Transkript
FORSCHUNG
Rhodiola rosea gegen Stress
Klinische Daten beweisen Wirksamkeit von Rosenwurz
Obwohl Rhodiola rosea vor al-
lem in Russland, aber auch in
anderen Ländern schon seit
Langem verwendet wird,
ist die Wissenschaft erst in
den letzten Jahren auf diese
Arzneipflanze aufmerksam
geworden. Der vorliegende
Artikel stellt zwei Studien
(1, 2) vor, die sich mit der
Wirksamkeit von Rhodiola
rosea befassten.
Christoph Bachmann
Einleitung
In der Volksmedizin wurde Rosenwurz, so der deutsche Name, gegen Ängstlichkeit, Depressionen und Schlaflosigkeit verwendet. In Russland und Skandinavien ist die Pflanze schon seit Jahrhunderten für medizinische Zwecke im Gebrauch, in der tibetischen und chinesischen Medizin noch viel länger.
Bystritsky et al. 2008
Das Ziel der Studie von Bystritsky et al. war, klinische Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit von Rhodiola rosea in der Behandlung der generalisierten Angststörung (generalized anxiety disorder, GAD) zu erhalten. Dabei handelt es sich um eine re-
lativ verbreitete Krankheit, die eine Lebensprävalenz von 5 bis 7 Prozent aufweist und die betroffene Patienten psychisch entkräftet.
Design
In die zehnwöchige Studie wurden 10 Probanden eingeschlossen. Dabei wurden folgende Auswahlkriterien angewendet: ◆ ambulante Männer oder Frauen, 18 bis
64 Jahre alt ◆ DSM-IV-Diagnose GAD ◆ Hamilton Anxiety Rating Scale ≥ 16 ◆ Hamilton Depression Rating Scale ≥ 17
(21-Punkte-Skala) ◆ keine andere psychische Störung oder
neurologische Beschwerden ◆ keine Alkohol- und/oder Drogenpro-
bleme ◆ keine Suizidalität ◆ keine anderen schwerwiegenden Pro-
bleme, die die Durchführung der Studie behindern könnten. Von den ursprünglich 17 rekrutierten Kandidaten musste je einer wegen psychiatrischer Komorbidität und wegen verbotener Komedikation ausgeschlossen werden.Von den 10 Probanden, die zur Studie zugelassen wurden, nahmen 2, in Überstimmung mit dem Studiendesign, zweimal wöchentlich ein Benzodiazepin ein. Nach der Rekrutierung und der Baseline-Visite begann die zehnwöchige, offene Behandlung. Anschliessend folgte eine 30-tä-
Abbildung: Rhodiola rosea, Rosenwurz, Crassulacee (Dickblattgewächse) Verbreitung: in feuchten und trockenen Gebieten der arktischen Regionen
Kasten 1: Das Studienpräparat Das Studienpräparat bestand aus Tabletten, von denen jede 170 mg Rhodiola-rosea-Extrakt enthielt, der auf 30 mg der folgenden Inhaltsstoffe standardisiert ist: Rosavin, Rosarin, Salidroside, Rosin, Rhodalgin, Acetylrhodalgin, Rosaridin und Rosaridol.
Tabelle 1: Durchschnittliche Verbesserung der psychischen Parameter im Verlauf der Studie
Zeitpunkt/Test Baseline Studienende Verbesserung p
HARS 23,40 ( ± 6.0) 14,10 ( ± 8.06) 9,30 0,01
HDRS 8,50 ( ± 2,54) 5,30 ( ± 2,54) 3,20 0,001
FDADS 68,70 ( ± 6,7) 53,90 (± 7,2) 14,80 0,043
CGI-I 2,8
thema790
PHYTOTHERAPIE
5/2011
FORSCHUNG
gige Beobachtungsphase zur Evaluation der Sicherheit. Neben der Baseline-Visite fanden am Ende der Behandlungswochen 3, 6 und 10 weitere Visiten statt. Die Probanden erhielten bei Baseline das Studienpräparat (vgl. Kasten 1) mit der Anweisung, täglich am Morgen und am Abend je 1 Tablette einzunehmen. Für die Studie wurden folgende psychiatrische Untersuchungsmethoden verwendet: ◆ Hamilton Anxiety Rating Scale (HARS) ◆ Hamilton Depression Rating Scale
(HDRS) ◆ Clinical Global Impression Scale (CGIS):
zur Ermittlung des Schweregrades einer Erkrankung ◆ Clinical Global Impressions of Improvement (CGI-I): mit Beginn in der Woche 2. Die Probanden führten selbstständig die Four Dimensional Anxiety and Depression Scale (FDADS) durch, eine Selbstbeurteilung mit 20 Kriterien zur Ermittlung der Symptome von Angst und Depression.
Resultate
Alle Resultate wurden statistisch ausgewertet. Alle 10 Probanden beendeten die zehnwöchige Behandlung. Die durchschnittliche Verbesserung der verschiedenen psychischen Parameter sind in Tabelle 1 aufgeführt. Die Verbesserung von HARS, HDRS und FDADS zwischen Baseline und Studienende erwiesen sich als signifikant. Bei Studienende wurde bei 5, also bei der Hälfte der Probanden, eine Verbesserung auf der HARS von mindestens 50 Prozent festgestellt. Gemäss den Vorgaben erfüllten sie damit das Kriterium für Behandlungsresponder. 4 Probanden erreichten 1 oder 2 Punkte auf der CGI-I und eine Verbesserung auf der HARS von ≤ 8. Damit sind die Kriterien der Remission erfüllt. 2 Probanden erfüllten die Kriterien für eine minimale Verbesserung der CGI-I. Unerwünschte Ereignisse (AE), die bis 30 Tage nach Studienende verfolgt wurden, waren alle mild bis moderat, kein Proband brach die Studie wegen AE ab. Die registrierten AE beinhalteten Schwindel und Mundtrockenheit.
Diskussion
Die vorliegende Studie belegt die anxiolytische Wirksamkeit von Rhodiola rosea. Die Studie wurde jedoch ohne Plazeboarm
Kasten 2: Das Studienpräparat
Das Studienpräparat enthielt 144 mg Rhodiola-rosea-Extrakt SHR-5 mit einem DrogenExtrakt-Verhältnis von 4,1. Als Extraktionsmittel wurde 70-prozentiger Alkohol verwendet. Die Tabletten wurden auf einen Gehalt von 4,0 mg Rhodiolosid/Tablette standardisiert.
Tabelle 2:
Testresultate vor und nach der Behandlung Durchschnittliche Werte und Standardabweisung der verschiedenen Tests
Behandlungsgruppe (n = 29)
vor Behandlung nach Behandlung
Wert SD
Wert SD
PNS 4,27 0,54 4,01 0,58
PH 36 40,94 12,56 43,63 11,74
MH 36 27,30 11,24 32,79 12,28
MADRS 19,17 7,66 15,66 7,93
Plazebogruppe (n = 30)
vor Behandlung nach Behandlung
Wert SD
Wert SD p
4,33 0,56 4,26 0,51 0,047
45,58 10,65 44,83 11,44 0,056
23,10 9,43 30,99 9,14 0,33
21,72 6,58 17,40 8,28 0,64
PNS: Pines’ Burn-out Scale; PH 36: Physical Health (SF-36); MH 36: Mental Health (SF-36); MADRS: Montgommery-Asberg Depression Rating Scale
durchgeführt. Trotzdem stimmt die durchschnittliche Verbesserung von 9,3 auf der HARS mit der Verbesserung anderer klinischer Studien überein, die mit anderen Wirkstoffen durchgeführt wurden und eine Verbesserung von 6,01 bis 9,3 zeigten (3). Und die Verbesserung übertrifft die durchschnittliche Plazeboverbesserung von 7,3, die man in Metaanalysen solcher klinischer Studien antrifft (4). Trotzdem braucht es weitere Studien, um objektiv herauszufinden, ob Rhodiola rosea eine anxiolytische Wirkung besitzt. Dies ist auch durch die geringe Probandenzahl bedingt. Trotzdem scheint Rhodiola rosea die Symptome von GAD zu reduzieren. Dazu kommt noch der Vorteil des günstigen Nebenwirkungsprofils. Daher scheint die Arzneipflanze für Patienten geeignet zu sein, die die bekannten Nebenwirkungen herkömmlicher Antidepressiva und Anxiolytika vermeiden möchten.
Olsson et al. 2009
Hier handelt es sich um eine klinische randomisierte, plazebokontrollierte Parallelgruppenstudie. Ziel war, die Wirksamkeit von Rosenwurz bei stressbedingter Müdigkeit zu überprüfen und ihre Wirkung auf Aufmerksamkeit, Lebensqualität und Depression zu untersuchen. Zur Überprüfung der Wirkung gegen Stress und Müdigkeit wurde der Cortisolgehalt im Speichel gemessen.
Studiendesign
Als Probanden wurden 60 Personen im Alter von 20 bis 55 Jahren mit der Diagnose «Müdigkeitssyndrom» (ICD F43.8A) mit genau definiertem Verlauf gesucht, die den genau festgelegten Einschluss- und Ausschlusskriterien entsprachen. Diese 60 Probanden wurden entweder in die Verumgruppe (3 Männer und 27 Frauen) oder in die Plazebogruppe (30 Personen mit zufällig der gleichen Anzahl Männer und Frauen) randomisiert.
Verlauf
Die Probanden erhielten entweder das Studienpräparat (Kasten 2) oder identisch aussehende Plazebotabletten, von denen sie während 28 Tagen am Morgen und am Mittag je 2 Tabletten einnahmen. Vor dem ersten und nach dem letzten Einnahmetag wurde mit den Probanden der Conners’ Computerised Continuous Performance Test II (CCPT II) durchgeführt. Die Probanden entnahmen bei Erwachen sowie 15, 30 und 60 Minuten später eine Speichelprobe zur Bestimmung des Cortisolgehaltes.
Zielvariablen
Primäre Zielvariable war die Verminderung der Müdigkeit, die mit der Pines’ Burn-out Scale (PNS) bestimmt wurde (5). Die Verminderung der Depression wurde mit der Montgommery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS) (6) erfasst. Die Lebensqua-
5/2011
thema PHYTOTHERAPIE
791
FORSCHUNG
lität wurde mit dem SF-35-Fragebogen bestimmt (7).
Resultate
Alle Resultate wurden statistisch ausgewertet. Tabelle 2 zeigt die Resultate der verschiedenen Tests, die vor und nach der Studienbehandlung durchgeführt wurden. Ein signifikanter Gruppenunterschied zwischen Behandlungs- und Plazebogruppe liess sich bei der Pines’ Burn-out Scale zugunsten der Behandlungsgruppe feststellen (p = 0,047). Beim Physical-Health-Test konnte eine Tendenz zugunsten der Behandlungsgruppe ermittelt werden. Hier wurde fast Signifikanz erreicht. Eine Auswertung des CCPT II in Bezug auf Interaktionen zwischen Zeit und Gruppe zeigte für die Behandlungsgruppe eine positivere Veränderung als für die Plazebogruppe auf. Beim Cortisolgehalt im Speichel wurde eine positive Wirkung für die Behandlungsgruppe festgestellt. Hier stieg der Gehalt vor der Behandlung im Verlauf der Probeentnahmen nach dem Erwachen viel stärker an als nach der Behandlung, und die Gesamtkonzentration vor der Behandlung war wesentlich höher als nach der Behandlung. In der Plazebogruppe waren diese Unterschiede wesentlich geringer. Es wurden keinerlei unerwünschte Wirkungen festgestellt.
Rosenwurzpräparate in der Schweiz
Vitango®
Rhodiolae radicis et rhizomae extractum ethanolicum siccum, DER: 1,5–5:1, 200 mg
Schwabe Pharma AG
Krankenkassenkategorie: Negativliste
Tagestherapiekosten (wirtschaftlichste Packung): Fr. 1.09
Diskussion
Die Resultate der vorliegenden Studie dokumentieren eine positive Wirkung auf stressbedingte Müdigkeit, Aufmerksamkeit und den Cortisolgehalt im Speichel nach dem Erwachen. Weiter scheint die hemmende Wirkung von Rhodiola rosea auf den Cortisolspiegel im Speichel zu einer Verbesserung kognitiver Funktionen zu führen. Damit ist diese Studie die erste, die diese Wirkungen bei stressbedingter Müdigkeit belegt, ebenso die positive Wirkung auf stressbedingten Cortisolgehalt im Speichel. Dies wird als eine Schlüsselwirkung der Phytoadaptogene betrachtet (8, 9). Daraus kann geschlossen werden, dass Rosenwurz als Adaptogen die Aufmerksamkeit und Ausdauer bei stressbedingter Müdigkeit und anderer Beschwerden verbessern kann.
Zusammenfassung
Die beiden Studien belegen die Wirksamkeit von Rhodiola rosea, Rosenwurz, bei stressbedingten Beschwerden wie Ängstlichkeit, depressiver Verstimmung und Müdigkeit. Die Studie von Bystritsky et al. ist eine offene Studie, hat also keinen Plazeboarm. Daher könnte man die hier beobachtete Verbesserung als Plazebowirkung bezeichnen. Die Autoren der Studie weisen aber mit Recht darauf hin, dass die Verbesserung in ihrer Studie die durchschnittliche Plazeboverbesserung solcher klinischer Studien sehr deutlich übertrifft. Die zweite hier beschriebene Studie von Olsson et al. weist gegenüber Bystritsky et al. den Vorteil auf, dass es in dieser Studie eine Plazebokontrolle gibt und die Studie mit wesentlich mehr Probanden durchgeführt wurde, als es bei Bystritsky et al. der Fall war. Auch in der zweiten Studie wurden international anerkannte Bewertungsinstrumente verwendet, um den Zustand der Probanden zu überprüfen. Ausserdem wurde hier bei den Probanden auch der Cortisolgehalt im Speichel gemessen. Dieser ist ein anerkannter Stressparameter. Auch wenn noch weitere Studien nötig sind, so belegen die beiden Studien doch
deutlich, dass mit Rhodiola rosea eine Arzneipflanze zur Verfügung steht, die bei verschiedenen stressbedingten Symptomen eine valable Alternative zu den üblich verordneten synthetischen Arzneimitteln bildet. ◆
Anschrift des Verfassers Dr. Christoph Bachmann Hirschmattstrasse 46 6006 Luzern c.a.bachmann@bluewin.ch
Literaturreferenzen:
1. Bystritsky A., Kerwin L., Feusner J.D.: A Piolt Study of Rhodiola rosea (Rodax®) für Generalized Anxiety Disorder (GAD), The Journal of Alternative and Complementary Medicine 2008(2); 14: 175–180.
2. Olsson E.M.G., von Scheele B. Panossian A.G.: A Randomised, Double-Blind, Placebo-Controlled, Parallel-Group Study of the Standardised Extract SHR5 of the Roots of Rhodiola rosea in the Treatment of Subjects with Stress-Related Fatigue, Planta Med 2009; 75: 105–112.
3. Kobak et al.: St John’s wort versus placebo in obsessive-compulsive disorder: results from a doubleblind study, Int Clin Psychopharmacol 2005; 20: 299–304.
4. Stein D.J. et al.: Which factors predict placebo response in anxiety disorders and major depression? An analysis of placebo-controlled studies of escitalopram, J Clin Psychiatry 2006; 67; 1741–1746.
5. Pines A., Aronson E., Kafry D.: Burnout: from tedium to personal growth, New York: Free Press; 1981.
6. Montgomery S.A., Asberg M.: A new depression scale designed to be sensitive to change, Br J Psychiatry 1979; 134: 382–389.
7. Sullivan M., Karlsson J., Ware J.: The Swedish SF36 health survey – I. Evaluation of data quality, scaling assumptions, reliability and construct validity across general populations in Sweden, Soc Sci Med 1995; 41: 1349–1358.
8. Panossian A.G.: Adaptogens: Tonic herbs for fatigue and stress, Altern Compliment Therapies 2003; 9: 327–32
9. Panossian A. et al.:The adaptogens Rhodiola and Schizandra modify the response to immobilization stress in rabbits by suppressing the increase of phosphorylated stress-activated protein kinase, nitric oxide and cortisol, Drug Target Insights 2007; 1: 39–54.
thema792
PHYTOTHERAPIE
5/2011