patch-PDT-System den Einsatz der foto-
einer Abheilung von rund 80 Prozent aus. Die der dynamischen Therapie deutlich vereinfachen.
Immunreaktion geschuldeten Nebenwirkungen können
Klaus Duffner
Erytheme, Pruritus, Schmerz, Hautbrennen oder Hautverkrustungen sein. Auch mit der fotodynamischen Therapie (PDT) werden bei aktinischen Keratosen gute
Quelle:
Controversy Sessions: «Surgery, radiotherapy or other therapy? 21. EADV-Kongress, Prag, 2012.
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