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25. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 25. NOVEMBER 2010
Metabolisches Syndrom und Diabetes
Gegenstrategien mit Pflanzen
Axel Brattström
Metabolisches Syndrom
Bei der Suche nach Indikatoren, die als Hinweis auf eine spätere Herz-Kreislauf-Erkrankung genutzt werden können, wurden bereits relativ früh die Adipositas sowie eine Insulinresistenz, die mit der Adipositas vergesellschaftet ist, als solche ausgemacht. Begleitende Faktoren beziehungsweise korrelierende Erkrankungen waren Störungen im Fettstoffwechsel, Diabetes, Hypertension, Atherosklerose und Schlafapnoe. Aus diesem Konglomerat korrelierender Störungen wurde recht bald das metabolische Syndrom. Das metabolische Syndrom wird häufig nur als Durchgangsphase bis zur Manifestation von Diabetes mellitus verstanden.
Hüftumfang
Nach Einführung der computerisierten Bestimmung des viszeralen Fettes wurde deutlich, dass das metabolische Syndrom und die mit ihm vergesellschafteten Störungen nicht mit der subkutanen, sondern nahezu ausschliesslich mit der zentralen Fettmasse korrelieren. Deshalb gilt heute auch der Hüftumfang (waist circumference) als der wichtigste Surrogatparameter.
Störungen auch in den Zellen
Die Störungen im Fettstoffwechsel sind beim metabolischen Syndrom gekennzeichnet durch Hypercholesterinämie und Hypertriglyzeridämie. Diese Störungen beschränken sich nicht auf das Blut, sie werden ebenso in den Zellen gefunden, beispielsweise den Muskelzellen und im Pankreas. Die Fettanreicherung in den Muskelzellen führt zur Insulinresistenz, das heisst zur verringerten Glukoseaufnahme in die Muskulatur. Die Insulinresistenz wird
trotz teilweise gestiegener Insulinfreisetzung aus dem Pankreas beobachtet. Im Pankreas selbst nimmt letztlich die Masse der insulinproduzierenden Betazellen ab, und infolgedessen sinkt dann auch die Insulinkonzentration im Blut.
Viszerale Fettmasse
Beim metabolischen Syndrom sind Zahl und Grösse der viszeralen Fettzellen erheblich erhöht. Ihre humorale Funktion, das heisst die Bildung und Freisetzung der Adipokinine (zum Beispiel Leptin, Adiponectin) ist gestört. Leptin stimuliert die Energieexpenditure, hemmt die Nahrungsaufnahme und unterstützt die Wiederherstellung von Euglykämie. Allerdings ist bei Adipositas häufig eine Leptinresistenz zu beobachten. Die Adiponectinkonzentration im Blut korreliert negativ mit der viszeralen Fettmasse. In die Fettzellen sind ausserdem vermehrt Makrophagen eingelagert, die eine chronische Entzündung unterhalten und inflammatorische Substanzen freisetzen. Darunter sind der Tumor-Nekrose-Faktor alpha (TNF-␣), welcher die Insulinresistenz verstärkt, sowie IL-6.
PPAR
Im Kern eukaryotischer Zellen befinden sich Peroxisome, die am Fettmetabolismus und anderen metabolischen Prozessen partizipieren. Die «Peroxisome proliferatoractivated Receptors» (PPAR) induzieren die Proliferation dieser Peroxisome. Die PPARalpha sind Ziel von chemisch definierten Substanzen, zum Beispiel der Fibrate, die bei Dyslipädimien, vor allem jedoch bei Hypercholesterinämie zum Einsatz gelangen. Die Stimulation der PPAR-gamma verbessert die Insulinresistenz und ist ebenfalls wirksam bei Hyperlipidämie. Die hier verwendeten chemischen Substanzen, zum Beispiel die Glitazone, sind jedoch in die Kritik gekommen beziehungs-
weise kürzlich vom Markt genommen worden.
Veränderung der Lebensweise
Aus der bisherigen Darstellung folgt, dass das Ziel aller therapeutischen Anstrengungen beim metabolischen Syndrom und bei Diabetes auf eine Veränderung der Lebensweise gerichtet sein muss, mit einer Reduktion der Nahrungsaufnahme und einer Intensivierung körperlicher Aktivitäten. Anzustreben ist eine erhebliche Reduktion der viszeralen Fettmasse, das heisst des Hüftumfangs. Das Vorgehen kann Unterstützung durch den Einsatz von «functional food» finden, das heisst ausgewählter Nahrungsmittel beziehungsweise Nahrungsmittel, die durch pflanzliche Konzentrate angereichert sind.
Wirkungen von Pflanzen
Pflanzliche Alternativen zur Behandlung von metabolischem Syndrom und Diabetes sollten vor allem Folgendes erreichen: 1. eine Korrektur der Störung im Fettstoffwechsel; 2. eine Verbesserung der Insulinresistenz; 3. die Herstellung der Euglykämie. Der Erfolg lässt sich bewerten anhand der Reduktion der erhöhten Cholesterol- und Lipidwerte bei gleichzeitiger Anhebung der HDL-Werte. Weiterhin sind die Nüchternwerte von Glukose und Insulin sowie der Verlauf der Blutglukosewerte nach oraler Glukosebelastung gute Indikatoren für einen Therapieerfolg. Eine Korrektur der Leptin- und auch der Adiponectinwerte im Blut würde einen merklichen Einfluss auf die viszerale Fettmasse reflektieren. Als «Mode of Action» wären PPARagonistische Eigenschaften interessant.
Noch unzureichende Datenlage
Gegenwärtig werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um Pflanzen, die traditionell zur Behandlung von Diabetes
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PHYTOTHERAPIE
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eingesetzt wurden, gezielt auf ihre Wirksamkeit und ihre wirksamen Inhaltsstoffe zu untersuchen. Für die Mehrzahl der in dieser Indikation traditionell genutzten Pflanzen ist die Datenlage (noch) unzureichend. Für eine grössere Zahl gibt es mittlerweile überzeugende Ergebnisse aus Invitro-Untersuchungen. Erschwerend für eine mögliche klinische Erprobung ist die Tatsache, dass in den Tiermodellen (In-vivoUntersuchungen) Extraktmengen zwischen 50 und 400 mg pro kg/KG benötigt wurden, um einen sicheren therapeutischen Einfluss nachzuweisen. Derartige Mengen beim Menschen einzusetzen, ist durch die traditionelle Verwendung nicht abgedeckt. Hierfür müssten umfangreiche toxikologische Untersuchungen vorangestellt werden. Klinische Ergebnisse mit Extraktmengen, die der traditionellen Anwendung entsprechen, sind sehr widersprüchlich und bis jetzt nicht überzeugend.
Synergistische Wirkung
Interessant sind Untersuchungen, die darauf verweisen, dass eine Verabreichung von traditionell genutzten Extrakten häufig die Wirksamkeit chemischer Monotherapie nicht unwesentlich zu steigern vermag, teilweise um bis zu 50 Prozent. Ein Einsatz von synthetischen Arzneimitteln kann reduziert werden und damit auch die Häufigkeit beziehungsweise Intensität von deren Nebenwirkungen. Lediglich für einige wenige Pflanzen dürfte die verfügbare Datenbasis einen klinischen Einsatz beim metabolischen Syndrom und bei Diabetes bereits rechtfertigen. Beispiele sind Momordica charantia (Bittermelone), Radix puerariae (Kopoubohnenwurzel) und Nigella sativa (Schwarzkümmel).
Zusammenfassung
Es bestehen durchaus Alternativen auf
pflanzlicher Basis für eine Therapie von
metabolischem Syndrom und Diabetes, je-
doch muss die Datenlage noch erheblich
verbessert werden.
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Anschrift des Referenten Prof. Dr. med. habil. Axel Brattström Alexander Puschkin Str. 50 D-39108 Magdeburg Axel.Brattstroem@t-online.de
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