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Antikoagulation –
die Zukunft hat begonnen
Neue orale Antikoagulanzien bei prothetischem Gelenkersatz und bei Vorhofflimmern
Gleich drei neue orale Antikoagulanzien bewerben sich um die Nachfolge der nicht immer leicht zu handhabenden Vitamin-K-Antagonisten zur Prophylaxe venöser Thromboembolien nach orthopädischen Eingriffen beziehungsweise von Hirnschlägen bei Vorhofflimmern. Der Faktor-Xa-Hemmer Apixaban wurde an einem Symposium der Firmen Bristol-Myers Squibb und Pfizer AG anlässlich des SGIM-Kongresses in Basel vorgestellt.
P rof. Wolfgang Korte, Kantonsspital St. Gallen, gab zunächst einen kurzen Überblick zur klinischen Pharmakologie der neuen oralen Antikoagulanzien. Diese umfassen bisher zwei direkte Faktor-Xa-Hemmer (Apixaban [Eliquis®] und Rivaroxaban [Xarelto®]) sowie einen direkten Thrombinhemmer (Dabigatranetexilat [Pradaxa®]). Während die beiden Faktor-Xa-Hemmer ohne metabolische Aktivierung wirken, ist Dabigatran ein Prodrug. Ein praktisch wichtiger Unterschied ergibt sich auch bei der Ausscheidung (Tabelle). Apixaban wird direkt intestinal, biliär und nur zu einem geringen Teil (27%) renal ausgeschieden. Damit sind auch bei schwerer Niereninsuffizienz (Kreatininclearance 30–15 ml/min) keine Dosisanpassung nötig.
Vorteile bei eingeschränkter Nierenfunktion
Die adäquate Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) hat hohe Priorität, denn auch heute bedingen VTE in Europa vielfach höhere jährliche Mortalitätsraten als andere gefürchtete Todesursachen wie Brust- oder Prostatakrebs, erklärte Prof. Alain Borgeat, Universitätsklinik Balgrist Zürich. Orthopädische Patienten haben bei elektiven Eingriffen zur Versorgung mit Hüft- oder Knie-Totalendoprothesen (TEP) ein hohes VTE-Risiko. Fast 80 Prozent der tiefen Venenthrombosen (TVT) verlaufen klinisch stumm, und nur 30 Prozent der tödlichen Lungenembolien (LE) wurden unmittelbar vor dem Tod auch entdeckt. Eine Langzeit-VTE-Prophylaxe, dies hat eine Vielzahl von Studien mit unfraktioniertem Heparin oder niedermolekularen Heparinen gezeigt, ist bei Hüft- oder Knie-TEP vorteilhaft. Wichtig zu wissen: Das VTE-Risiko nach Hüftoder Knie-TEP überdauert die Hospitalisationszeit – und die medikamentöse Prophylaxe wird oft für einen zu kurzen Zeitraum verordnet.
Gefürchtet sind in Zusammenhang mit der VTE-Prophylaxe schwere Blutungen inklusive Blutungen im Operationsgebiet. Sie erhöhen das Risiko für Wundinfektionen, die Hospitalisationsdauer und die Transfusionsrate. Damit beeinflussen Blutungen auch die Rehabilitationszeit, können das funktionelle Operationsergebnis ungünstig beeinflussen und sogar tödlich enden. Hinsichtlich der Verhütung von TVT und LE sowie der Blutungsgefahr müssen sich die neuen oralen Antikoagulanzien an der heutigen Standardprophylaxe, zum Beispiel mit Enoxaparin (Clexane®), messen. Entsprechende Studien mit Apixaban (ADVANCE 2 u. 3) zeigten hinsichtlich der VTE-Prophylaxe einen besseren Effekt ohne signifikant höheres Risiko schwerer Blutungen im Vergleich zu Enoxaparin (1, 2). Für orthopädische Chirurgen ist der Beginn der postoperativen Prophylaxe ein wichtiges Thema. Innerhalb der ersten zwölf Stunden nach dem Eingriff müssen potenzielle Vorteile einer Frühantikoagulation gegen das Risiko einer Blutungskomplikation abgewogen werden. Direkte randomisierte Vergleiche zwischen Apixaban, Rivaroxaban und Dabigatran gibt es bisher nicht. Wie bei allen oralen Medikamenten ist der Einfluss von Übelkeit und Erbrechen als Operationsfolge unter Allgemeinanästhesie zu beachten. Eine Initiierung der Apixabanprophylaxe 12 bis 24 Stunden nach dem Eingriff ermöglicht den Beginn am Morgen nach der Operation, lässt genügend Zeit um den Patienten zu beobachten und die Gerinnung zu stabilisieren; zudem ist postoperatives Erbrechen zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich. Als Vorteil gegenüber den renal ausgeschiedenen niedermolekularen Heparinen ist für Apixaban der geringe Anteil der Ausscheidung über die Nieren anzusehen, sagte Prof. Borgeat. Zur Entfernung epiduraler oder spinaler Katheter gibt es bis jetzt noch keine klinische Erfahrung. Als Empfehlung nannte Prof. Borgeat, Epidural- beziehungsweise Spinal-
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katheter mindestens fünf Stunden vor der ersten Apixaban- die tatsächlich unter der Behandlung standen, jedoch sig-
gabe zu ziehen.
nifikant überlegen, wie Prof. Noll ausführte. Zudem waren
Für die VTE-Prophylaxe ist es wichtig, dass sie lückenlos die schweren und tödlichen Blutungen unter Rivaroxaban
auch nach der Spitalentlassung noch weitergeführt wird. signifikant seltener, die leichten und gastrointestinalen
Hier ist die orale Verabreichung der subkutanen Applika- Blutungen jedoch etwas häufiger als mit Warfarin.
tion überlegen. Mit subkutanen Injektionen von niedermolekularen Heparinen bleibt die Compliance bei rund 50 Prozent der Patienten unvollständig. Anhand der Er-
Beeindruckende Kombination: weniger Stroke und weniger Blutungen
fahrungen bei 215 Patienten und einem Follow-up von Zu Apixaban führte Prof. Noll die AVERROES- und die
sechs Wochen konnte Prof. Borgeat über eine vollständige ARISTOTLE-Studie an (7, 8). AVERROES dokumentierte bei
Compliance bei 96 Prozent der per os antikoagulierten Patienten mit Vorhofflimmern, die keine Vitamin-K-Ant-
Patienten berichten: «Undifferenzierte Patienten hatten agonisten einnehmen konnten oder wollten, dass
Bedenken wegen der Kosten, unzufriedene Patienten Apixaban (2 × 2,5 mg/die) einer Prophylaxe mit Aspirin
hatten Komplikationen.»
(1 × 81–324 mg/Tag) in der Verhütung von Stroke und
Vorhofflimmern bleibt zu oft unerkannt
systemischen Embolien signifikant überlegen war, ohne einen signifikanten Anstieg bei schweren Blutungskomplikationen zu bewirken. Damit ergab sich ein günstiges
Ab etwa 65 Jahren nimmt die Häufigkeit von Vorhofflim- Risiko-Nutzen-Profil bei diesen ausgewählten Patienten.
mern sowohl bei Frauen wie Männern deutlich zu, erin- Die ARISTOTLE-Studie war in der Anlage den grossen Stu-
nerte Prof. Georg Noll, Universitätsspital Zürich. Menschen dien mit Rivaroxaban oder Dabigatran vergleichbar, indem
mit Vorthofflimmern haben eine höhere Mortalität und hö- sie Apixaban (2 × 2,5 mg/die) mit dem Vitamin-K-Ant-
here kardiovaskuläre Risiken. Für die plättchenhemmende agonisten Warfarin verglich. Beim primären Studienend-
Therapie bei Vorhofflimmern haben die ACTIVE-Studien punkt (Stroke oder systemische Embolien) dokumentierte
gezeigt, dass eine duale Therapie mit Clopidogrel plus sie eine relative Risikoreduktion von 21 Prozent (p < 0,001 Aspirin einer oralen Prophylaxe mit Vitamin-K-Antago- für Nichtunterlegenheit und p = 0,01 für Überlegenheit). nisten nicht überlegen ist, sondern zu mehr Ereignissen Beim primären Sicherheitsoutcome schwere Blutungen und mindestens so vielen Blutungen führt (3, 4). Die ergab sich eine relative Risikoreduktion von 31 Prozent duale Therapie ist der einfachen Aspirinprophyplaxe zwar (p < 0,001). Gegenüber Warfarin wurden signifikant überlegen, dies wird aber mit mehr Blutungen erkauft. weniger intrakranielle sowie andere schwere Blutungen Die Indikation zur antithrombotischen Therapie bei Vor- beobachtet, bei den gastrointestinalen Blutungen war der hofflimmern wird heute anhand des CHADS2-Score ge- Unterschied nicht signifikant. Zusätzlich ergab sich auch stellt. Zwei Drittel der Patienten mit Vorhofflimmern eine Reduktion der Mortalität um 11 Prozent (p = 0,047). erhalten heute gar kein Warfarin. Nach dieser Rhythmus- Die Ergebnisse der ARISTOTLE-Studie waren in verschie- störung bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu suchen, denen Subgruppen konsistent. Apixaban hatte ein akzep- ist daher oberstes Gebot, mahnte Prof. Noll. tables Nebenwirkungsprofil, unerwartete Nebenwirkungen Die höhere Dosis von Dabigatran (150 mg) war in der wurden nicht beobachtet, und die Abbruchrate war im Ver- RE-LY-Studie zur Verhütung von Stroke oder systemischen gleich zu Warfarin geringer. Embolien Warfarin deutlich überlegen, ging aber mit fast Eine etwas anschaulichere Darstellung der Studienresul- ebenso häufigen schweren Blutungen einher, während die tate gab Prof. Noll mit diesen Zahlen: Für 1000 während niedrige Dabigatran-Dosis (110 mg) em- bolische Ereignisse gleich gut verhinderte wie Warfarin und weniger Blutungen verursachte als dieses (5). Tabelle: Einige wichtige Eigenschaften der bis heute eingeführten drei neuen oralen Antikoagulanzien Intrakranielle Blutungen waren unter beiden Dosierungen des direkten Thrombinhemmers signifikant seltener als unter Warfarin. «Dieses Phänomen gilt für alle neuen oralen Antikoagulanzien, die nicht über den Vitamin-K-Antagonismus wirken», so Prof. Noll. In der grossen randomisierten Studie mit Rivaroxaban war dieser Faktor-Xa-Hemmer in der Intention-to-treat-Analyse Warfarin nicht unterlegen (6). In der Untergruppe dieser Analyse bei denjenigen Patienten, Mechanismus Bioverfügbarkeit Prodrug Nahrungsabhängigkeit Ausscheidung über die Nieren Mittlere Halbwertszeit Tmax Apixaban (Eliquis®) Rivaroxaban (Xarelto®) Dabigatran (Pradaxa®) Direkte Faktor- Direkte Faktor- Direkte Faktor-IIXa-Hemmung Xa-Hemmung (Thrombin-)Hemmung ca. 55% ca. 90% ca. 7% nein nein ja nein nein nein ca. 27% ca. 33% ca. 85% ca. 12 Std. ca. 4 Std. ca. 9 Std. ca. 4 Std. ca. 15 Std. ca. 2 Std. SGIM 2012 Hausarztmedizin 15 CongressSelection 1,8 Jahren mit Apixaban behandelte Patienten mit Vorhofflimmern können im Vergleich zu Warfarin 6 Fälle von Stroke (4 hämorrhagische und 2 ischämische respektive unbekannter Ursache) verhindert sowie schwere Blutungen bei 15 Patienten und Todesfälle bei 8 Patienten verhütet werden. In der Diskussion betonte Prof. Noll, dass eine Antikoagulation in jedem Fall eine «aggressive» Behandlung darstellt, weshalb solche Patienten regelmässig vom Arzt gesehen werden müssen. Dies gelte auch für mit den neuen oralen Antikoagulanzien Behandelte. Halid Bas Referenzen: 1. Connolly SJ et al.: ACTIVE (Atrial Fibrillation Clopidogrel Trial with Irbesartan for Prevention of Vascular Events) Steering Committee and Investigators: Net clinical benefit of adding clopidogrel to aspirin therapy in patients with atrial fibrillation for whom vitamin K antagonists are unsuitable. Ann Intern Med. 2011; 155(9): 579–586. 2. Healey JS et al.: Risks and benefits of oral anticoagulation compared with clopidogrel plus aspirin in patients with atrial fibrillation according to stroke risk: the atrial fibrillation clopidogrel trial with irbesartan for prevention of vascular events (ACTIVE-W). Stroke. 2008; 39(5): 1482–1486. 3. Lassen MR et al.: Apixaban versus enoxaparin for thromboprophylaxis after knee replacement (ADVANCE-2): a randomised double-blind trial. Lancet. 2010; 375(9717): 807–815. 4. Lassen MR et al.: ADVANCE-3 Investigators: Apixaban versus enoxaparin for thromboprophylaxis after hip replacement. N Engl J Med. 2010; 363(26): 2487–2498. 5. Connolly SJ et al.: RE-LY Steering Committee and Investigators: Dabigatran versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med. 2009; 361(12): 1139–1151. 6. Patel MR et al.: ROCKET AF Investigators: Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. N Engl J Med. 2011; 365(10): 883–891. 7. Connolly SJ et al.: AVERROES Steering Committee and Investigators: Apixaban versus acetylsalicylic acid to prevent stroke in atrial fibrillation patients who failed o rare unsuitable for vitamin K antagonist treatment. N Engl J Med 2011; 364(9): 806–817. 8. Granger CB et al.: ARISTOTLE Committees and Investigators: Apixaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 365(11): 981–992. «Antikoagulation – die Zukunft hat begonnen» Symposium Bristol-Myers Squibb & Pfizer AG anlässlich des 80. Jahreskongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGIM) am 24. Mai 2012 in Basel. Bild: H.B. 16 Hausarztmedizin SGIM 2012