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Aging Male
Testosteronersatztherapie und Prostatakarzinom
Im Alterungsprozess des Mannes spielen zwei Erkrankungen eine wichtige Rolle: der Hypogonadismus und das Prostatakarzinom. Die Testosteronersatztherapie (TRT) beseitigt wirksam die meisten Androgenmangelsymptome und wird beim Hypogonadismus empfohlen. Hierbei wird eine regelmässige Kontrolle empfohlen. Nach der gegenwärtigen Datenlage gibt es aber keine Hinweise dafür, dass eine TRT das Risiko für ein Prostatakarzinom erhöht.
A ltern ist ein komplexer Prozess, bei dem Hormone eine wichtige Rolle spielen. Auch der männliche Testosteronspiegel ist altersabhängig. Nach dem 40. Lebensjahr fällt er ab, während der Spiegel des sexualhormonbindenden Globulins (SHBG) ansteigt (Tabelle 1). Die Serumkonzentration des freien Testosterons sinkt stärker als die des Gesamttestosterons, und bis zum 70. Lebensjahr hat das freie Testosteron schliesslich um 30 Prozent des Ausgangswerts abgenommen. Beim Mann sind biologisches Altern und Androgenmangel nicht immer unmittelbar miteinander verknüpft, und durch Hormonmangel bedingte Symptome sind oftmals nicht auf Anhieb als solche erkennbar. Obwohl die Testosterontherapie als Kausaltherapie des altersbedingten Hypogonadismus akzeptiert ist, erhalten viele der Betroffenen keine solche Behandlung.
Altersbedingter Hypogonadismus
Hypogonadismus – die Unterfunktion der Hoden – ist ein klinisch sichtbares Geschehen, das mit verminderten Testosteron-Serumkonzentrationen, reduzierter Lebensqualität und zahlreichen anderen Symptomen einhergeht (Tabelle 2). Es gibt viele Namen für den altersbedingten Hypogonadismus wie beispielsweise Aging Male, Andropause, Androgenmangelsyndrom (ADAM), partielles Androgenmangelsyndrom (PADAM), Testosteronmangelsyndrom (TMS), Climacterium virile oder Late Onset Hypogonadism (LOH). Zumeist handelt es sich um einen normogonadotropen Hypogonadismus; es können aber auch erniedrigte FSH- und LH-Spiegel im Sinne eines hypogonadotropen Hypogonadismus vorkommen. Besonders häufig findet sich der Hypogonadismus bei älteren Männern, die an sogenannten Zivilisationskrankheiten leiden. In einer aktuellen US-Studie wiesen die Hälfte der Diabetiker und Adipösen einen Hypogonadismus auf. Betroffen waren auch 40 Prozent der Hypertoniker sowie Patienten mit Hyperlipidämie.
Sorgfältige Diagnostik erforderlich
An erster Stelle steht die allgemeine Anamnese, die durch Fragebögen zum Aging Male unterstützt werden kann. Eine wichtige Bedeutung kommt der Sexualanamnese zu. Libidoverlust und Sexualfunktionsstörungen können Hinweise auf einen Hypogonadismus sein. Bei der Eigenanamnese sollte der Arzt nach Operationen fragen, die mit Sexualfunktionsstörungen einhergehen können – beispielsweise Eingriffen im kleinen Becken. Auch zahlreiche Medikamente beeinflussen die Produktion des Testosterons, seine Wirkung und seinen Metabolismus. Bei der allgemeinen körperlichen Untersuchung sollte auf Habitus, Behaarungsmuster, Hautturgor und eine eventuelle Gynäkomastie geachtet werden und die Hoden- und Penisgrösse eingestuft werden. Die digital-rektale Palpation dient der Beurteilung der Prostatagrösse und der Konsistenz. Veränderungen im Prostatagewebe (Indurationen, Knoten, schlechte Abgrenzbarkeit) können Anzeichen eines Prostatakarzinoms sein. Bei einer geplanten TRT kommt dieser Untersuchung eine besondere Bedeutung zu. Vor und während einer TRT sind die Bestimmung des Blutbilds und des Serumspiegels des prostataspezifischen Antigens (PSA) unbedingt notwendig, um Risikofaktoren auszuschliessen oder beim Auftreten von Komplikationen im Therapieverlauf (Veränderungen des roten Blutbildes, Thrombozytose, PSA > 4 ng/ml) sofort die notwendige
Take Home Messages
• Eine TRT ist zu empfehlen, wenn die klinische Symptomatik eines Hypogonadismus besteht und der Testosteronspiegel unter 12 nmol/l liegt.
• PSA-Messung und digitale rektale Untersuchung sind routinemässig erforderlich. Eine Sonografie wird bei unklarem Befund empfohlen.
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weiterführende Diagnostik durchzuführen und gegebenenfalls die Therapie abzubrechen. Zum Nachweis eines Testosteronmangelsyndroms ist immer die Bestimmung der Serumwerte des Gesamttestosterons und des SHBG erforderlich. Liegen diese beiden Werte im Normalbereich und ist der Patient nicht adipös (Body-Mass-Index [BMI] ≤ 30), kann ein Hypogonadismus ausgeschlossen werden. Bei normalem Gesamttestosteron und erhöhtem SHBG besteht jedoch möglicherweise ein Testosteronmangel, da das biologisch aktive freie Testosteron im Alter stärker abnimmt und die Bindungskapazität des SHBG zunimmt. Hier sollte der Anteil des bioverfügbaren Testosterons im Serum bestimmt werden.
Testosteronersatztherapie
Eine TRT ist indiziert, wenn die entsprechende klinische Symptomatik besteht und der Testosteronspiegel unter 12 nmol/l liegt. Es stehen verschiedene Testosteronpräparate zur Verfügung. Kurz wirksame Präparate (z.B. Gels wie Tostran® 2% Gel oder Testogel®) haben den Vorteil, dass sie individuell dosiert und kurzfristig abgesetzt werden können. Dies ist bei einem Anstieg des PSA-Werts > 4 ng/ml, beim Auftreten eines Prostatakarzinoms oder einer Polyzythämie notwendig. Alle Testosteron-Gelpräparate bringen die Testosteron-Serumkonzentrationen sicher in den Normalbereich. Die Resorption ist jedoch individuell sehr verschieden. Im Gegensatz zu den täglich anzuwendenden Gels muss eine Injektion (z.B. Testosteronundecanoat, Nebido®) nur etwa alle 3 Monate verabreicht werden. Testosteronundecanoat zeichnet sich durch eine flache, lang anhaltende Kinetik aus, sodass nach einer «loading dose» (2. Injektion nach 6 Wochen) die Applikation auf Injektionsintervalle von 10 bis 14 Wochen verlängert werden kann. Die Therapie muss regelmässig überwacht werden (Tabelle 3). Die Behandlung darf keinesfalls als Selbstmedikation erfolgen.
Tabelle 1:
Testosteron: altersbedingte Veränderungen im Serum
Freies Testosteron (FT)
Sexualhormonbindendes Globulin (SHBG) Gesamttestosteron (T)
Abnahme um 1,2% pro Jahr zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr
Zunahme um 1,2% pro Jahr Abnahme um 0,4% pro Jahr
Tabelle 2:
Symptome des Hypogonadismus
• Müdigkeit • Konzentrationsschwäche • Verminderte körperliche Leistungsfähigkeit • Abnahme von Muskelkraft und Masse • Knochenschmerzen und Spontanfrakturen • Änderung der Fettverteilung • Stimmungsschwankungen • Verminderte Libido • Sexualstörungen
(Erektionsstörungen, Ejakulationsstörungen)
Tabelle 3:
Kontrollen während der Testosterontherapie
1. Jahr vierteljährlich, später halbjährlich • Hormone • PSA • Blutfette • Blutbild • Leberfunktion
Ab 2. Jahr halbjährlich • Rektalbefund • Sonografie der
Prostata • Knochenstoff-
wechsel
2-jährlich • Knochendichte
Gibt es einen Zusammenhang zwischen TRT und Prostatakarzinom?
Im Jahr 1941 beobachteten Charles Huggins und Clarence Hodges erstmals, dass eine Reduktion des Serumtestosterons durch Kastration das Wachstum eines metastasierten Prostatakarzinoms verzögert. Der Androgenentzug bis auf Testosteronwerte im Kastrationsniveau wird heute in der Therapie des Prostatakarzinoms genutzt. Paradoxerweise konnte eine im Jahr 2008 veröffentlichte Metaanalyse von 18 prospektiven Langzeitstudien (3886 Patienten und 6438 gesunde Kontrollen) mit einer Dauer von bis zu 36 Monaten keinen Zusammenhang zwischen einer Testosteronsubstitution und dem vermehrten Auftreten von Prostatakarzinomen nachweisen. Die sogenannte Sättigungshypothese liefert eine Erklä-
rung für diesen Widerspruch: Bereits bei geringen endogenen Testosteronspiegeln wird das Wachstum der Prostata maximal stimuliert. Unterhalb des Sättigungspunktes variiert das Wachstum in Abhängigkeit von der Hormonkonzentration. Aktuelle Daten zeigen, dass gerade niedrige Testosteronspiegel bei Diagnosestellung mit Highgrade-Karzinomen und schlechter Prognose einhergehen. Auch kann sich das Karzinom bei kastrierten Patienten nach Testosteronsubstitution wieder entwickeln. In einer von Dr. Ahmad Haider, Praxis für Urologie, Bremerhaven, Deutschland, vorgestellten Studie waren 104 an einem altersbedingten Hypogonadismus erkrankte Patienten (Testosteronspiegel zwischen 4,7 und 11,84 nmol/l) 48 Monate lang mit parenteralem Testosteronundecanoat behandelt worden.
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Im Verlauf der Therapie erhöhten sich die mittleren Plasmaspiegel des Testosterons von 9,3 nmol/l auf 18,7 nmol/l. Es wurde ein langsamer, jedoch stetiger Anstieg des Prostatavolumens beobachtet. Parallel hierzu erhöhte sich der PSA-Spiegel, überschritt jedoch nie eine Konzentration von 4 ng/ml. Es kam zu einer signifikanten Erhöhung des Hämoglobin- und des Hämatokritwertes. Bei 9 Patienten überschritt der Hämatokritwert 52 Prozent, das heisst die obere Grenze des Normalwerts. «Über einen Zeitraum von 48 Monaten scheint die Behandlung mit Testosteronundecanoat sicher zu sein», fasste Haider das Studienergebnis zusammen. «Es kam zwar zu einem Anstieg des Prostatavolumens und des PSA-Spiegels, aber in begrenztem Ausmass. Grössere und in einem längeren Zeitraum durchgeführte Studien sind notwendig, um das Risiko besser beurteilen zu können. Regelmässige Kontrolluntersuchungen des Patienten sind erforderlich.»
Claudia Borchard-Tuch
Literatur: Beintker M, Behre H. Testosteronsubstitution unter besonderer Berücksichtigung des Prostatakarzinoms. Urologe 2008; 47: 1588–1591. Lenk VS. Diagnostik des «aging male» – was ist sinnvoll? Urologe 2005; 44: 1167–1172. Rinnab L, et al. Testosteronsubstitution und Prostatakarzinom. Eine Standortbestimmung 67 Jahre nach dem Huggins-Mythos. Urologe 2009; 48: 516–522. Wang C, et al. Guidelines. Investigation, Treatment, and Monitoring of Late-Onset Hypogonadism in Males: ISA, ISSAM, EAU, EAA, and ASA Recommendations. Eur Urol 2009; 55: 121–130. Zitzmann M. Die Therapie des Hypogonadismus des Mannes. Internist 2008; 49: 559–569.
Poster Presentation: A. Haider: Safety of administration of parenteral testosterone undecanoate to mainly elderly men for 48 months. 26. Februar 2012.
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