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27. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 22. NOVEMBER 2012
Veterinärmedizinische Phytotherapie
Phytotherapeutische Behandlung von Infektionskrankheiten beim Nutztier
Elisabeth Stöger
Rückstände und Wartezeiten
Wenn es um die Behandlung von Nutztieren geht, ist die Frage nach Rückständen und Wartezeiten bedeutend. Antibiotische Behandlungen stehen immer stärker in der Kritik der Öffentlichkeit. Gerade bei Infektionskrankheiten, die sehr häufig antibiotisch behandelt werden, stellt sich für die praktische Tierärztin die Frage nach einer Therapie ohne oder mit überschaubaren Rückständen und trotzdem verlässlicher Wirkung.
Wenig Phytotherapeutika
Infektiöse Magen-Darm-Erkrankungen eignen sich – auch für Einsteiger in die Phytotherapie – gut, um Alternativen auszuprobieren, schliesslich werden wir bei Tagungen ohnehin dazu angehalten, auf Antibiotikagaben bis auf Ausnahmefälle zu verzichten, um das Darmmilieu nicht noch weiter zu stören. Die Empfehlung bei Kälberdurchfall ohne Fieber etwa ist vor allem Flüssigkeitsersatz. Hier bieten Heilpflanzen ein zusätzliches Feld von Regulationsmöglichkeiten, und sie können gut in Kombination mit den notwendigen Elektrolyten angewendet werden. Leider stehen den Tierärzten nur wenige zugelassene Fertigpräparate zur Verfügung. Ein Beispiel für ein rein pflanzliches zugelassenes Arzneimittel auf dem Markt ist Stullmisan®. Es handelt sich um ein Pulver, das zum Grossteil aus Fichtennadelspitzen besteht und damit als typische Gerbstoffdroge wirkt. Aufgrund der eiweissfällenden Wirkung sind Gerbstoffe in der Lage, Viren und Bakterien abzutöten. Auch die abdichtende und entzündungshemmende Wirkung auf Schleimhäute macht sie geeignet für die Therapie bei Durchfall. Dieses Arzneimittel kann vom Tierarzt ohne Wartezeit abgegeben werden. Ein weiterer Vorteil eines pflanzlichen Präparates ist, dass es für alle Tierarten ge-
eignet ist, vom Pferd und Rind über die kleinen Wiederkäuer bis zu Schwein und Kücken.
Eichenrinden-Dekokte
Gerbstoffe können auch durch Abkochung von gerbstoffhaltigen Pflanzenteilen (Dekokt) gewonnen und zur Therapie oder Unterstützung einer Therapie eingesetzt werden. Eichenrinde (1 Teil + 10 Teile Wasser) wird etwa 10 bis 30 Minuten gekocht, Schwarztee (1 bis 2 Teelöffel pro 500 ml Wasser) wird 5 bis 10 Minuten, die Blutwurz (1/2 Teelöffel pro Tasse) wird nur zirka 5 Minuten gekocht. Alle drei Dekokte sind zur Durchfalltherapie geeignet. Für ein junges Kalb mit Frühdurchfall ohne Fieber sollen beispielsweise 3 x täglich je 2 Liter Eichenrinden-Dekokt mit den Elektrolyten vermischt angeboten werden. Ältere Kälber bekommen je 3 Liter oder mehr.
Ätherische Öle
Wenn die Akzeptanz von Eichenrindendekokt nicht gegeben ist und vor allem wenn zusätzlich noch Bauchschmerzen zu erkennen sind, sind Teezubereitungen von den Ätherisch-Öl-Drogen Kamille, Kümmel, Fenchel oder Anis (jeweils 1 Teil Droge + 10 Teile Wasser) besonders für Jungtiere sehr gut geeignet. Die ätherischen Öle dieser Pflanzen haben einen spasmolytischen Effekt auf die glatte Darmmuskulatur und einen gärungshemmenden Effekt auf die Darmflora. Sie werden meist auch sehr gerne angenommen. Günstig ist die abwechselnde Gabe von Gerbstoffzubereitungen und blähungswidrigen und entzündungshemmenden Teezubereitungen, also morgens Eichenrinden- oder Schwarzteedekokt, mittags Kamillentee und so weiter. Ätherisch-Öl-Drogen werden üblicherweise als Tee zubereitet. Die Pflanzenteile werden mit heissem Wasser übergossen und mit Deckel 3 bis 10 Minuten ziehen gelassen. Diese Hinweise sollen zeigen, dass es gerade bei Durchfall recht einfach ist, die ohnehin notwendigen Elektrolyttränken mit den positiven Wirkungen der Heilpflanzen zu kombinieren.
Euter-Schenkel-Ekzem
Wir kehren nochmals zu den Gerbstoffdrogen zurück: Das oft sehr hartnäckige und lästige Euter-Schenkel-Ekzem behandeln
wir fast ausschliesslich mit EichenrindenDekokt. Hier haben wir es mit einer tiefen Infektion der Haut zu tun. Die adstringierende Wirkung der Gerbstoffe hilft bei der Abtrocknung des Ekzems, tötet Bakterien ab und entzieht ihnen vor allem den Nährboden. Damit verkleinert sich das Ekzem rasch. Wichtig ist die Anwendung 2 x täglich und das Abtrocknen mit einem Einmaltuch nach jeder Behandlung. Natürlich kann es auch an anderen Körperstellen zu eitrigen Ekzemen kommen, und auch diese können mit Eichenrinden-Dekokt behandelt werden. Ein Beispiel aus der Kleintierpraxis ist der «Hot-spot» in der warmen Jahreszeit bei Hunden mit dichtem Fell.
Keratokonjunktivitis
Eine weitere Anwendung von Gerbstoffdrogen in unserer Praxis ist die infektiöse Keratokonjunktivitis der kleinen Wiederkäuer. Da es (bei uns in Österreich) keine zugelassene antibiotische Augensalbe für kleine Wiederkäuer gibt und die Umwidmung von anderen Tierarten eine lange Wartezeit von mindestens 28 Tagen auf Fleisch nach sich zieht, haben wir auf Heilpflanzen zurückgegriffen. Wir verwenden mit gutem Erfolg Schwarztee-Dekokt zum Auswaschen der entzündeten Augen, 2 x täglich. Die Tierhalter werden zu hygienischer Anwendung angeleitet (EinmalPads, Tragen von Handschuhen ...) und sind mit dem Erfolg ohne Wartezeit zufrieden.
Endometritis
Infektionen finden wir bei der Kuh manchmal auch in der Gebärmutter. Zur Behandlung der Endometritis gibt es bekanntlich viele fachliche Diskussionen. Für uns in der Praxis ist wichtig, dass die Behandlung sichtbaren Erfolg bringt, und dies möglichst ohne Wartezeit auf die Milch. Seit Jahren setzen wir für Uterusspülungen ein rein pflanzliches Arzneimittel ein:Eucacomp®. Es handelt sich um eine Suspension mit Eukalyptus, Ringelblume, Majoran und Melisse, die mit warmem Wasser verdünnt in die Gebärmutter eingebracht wird. Die Wirkung entspricht jener anderer Therapien – dazu gibt es auch einige interessante Studien –, die Suspension hat aber den Vorteil, dass sie ohne Wartezeit angewendet werden kann. Dieses Präparat kann seit der Revision der schweizerischen Tierarzneimittelverord-
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nung vereinfacht importiert werden.
Atemwegsinfektionen
Mit Infektionen im Atemtrakt sind wir in der Nutztierpraxis häufig konfrontiert. Oft werden Tierärzte erst dann beigezogen, wenn die Bronchitis oder Lungenentzündung bereits fortgeschritten ist und eine schulmedizinische Therapie dringend angezeigt erscheint. Eine Kombination mit Heilpflanzen kann trotzdem durchaus sinnvoll sein, besonders bei jungen und bei chronischen Patienten. Wir haben gute Erfahrungen mit Teezubereitungen – die von Pflanzenfressern üblicherweise gerne getrunken werden – und mit Inhalationen. Thymian (1 Teelöffel pro 150 ml Wasser) sollte Bestandteil jedes Hustentees sein. Er wirkt auswurffördernd, schleim- und krampflösend, antibakteriell und entzün-
dungshemmend. Die ätherischen Öle des Thymians gelangen nach oraler Aufnahme in die Lungenbläschen und entfalten damit ihre Wirkung am Ort der Erkrankung. Eine Kombination mit regional üblichen Hustenkräutern ist sinnvoll und erhöht die therapeutischen Möglichkeiten.
Wundbehandlung
Als letzter Punkt soll noch auf die zahlreichen Möglichkeiten der Behandlung mit Phytotherapie bei infizierten Wunden hingewiesen werden. Oft aussichtslos erscheinende Fälle von üblen alten Verletzungen können durch konsequente Behandlung mit Kamille, Arnika, Ringelblume, Salbei, Schafgarbe und so weiter zu einem guten Ende gebracht werden. Die übliche Dosierung bei Aufgüssen beträgt 1 Teil Droge auf 10 Teile Wasser. Wird eine Tinktur verwen-
det, so liegt die Verdünnung zwischen 1:5
bis 1:20, je nach Alter des Tieres und Körper-
region. Auch bei Besiedlung von Wunden
mit multiresistenten Keimen sind die Heil-
pflanzenzubereitungen oft die letzte Mög-
lichkeit einer erfolgreichen Therapie.
Für die Arbeit in der Nutztierpraxis stellen
pflanzliche Arzneimittel und Zubereitun-
gen eine gute Ergänzung und Erweiterung
der schulmedizinischen Behandlungsmög-
lichkeiten dar. Ausserdem ist die Akzeptanz
sowohl der Landwirte als auch der Konsu-
menten und Gesellschaft gegeben. All dies
erhöht die Freude an der Arbeit.
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Anschrift der Referentin: Dr. med. vet. Elisabeth Stöger Dr. Blaasweg 7 A-9560 Feldkirchen in Kärnten elisabeth.stoeger@aon.at
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