Transkript
ANLASS
Phytotherapeutika 2012
Wissensfortschritte im 21. Jahrhundert
Vom 17. bis 21. Mai 2012 fand in Wien der zweite gemeinsame Phytotherapiekongress
Ländern. Abschliessend wurde in einer Podiumsdiskussion diskutiert, ob in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Phytotherapie Wissensfortschritte erzielt worden seien.
der deutschsprachigen Länder
statt. Das Patronat des Anlas-
ses bildeten die Phytothera-
piegesellschaften von Öster-
reich, Deutschland und der
Schweiz sowie die Gesell-
schaft für Arzneipflanzenfor-
schung (GA) und die European
Scientific Cooperative on
Phytotherapie (ESCOP).
Christoph Bachmann
Reiches Programm
Im Pharmaziezentrum der Universität Wien erlebten die etwa 200 Teilnehmenden, darunter auch viele aus der Schweiz, ein dichtes Programm, das von der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie unter der Leitung des Kongresspräsidenten Dr. Heribert Pittner perfekt organisiert worden war. In verschiedenen Blöcken beleuchteten die Referate die Qualität und Qualitätsanforderungen, die Sicherheit und Wirksamkeit von pflanzlichen Arzneimitteln, die Anwendung von pflanzlichen Arzneimitteln in der Praxis sowie die Phytoforschung in den drei deutschsprachigen
Verschiedene Ellen
Während des ganzen Kongresses wurde in verschiedenen Referaten immer wieder hervorgehoben, dass in Bezug auf die Phytotherapie die Mehrheit der Ärzteschaft und die Gremien, die für die Medizin die entscheidenden Weichen stellen, mit verschiedenen Ellen messen. Die von phytotherapeutisch tätigen Forschungszentren gelieferten, allen modernen Ansprüchen entsprechenden klinischen Daten werden nicht wahrgenommen oder pauschal als mangelhaft bezeichnet. Studien über Risiken und Nebenwirkungen werden bei pflanzlichen Arzneimitteln immer wieder in den Mittelpunkt gestellt, Nebenwirkungen von synthetischen Arzneimitteln aber als unumgänglich hingestellt. In einem Referat wurde auch gezeigt, dass in den drei deutschsprachigen Ländern die Phytotherapie in Therapieguidelines für die Ärzteschaft kaum und mit abnehmender Tendenz vertreten ist, und dass Phytotherapiefachleute kaum in entsprechende Gremien aufgenommen werden. Sehr interessant war in der anschliessenden Diskussion die Anregung eines Kongressteilnehmers, Phytotherapiefachleute sollten nicht solchen Gremien nachrennen, weil das kaum Erfolg bringt, sondern eigene Phytotherapieleitlinien aufstellen, die dokumentierte Therapiemöglichkeiten mit pflanzlichen Arzneimitteln aufzeigen.
Nahrungsergänzungsmittel
Zwei weitere Referate zeigten die zunehmende Tendenz von Pharmafirmen, die ständig steigenden Anforderungen bezüglich der Registrierung von pflanzlichen Arz-
Der Kongress bot auch Gelegenheit für heitere Gespräche.
neimitteln zu umgehen und Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen. Reinhard Länger von der österreichischen Zulassungsbehörde schlug als seine persönliche Meinung vor, bei pflanzlichen Arzneimitteln sollte in Zukunft anstelle genauer Assays vielleicht eher der Weg vom Feld bis zum Extrakt genau definiert, das heisst der Herstellungsprozess genau validiert werden.
Projekt Erfahrungsdatenbank
Dr. G. Meng stellte das Projekt Erfahrungsdatenbank der Kooperation Phytopharmaka vor, an dem sich phytotherapeutisch tätige Ärzte und Ärztinnen sowie ApothekerInnen beteiligen. Ziel dieses Projektes der Versorgungsforschung ist es, von pflanzlichen Arzneimitteln vertiefte Anwendungsdaten zu gewinnen. Dabei geht es aber nicht um Wirksamkeitsnachweise, weil diese schon vorliegen, sondern um die Beschaffung von möglichst vielen Daten unter realen Bedingungen aus der Alltagsanwendung. In der nächstens beginnenden Pilotphase stehen Kinder und Jugendliche sowie schwangere Frauen im Mittelpunkt.
Phytotherapie in der Praxis
Einen wichtigen Themenblock bildete die Anwendung pflanzlicher Arzneimittel im
4/2012
thema PHYTOTHERAPIE
749
ANLASS
junktivitis haben sich pflanzliche Arzneimittel bestens bewährt. Im letzten Themenbereich stellten Vertreter der jeweiligen Länder die Phytoforschung in Österreich, Deutschland und der Schweiz vor. Für die Schweiz referierte (natürlich) Beat Meier, der das Netzwerk Phytotherapie Schweiz vorstellte.
PD Dr. Andreas Schapowal, Landquart, referiert
Praxis- und Klinikalltag. So zeigte Dr. Ulrike Kastner, Oberärztin am Wiener Kinderspital St. Anna, vielfältige pflanzliche Behandlungsmöglichkeiten in der Pädiatrie auf. Oft sind es dabei auch die Eltern, die nach solchen Therapien fragen. Weiter wies die Referentin auf die abnehmende Zahl der für Kinder zugelassenen pflanzlichen Arzneimittel hin. SMGP-Mitglied PD Dr. Andreas Schapowal stellte in seinem Referat phytotherapeutische Möglichkeiten in der HNO-Praxis vor. Vor allem in der Therapie von Atemwegsinfekten und deren Komplikationen sowie der allergischen Rhinokon-
Vernetzung
In der abschliessenden Podiumsdiskussion mit Phytotherapiefachleuten aus Praxis, Forschung, Industrie und Behörden wurden die erzielten Wissensfortschritte der letzten Jahre benannt und über den oft noch unbefriedigenden Wissenstransfer diskutiert. Auch wenn im Verlauf des Kongresses mehrmals eher pessimistische Töne angeschlagen wurden, herrschte am Schluss doch Zuversicht, dass die Phytotherapie überleben und auch in Zukunft in der Medizin eine gebührende Rolle spielen wird. Hier wie auch in verschiedenen Diskussionen war der Ruf nach mehr Vernetzung zu hören. Denn mit gebündelten Kräften kann phytotherapeutisches Wissen besser verbreitet und auf die vielen Herausforderungen optimal reagiert werden. Dabei sind vor allem die drei Phytotherapiegesellschaften gefordert.
Arzneipflanzen mit einem möglichen Potenzial im HNO-Bereich
Heurige
Am gemeinsamen Gesellschaftsabend war
«Phytotherapie spezial» angesagt, jedoch
nicht in einem Hörsaal, sondern in einem
alteingesessenen Wiener Heurigenlokal.
Dort wurde ausführlich Vitis viniferae
extractum liquidum anno 2011 getestet
und für sehr gut befunden. Wissensfort-
schritt dort: Man merkt erst nachträglich,
wie viel man getrunken hat ...
◆
Anschrift des Verfassers Dr. Christoph Bachmann Hirschmattstrasse 46 6003 Luzern c.a.bachmann@bluewin.ch
thema750
PHYTOTHERAPIE
4/2012