Transkript
FORSCHUNG
Nachtkerzensamenöl bei atopischer Dermatitis
Unterschiedliche Datenlage über Wirksamkeit
Seit den Achtzigerjahren wur-
den immer wieder Studien
veröffentlicht, die sich mit der
Wirksamkeit von Nachtkerzen-
samenöl, dem Öl aus Oeno-
thera biennis, bei atopischer
Dermatitis befassen. Dabei
wurden kontroverse Resultate
publiziert. Die Wirksamkeit
bleibt umstritten.
Christoph Bachmann
Atopische Dermatitis
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Ätiologie der atopischen Dermatitis. Genetische Faktoren, Umwelteinflüsse, eine nicht richtig funktionierende Barrierefunktion der Haut, allenfalls bedingt durch einen gestörten Fettsäuremetabolismus der Haut, spielen ebenso eine Rolle, wie Vorgänge im Immunsystem. Bei der grossen Mehrheit der betroffenen Patienten tritt die atopische Dermatitis im ersten beziehungsweise in den ersten fünf Jahren ihres Lebens auf.Wobei sich glücklicherweise wiederum bei der Mehrheit der Betroffenen die Krankheit in der Pubertät zurückbildet.
Therapie
Zur Behandlung einer Exazerbation wurde neben konventionellen Therapieansätzen, bei denen Kortikosteroide im Mittelpunkt stehen, auch immer wieder Nachtkerzensa-
menöl, zum Teil als Ergänzung zur Kortikosteroidbehandlung, eingesetzt. Über die Wirksamkeit dieserTherapiekombination sind widersprüchliche Daten publiziert worden.
Oenothera biennis
Oenothera biennis, Nachtkerze, auch gemeine Nachtkerze genannt, auf Englisch Evening Prime Rose, ist eine Pflanze aus der Familie der Nachtkerzengewächse (Onagraceen). Seit sie im 17. Jahrhundert aus Nordamerika eingeführt wurde, ist sie in unseren Breitengraden heimisch (vgl. Abbildung). Aus dem Samen der Pflanzen wird ein fettes Öl gewonnen, das reich an essenziellen Omega-6-Säuren ist, insbesondere Cis-Linolsäure und Gamma-Linolensäure, das im menschlichen Körper metabolisch zu Prostaglandin umgewandelt wird.
Metaanalyse von Morse und Clough 2006
Die bisher erschienenen Studien (1–9), die sich mit der Wirksamkeit von Nachtkerzenöl bei atopischer Dermatitis befassten, lieferten widersprüchliche Resultate. Einerseits wurde von sehr guter Wirksamkeit berichtet, andererseits wurde der Nachtkerze jegliche Wirksamkeit abgesprochen. Im Zentrum dieser Diskussion steht die Metaanalyse von Morse und Clough aus dem Jahr 2006 (5). Diese bisher umfassendste Metaanalyse wertete 26 Studien, die total 1207 Patienten einschlossen, aus. Alle Studien wurden mit dem Nachtkerzenölpräparat Efamol® durchgeführt. Morse und Clough kamen zu einem positiven Ergebnis. Sie ermittelten bei der Subgruppe der Patienten,die gleichzeitig Nachtkerzensamenöl und niedrigpotente topische Kortikosteroide verwendeten, eine Verminderung des Juckreizes, die sich auf der Visual Analogue Scale (100 mm) durch eine durchschnittliche Herabsetzung von 4 bis
Abbildung: Nachtkerze, Oenothera biennis
6 mm zeigte. Bei der Subgruppe der Patienten, die neben Nachtkerzensamenöl auch potente Kortikosteroide einsetzten, konnte diese Wirkung nicht festgestellt werden. In Bezug auf die Responder und Nonresponder einer Nachtkerzenöltherapie folgerten die Autoren, dass eine vertiefte Erforschung des Fettsäuremetabolismus und der Immunantwort bei Atopikern erklären könnte, warum es Responder und Nonresponder gibt. Morse und Clough fassten ihre Metaanalyse folgendermassen zusammen: Nachtkerzensamenöl ist ein sicheres und wirksames Arzneimittel zur symptomatischen Linderung des atopischen Ekzems mit gleichzeitigem Nutzen bei Pruritus, Krustenbildung, Ödemen und Erythemen. Dies wird zwischen 4 und 8 Wochen nach Therapiebeginn ersichtlich. Die Wirkung in diesem Ausmass ist bei gleichzeitiger und bei zunehmend häufigerer Anwendung von potenten Steroiden aber vermindert. Die in dieser Metaanalyse festgestellte symptomatische Linderung steht in Übereinstimmung mit den Resultaten früherer Metaanalysen (5). Aber genau diese Studie wird von gewissen Fachleuten kritisiert. Williams (9) bemängelt 2008 in einer Übersicht über Fortschritte in der Therapie der atopischen Dermatitis, dass die Wirkung erst nach 4 bis 8 Wochen manifest wird, und dass diese durch den gleichzeitigen Gebrauch von topischen Kortikosteroiden vermindert wird. Weiter kritisiert Williams, dass Morse und
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Clough voreingenommen seien, denn beide Autoren arbeiten für Wassen International Ltd, eine private Firma, die Nahrungsergänzungsmittel verkauft (9). Diese Kritik schimmert auch bei anderen Autoren durch, und man kann sie generell so ausdrücken: Reviewarbeiten von Autoren, die industrieabhängig sind, kommen im allgemeinem zu einem positiven Gesamturteil. Autoren hingegen, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis von pharmazeutischen Firmen stehen, gelangen eher zu einem negativen Ergebnis. Bayles und Usatine (10) werfen in einer Übersichtsarbeit von 2009 über die verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten von Oenothera biennis, darunter atopische Dermatitis, Mastalgie, menopausale Beschwerden, PMS, Morse und Clough vor, sie hätten mehrere, von der Industrie finanzierte Studien berücksichtigt, die in früheren Studien ausgeschlossen worden seien. Weiter führen sie auch methodische Mängel verschiedener Studien ins Feld: Viele Studien weisen signifikante methodische Einschränkungen auf, insbesondere zu geringe Probandenzahl, ungenügende Randomisierung, unklare Verblindung, auch heterogene Dosierungen, Studiendauer und Kenngrössen bei den Patienten. Bayles und Usatine erwähnen auch den Widerruf der Zulassung eines Nachtkerzenölpräparats zur Behandlung der atopischen Dermatitis durch die britischen Registrierungsbehörden im Jahr 2002. Für die unterschiedlichen Resultate der mit Nachtkerzensamenöl durchgeführten Studien gibt es aber auch eine weitere Erklärung: In den letzten Jahren sind viele Arbeiten erschienen, welche den Einfluss und die Komplexität des Fettsäuremetabolismus auf die Entwicklung von atopischen Erkrankungen untersucht haben; angefangen bei dem Einfluss der Muttermilch über die Ernährung im Säuglingsalter bis zu Blutkonzentrationen von Fettsäuren bei manifest erkrankten Patienten. Die Resultate diesbezüglich sind sehr widersprüchlich. Es gibt allerdings Hinweise dafür, dass der Fettsäuremetabolismus nicht bei allen Patienten mit Ekzemen in gleicher Weise alteriert ist, was die Heterogenität der Studienergebnisse bezüglich Nachtkerzensamenöl erklären würde. Zusammenfassend scheint es gerechtfertigt, bei Patienten mit einer atopischen Dermatitis einen Thera-
Kommentar
Über die Wirksamkeit von Präparaten mit Nachtkerzenöl wurden unterschiedliche Resultate publiziert. Die bisher umfassendste Untersuchung, die Metaanalyse von Morse und Clough, kommt zu einem differenzierten positiven Resultat: Nach 4 bis 8 Wochen Behandlung wird in der Subgruppe der Patienten, die gleichzeitig ein niedrig potentes Kortikosteroid einsetzen, eine signifikante Verminderung des Juckreizes festgestellt. Die Autoren schliessen ausdrücklich die Subgruppe der Patienten mit einem hoch potenten Kortikosteroid aus, weil diese Wirkung dort ausgeblieben ist. Weiter fordern Morse und Clough weitere Forschung, damit man mit vertieften Erkenntnissen über den Fettsäuremetabolismus und die Immunantwort lernen könnte, bei den Atopikern Responder und Nonresponder auf eine Therapie mit Nachtkerzenöl zu unterscheiden.
Die Kritik an Morse und Clough erscheint mir deutlich weniger differenziert als die Schlussfolgerungen der Autoren! Williams wertet die 4- bis 8-wöchige Latenzzeit ... that only becomes apparent at 4–8 weeks. Weiter merkt er nicht, dass Morse und Clough zwischen niedrig und hoch potenten Kortikosteroiden unterscheiden und erwähnt nur, dass bei der gleichzeitigen Anwendung von topischen Kortikosteroiden die Wirkung vermindert wird. Und dann wirft Williams den Autoren auch noch vor, industrieabhängig zu sein. Auch in der Kritik von Bayles und Usatine werden von der Industrie gesponserte Studien erwähnt, die Morse und Clough im Gegensatz zu andern Autoren berücksichtigen. In diesem Moment ist aber die Frage erlaubt, welche Studie denn nicht von der Industrie gesponsert ist! Diese Kritik kommt mir zu einfach vor: Wenn Autoren Daten publizieren, von denen man nicht überzeugt ist, dann wird schnell auch noch ihre Abhängigkeit von der Industrie erwähnt, um neben inhaltlicher Kritik die entsprechenden Resultate noch weiter zu relativieren. Williams ist zwar Professor an einer Universität, aber gerade in den USA werden die Universitäten bekanntlich stark von Firmen unterstützt! Bei strengster Beurteilung muss man also zum Schluss kommen, dass es überhaupt keine völlig unabhängigen Forscher gibt.
Zur Kritik der Berücksichtigung von Studien, die andere Autoren ausgeschlossen haben, ist Folgendes zu sagen: Bei jeder Metaanalyse wird eine Selektion von Studien getroffen, die zitiert werden. Und es ist hinlänglich bekannt, dass bei vielen Metaanalysen, die die Wirksamkeit von pflanzlichen Arzneimitteln negativ beurteilt haben, wesentliche Studien nicht berücksichtigt wurden, die zu einem positiven Ergebnis führten. Im vorliegenden Fall muss zuerst der Beweis erbracht werden, dass die von Morse und Clough im Gegensatz zu anderen Autoren berücksichtigten Studien tatsächlich methodisch so grosse Mängel aufweisen, sodass sie mit Recht nicht berücksichtigt wurden, damit diese Kritik glaubwürdig wird! Und auch Bayles und Usatine werfen vielen Studien vor, methodische Mängel zu haben. Damit sind wir aber wieder einmal am Punkt angelangt, an dem phytotherapeutischen Positivstudien Mängel vorgeworfen werden. Bei den entsprechenden Negativstudien schweigt man sich aber über allfällige Mängel aus. Und für mich klingt das wieder einmal nach: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Die Swissmedic und das BfArM sind ja nicht bekannt, large Registrierungsvorschriften anzuwenden. Und so lange diese beiden Behörden dem erwähnten Nachtkerzenölpräparat die Indikation atopische Dermatitis, vor allem in der differenzierten Umschreibung des BfArM, die sehr gut mit der Schlussfolgerung von Morse und Clough übereinstimmt, nicht verweigern, ist es für mich legitim, bei atopischer Dermatitis das Präparat als Zusatzbehandlung zu verordnen.
Dr. Christoph Bachmann
pieversuch mit Epogam zu veranlassen und über das Weiterführen der Therapie aufgrund des klinischen Ansprechens zu entscheiden, zumal diese Therapie keine relevanten Nebenwirkungen aufweist. Verschiedene weitere Kritiken lassen sich folgendermassen zusammenfassen:
Bei der Durchsicht der entsprechenden Literatur ist grundsätzlich auffallend, dass Reviewarbeiten von Autoren, welche nicht industrieunabhängig sind, zu einem positiven Gesamturteil kommen (z.B. Morse et al. 2006), während Reviewarbeiten von industrieunabhängigen Autoren zu einem negativen Urteil gelangen (z.B. Williams HC 2003 [7]).
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Die Situation in der Schweiz und in Deutschland
In der Schweiz und in Deutschland präsentiert sich folgende Situation: In der Schweiz gibt es neben Präparaten zur Beeinflussung des Fettstoffwechsels ein Nachtkerzenölpräparat mit der Zulassung «atopische Dermatitis»: Epogam®, Zeller Medical AG, Romanshorn. Eine Kapsel enthält 1000 mg Nachtkerzensamenöl, das 80 mg Gamolensäure entspricht. Das in vielen Studien verwendete Präparat Efamol®, das als «Nahrungsergänzung besonders bei Hyperlipidämie» indiziert ist, jedoch nicht bei atopischer Dermatitis, enthält Nachtkerzensamenöl, das 40 mg Gamolensäure und 350 mg Linolensäure entspricht. Auch in Deutschland ist Epogam® auf dem Markt. Die deutsche Registrierungsbehörde BfArM sieht dafür folgende Indikation vor:
Zur Behandlung und zur symptomatischen.
Erleichterung des atopischen Ekzems (Neu-
rodermitis), insbesondere des begleiten-
den Juckreizes.
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Anschrift des Verfassers Dr. Christoph Bachmann Hirschmattstrasse 46 6003 Luzern c.a.bachmann@bluewin.ch
Literaturreferenzen:
1. Bamford J.T., Gibson R.W., Renier C.M.: Atopic eczema unresponsive to evening primrose oil, J Am Acad Dermatol 1985; 13: 959–65.
2. Berth-Jones J., Graham-Brown R.A.: Placebo-controlled trial of essential fatty acid supplementation in atopic dermatitis, Lancet 1993; 341: 1557–60.
3. Horrobin D.F., Morse P.F.: Evening primrose oil and atopic eczema, Lancet 1995; 345: 260–1.
4. Johnson M.M., Swan D.D., Surette M.E. et al.: Dietary supplementation with gamma-linolenic acid alters fatty acid content and eicosanoid production in healthy humans, J Nutr 1997; 127: 1435–44.
5. Morse N.L., Clough P.M.: A meta-analysis of randomized, placebo-controlled clinical trials of Efamol evening primrose oil in atopic eczema. Where do we go from here in light of more recent discoveries? Curr Pharm Biotechnol 2006; 7: 503–24.0
6. Morse P.F., Horrobin D.F., Manku M.S. et al.: Metaanalysis of placebo-controlled studies of the efficacy of Epogam in the treatment of atopic eczema. Relationship between plasma essential fatty acid changes and clinical response, Br J Dermatol 1989; 121: 75–90.
7. Williams H.C.: Evening primrose oil for atopic dermatitis, BMJ 2003; 327: 1358–9.
8. Yoon S., Lee J., Lee S.: The therapeutic effect of evening primrose oil in atopic dermatitis patients with dry scaly skin lesions is associated with the normalization of serum gamma-interferon levels, Skin Pharmacol Appl Skin Physiol 2002; 15: 20–5.
9. Williams H.C., Grindlay D.J.: What’s new in atopic eczema? An analysis of the clinical significance of systematic reviews on atopic eczema published in 2006 and 2007, Clin Exp Dermatol 2008(6); 33: 685–688.
10. Bayles B., Usatine R.: Evening Prime Rose, American Family Physician 2009(12); 80: 1405–1408.