Transkript
27. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 22. NOVEMBER 2012
Veterinärmedizinische Phytotherapie
Einsatz pflanzlicher Hausmittel durch Landwirte in der Schweiz zur Versorgung von Wunden und Hautveränderungen beim Tier
Monika Disler
Einleitung
In den Jahren 2011 und 2012 wurden in den Kantonen Aargau, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und Zürich Studien durchgeführt, um das traditionelle Erfahrungswissen über pflanzliche Hausmittel und deren Anwendungen beim Nutztier zu erfassen (1, 2). Die Suche nach den Teilnehmern erfolgte nach dem Prinzip des Snowball sampling (3). Studienteilnehmer rekrutieren dabei weitere mögliche InterviewpartnerInnen aus ihrem Bekanntenkreis. Insgesamt wurden 80 LandwirtInnen in 64 Betrieben interviewt und mehr als 500 pflanzliche Hausmittelrezepte in einer Microsoft-AccessDatenbank erfasst. Fur jedes genannte Rezept wurden detaillierte Informationen zu verwendeten Pflanzen beziehungsweise Pflanzenteilen sowie zum Verarbeitungsprozess bis hin zum anwendungsfertigen Präparat dokumentiert. Pro Rezept wurden eine oder mehrere Anwendungen beschrieben, von denen unter anderem Anwendungsgrund, Dosierung, Verabreichungsart, Wissensursprung und Einsatzhäufigkeit erhoben wurden. In die nachfolgende Auswertung wurden jene Rezepte miteinbezogen, die folgende drei Anforderungen erfüllten:
Abbildung 1: Rezeptbeispiel
◆ Monopräparat (nur eine Pflanzenart in der Rezeptur) mit Anwendung auf der Haut (Wunde oder gereizte, entzündete Haut) und Indikationsgebiet Haut;
◆ der Wissensursprung des Rezeptes stammt von den Vorfahren/der Familie;
◆ das Rezept wurde von den Interviewpartnern selbst bereits häufiger als fünfmal angewandt.
Resultate
Insgesamt wurden 34 Rezepturen mit 49 dazugehörigen Anwendungen beschrieben, die diesen Kriterien entsprachen. Die meistgenannten Pflanzen waren Calendula officinalis L. und Matricaria recutita L., beide aus der Pflanzenfamilie der Asteraceae. Der am häufigsten verwendete Pflanzenteil war die Blüte (Tabelle 1). Als häufigste Zubereitungsart (Tabelle 2) wurden Extraktionen mit Öl und Fett genannt, zudem Extraktionen mit Wasser, Alkohol sowie die direkte Applikation der Frischpflanze auf die Haut: Bei der echten Wallwurz (Symphytum oficinale L.) wurde beispielsweise für zwei Rezepturen beschrieben, die Wurzel geraffelt direkt auf die Wunde aufzulegen und einzubinden. In einigen Rezepturen wurden auch Produkte von lokalen Apotheken oder Drogerien bezogen und unverändert angewendet. Zu den 34 Rezepten wurden 49 Anwendungen beschrieben. Die Rezepte wurden zur Versorgung von Wunden und Entzündungen oder anderen Veränderungen der Haut beim Tier angewandt. Die Anwendung auf der Haut umfasst auch die Anwendung am Euter, am Nabel und an der Klaue. Neben dem Auftragen auf die Haut wurden Kompressen/Verbände/Wickel oder Bäder genannt, um einen längeren Kontakt mit der
Abbildung 2: Storchenschnabelcreme, Harzsalbe und Blackensalbe
Haut herzustellen. Zudem wurden auch Auswaschungen/Spülungen beschrieben (Tabelle 3).
Diskussion
Im Hinblick auf eine zu erwartende Wirksamkeit dürfte Rezepten, die innerhalb der Familie weitergegeben und vom «Wissensempfangenden» selbst schon mit einer gewissen Mindesthäufigkeit eingesetzt wurden, eine besondere Bedeutung zukommen. Es ist anzunehmen, dass sich solche Rezepte in der Praxis besonders bewährt haben. In der vorliegenden Auswertung wurde daher auf diese Rezepturen fokussiert. Zur Ermöglichung eines Vergleichs mit der Literatur wurde,wo immer möglich,die Konzentration in g Drogenäquivalenten pro 100 g Endprodukt im Rahmen der Vor-OrtInterviews erhoben (Tabelle 4). Der Bereich der beschriebenen Konzentrationen variierte stark. Ein Grund dafür könnte die hohe therapeutische Breite der meisten Pflanzen sein. Im Fall der Ringelblume ist die Konzentration der Extraktion mit Alkohol um einiges tiefer als die in der Literatur empfohlene Konzentration (4). Beim Johanniskraut ist die erhobene Konzentration ebenfalls tiefer als die Konzentration aus der Literatur (5). Der Unterschied in den Konzentrationen des Johanniskrautes könnte jedoch dadurch erklärt werden, dass in der Literatur die Verwendung des ganzen Krautes beschrieben wird, die Rezepte der Interviewpartner aber explizit nur mit den Blüten hergestellt wurden. Die Blüten enthalten einen höheren Anteil an Inhaltsstoffen (Hypericin, Hyperforin, Amentoflavon), die am Wundheilungsprozess beteiligt zu sein scheinen (6, 7). Von den am häufigsten beschriebenen Pflanzenarten Ringelblume, Kamille und Johanniskraut konnte die Sinnhaftigkeit der Anwendungen beim Menschen sowohl durch pharmazeutische als auch durch klinisch-humanmedizinische Forschung bestätigt werden (4), was zusammen mit den dokumentierten traditionellen Anwendungen durchaus positive Rückschlüsse auf zu erwartende Wirkungen beim Tier zulässt. Insbesondere in der Wundbehandlung weisen Pflanzenauszüge gegenüber der rein desinfizierenden oder gar antibiotischen Behandlung klare Vorzüge auf, da sie nicht nur aufgrund antimikrobieller Eigenschaften
themaVI
PHYTOTHERAPIE
1/2013
27. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 22. NOVEMBER 2012
Veterinärmedizinische Phytotherapie
Tabelle 1: Häufigkeiten der angewandten Pflanzen zur Versorgung von Wunden und Hautinfektionen (Total: 34 Rezepte)
Pflanzenname botanisch Calendula officinalis L.* Matricaria recutita L.* Hypericum perforatum L. Symphytum officinale L. Malva neglecta Wallr. Sanicula europaea L. Rumex obtusifolius L. Arnica montana L. Chenopodium bonus-henricus L. Malva sylvestris L. Picea abies (L.)H. Karst. Solidago virgaurea L.*
Pflanzenname deutsch Ringelblume Echte Kamille Echtes Johanniskraut Echte Wallwurz Weg-Malve Sanikel Stumpfblättriger Ampfer Arnika Guter Heinrich Wilde Malve Fichte Echte Goldrute
Pflanzenfamilie
Asteraceae Asteraceae Hypericaceae Boraginaceae Malvaceae Apiaceae Polygonaceae Asteraceae Chenopodiaceae Malvaceae Pinaceae Asteraceae
Verwendeter Pflanzenteil Blüte (5) Blüte (4) Blüte (4) Wurzel (4) Kraut (3) Kraut (2)/ Blätter (1) Blätter (1)/ Wurzel (1) Blüte (1) Blätter (1) Kraut (1) Exkret (1) –
Anzahl Rezepturen 7 6 4 4 3 3 2 1 1 1 1 1
*Kamillosan® in zwei Rezepturen eingesetzt, Ringelblumentinktur (Apotheke) in einem Rezept eingesetzt, Ringelblumensalbe (Apotheke) in einem Rezept eingesetzt, Heidnisch Wundkraut Salbe (Apotheke) in einem Rezept eingesetzt.
Wundinfektionen bekämpfen, sondern auch wundheilungsfördernd und -modulierend sind, das heisst sowohl dem überschiessenden als auch dem unzureichenden Heilungsprozess entgegenwirken.
Hausmittel zur Behandlung der Rinderflechte
Eine weitere wichtige Indikation im Gebiet der Haut ist die Rinderflechte. Insgesamt wurden 25 Rezepte zur Flechtenbehandlung genannt, von denen 19 Umgebungsbehandlungen (ohne direkten Kontakt zum Tier) und 6 lokale Behandlungen der veränderten Hautbereiche waren. Während die Umgebungsbehandlung überwiegend (13 von 19) von Vorfahren übermittelt wurde, war das bei keiner der lokalen Therapien der Fall. Dafür wurden 4 von 6 der letzteren Rezepturen schon mehr als 5-mal angewendet, was nur für 6 von 19 der Umgebungsbehandlungen zutraf. Die Umgebungsbehandlung bestand im Aufhängen von Schwarzdorn (Prunus spinosa L.), Weissdorn (Crataegus laevigata [POIR] DC.), Kreuzdorn (Rhamnus cathartica L.) und der Stechpalme (Ilex aquifolium L.) im Stall.Dies scheint eine weitverbreitete – wenngleich aus pharmazeutischer Sicht nicht unmittelbar nachvollziehbare – Anwendung zu sein, sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch. Daneben wurden verschiedene Öle, Salben oder Tinkturen auf die Haut aufgetragen: Lavendelöl (Lavendula angustifolia Mill.), Rapsöl oder anderes Speiseöl, Salbeitinktur (Salvia officinalis L.) oder Storchenschnabelsalbe (Geranium robertianum L.). Um die infektiöse Rinderflechte nicht zu übertragen, wurden jeweils frische Handschuhe, saubere Lappen und Wattebäusche benutzt.
1/2013
Tabelle 2: Auf dem Hof durchgeführte Extraktionen (Total: 34 Rezepte)
Pflanze
Ringelblume Echte Kamille Echtes Johanniskraut Echte Wallwurz Weg-Malve Sanikel Stumpfblättriger Ampfer Arnika Guter Heinrich Wilde Malve Fichte Echte Goldrute Total
kein 2* 2* 2
1* 7
Auszugsmittel
Wasser
Alkohol
2
4
1 2 21 1
1
1
10 5
Öl/Fett 3
4 1 1
1
1
1
12
*Kamillosan® in zwei Rezepturen eingesetzt, Ringelblumentinktur (Apotheke) in einem Rezept eingesetzt, Ringelblumensalbe (Apotheke) in einem Rezept eingesetzt, Heidnisch Wundkraut Salbe (Apotheke) in einem Rezept eingesetzt.
Tabelle 3: Verabreichungsarten der 49 Anwendungen zu den 34 Rezepturen
Pflanze
Ringelblume Echte Kamille Echtes Johanniskraut Echte Wallwurz Weg-Malve Sanikel Stumpfblättriger Ampfer Arnika Guter Heinrich Wilde Malve Fichte Echte Goldrute Total
Auftragung
6 6 2
1 1 4 2 22
Verabreichungsart
Kompresse/ Auswaschung/
Verband/
Spülung
Wickel
3
25
2 3 11
1
Bad
1 1 4 1 1
1
8 11
8
thema PHYTOTHERAPIE
VII
Veterinärmedizinische Phytotherapie
27. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 22. NOVEMBER 2012
Tabelle 4: Konzentrationen der Sekundärstoffpflanzen in den Rezepturen
Pflanzenspezies mit ≥ 4 Rezepten mit erfassbarer Konzentration
Calendula officinalis L. (5) Ringelblume Matricaria recutita L. (4) Echte Kamille Hypericum perforatum L. (4) Echtes Johanniskraut
g Drogenäquivalente in 100 g Endprodukt
Extraktion mit Wasser
0,14; 0,18; 0,40; 1,52
Extraktion mit Alkohol
0,03; 0,43
Extraktion mit Öl/ Fett
0,34; 1,82; 3,27
0,62; 1,96; 2,00; 3,00
Mittelwert (Median; MinimumMaximum)
1,18 (0,43; 0,03–3,27)
0,56 (0,29; 0,14–1,52)
1,90 (1,98; 0,62–3,00)
* 40% Ethanol, ** 90% Ethanol, *** halbfeste Zubereitungen, **** Kraut
Empfohlene Konzentration in g Drogenäquivalenten
in 100 g Endprodukt Extraktion Extraktion Extraktion mit Wasser mit Alkohol mit Öl/Fett
0,67–1,33 (4) 0,5(4)
50,00*(4) 20,00**(4)
–
– –
5,00– 10,00****(5)
–
5,00****(6)
Fur die Zukunft erscheinen klinische Stu-
dien sowohl im Bereich der Wundbehand-
lung beim Nutztier als auch zur lokalen
Therapie der Rinderflechte sinnvoll.Weiter-
gehende Untersuchungen zu den genann-
ten weniger üblichen Pflanzen könnten
ebenfalls von Interesse sein.
◆
Anschrift der Verfasserin: Monika Disler Departement Pharmazeutische Wissenschaften Universität Basel Klingelbergstrasse 50 CH-4056 Basel monika.disler@stud.unibas.ch
Literatur: ist auf Anfrage beim Verlag erhältlich.
themaVIII
PHYTOTHERAPIE
1/2013