Transkript
27. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 22. NOVEMBER 2012
Das ungehobene Potenzial der Phytotherapie in der Wundheilung
Christoph Schempp
Die Behandlung von akuten und chronischen Wunden mit verschiedenen Heilpflanzen hat eine lange Tradition in der Volksheilkunde und der Ethnomedizin. Bei der Wundbehandlung werden akute von chronischen Wunden unterschieden. Je nach Ursache wird ein Behandlungskonzept verfolgt, innerhalb dessen auch die Phytotherapie ein Baustein sein kann. Akute Wunden, wie oberflächliche Abschürfungen oder kleinere Brandwunden, haben eine hohe Spontanheilungstendenz. Vor allem ätherische Öle können hier aufgrund ihrer antibakteriellen Wirkung unterstützend eingesetzt werden. Gut dokumentierte Fälle zur wundheilungsfördernden Wirkung bei oberflächlichen Wunden liegen auch für einen Extrakt aus der Birkenrinde (Hauptwirkstoff Betulin) vor. Bei chronischen Wunden kommen viele verschiedene Ursachen infrage, die sorgfältig abgeklärt und, wenn möglich, kausal behandelt werden sollten (diabetische Ulzera, arterielle Durchblutungsstörungen, chronisch-venöse Insuffizienz, Bluthochdruck, Gefässentzündungen,Tumoren usw.). Über die Behandlung der Ursachen hinaus kommt grundsätzlich der äusserlichen Wundversorgung eine grosse Bedeutung zu. Traditionell wurden verschiedene Pflanzen differenziert zur Behandlung der verschiedenen Wundheilungsstadien eingesetzt, die im Wesentlichen den Tria Prin-
cipia der Alchemisten entsprechen: 1. Exsudatives Stadium (Sulfur): Blüte (z.B.
Johanniskraut, Calendula) 2. Granulationsstadium (Merkur): Blatt
(z.B. Spitzwegerich, Weisskohlblätter) 3. Epithelisierungsstadium (Sal): Rinde,
Wurzel (z.B. Eichenrinde, Birkenkork). Für einige traditionell verwendete Heilpflanzen existieren positive Monografien der ehemaligen Kommission E am BfArM in Deutschland beziehungsweise positive ESCOP-Monografien. Ausserdem liegen positive Einzelfallberichte und Inhaltsstoffspektren vor, die einen entsprechenden Einsatz als plausibel erscheinen lassen. Jedoch sind gute klinische Studien mit Phytotherapeutika aus dem Bereich der Wundheilung die grosse Ausnahme. Hier sollen zwei für die Wundheilung verwendete Heilpflanzen ausführlicher besprochen werden, für die in der letzten Zeit wissenschaftliche Studien und klinische
Prüfungen durchgeführt wurden. Diese lassen ein erhebliches Potenzial für die Wundbehandlung erkennen: die Birkenrinde (Betulae cortex aus Betula pendula oder Betula pubescens) und das Johanniskraut (Hypericum perforatum).
Birke (Betula pendula oder Betula
pubescens; Syn. Betula alba) Mit der Birke, genauer gesagt mit dem weissen Kork der Birke mit dem Hauptwirkstoff Betulin, einem pentazyklischen Triterpen, wurden in letzter Zeit verschiedene Studien zur wundheilungsfördernden Wirkung durchgeführt. Birkenkorkextrakt ist für die Wundbehandlung auch deshalb interessant, weil der Extrakt ein OleogelBild ist und die Herstellung einer Creme ohne Verwendung von Emulgatoren und Konservierungsstoffen ermöglicht. Das ist für die Behandlung chronischer Wunden, bei denen oft multiple Kontaktallergien
Abbildung: Stadien der Wundheilung, Tria Principia und Wundheilpflanzen.
1/2013
thema PHYTOTHERAPIE
21
27. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 22. NOVEMBER 2012
vorliegen, von Bedeutung. Es liegen verschiedene Fallserien für eine Zubereitung aus Birkenkorkextrakt vor, die eine wundheilungsfördernde Wirkung bei Brandwunden, bei Intertrigo und bei Strahlendermatitis zeigen. In einer prospektiven, randomisierten, vergleichenden Studie bei standardisierten Spalthautwunden zeigte ein Oleogel mit Birkenkorkextrakt eine signifikante Überlegenheit gegenüber der Standardwundtherapie.
Johanniskraut (Hypericum
perforatum) Das Johanniskraut wird traditionell als Johanniskrautöl für die Wundheilung verwendet. Der wichtigste fettlösliche Inhaltsstoff ist das Hyperforin, ein Phloroglucinderivat, das heute als ein Hauptwirkstoff des Johanniskrautes angesehen wird. Das Hyperforin ist eine pharmakologisch aktive Substanz mit entzündungshemmenden, antitumora-
len und die Hautregeneration anregenden Wirkungen. Darüber hinaus ist das Hyperforin ein in niedrigen Konzentrationen, vor allem im grampositiven Bereich, antibiotisch wirksamer Stoff, der auch das Wachstum multiresistenter Staphylokokken hemmt. Neuerdings wurde für eine Kombination von Johanniskrautöl und Neemöl eine gute, wundheilungsfördernde Wirkung bei verschiedenen chronischen Wunden gezeigt. Die Kombination hat eine Zulassung als Medizinprodukt und kann als Spray berührungsfrei auf verschiedene Arten von Wunden aufgebracht werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Heilpflanzen eine lange Tradition in der Behandlung akuter und chronischer Wunden haben und bereits seit Langem differenziert bei unterschiedlichen Stadien der Wundheilung eingesetzt werden. Neuere Studien mit Johanniskraut und Birkenrinde zeigen, dass das Potenzial der
Phytotherapie in der Wundheilung sehr
gross ist.
◆
Anschrift des Referenten: Prof. Dr. med. Christoph Schempp Kompetenzzentrum skintegral Universitäts-Hautklinik Hauptstrasse 7 D-79104 Freiburg i. Br. christoph.schempp@uniklinik-freiburg.de
Literatur:
Glaser H (2000) Erfolgreiche Wundbehandlung (Urachhaus).
Schempp CM et al. (1999) Lancet 353: 2129.
Leuner et al. (2010) Deutsche Apotheker Zeitung 150: 2155–2158.
Huyke C et al. (2008) Der Merkurstab 61: 370–376.
Distelrath A et al. (2010) Zeitschrift fur Phytotherapie 31: 179–184.
Metelmann HR et al. (2012) J Craniomaxillofac Surg 40: 150–154.
thema22
PHYTOTHERAPIE
1/2013