Transkript
FORSCHUNG
Anxiolytische Wirkung einer Baldrian-Melisse-Kombination
Wirksamkeit bei laborinduziertem Stress
Der folgende Beitrag ist die
Zusammenfassung einer Stu-
die, die die anxiolytische
Wirksamkeit einer handelsüb-
lichen Kombination aus Bal-
drian und Melisse bei labor-
induziertem Stress belegt.
Christoph Bachmann
Einleitung
Baldrian (Valeriana officinalis) und Melisse (Melissa officinalis) sind zwei Arzneipflanzen mit einer langen volksmedzinischen Tradition. Ihre Anwendung beruht auf ihrer milden beruhigenden, anxiolytischen und sedativen Wirksamkeit. Baldrian kann auch bei leichten Schlafstörungen eingesetzt werden. Da die beiden Arzneipflanzen sehr oft zusammen verkauft werden, wurde die vorliegende doppelblinde, plazebokontrollierte Cross-Over-Studie1 angelegt, um die Wirksamkeit dieser Kombination bei laborinduziertem Stress zu überprüfen.
Methode
Je 12 Frauen und Männer (23,48, ± 5,3 Jahre) nahmen (freiwillig) an der Studie teil und erhielten täglich 9 Kapseln, die zusammen 600 mg, 1200 mg oder 1800 mg des Studienpräparates oder Plazebo enthielten. Die Probanden folgten nach einer 7-tägigen Wash-Out-Phase während 5 Studien-
1 Orginalpublikation: Kennedey D.O. et al.: Anxiolytic Effects of a Combination of Melissa officinalis and Valeriana officinalis during Laboratory induced Stress, Phytother Res 2006; 20: 96–102.
Kasten 1: Studienpräparat
Das Studienpräparat bestand aus Kapseln mit folgender Zusammensetzung: Valeriana-officinalis-Extrakt (4,5:1) 120 mg Melissa-officinalis-Extrakt (5.1) 80 mg Das Plazebo hatte ein identisches Aussehen und war vom Studienpräparat nicht unterscheidbar.
tagen einem genau definierten Prozedere. Am ersten Tag wurden die Probanden zu einem bestimmten Studienablauf randomisiert. Der erste Studientag unterschied sich zu den nächsten 4, indem an diesem Tag weder das Studienmedikament noch Plazebo verabreicht wurde. Die Resultate der vier Sitzungen dieses ersten Tages wurden für die Auswertung nicht verwendet. Für die Stressinduktion wurde die Defined Intensity Stressor Simulation (DISS) verwendet. Dies ist ein computergestützter Test mit kognitiven und psychomotorischen Aufgaben, bei dem man verschie-
dene Schwierigkeitsgrade einstellen kann (vgl. Kasten 2). Während der Studie wurden für den Stroop Colour-Word Test und den Highest Number Tab Test jeweils hohe Schwierigkeits- und Intensitätsstufen gewählt. Für die beiden anderen Tests wurden mittlere Schwierigkeitsstufen verwendet. Vor und nach jeder DISS-Sitzung wurde die Stimmung der Probanden mit zwei Tests bestimmt: mit den Bond-Lader Visual Analogue Mood Scales (Bond and Lader, 1974) sowie dem State Trait Anxiety Inventory (STAI). Dabei gibt ein Proband für verschiedene Gemütszustände anhand einer Skala seinen momentanen Zustand an, wenn er eine bestimmte Aufgabe löst (state anxiety), ausserdem seinen allgemeinen Zustand (trait anxiety). Jeder Studientag begann mit einer DISSSitzung, bevor die erste Dosis des Studienmedikamentes eingenommen wurde. 1, 3 und 6 Stunden nach der Gabe des Studienpräparates wurde die DISS-Sitzung wiederholt, ebenso die Erfassung der Stimmung.
Kasten 2: Defined Intensity Stressor Simulation (DISS)
Mathematical Processing Task Stroop Colour-Word Test
Highest Number Tab Test Memory Search Task
Hier muss der Proband mathematische Aufgaben lösen und diese richtig in den Computer eingeben. Bei dieser Aufgabe muss der Proband die Farbe von Farbwörtern (rot, gelb, grün, blau) erkennen und markieren, bei denen der Name und die Farbe des Farbwortes nicht übereinstimmen. Hier muss der Proband bei Zahlenreihen zwischen 0 und 9 jeweils die höchste Nummer erkennen und angeben. Dem Probanden werden zuerst 4 Dokumente gezeigt, die nach einigen Sekunden wieder verschwinden. Dann werden in regelmässigen Abständen einzelne Dokumente gezeigt, und der Proband muss sich erinnern, ob es sich um ein neues Dokument oder um eines der 4 vorher gezeigten handelt.
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thema PHYTOTHERAPIE
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FORSCHUNG
Tabelle: p-Werte der Behinderung der Effizienz bei der Farbaufgabe
Zeitpunkt/Dosis 600 mg 1200 mg 1800 mg
nach 1 h 0,07 0,02 0,001
nach 3 h 0,02 0,02 0,09
nach 6 h 0,01 < 0,001 ? Resultate DISS-Wirkung auf Stimmung und Ängstlichkeit ohne Behandlung Alle Resultate wurden statistisch ausgewertet. Die Auswertung der DISS vom ersten Versuchstag, also bevor die Probanden das Studienpräparat beziehungsweise Plazebo erhalten hatten, zeigte auf den BondLader Visual Analogue Mood Scales eine signifikante Abnahme beim Parameter Ruhe (p = 0,04). Bei den Parametern Zufriedenheit und Aufmerksamkeit hingegen wurde keine Veränderung festgestellt. Die DISS führte aber zu einer Verstärkung der Ängstlichkeit (p = 0,005). Wirkung der Behandlung auf die Stimmung während der DISS-Sitzungen STAI State Anxiety: Die 600-mg-Dosis des Studienpräparates führte bei den DISS-Sitzungen 3 und 6 Stunden nach der Medikamentengabe zu einer Dämpfung der DISSbedingten State Anxiety (Zustand bei einer bestimmten Aufgabe). Im Gegensatz dazu bewirkte die höchste Dosis, also 1800 mg, eine Erhöhung der state anxiety. 1 Stunde nach der Medikamentengabe erreichte dieses Resultat Signifikanz (p = 0,01) mit einem Trend dazu nach 6 Stunden (p = 0,09). STAI Trait Anxiety: Die Trait Anxiety (allgemeiner Zustand) wurde durch die 600-mgDosis in der Sitzung vermindert (p = 0,04), die 1 Stunde nach der Gabe des Studienpräparates stattfand, mit einem Trend dazu in der Sitzung nach 3 Stunden (p = 0,06). Gesamtwerte der DISS Effizienzbehinderung beim Gesamtscore der DISS wurde bei der Sitzung 1 Stunde nach Medikamentengabe für die 600-mgDosis (p = 0,03) und die 1200-mg-Dosis (p < 0,001) ermittelt. Bei der Letzteren auch bei der Sitzung 6 Stunden nach der Medikamentengabe (p = 0,03). Unerwünschte Nebenwirkungen Bei einer mündlichen Befragung der Probanden wurden keine unerwünschten Nebenwirkungen genannt. Diskussion Die wichtigste Erkenntnis dieser Studie ist die Tatsache, dass die 600-mg-Dosis 1 Stunde nach der Einnahme zu einer signifikanten Abnahme der allgemeinen Ängstlichkeit (trait anxiety) und einem Trend der Abnahme der momentanen Ängstlichkeit (state anxiety) 3 und 6 Stunden nach der Einnahme des Studienpräparates führt. Die 1800-mg-Dosis bewirkte jedoch bei allen Sitzungen eine Erhöhung der State Anxiety, mit Signifikanz 1 Stunde nach der Einnahme des Studienpräparates. Die Effizienz der Farbaufgabe der DISS wurde mit allen drei Dosen vermindert, teilweise signifikant. Die Resultate der 600- und der 1800-mgDosis scheinen widersprüchlich zu sein. Man muss jedoch beachten, dass die 600mg-Dosis die höchste empfohlene Tages- Baldrian-Melisse-Kombinationen in der Schweiz Songha® Ginsana SA, 6934 Bioggo Zusammensetzung: ethanolischer Baldrianextrakt 120 mg methanolischer Melisseextrakt 80 mg Dormiplant® Schwabe Pharma AG, 6403 Küssnacht Zusammensetzung: ethanolischer Baldrianextrakt 160 mg ethanolischer Melisseextrakt 80 mg dosis für Baldrian-Melisse-Präparate ist, und 600 mg der Dosis entsprechen, die zur Induktion des Schlafes ermittelt wurden. Eine bei den Resultaten nicht aufgeführte Auswertung der Auswirkung des Studienpräparates ausserhalb der DISS zeigte keine Veränderungen in Bezug auf Aufmerksamkeit, Gelassenheit und Ängstlichkeit. Die vorliegende Studie belegte zum ersten Mal eine anxiolytische Wirksamkeit dieser Baldrian-Melisse-Kombination. Physiologische Stressfaktoren wurden in dieser Studie aber nicht untersucht. Da weder Baldrian noch Melisse mit den schädlichen Nebenwirkungen üblicher Anxiolytika assoziiert sind,zeigt diese Studie auf, dass eine weitere Erforschung des Potenzials dieser pflanzlichen Präparate zur sicheren und nebenwirkungsfreien Verminderung von Stress von Vorteil sein wird. ◆ Anschrift des Verfassers Dr. Christoph Bachmann Hirschmattstrasse 46 6003 Luzern c.a.bachmann@bluewin.ch Auswirkungen der Behandlung auf die Durchführung der DISS Beim Versuch der Lösung der DISS-Aufgaben wurde nur die Effizienz bei der Farbaufgabe von allen drei Dosierungen vermindert (vgl. Tabelle). Bei der Dosis von 600 mg war die Behinderung nach 3 und 6 Stunden signifikant, bei der mittleren Dosis (1200 mg) in allen drei Stadien sowie bei der höchsten Dosis von 1800 mg nur bei der Messung 1 Stunde nach Medikamentengabe. Redaktioneller Kommentar Situativer oder allgemeiner Stress mit seinen bekannten Folgen für die Stimmung sind heute für viele Menschen eine alltäglich auftretende Erscheinung. Anxiolytika sind in der Lage, Angst- und Spannungszustände zu lindern. Für wie viele Ärzte sind aber Anxiolytika synonym mit Benzodiazepinen! Wenn man aber einmal richtig hinschaut und zum Beispiel die Resultate der hier zusammengefassten Studie in den ärztlichen Alltag umsetzt, dann sieht man klar, dass es zur Verminderung von stressbedingter Ängstlichkeit pflanzliche Alternativen gibt. Diese können situative (state) und allgemeine (trait) Ängstlichkeit vermindern, ohne dass die betroffenen Patienten diese Verbesserung der Lebensqualität mit den oft auftretenden Nebenwirkungen (Gewöhnung) erkaufen müssen. Im Gegensatz zum möglichen Nullsummenspiel der Benzodiazepine macht der betroffene Patient bei diesem pflanzlichen Kombinationspräparat einen echten Gewinn. thema798 PHYTOTHERAPIE 5/2011