Transkript
CongressSelection
Frakturprophylaxe bei Osteoporose
Das Frakturrisiko eines Osteoporosepatienten ist von einer ganzen Reihe verschiedener Faktoren abhängig, allen voran von der Knochendichte. Durch Verhaltensmassnahmen und eine adäquate medikamentöse Therapie kann das Frakturrisiko signifikant gesenkt werden. Prof. David M. Reid, Universität Aberdeen, Grossbritannien, gab einen Überblick.
L aut der Definition der WHO liegt eine Osteoporose vor, wenn sich der Messwert der Knochendichtemessung mindestens 2,5 Standardabweichungen unter dem Durchschnitt der geschlechtsgleichen 30-jährigen Gesunden befindet, also wenn ein T-Wert von -2,5 vorliegt. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass viele Frakturen bereits bei einer Osteopenie geschehen (-1 bis -2,5 Standardabweichungen). Neben der Knochendichte nehmen viele weitere Faktoren teilweise erheblichen Einfluss auf ein mögliches Frakturrisiko. Um dies zu erfassen, wurde für über 45-jährige Patienten von der WHO der Algorithmus FRAX® (Fracture Risk Assessment Tool) entwickelt. Er soll die 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit einer Fraktur ermitteln (Kasten). Seit 2009 sind solche Risikoberechnungen, basierend auf heimischen epidemiologischen Daten, auch für die Schweiz verfügbar.
FRAX-Prognose zur Risikoabschätzung
Folgende Risikofaktoren fliessen in den Algorithmus mit ein: Alter, geringe Knochendichte, frühere Frakturen, BodyMass-Index (BMI) beziehungsweise Körpergewicht, Familiengeschichte hinsichtlich Hüftfrakturen, aktueller Raucherstatus, Alkoholkonsum, rheumatoide Arthritis und gegenwärtige Glukokortikoidtherapie. Als praktisches Beispiel für eine FRAX-Prognose führte Prof. David M. Reid den Fall einer 60-jährigen Frau vor. Bei einer Körperhöhe von 1,60 m, einem Gewicht von 60 kg, normaler Knochenmineraldichte, einem früheren Frakturereignis und einer gegenwärtigen Steroidbehandlung besitzt die Frau ein 10-Jahres-Risiko von 13 Prozent, an schwerer Osteoporose zu erkranken, und ein solches von 2,5 Prozent, eine Hüftfraktur zu erleiden. Würde die Knochenmineraldichte bei der gleichen Frau nun -2,5 betragen, läge das Risiko für eine schwere Osteoporose in den kommenden 10 Jahren bei 24 Prozent und für eine Hüftfraktur bei 7,1 Prozent. «Damit hätte sie die FRAX-Grenze noch nicht überschritten – trotzdem ist eine antiresorptive Osteo-
porosetherapie zu empfehlen, da sie ein beträchtliches Frakturrisiko aufweist.» Auch für vertebrale Frakturen würde FRAX das tatsächliche Risiko bisweilen unterschätzen, so Prof. Reid. Man solle zudem Patienten mit vorbestehenden osteoporotischen vertebralen Frakturen immer behandeln.
Medikamentöse Prophylaxe
Prof. David M. Reid
Wie soll eine solche Prophylaxe aussehen? Neben allgemeinen Regeln wie ausreichend Bewegung, Vermeiden von Stürzen durch Vorsichtsmassnahmen und Korrektur von Ernährungsdefiziten (speziell Kalzium, Vitamin D und Protein) stehen bei hohem Frakturrisiko eine Reihe von medikamentösen Optionen bereit. Nach Angaben der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose SVGO (2010) sind die wichtigsten pharmakologischen Therapiemöglichkeiten Bisphosphonate, Parathormonpeptide, Raloxifen, Strontiumranelat und Denosumab. Hinweise zur Evidenzlage gibt die Tabelle. Im Gegensatz zu früher wird eine Hormonersatzbehandlung (HRT) in der späteren Postmenopause zur Osteoporosetherapie kaum mehr eingesetzt. Werden diese Therapeutika parallel zu Kalzium- und Vitamin-D-Supplementen verabreicht, kann das Risiko vertebraler Frakturen gesenkt werden.
Kasten:
Empfehlungen zur Therapie bei Überschreiten des 10-Jahres-Frakturrisikos gemäss FRAX®
Alter
50 Jahre 60 Jahre 70 Jahre 80 Jahre
absolutes Frakturrisiko (FRAX©)
≥ 10% ≥ 15% ≥ 30% ≥ 40%
Quelle: www.svgo.ch
EULAR 2012 Rheumatologie 19
CongressSelection
Tabelle:
Evidenzgrade unterschiedlicher Therapien zur Osteoporoseprophylaxe (SVGO 2010)
Nebenwirkungen beachten
Medikamentöse Behandlungen zur Frakturprophylaxe bei Osteoporose sind mit Ne-
Wirbelfrakturen Nicht vertebrale Hüftfrakturen Frakturen
benwirkungen verbunden. Hinsichtlich des Auftretens von Dyspepsien konnten in der
Alendronat
A
A A FACTS-Studie zwischen Alendronat (70 mg)
Ibandronat
A
A# nae und Risedronat (35 mg) keine Unterschiede
Risedronat
A
A A festgestellt werden. Neben den Dyspepsien
Zoledronat
A
A A gelten Nausea und Reflux als die häufigsten
Calcitonin A nae nae Beschwerden. Zwar werden immer wieder
Calcitriol Raloxifen Strontiumranelat Denosumab Teriparatid HRT
A A A A A A
nae nae einzelne Fälle von Ösophaguskarzinomen
nae nae beschrieben, neuere Daten des dänischen
A A# Registers zeigten jedoch kein erhöhtes A A Krebsrisiko für AntiosteoporosebehandlunA nae gen, erklärte der britische Experte. Dagegen A A scheint es uneinheitliche Hinweise auf das
A, B: Evidenzgrade; nae: nicht adäquat evaluiert; #: nur in Untergruppen von Patienten (Post-hoc-Analysen); HRT: Hormonersatztherapie
Auftreten von Vorhofflimmern durch die Behandlung mit verschiedenen Bisphosphona-
Quelle: Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose, ten zu geben. In Studien wurde nämlich so-
SVGO (2010)
wohl ein signifikant höheres als auch kein
erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern festge-
Weniger vertebrale und weniger Hüftfrakturen
stellt. Wiederum in einer dänischen Untersuchung wurde vor Kurzem – und zwar vor allem bei Menschen mit bereits existierenden kardiovaskulären
Nach den Worten von Prof. Reid würden in den meisten Problemen – dann aber doch ein signifikantes Risiko für
Ländern als Firstlinetherapie zur Osteoporoseprophylaxe Vorhofflimmern durch den Einsatz von Bisphosphonaten
Bisphosphonate (z.B. Alendronat, Risedronat, Zoledronat, festgestellt. Dagegen waren renale Funktionsstörungen in
Ibandronat) empfohlen. So konnte in Studien gezeigt wer- verschiedenen Studien nicht festzustellen. Allerdings
den, dass das relative Risiko, eine vertebrale Fraktur zu hatte man alle Patienten mit bereits schwächerer renaler
erleiden, durch eine Alendronatbehandlung um 58 Pro- Funktion zuvor von den Studien ausgeschlossen. Auffällig
zent (p < 0,05) und durch eine Risedronatbehandlung um war bei manchen Patienten der Nachweis erhöhter Kon- 69 Prozent (p = 0,01) im Vergleich zu Plazebo gesenkt zentrationen von gewissen Entzündungsparametern im Blut wurde (2, 3). Auch eine Zoledronattherapie verminderte (IL-6, TNF-alpha, IFGNg, CRP) in den ersten 24 Stunden das Dreijahresrisiko, eine neue vertebrale Fraktur zu er- nach einer ersten Bisphosphonatinfusion. Auch Fieber, leiden, auf 3,3 Prozent (Plazebo: 10,9%). Dies entspricht Muskelstarre und Kopfschmerzen waren in den ersten drei einer relativen Risikoreduktion von 70 Prozent (p < 0,001). Tagen nach i.v-Behandlung möglich. Dagegen seien Das Risiko, sich innerhalb der nächsten drei Jahre die Osteonekrosen bei Osteoporosepatienten unter Bisphos- Hüfte zu brechen, war in der Zoledronatgruppe gegenüber phonatbehandlung – im Gegensatz zu Tumorpatienten, Plazebo ebenfalls signifikant vermindert (1,4% vs. 2,5%, die wesentlich höhere Dosierungen bekommen – mit einer p = 0,0024), berichtete Prof. Reid. Auch die tägliche Ein- Wahrscheinlichkeit von 1:100 000 «extrem selten», sagte nahme von Strontiumranelat hat in einer Studie mit 1442 Prof. Reid. Frauen mit schwerer Osteoporose die Ereignisrate für Klaus Duffner Frakturen signifikant gesenkt. Zusätzlich war hier ein Ab- bremsen des Knochenabbaus zu beobachten. Schliesslich stellte der humane monoklonale Antikörper Denosumab vor wenigen Jahren seine Fähigkeit zur wirksamen Frak- turprophylaxe unter Beweis. In einer grossen randomi- sierten Phase-III-Studie mit 7868 postmenopausalen Frauen mit Osteoporose war für das Biologikum bei subkutaner Injektion alle sechs Monate eine signifikante relative Risikoreduktion für vertebrale Ereignisse im Vergleich zu Plazebo um 68 Prozent zu beobachten. Quelle: HOT Session: How to manage Osteoporosis (David M Reid). EULAR-Kongress 2012, 6.6.2012 in Berlin. 20 Rheumatologie EULAR 2012