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KHK-Update 2012
Praxisrelevante Aspekte zu neuen Guidelines und Studien
Viel Neues gab es zur koronaren Herzkrankheit am ESC in München zu hören, doch was davon ist für die Praxis relevant? Der Kardiologe Prof. Sigmund Silber, der sowohl in der eigenen Praxis arbeitet als auch am Herzzentrum München, fasste die wichtigsten Punkte zusammen.
W ie bereits zuvor betonen die neuen ESC-Guidelines zum Myokardinfarkt mit ST-Hebung (STEMI), wie wichtig es ist, dass ein Patient mit einem Myokardinfarkt so rasch wie irgend möglich in ein Spital kommt, das eine PCI (perkutane koronare Intervention) jederzeit durchführen kann. Maximal 60 Minuten vom Alarm bis zur PCI sind hier die Zielvorgabe: «Ich denke, dass dies in den meisten europäischen Ländern möglich sein sollte», sagte Prof. Sigmund Silber, München. Für die Reperfusion wurde das Zeitfenster ein wenig erweitert: Bei anhaltender Ischämie oder persistierenden/ schwankenden Schmerzen und EKG-Veränderungen ist sie auch dann noch sinnvoll, wenn die Symptome vor mehr als 12 Stunden einsetzten. Nicht sinnvoll sei die PCI hingegen mehr als 24 Stunden nach Einsetzen der Symptome, insbesondere falls der Patient nun stabil ist und keine Anzeichen einer Ischämie aufweist – unabhängig davon, ob eine Fibrinolyse stattfand oder nicht, erläuterte Silber.
Duale Plättchenhemmung nur noch nach dem Stent?
Die Kombination von Azetylsalizylsäure (ASS) und Prasugrel (Efient®) oder Ticagrelor (Brilique®) wird in den neuen Guidelines gegenüber ASS plus Clopidogrel (Plavix® und Generika) bevorzugt. Die Mindestdauer beträgt 1 Monat nach einem Bare-Metal-Stent und 6 Monate nach einem Drug-eluting-Stent; 12 Monate sind das Maximum. Sigmund Silber machte darauf aufmerksam, dass die duale Plättenhemmung nach einem STEMI in den früheren Guidelines für alle Patienten für 12 Monate empfohlen wurde, unabhängig davon, ob sie einen Stent hatten oder nicht. Er sei nun gespannt, ob sich das geänderte Vorgehen in der Praxis tatsächlich durchsetzen wird.
Ohne Stent: Prasugrel nicht besser als Clopidogrel
Erstaunen lösten die am ESC in München präsentierten Resultate der TRILOGY-Studie aus. Sie zeigte, dass bei
rein medikamentös behandelten Patienten mit akutem Koronarsyndrom Prasugrel nicht besser war als Clopidogrel (beide in Kombination mit ASS). Erwartet hatte man eine Überlegenheit des Prasugrels, weil dies bei Stent-Patienten so ist. TRILOGY ist die bis anhin grösste und längste Studie mit Patienten mit akutem Koronarsyndrom, die nicht mit einem Stent, sondern rein medikamentös behandelt werden: 7243 Patienten unter 75 Jahren und 2083 noch ältere Patienten wurden entweder mit ASS plus Clopidogrel (75 mg/Tag) oder ASS plus Prasugrel (10 mg/Tag) behandelt; Patienten über 75 Jahre und Patienten, die weniger als 60 Kilogramm wogen, erhielten nur die halbe Prasugrel-Dosis. Bis zu einem Jahr zeigte sich kein Unterschied bezüglich Herztod, Infarkt oder Schlaganfall, erst danach gingen die beiden Kurven leicht auseinander, was als Trend zugunsten des Prasugrels gedeutet wird. Statistisch signifikant war der Unterschied nicht. Sigmund Silber spekulierte, dass dieses Patientenkollektiv womöglich gar keine so starke Plättchenhemmung benötigt habe und die Studie – obgleich die bis anhin längste ihrer Art – noch zu kurz gewesen sei; möglicherweise hätte man später doch noch einen deutlichen Unterschied gesehen. Er sehe hier jedenfalls durchaus ein «Signal» zugunsten von Prasugrel, sagte Silber. Ausserdem habe sich gezeigt, dass Prasugrel sicher sei: «Das ist die gute Nachricht.» Insofern werde diese Studie zwar nicht die Guidelines, aber sein Vorgehen in der Praxis ändern, sagte Silber. Man habe nun die freie Wahl zwischen Prasugrel und Ticagrelor, während zuvor das Prasugrel nur für Patienten mit geplanter PCI infrage kam.
Stent bei stabiler KHK?
Ebenfalls in München vorgestellt wurden die Resultate der vorzeitig abgebrochenen FAME-II-Studie. Hier ging es um die Frage, ob bei Patienten mit stabiler KHK, die man konservativ behandeln kann, ein Stent nicht doch von Vorteil sei. Die Antwort lautet vorerst «Ja, aber...». Die PCI ist bei
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diesen Patienten zumindest dann sinnvoll, wenn zuvor mithilfe einer speziellen Messung, der fraktionellen Flussreserve (FFR), geklärt wird, in welchem Ausmass die in der Bildgebung sichtbare koronare Stenose den Blutfluss wirklich stört. Wenn in allen Stenosen die FFR über 80 Prozent liegt, kann man medikamentös behandeln, ist sie in mindestens einer Stenose ≤ 80 Prozent, profitieren die Patienten von einem Stent: «Bei Patienten mit stabiler KHK verbessert die FFR-gestützte PCI den Behandlungserfolg gegenüber einer rein medikamentösen The-rapie», sagte Sigmund Silber. Der Nutzen zeigte sich insbesondere in einem deutlichen Rückgang notfallmässiger Revaskularisationen bei diesen Patienten. Bei Patienten mit funktionell nicht relevanten Stenosen sei die medikamentöse Therapie hingegen genauso gut wie ein zusätzlicher Stent, und zwar «egal wie die Stenose angiographisch aussieht».
Aus für intraaortale Ballonpumpe
Geradezu schockiert waren viele Kardiologen angesichts der Resultate der IABP-SHOCK-II-Studie. Sie bedeutet das Aus für ein seit Jahren gängiges Verfahren in der Notfallmedizin, die intraaortale Ballonpumpe (IABP) beim kardiogenen Schock. Die IABP wurde bis anhin in allen Guidelines als erstklassige Empfehlung genannt, obgleich die Evidenz dafür eher dürftig war. Das verwundert nicht, denn gerade bei Notfallmassnahmen sind Studien kaum durchsetzbar – schliesslich müsste dann in einem Studienarm eine potenziell lebensrettende Massnahme bewusst unterlassen werden. Nun hatte sich ein deutsches Team doch daran gewagt und festgestellt: Es macht für das Überleben der Patienten mit kardiogenem Schock überhaupt keinen Unterschied, ob man die intraaortale Ballonpumpe verwendet oder nicht. Konsequenterweise wird diese Methode in den neuen ESC-Guidelines nicht mehr empfohlen.
STEMI-Überlebensrate höher, aber mehr Frauen betroffen
Die gute Nachricht vorweg: Generell ist die Mortalität
gemäss dem französischen Register FAST-MI von 1995
bis 2010 deutlich gesunken, berichtete Sigmund Silber. Er
führt diese positive Entwicklung
zumindest teilweise auf den Zu-
wachs bei den Revaskularisatio-
nen und den gestiegenen Ge-
brauch der Statine zurück.
Die Registerdaten wurden von
Prof. Nicholas Danchin an einer
Pressekonferenz im Detail erläu-
tert: Innert 30 Tagen starben 1995
noch insgesamt 13,7 Prozent der
Patienten, während es 2010 mit 4,4 Prozent deutlich weniger wa-
Nicholas Danchin
ren. Danchin betonte, dass dieser Erfolg nicht nur auf den
Siegeszug der PCI zurückzuführen sei oder auf die Tatsa-
che, dass die Patienten immer rascher ins Spital kommen.
Ein Viertel des Mortalitätsrückgangs sei darauf zurückzu-
führen, dass die STEMI-Patienten jünger sind als früher
und weniger Komorbiditäten aufweisen: Immer mehr jün-
gere Frauen sind betroffen – und das ist die schlechte
Nachricht. So verdoppelte sich der Anteil der Frauen bei
den STEMI-Patienten unter 60 Jahren von 11,8 auf 25,5
Prozent. Auch der Anteil der Raucherinnen in diesem Kol-
lektiv stieg von 37 auf 73 Prozent sowie der Anteil der
adipösen Frauen von 18 auf 27 Prozent. Angesichts dieser
Zahlen rief Danchin dazu auf, sich mit kardiovaskulären
Präventionsmassnahmen vermehrt um jüngere Frauen zu
kümmern.
Renate Bonifer
Pressekonferenzen Hot Line I am 26. August 2012 und Hot Line II am 27. August 2012 sowie Symposium «Take Home Messages for Practitioners», 28. August 2012. ESC Kongress München, 25. bis 29. August 2012. Guidelines unter: www.escardio.org
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