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26. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 17. NOVEMBER 2011
Pflanzliche versus synthetische Arzneimittel in der Geriatrie – eine Betrachtung zur Arzneimittelsicherheit aus pharmakologischer und pharmakokinetischer Sicht
Dieter Loew
Aufgrund der demografischen Entwicklung mit stetigem Anstieg der Lebenserwartung müssen sich Gesundheitspolitik und Gesetzgebung soziökonomisch sowie klinische Forschung und praktisch tätige Ärzte zunehmend mit älteren Menschen, altersassoziierten Erkrankungen und multimorbiden Patienten befassen. Weltweit stieg die Lebenserwartung seit 1840 um 2,3 Jahre pro Dekade, in Deutschland zwischen 1980 und 2002 bei Männern von 69,9 auf 75,6, bei Frauen von 76,6 auf 81,3 Jahre (15), und dürfte im Jahr 2050 bei Frauen 88,4 Jahre sowie bei Männern 85,0 Jahre betragen, bei gleichzeitigem Rückgang der Bevölkerung (2) von 82,2 Millionen auf 68,8 Millionen (-16%). Zurzeit sind zirka 8,2 Prozent > 75 Jahre alt, 2020 zirka 6,2 Prozent > 80 Jahre und 2050 zirka 10 Prozent > 80 Jahre. Zahlreiche Faktoren haben zur Lebensverlängerung beigetragen, zum Beispiel Aufklärung bezüglich gesunder Ernährung, Lebensführung, körperliche Aktivität, Ausschaltung der Risikofaktoren Rauchen, Adipositas, Alkohol, Umwelteinflüsse, äussere Ursachen, Unfälle, Früherkennung und Therapie von Erkrankungen des Herz-Kreislaufs, der Atemwege, Infektionen, Hypertonie, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung, bösartiger Tumore, Impfungen.
Physiologische Veränderungen, typische Krankheiten im Alter
Altern ist ein individueller, von ererbten beziehungsweise erworbenen Faktoren abhängiger Prozess, er beginnt mit der Geburt, setzt sich im Lebensablauf fort und endet mit dem Tod. Ab dem 30. Lebensjahr – ein Wendepunkt, an dem die Höhepunkte von Wachstum, Reife, Entwicklung erreicht sind – erfolgt der physiologische Alterungsprozess mit kontinuierlichem Ab- und Umbau physiologischer Funktionen, Degeneration inklusive Funktionseinschränkung von Organen und Geweben, verminderter Regenerationsfähigkeit, herabgesetzter Leistung und Adaptation sowie der Beeinträchtigung spezifischer und unspezifischer Abwehr. Diskutiert (1) werden verschiedene Hypothesen und Theorien (Tabelle 1). Um Risiken einer Über- oder Unterdosierung sowie Wechselwirkung zu vermeiden, hat die Arzneimitteltherapie im
Alter pharmakodynamische und pharmakokinetische Aspekte zu beachten (6–8). Altersphysiologische Veränderungen: zum Beispiel Fehl- oder Mangelernährung, Resorptionsstörung im Magen-Darm-Trakt, atrophische Gastritis, verminderte MagenDarm-Motilität, Reduktion der Resorptionsfläche durch Rückbildung von Darmzotten, Beeinträchtigung von Pharmakodynamik und Pharmakokinetik von Arzneimitteln (Tabelle 2). Altersbegleitende Erkrankungen: zum Beispiel Arteriosklerose mit Folgekomplikationen, Arthrosen, Osteoporose, Sturzfrakturen, Stoffwechselstörungen, hormonell verminderte Produktion oder veränderte Empfindlichkeit am Erfolgsorgan, reduzierte Immunantwort (Immunoseneszenz). Typische Alterskrankheiten: zum Beispiel Abnahme der Zellteilungsrate mit Altersatrophie, Funktionseinschränkung der Verdauungsorgane mit exokriner (verminderte Absorption fettlöslicher Vitamine)
Tabelle 1:
Hypothesen und Theorien des Alterns (1)
◆ Übergeordneter «Schrittmacher» steuert Alterungsprozesse. ◆ Genetische Komponente. ◆ Nachlassen, Absinken der Hormonproduktion ab dem 20. Lebensjahr, z.B. männliche,
weibliche Sexualhormone, Wachstumshormon, Steuerungshormon des Wach-SchlafRhythmus. ◆ Freie aggressive Sauerstoffradikale im Rahmen körpereigener Energiegewinnung, äussere Faktoren mit schädigendem Einfluss auf Proteine, Lipide, Membran, Mitochondrien, Enzyme, Erbinformation, Chromosome, DNA. ◆ Verzuckerung und Quervernetzung von Proteinstrukturen in Organen mit Funktionsverlust. ◆ Verkürzung der Endabschnitte der Chromosomen (Telomere) bei jeder Zellteilung maximal 50-mal mit Aufbrauchen, Absterben und Zelltod. ◆ Biophysikalische Faktoren wie Nachlassen der Windkesselfunktion der Aorta durch Verlust der elastischen Ausdehnung sowie Zusammenziehen, wodurch der rhythmisch stark pulsierende Blutausstoss nicht abgepuffert und in einen gleichmässigen Blutstrom zum Schutz von Druckschwankungen in kleineren Gefässe umgewandelt wird.
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sowie endokriner Pankreasinsuffizienz (Diabetes mellitus), Linsentrübung, Makuladegeneration, Schwerhörigkeit, Herzinfarkt, Schlaganfall, peripher-arterielle Verschlusskrankheit, Demenz, benignes Prostatasyndrom, psychosomatische Erkrankungen, Depression, Suizidalität, Krebserkrankung, Inkontinenz. Multimorbidität: Summation mehrerer Einzelerkrankungen, eingeschränkte Organreserven, Vorschäden mit Funktionseinschränkungen von Leber, Nieren, Magen-Darm, Atemwegen, Knochen durch langjährige Einnahme von Arzneimitteln zum Beispiel NSA, Kortison, Fremdstoffen, Interaktion von Arzneimitteln.
Morbiditätsprognose, Anforderungen an Arzneimittel bei älteren Patienten
Aus den Tabellen 3 und 4 gehen Hochrechnungen von Beske (2) zur Morbidität wichtiger Krankheiten bis zum Jahr 2050 hervor; beeindruckend sind die Zunahme von Makuladegeneration, Glaukom, Herzinfarkt, Schlaganfall, Osteoporose, Oberschenkelhalsfraktur, Kolonkarzinom, Prostatakarzinom. Aufgrund physiologischer, pharmakologischer und pharmakokinetischer Besonderheiten im Alter sollte die Anwendung von Arzneimitteln (Tabelle 5) kritisch überprüft werden (6, 8). Zur Prophylaxe und Therapie kommen chemisch-definierte und pflanzliche Arzneimittel als Monopräpaprate beziehungsweise als begründete fixe oder Ad-hoc-Kombinationen infrage, wobei pflanzliche Extrakte gleich synthetischen sowie nach nationalen und europäischen Richtlinien auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft sind. Im Gegensatz zu Synthetika sind Phytopharmaka komplexe Mehrstoffgemische mit wirksamkeitsrelevanten, agonistischen, synergistischen, komplementären, noch unbekannten Strukturen sowie nach Entfernung antagonistischer und toxisch relevanter Inhaltsstoffe. Sie besitzen multiple pharmakophore Gruppen, wirken eher unselektiv an mehreren Targets (Pleiotropie) und haben durch mehrere Einzeleffekte ein breites Wirkprofil mit weniger wirkungsmechanistisch bedingten Nebenwirkungen. Als Naturstoffe unterscheiden sie sich pharmakokinetisch von den Synthetika und sind im Alter – sieht man von wenig klinisch relevanten Interaktionen, zum Beispiel bei Johanniskraut, ab – weitgehend unproblematisch mit weniger
Tabelle 2:
Physiologische Veränderungen im Alter
◆ Hämatokrit, Viskosität ⇑ durch Flüssigkeitsmangel infolge reduzierten Durstgefühls. ◆ Intrazellularflüssigkeit ⇓ von 42 Prozent auf 33 Prozent, Extrazellularflüssigkeit bleibt
bei zirka 20 Prozent. ◆ Serumkreatinin ⇑, Kreatininclerance ⇓ (normal 120 ml/min) > 45. Jahr Verringerung um
zirka 8 ml/min/1,73 m2 pro Dekade. ◆ Fettgewebe ⇑ von 15 Prozent bei 25-Jährigen auf 30 Prozent bei 75-Jährigen mit Spei-
cherung lipophiler Arzneimittel. ◆ Albuminsynthese ⇓ zirka 20 Prozent bei 80-Jährigen, Proteinbindung ⇓, Assoziation,
Dissoziation an Bindungsstellen verändert, freier Arzneimittelanteil ⇑. ◆ Hepatische Clearance ⇓ durch geringeren Leberblutfluss. ◆ Enzymatische Kapazität der CYP 450-Isoenzyme ⇓. ◆ Abnahme der Skelettmuskulatur (Sarkopenie), relativer Organgewichte von Milz,
Leber, Niere. ◆ Abnahme von Dichte und Zahl spezifischer und unspezifischer Rezeptoren. ◆ Veränderungen der Transitstrecke zum Erfolgsorgan mit Bindung an Rezeptoren. ◆ Verdickung der Gefässintima, Zunahme von Kollagen, Elastin, Glukosaminglykanen,
Kalzium. ◆ Wechselwirkungen durch Begleitmedikation infolge Polypragmasie.
Tabelle 3:
Auswahl von Krankheitsraten bis 2050 pro 100 000 Einwohner und prozentuale Änderung zu 2007 (2)
Krankheit Herz-Kreislauf
Herzinfarkt (neu/Jahr) Schlaganfall (neu/Jahr) Lunge COPD Pneumonie Psychische Störungen Demenz Demenz neu/Jahr Bewegungsapparat Osteoporose Oberschenkelfraktur Auge/Ohr Makuladegeneration Schwerhörigkeit
2007
381 226
7829 1407
1300 349
10 068 143
864 10 653
2030
575 (+51%) 330 (+46%)
10 259 (+31%) 2519 (+79%)
2092 (+61%) 568 (+63%)
13 209 (+31%) 215 (+51%)
– 13 937 (+31%)
2050
797 (+109%) 438 (+94%)
11 533 (+47%) 4197 (+198%)
3175 (+144%) 889 (+155%)
15 131 (+50%) 321 (+125%)
2327 (+169%) 16 294 (+53%)
schweren Nebenwirkungen. Zu den Indikationen zählen weniger akute, schwere Erkrankungen als mittelschwere bis leichte, besonders chronische Beschwerden (7). Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sind unter anderem von physikalischen Stoffeigenschaften, pharmazeutischer und biopharmazeutischer Qualität, Resorption und Pharmakokinetik abhängig. Worin liegt die Besonderheit pflanzlicher Extrakte und wie sicher sind sie für ältere Patienten?
Pharmazeutische und biopharmazeutische Aspekte
Wichtig für die Resorption wirksamer Inhaltsstoffe aus dem Extrakt sind Freisetzungsverhalten, Löslichkeit und Permeabilität durch biologische Membranen. Da es sich bei Phytopharmaka in der Regel um schnell freisetzende Darreichungsformen handelt, werden hydrophile, lösliche Inhaltsstoffe allgemein schnell und weitgehend vollständig resorbiert. Flüssige Dar-
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reichungsformen wie Frischpflanzenpresssäfte, Tinkturen, Flüssigextrakte oder Tees sind unproblematisch und unabhängig von pH-Bereichen zum Beispiel bei Patienten mit atrophischer Gastritis, bei Einnahme von H2-Antagonisten, Protonenblockern oder Antazida. Feste Darreichungsformen wie Tabletten, Filmtabletten, Kapseln oder Dragees mit wässrigen, wässrig-ethanolischen oder lipophilen Trockenextrakten sind weniger gut löslich, sodass die Bioverfügbarkeit wesentlich vom Freisetzungsverhalten in verschiedenen Milieus und der Inhaltsstruktur abhängt (3). Phenolische Verbindungen wie Flavonoide oder Catechine enthalten meist mehrere Hydroxylgruppen und dissoziieren leicht, während einfache oder komplexe terpenoide Einzelstrukturen häufig lipophil und im hydrophilen Milieu des Magen-Darms weniger löslich sind. Entscheidend für Ausmass und Geschwindigkeit der Bioverfügbarkeit ist die galenische Form, wie aus dem Vergleich verschiedener Mariendistelpräparate trotz gleicher Extraktmenge und Applikationsbedingung hervorgeht (12). Viele pflanzliche Extrakte liegen in flüssiger Darreichungsform vor und bieten sich bei älteren Menschen mit Schluckstörung und schlechter Compliance für feste Arzneimittel an.
Klinisch-pharmakokinetische Aspekte im Alter
Resorption: Eine Vielzahl pflanzlicher Inhaltsstoffe liegen in Extrakten als inaktive Vorstufen in Form von Glykosiden (Prodrugs) vor und werden erst nach Spaltung durch Beta-Glykosidasen im Darmlumen beziehungsweise Konjugation der Aglykone mit Glukuronsäure in Darmepithel zellen resorbiert. So werden Salicylalkoholderivate der Weidenrinde intestinal durch Beta-Glukosidasen zu Glukose und Salicylalkohol hydrolysiert, nach Resorption im Blut beziehungsweise in der Leber zu Salicylsäure, und zu gleichen Metaboliten wie Acetylsalicylsäure abgebaut und renal ausgeschieden (11). Die in Meerrettichwurzel und Kapuzinerkresse vorkommenden Senföle liegen als Glucosinolate vor, werden enteral durch Myrosinase enzymatisch in wirksame Benzylsenf-Öle und Glukose gespalten, im Dünndarm fast vollständig und schnell resorbiert, gelangen in die Lunge und werden renal ausgeschieden. Das Hydrochinonglykosid Arbutin wird in unteren Darmabschnitten mikrobiell
Tabelle 4:
Auswahl von Krankheitsraten bis 2050 pro 100 000 Einwohner und prozentuale Änderung zu 2007 (2)
Krankheit Niere
Insuffizienz (Dialyse) Insuffizienz (Dialyse neu) Krebskrankheiten Neuerkrankungen/Jahr Brustkrebs neu/Jahr Prostatakrebs neu/Jahr Darmkrebs neu/Jahr Lungenkrebs neu/Jahr
2007
87,7 23,0
562 140 157 95 60
2030
109,8 (+25%) 30 (+28%)
752 (+34%) 163 (+16%) 231 (+47%) 133 (+40%) 82 (+36%)
2050
124 (+41%) 34 (+46%)
856 (+52%) 169 (+20%) 260 (+66%) 158 (+67%) 90 (+51%)
Tabelle 5:
Zu erfragende Kriterien für die Pharmakotherapie im Alter
◆ Besteht eine begründete Verordnungsfähigkeit? ◆ Wird das richtige Arzneimittel bei Multimorbidität verordnet? ◆ Sind Pharmakokinetik und Pharmakodynamik verändert? ◆ Bestehen Arzneimittelinteraktionen? ◆ Sind Dosisänderungen erforderlich? ◆ Bedarf es der Dauertherapie, oder reicht symptomorientierte Intervalltherapie aus? ◆ Kann ein Arzneimittel abgesetzt werden? ◆ Bedarf es der Polypharmakotherapie? ◆ Ist mit höheren Raten von Nebenwirkungen zu rechnen? ◆ Ist die Compliance gewährleistet? ◆ Bestehen geschlechtsspezifische Unterschiede bei Arzneimitteln? ◆ Sind gleich wirksame Phytopharmaka eine Alternative zu Synthetika?
durch Beta-Glukosidasen in das Aglykon Hydrochinon und Glukose hydrolisiert, nach Resorption und Glukuronidierung beziehungsweise Sulfatierung als konjugiertes Hydrochinon renal eliminiert, wo durch Beta-Glukuronidasen von Mikroorganismen in den ableitenden Harnwegen das antibakteriell wirkende Hydrochinon entsteht (13, 14). Das experimentell nur nach systemischer und nicht oraler Gabe kapillarabdichtende Rutin (3-Rutinosid des Quercetin) besitzt eine schlechte Bioverfügbarkeit, wird durch die intestinale Darmflora zu mehreren Metaboliten abgebaut, an Glukuronsäure oder Schwefelsäure konjugiert und ist in Serum und Urin nur in Spuren nachweisbar (9, 10). Biotransformation: Ein wichtiger Unterschied von Phytopharmaka zu Synthetika liegt in der Biotransformation. Xenobiotika werden allgemein in der Leber über CYP-450-Isoenzyme entgiftet und zur renalen Ausscheidung befähigt. Im Gegensatz zu Synthetika mit wenig Hydroxylgruppen
werden pflanzliche Glykoside in der Regel als Aglykone resorbiert und müssen nicht in Phase I oxidiert, reduziert oder hydroxyliert, sondern in Phase II nur noch glukuronidiert oder sulfatiert werden. Neben der Entgiftung kann es auch zur Giftung kommen. Am bekanntesten ist die Bildung des hepatoxischen Metaboliten N-Acetylchinonimin durch > 10 g Paracetamol nach Erschöpfung der Glutathionspeicher. Von Arzneipflanzen sind nur wenige bekannt, aus denen biotransformatorisch toxische, genotoxische und mutagene Strukturen entstehen. Das mutagene und kanzerogene Potenzial von Quercetin ist widerlegt, da es sich um In-vitro-Befunde handelt und in vivo keine genotoxischen und kanzerogenen Eigenschaften nachgewiesen wurden (4). Experimentell in vitro ermittelte toxische, mutagene, karzinogene Daten sind mit Vorsicht zu behandeln. Bisher sind von zugelassenen Phytopharmaka keine toxischen Metaboliten beziehungsweise mutagene und karzinogene Effekte be-
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Tabelle 6: Phytopharmaka als Alternative zu Synthetika bei älteren Patienten
Indikation Chron. Herzinsuffizienz NYHA II
Chron. Herzinsuffizienz NYHA II–III Unruhe, Schlafstörung Leichte und mittelschwere Depression Hirnleistungsstörung Periphere arterielle Verschlusskrankheit Reizmagen-Reizdarm-Syndrom Benignes Prostata-Syndrom Klimakterische Beschwerden Spannungskopfschmerz Arthrosen, Wirbelköper-Syndrom, Myalgie
Chemisch-definierte Substanz Diuretika, Betablocker, ACE-Hemmer AT1-Antagonisten
Diuretika, Betablocker, ACEHemmer, AT1-Antagonisten, Digitalis Hypnotika, Benzodiazepine Tri-, Tetrazyklika, SSRI, SNRI, SSNRI, MAO-Hemmer Acetylcholinesterase Hemmer, Memantin,
Buflomedil, Naftidrofuryl, Pentoxifyllin
Metoclopramid, Domperidon, Alizaprid
α-Rezeptorenblocker, α-Reduktasehemmer
Östrogene, Gestagene
ASS, Paracetamol nichtsteroidale Antiphlogistika, Analgetika, Myotonolytika
Pflanzliches Arzneimittel Crataegus Blätter mit Blüten Dosis: 3 x 300 beziehungsweise 2 x 450 mg Standard, statt Digitalis Crataegus Blätter mit Blüten Baldrian, Baldriankombination Hypericum-Extrakt Dosis: 3 x 300 mg, 2 x 450 mg, 1 x 900 mg Ginkgo-biloba-Extrakt Dosis 240 mg/Tag Ginkgo-biloba-Extrakt Dosis 240 mg/Tag Iberogast®, Pfefferminzöl, Pfefferminzöl + Kümmelöl Sägepalme, Brennesselwurzel, Roggenpollen, Kürbissamen Cimicifuga-Wurzelstock, sibirischer Rhabarber lokal 10-prozentiges Pfefferminzöl Teufelskralle, Weidenrinde, Capsicum
kannt. Problematische Fraktionen lassen sich durch spezielle Herstellungsverfahren eliminieren, zum Beispiel Ginkgolsäure, Pyrrolizidinalkaloide, Coptosin, Chelerythin, Sanquinarin. Elimination: Sieht man von Tubulusirritationen nach hoch dosiertem Wacholderöl und Senföl (Albuminurie) ab, sind von pflanzlichen Extrakten keine glomerulotoxische oder tubulotoxische Schädigung, interstitielle Reaktionen oder Kumulation durch eingeschränkte Nierenfunktion bekannt. Interaktion: Vielfach wurden in vitro und bedingt in vivo pharmakokinetische Interaktionen von Phytopharmaka, aber auch von Lebensmitteln mit Arzneimitteln über CYP-450-Isoenzyme oder die Exprimierung des Aufnahme- und Effluxtransporters Glykoprotein (gp-P) im Darm nachgewiesen. Das Glykoprotein ist eine wichtige Determinante für die Bioverfügbarkeit. In der Zellmembran lokalisiert, begrenzt es die Aufnahme beziehungsweise steigert es die Elimination von Xenobiotika aus Hepatozyten, renalen Tubuli und intestinalen Zellen. In-vitro-Methoden ergeben oft falschpositive oder falschnegative Ergebnisse, da biotransformatorisch in vivo gebildete Metaboliten unberücksichtigt bleiben, weshalb
Vorhersagen aus In-vitro-Daten wegen einer Vielzahl von Einflussfaktoren unsicher sind. Weiterhin ist nicht die geprüfte Einzelfraktion, sondern der eingesetzte Extrakt aussagekräftig, und Daten aus Akutversuchen sind nicht zwangsläufig auf langfristige Anwendung übertragbar. Die klinische Relevanz muss für jeden Einzelfall bewertet werden. Dosisanpassung: Entscheidend für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels ist der frei wirksame Arzneimittelanteil. Da im Alter häufig eine Hypalbuminämie besteht, geht diese mit der Gefahr von Überdosierung, Wechselwirkung und Nebenwirkungen einher. Bei pflanzlichen Arzneimitteln ist die Proteinbindung im Gegensatz zu Synthetika mässig bis gering, sie liegt bei 60 bis 80 Prozent, weshalb bei Hypalbuminämie kaum die Gefahr der Überdosierung und Wechselwirkung durch Verdrängung eines anderen Arzneimittels aus der Proteinbindung besteht.
Phytopharmaka als Alternative zu problematischen Synthetika im Alter
In der 2010 im «Deutschen Ärzteblatt» publizierten vorläufigen PRISCUS-Liste sind
potenziell inadäquate Medikationen (PIM) für ältere Menschen aufgeführt (5). Die Liste wurde nach einer zwei Runden umfassenden, strukturierten Expertenbefragung nach der Delphi-Methode erstellt. Für ältere Menschen wurden 83 Arzneistoffe aus 18 Stoffklassen als potenziell inadäquat, 46 als fraglich und 26 als unbedenklich eingestuft und mögliche Alternativen aufgezeigt. Bedauerlicherweise wurden Phytopharmaka nicht berücksichtigt, obwohl sie für gleiche Indikationen mit weniger wirkungsmechanistischen Nebenwirkungen zugelassen sind. Tabelle 6 enthält pflanzliche Extrakte als Alternative zu Synthetika, wobei letztlich die Arzneimittelauswahl der ärztlichen Therapiefreiheit und Erfahrung obliegt.
Pharmakologische, pharmakokinetische Empfehlungen für die tägliche Praxis
Die Zunahme älterer Menschen sowie multimorbider Patienten stellt die Gesundheitspolitik vor sozioökonomische und die klinische Forschung vor bisher vernachlässigte Probleme. Es stellen sich unter anderem Fragen zur begründeten Verordnungsfähigkeit, der richtigen Arzneimittelauswahl bei Multimorbidität, zu Verände-
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rungen von Pharmakodynamik, zur Pharmakokinetik im Alter, Interaktionen bei Polypharmakotherapie, zu altersangepasster Dosis, Arzneimittelsicherheit und Compliance. Auf einige dieser Fragen wird aus klinisch-pharmakologischer und pharmakodynamischer Sicht eine Antwort gegeben. Pflanzliche Arzneimittel erfüllen wie chemisch-definierte Substanzen nationale und internationale Anforderungen an Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Als komplexe Mehrstoffgemische mit wirksamkeitsrelevanten, agonistischen, synergistischen, komplementären, zum Teil unbekannten und nach Entfernung toxisch relevanter Fraktionen besitzen sie multiple pharmakophore Gruppen, wirken eher unselektiv an mehreren Targets (Pleiotropie) und entfalten durch Addition mehrerer Einzeleffekte ein breites Wirkprofil mit weniger wirkungsmechanistisch bedingten Nebenwirkungen. Als Naturstoffe unterscheiden sie sich pharmakokinetisch im Hinblick auf Resorption, Biotransformation, Proteinbindung und Elimination von den Synthetika und sind im Alter – sieht man von wenigen klinisch relevanten Interaktionen, zum Bei-
spiel bei Johanniskraut, ab – weitgehend un-
problematisch mit weniger Nebenwirkun-
gen und damit eine Alternative zu potenziell
inadäquaten Synthetika.
◆
Anschrift des Referenten: Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dieter Loew Am Allersberg 7 D-65191 Wiesbaden Fax: 0049 611 9545099
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