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Frühe Kombination zur Risikosenkung bei Hypertonie
Was, wann und für wen
Eine prominente Besetzung an Vortragenden konnten die Teilnehmer des ESH-Jahreskongresses bei einem Satellitensymposium von Boehringer Ingelheim erleben. Die Referenten waren unzufrieden mit der nach wie vor unzureichenden Einstellung der meisten Hypertoniker, zeigten jedoch konkrete Möglichkeiten auf und unterlegten sie mit einer sehr soliden Evidenzbasis.
«Hochnormaler Blutdruck ist nicht benigne»
Immerhin 147 randomisierte Studien gingen in eine Metaanalyse ein, die klar zeigte, dass die Senkung des systolischen Blutdrucks um 10 mmHg bei Hypertonie das Risiko für eine koronare Herzkrankheit um 25 Prozent und das Risiko für einen Schlaganfall um 35 bis 40 Prozent senkt. Aber schon klinischer Sachverstand allein reicht aus, um zu zeigen, wie wichtig die Blutdrucksenkung ist: Im venösen Kreislauf (ausser bei schwerster pulmonaler Hypertonie) gibt es keinerlei Atherosklerose, so Prof. Björn Dahlöf, Director Clinical Trial Unit, Universität Göteborg. Er outete sich als absoluter Verfechter der Theorie, dass der Blutdruck als äusserst wichtiger Risikofaktor für vorzeitigen Herztod gesenkt gehört – «genau deswegen habe ich die ganzen Studien veranlasst», betonte der Erstautor grundlegender grosser Arbeiten wie der LIFE-Studie. Dabei ist nach heutiger Kenntnis vor allem der zentral zu messende Blutdruck entscheidend. Auf den peripheren Blutdruck zeigen beispielsweise Atenolol und Losartan die gleiche Wirkung, auf den zentralen Druck jedoch nicht. Das bleibt aber so lange theoretisch, als 85 Prozent der Patienten entweder schlecht oder gar überhaupt nicht eingestellt sind, wie wir selbst im Jahr 2012 immer noch konstatieren müssen. Unverändert besteht hier ein riesiger Bedarf. «Hochnormaler Blutdruck ist nicht benigne», betonte Prof. Dahlöf und unterstrich, dass der relative Nutzen bei älteren Patienten gleich hoch ist wie bei jüngeren Patienten, der absolute Nutzen aber sogar noch höher. Hypertonie ist jedoch mehr als eine «Millimeter-Hg-Krankheit» und keine Krankheit, die erst ab einer bestimmten Schwelle relevant wird. Jeder Millimeter Senkung zählt, und der Referent forderte die Hörer auf, rechtzeitig in eine Blutdruckkontrolle mit evidenzbasierten Medikamenten zu investieren.
Besser Sartane als ACE-Hemmer?
Prof. Dr. Massimo Volpe, Direttore della Struttura Complessa di Cardiologia, Azienda Ospedaliera Sant’Andrea,
Rom, brach eine Lanze für die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) und hier für die Sartane. Die RASBlockade bremst die Progression der kardiovaskulären Veränderungen auch über einen Einfluss auf die endotheliale Dysfunktion, den oxidativen Stress, die Entzündung und das Geweberemodeling. Schon die ACE-Hemmer zeigten eine Wirkung auf die Progression über diejenige hinaus, die durch reine Blutdrucksenkung erzielt werden kann. Aber ACE-Hemmer sind mit einer hohen Nebenwirkungsrate belastet (z.B. 35% Husten, bis 0,7% Angioödem). Zudem habe sich die ACE-Inhibitortherapie im «Morgengrauen der evidenzbasierten Medizin (EBM)» entwickelt, es gab nur kleinere, meist plazebokontrollierte Studien. Das moderne Zeitalter der EBM brach erst in der Einschätzung von Prof. Volpe mit den ARB an, mit deutlich grösseren, besser kontrollierten Studien, die oft Vergleichsstudien mit anderen Medikamenten waren und diese zusätzlich zu modernen Therapien prüften. Unter den ARB ist Telmisartan (Kinzal®, Micardis®) die am besten untersuchte Substanz mit den Endpunkten Mortalität und Morbidität. Die Studien hierzu schlossen 51 000 Patienten ein. Die Substanz (80 mg) senkt die Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen vergleichbar zu 10 mg Ramipril (Triatec® oder Generika) bei Hochrisikopatienten. In Italien beispielsweise gehören 43 Prozent der Hypertoniker zur Hochrisikogruppe. Für die Senkung des Risikos kommt es wie bekannt auf die Compliance an. Die ONTARGET-Studie zeigte eine bessere Compliance unter dem ARB als unter dem ACE-Hemmer. Um die Patientenmitarbeit weiter zu verbessern, sind Kombinationen geeignet, für die gut untersuchte Präparate eingesetzt werden sollten.
«Monotherapie wird nie ausreichen, um das Problem zu beherrschen»
Prof. Bryan Williams, University of Leicester, ist unzufrieden, dass die Mehrheit der Hypertoniker immer noch mit Monotherapie eingestellt ist – «diese wird nie ausreichen,
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um das Problem zu beherrschen», und daher hinterfragt er auch, dass die Guidelines die Monotherapie immer noch so stark betonen. Ein Argument für die Kombination sogar von Beginn weg ist der Punkt, dass die Heterogenität des Ansprechens auf unterschiedliche Klassen damit ausgeglichen werden kann. Patienten, die stark auf Natriurese reagieren, aber wenig auf RAS-Blockade. Patienten, die auf beide mittelgradig ansprechen, oder solche, die bevorzugt auf RAS-Blockade reagieren, aber wenig salzempfindlich sind, werden gleichermassen mit einer Kombination aus ARB und Diuretikum gut eingestellt. Das individuell sehr unterschiedliche Ansprechen wird also nivelliert auf ein insgesamt gutes Ansprechen. Dass es sich lohnt, das Ansprechen schon früh, also beispielsweise innerhalb von 3 Monaten, zu erreichen, liess sich bereits belegen. Das schnellere Eintreffen des Blutdruckziels geht mit besseren klinischen Resultaten einher und ist auch mit einer besseren Langzeitblutdruckkontrolle assoziiert, sogar mit weniger Medikamenten. Williams wünscht sich eine evidenzbasierte Vereinfachung der Kombinationstherapie, die sich mit RAS-Blockade, Diuretikum und Kalziumkanalblocker erreichen lässt. Im ersten Schritt schlägt er für Patienten unter 55 Jahren einen ARB- oder ACE-Hemmer vor sowie einen Kalziumkanalblocker ab 55 Jahren. Im zweiten Schritt werden beide kombiniert. Reicht das nicht aus, kommt ein Diuretikum hinzu (und falls dies noch nicht ausreicht: ein weiteres Diuretikum sowie die Konsultation des Spezialisten). Dass das Konzept, die Heterogenität mit der Kombination aus Telmisartan und Amlodipin (Micardis® Amlo) auszugleichen, aufgeht, zeigte sich sowohl für milde als auch für moderate und schwere Hypertonie über alle Subgruppen wie Patienten mit Diabetes, Übergewicht, metabolischem Syndrom oder im höheren Alter (> 65 Jahre). Dass die rasche und deutliche Blutdruckkontrolle die Patienten nicht zum Abbrechen bringt, zeigte beispielsweise die ACCELERATE-Studie. Hier blieben mehr Patienten im Kombinationsarm (Aliskiren und Amlodipin [RasilAmlo®]), bei stärkerer Blutdrucksenkung.
Prof. Williams empfahl eine Kombination bereits als Initialtherapie, da sie für die meisten Patienten geeignet sei und eine bessere Wirkung bei besserem Ansprechen auf vergleichbare Dosierungen mit sich bringe. Das Nebenwirkungsprofil ist hierbei günstiger, und unvorhergesehenes Ansprechen aufgrund der Heterogenität ist seltener. Für Patienten, deren Blutdruck um mehr als 20 mmHg vom Ausgangswert gesenkt werden sollte, hält er den direkten Einstieg mit einer Kombination für angemessen. Man sollte sich mit nicht weniger als einer baldigen guten Blutdruckkontrolle zufrieden geben, zumal heute Kombinationspräparate erlauben, mit einer Pille auszukommen.
Nur 1 Tablette = bessere Compliance Auch Prof. Sripal Bangalore, Department of Cardiology, New York University Langone Medical Center (NYULMC), New York, bekräftigte diesen Standpunkt. Er zeigte, dass die Compliance besser ist, wenn Patienten nur eine Tablette einnehmen müssen. Auch dass die Kombination den Blutdruck besser beherrscht als die Monotherapie, zeigten inzwischen Metaanalysen aus 42 Studien mit 11 000 Teilnehmern. Warum also bei besseren klinischen Resultaten, besserer Compliance, besserem Nebenwirkungsprofil nicht gleich eine Kombination nehmen? Die Kombination aus Kalziumkanalblockern und ARB wirkt synergistisch und reduziert Nebenwirkungen. Bei der Wahl der Kombination sollte bedacht werden, dass eine möglichst lange Wirkung über den gesamten Tag erzielt wird. Telmisartan, das die längste Halbwertszeit unter den Sartanen hat, und Amlodipin führen zu einer guten 24-Stunden-Blutdruckkontrolle.
Ulrike Novotny
Early combination therapy to reduce cardiovascular risk: What, when and for whom. Educational session supported by an an unrestricted educational grant by Boehringer Ingelheim, 27. April 2012.
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