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24. JAHRESTAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 19. NOVEMBER 2009
Sportverletzungen: therapeutische Wirksamkeit von Beinwell im Vergleich zu Diclofenac
Tankred Wegener
Einleitung
Mit Zubereitungen aus Beinwell beziehungsweise Wallwurz (Symphytum offcinale L.) wurden in den letzten Jahren methodisch sehr gute Studien durchgeführt und publiziert (siehe Tabelle). Diese zeigen ein beachtliches Wirkpotenzial – im Vergleich zu Plazebo und auch zur Referenzmedikation Diclofenac. Die Anwendung des Beinwells für medizinische Zwecke lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen (Englert et al. 2005). Die Kommission E verabschiedete 1990 mit den damals verfügbaren Daten Monografien zu Symphyti radix wie auch zu Symphyti herba/folium und bewertete die äusserliche Anwendung bei Prellungen, Zerrungen und Verstauchungen positiv (Kommission E 1990). Sehr aktuell ist die ESCOP-Monografie (ESCOP 2009) zu Symphyti radix, in der ebenfalls die Anwendung bei Sportverletzungen, aber auch bei rheumatischen Beschwerden (hierzu liegen auch Studiendaten vor) befürwortet wurde. Vom europäischen Herbal Medicinal Products Committee (HMPC) bei der EMEA wurde Symphytum offcinale bisher noch nicht bearbeitet. Die Wirksamkeit lokal anzuwendender Zubereitungen aus Symphytum officinale bei Sportverletzungen (Prellungen, Zerrungen und Verstauchungen) ist durch die Ergebnisse mehrerer klinischer Untersuchungen und Studien belegt, von denen aber nur wenige in den vergangenen Jahren mit einer dementsprechend modernen Methodik durchgeführt und publiziert wurden.
Symphytum vs. Diclofenac
Besondere Beachtung verdient eine Studie, in der eine Beinwellsalbe bei akuter Sprunggelenksdistorsion vergleichbar be-
ziehungsweise besser wirksam war als ein Gel mit dem Wirk-
500
AUC (N/cm2h)
stoff Diclofenac (Predel et al. 2005). Die randomisierte, multizentri-
400 300
sche Studie wurde mit insgesamt 164 Patienten (jeweils 82 mit Beinwell oder Diclofenac)
200 100
mit akuten Sprunggelenksdis-
0
torsionen durchgeführt. Das
Beinwell
Diclofenac
Trauma durfte maximal sechs Stunden zurückliegen und mit keiner zusätzlichen medikamen-
Abbildung 1: Lage der Mittelwerte der AUC-Werte (Zielkriterium) in beiden Gruppen (Predel et al. 2005, Daten nach D´Anchise et al. 2007)
tösen oder physikalischen Thera-
Tonometerwerte (N/cm)
pie vorbehandelt sein. Direkt nach Diagnosestellung und Einwilligung in die Studienteil-
5 4
nahme gemäss GCP begann die viermal tägliche lokale Anwendung der Beinwellsalbe bezie-
3 2
Beinwell Diclofenac
hungsweise des Diclofenacgels (jeweils etwa 2 g beziehungs-
1
weise etwa 6 cm Salbenstrang). Die Anwendung war für den Be-
0 Visite 1 Visite 2 Visite 3
obachter beziehungsweise behandelnden Arzt verblindet, gewährleistet durch eine Reini-
Abbildung 2: Lage der Mittelwerte des tolerierten Drucks (Tonometer) im Studienverlauf in beiden Gruppen (Predel et al. 2005; Daten nach D´Anchise et al. 2007)
gung der betreffenden Stelle vor
der Befunderhebung. Die Be-
handlungsdauer betrug sechs
bis acht Tage mit Erfassung des klinischen Primäres Kriterium der Wirksamkeit war
Befunds bei der Aufnahme sowie nach vier die mittels Tonometer gemessene Druck-
und etwa sieben Tagen. Die Prüfhypothese toleranz im Zentrum der Verletzung, er-
war, dass die Wirksamkeit von Beinwell bei mittelt als Fläche unter der Kurve (Zeit bis
akuten Sprunggelenksdistorsionen der Wir- zum maximal tolerierbaren Druckschmerz)
kung eines zugelassenen und etablierten zu den drei Untersuchungszeitpunkten. Se-
Gels mit Diclofenac (1,16 g/100 g) nicht kundäre Parameter waren Schwellung des
unterlegen ist. Studienmedikation war die betreffenden Sprunggelenks, Ruhe- und
Symphyti-radix-Zubereitung Kytta-Salbe® f* Bewegungsschmerzen, Einschränkung der
(100 g Salbe enthalten 35 g Beinwellwurzel- Funktion und die globale Wirksamkeit. Die
extrakt 1:2, Auszugsmittel Ethanol 60% V/V). Stärke der Schmerzen wurde mittels der vi-
suellen Analogskala (VAS), die Schwellung
* In der Schweiz wird das Präparat von der Firma Iromedica AG unter dem Namen Kytta Med vertrieben.
mittels Bandmass (Figure-of-Eight-Methode), die Beweglichkeit mittels der Neutral-Zero-Methode und die globale
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PHYTOTHERAPIE
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24. JAHRESTAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 19. NOVEMBER 2009
Tabelle: Übersicht zu den in den vergangenen Jahren publizierten Studien mit Beinwellanwendungen bei Sportverletzungen
Quelle
Indikation
Design
Predel et al. 2005, SprunggelenksD´Anchise et al. 2007 distorsion; max 6 h
Koll et al. 2004
Sprunggelenksdistorsion; max 6 h
randomisiert, observerblind, multizentrisch, referenzkontr. randomisiert, doppelblind, multizentrisch, plazebokontrolliert
Pat.Anzahl 164 (82/82)
Produkt*
Kytta-Salbe® f; Diclofenac-Gel (1,16g/100g)
143/140 Kytta-Salbe® f, Plazebo
Kucera et al. 2004 Tschaikin 2004
Sprunggelenks-
randomisiert,
distorsion; max 24 h doppelblind,
multizentrisch,
plazebokontrolliert
Sportverletzungen, AWB
rheumatische
Beschwerden
203 163
Traumaplant 10% vs. 1% (= Plazebo)
Kytta-Salbe® f
Pabst und Ottersbach 2004
Sportverletzungen, rheumatische Beschwerden
AWB
162 Kytta-Plasma® f
Staiger und Wegener 2008
stumpfe Verletzungen, Kinder < 12 Jahre AWB 306 Kytta-Salbe® f Therapie- Ergebnisse dauer 6 bis 8 Tage Nichtunterlegenheit (Drucktoleranz), Schwellung, Ruheschmerz etc. 7 Tage Verbesserung bzgl. Druckschmerz, Druckschmerz, Druckschmerz, Gelenkmobilität 14 Tage Verbesserung bzgl. VAS-Schmerz, Ruheschmerz, Schwellung etwa 11 Tage Verbesserungen des klinischen Befunds und bei den subjektiven Bewertungen der Patienten etwa 12 Tage Verbesserungen des klinischen Befunds und bei den subjektiven Bewertungen der Patienten < 7 Tage deutliche Verbesserung des klinischen Befunds und bei den subjektiven Bewertungen der Patienten beziehungs- weise deren Eltern * Kytta-Salbe® f und Kytta-Plasma® f: 35% Beinwellwurzelextrakt 1:2, Auszugsmittel Ethanol 60% V/V; Traumaplant®: 10% wässrig-ethanolischer Extrakt aus Beinwellkraut (Symphytum uplandicum Nyman), 2,5:1, entsprechend 25 g Frischpflanze in 100 g Creme Wirksamkeit und Verträglichkeit mittels vierstufiger Scores ermittelt. Die AUC-Werte als konfirmatorische Zielparameter ergaben mit der Beinwellsalbe ein besseres Ergebnis als mit dem Diclofenacgel – es wurde ein höherer Druck bis zum maximalen Schmerzempfinden toleriert. Die AUC-Werte betrugen für Beinwell 448,54 N/cm2h im Mittel und waren damit mit 61,1 N/cm2h höher als die Werte für Diclofenac (387,45 N/cm2h; signifikant mit p < 0,0046). Das 95%-Konfidenzintervall für die Differenz betrug 19,08–103,09 N/cm2h und lag vollständig über der Nichtunterlegenheitsgrenze (s. Abbildung 1). In einer später publizierten ergänzenden Auswertung (D´Anchise et al. 2007) wurden weitere Daten mitgeteilt: Zu jeder Visite waren die Veränderungen der Wirkun- gen der Beinwellsalbe gegenüber den Aufnahmebefunden der Medikation von Diclofenac signifikant überlegen (siehe Abbildung 2). Statistisch konnte damit eine Überlegenheit gegenüber der Referenzmedikation gezeigt werden. Bei den sekundären Zielgrössen (hier Angaben für die Ergebnisse nach 7 Tagen) ergaben sich ebenfalls vergleichbare (nicht signifikant unterschiedliche) Wirkungen bei den Parametern Ruhe- (Beinwell -92,01%, Diclofenac -84,96%) und Bewegungsschmerzen (Beinwell -83,20%, Diclofenac -72,37%) sowie der Gelenkschwellung (vergleichbare Reduktion in beiden Gruppen). Die deutliche Überlegenheit gegenüber Plazebo war für die hier geprüfte Salbe bereits in einer hinsichtlich der eingesetzten Parameter zur Beurteilung der Wirksam- keit vergleichbaren Doppelblindstudie mit 142 Patienten nachgewiesen worden (Koll et al. 2004). Die Beinwellsalbe war in dieser Studie der Plazebosalbe in den Parametern Druckschmerz und Schwellung hochsignifikant überlegen. Kucera et al. (2004) zeigten, dass auch eine Zubereitung aus dem Beinwellkraut im Vergleich zu Plazebo bei den Parametern Bewegungs- und Ruheschmerz, Funktionseinschränkung und Schwellungsausprägung wirksam ist. Die klinischen Studien mit dem Symphytiradix-Extrakt bestätigen damit die klinische Erfahrung aus dem Praxisalltag für diesen Beinwellextrakt in zwei offenen Anwendungsbeobachtungen (AWB) von Tschaikin (2004) sowie Pabst und Ottersbach (2004) auf hohem methodischem Niveau. 1/2010 thema PHYTOTHERAPIE 21 24. JAHRESTAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 19. NOVEMBER 2009 Kinder Auch bei Kindern unter zwölf Jahren – hier müsste man eher von Spiel- statt Sportverletzungen sprechen – kann die Salbe mit Erfolg und ausgezeichneter Verträglichkeit eingesetzt werden: Daten aus einer AWB mit 306 Kindern mit Prellungen, Zerrungen und Verstauchungen zeigten in allen von den Ärzten und den Patienten beziehungsweise deren Eltern bewerteten klinischen Symptomen im Vergleich zu Beginn der Therapie eine deutliche Verbesserung (Staiger und Wegener 2008). Die Ergebnisse dieser Praxisstudie dienten vor allem jedoch zum Beleg der Unbedenklichkeit der Anwendung bei diesen Patienten: Die Salbe war ausgezeichnet verträglich, nur in zwei Fällen wurde über vorübergehenden Juckreiz berichtet. Es wird vermutet, dass die klinische Gesamtwirkung auf einem Zusammenspiel von Allantoin, Mukopolysacchariden, Rosmarinsäure und eventuell auch anderen Hydroxyzimtsäurederivaten beruht (Staiger 2005). Zu diesen Inhaltsstoffen des Beinwells liegen Daten aus experimentellen Studien vor, die unter anderem antientzündliche und wundheilungsfördernde Effekte (hier auch klinisch von Barna et al. 2007 belegt) belegen können. Verträglichkeit In den klinischen Untersuchungen mit mehreren Hundert Patienten zeigten sich nur in Einzelfällen allergische Hautreaktionen auf die untersuchten topischen Zubereitungen aus Beinwell. Keine Risikobedenken bestehen hinsichtlich der Pyrrolizidinalkaloide des Beinwells: Durch ein Spe- zialverfahren bei der Extraktherstellung und/oder durch Sortenwahl beziehungsweise Züchtungen wird heute der Gehalt weit unter den aus toxikologischer Sicht akzeptablen Grenzen gehalten. Die früher geäusserte Empfehlung zur Begrenzung der zeitlichen Dauer der Anwendung ist daher heute nicht mehr erforderlich. Zudem: Aufgrund der ausgezeichneten und recht schnell eintretenden Wirkungen dürfte eine längere Anwendung bei Sportverletzungen auch nicht erforderlich sein. Schlussfolgerung Die moderne klinische Forschung hat da- mit plausibel zeigen können, dass das überlieferte Erfahrungswissen für mo- derne topische Zubereitungen aus Bein- well in der Anwendung bei Sportverletzun- gen gerechtfertig ist. Beinwell ist damit eine Alternative zu chemisch-definierten Pharmaka. ◆ Anschrift des Referenten: Dr. Tankred Wegener Consulting Herbal Medicinal Products Brückstrasse 11 D-69469 Weinheim t.wegener@consulting-hmp.de Referenzen: 1. Barna M, Kucera A, Hladícova M, Kucera M. Der wundheilende Effekt einer Symphytum-herbaExtrakt-Creme (Symphytum x uplandicum Nyman): Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudie. Wiener Medizinische Wochenschrift 2007; 157: 569–574. 2. D’Anchise R, Bulitta M, Giannetti B. Comfrey extract ointment in comparison to diclofenac gel in the treatment of acute unilateral ankle sprains (distortions). Arzneimittel-Forschung 2007; 57: 712–716. 3. Englert K, Mayer J, Staiger C. Symphytum officinale L. Der Beinwell in der Europäischen Pharmazie- und Medizingeschichte. Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 158–168. 4. ESCOP. Monograph Symphyti radix. In: ESCOP Monographs, Supplement 2009. European Scientific Cooperative on Phytotherapy, Exeter 2009: 249–254. 5. Koll R, Buhr M, Dieter R, Pabst H, Predel HG, Petrowicz O, Giannetti B, Klingenburg S, Staiger C. Efficacy and tolerance of a comfrey root extract (Extr. Rad. Symphyti) in the treatment of ankle distortions: results of a multicenter, randomized, placebo-controlled, double-blind study. Phytomedicine 2004; 11: 470–477. 6. Kommission E. Monographie Symphyti radix (Beinwellwurzel) und Monographie Symphyti herba/-folium (Beinwellkraut/blätter). BAnz Nr. 138 vom 27.07.1990. 7. Kucera M, Barna M, Horácek O, Kováriková J, Kucera A. Efficacy and safety of topically applied Symphytum herb extract cream in the treatment of ankle distortion: results of a randomized controlled clinical double blind study. Wien Med Wochenschr 2004; 154: 498–507. 8. Pabst H, Ottersbach P. Topikum bei Muskel- und Gelenkbeschwerden. Geriatrie Journal 2004; 6: 45–47. 9. Predel HG, Giannetti B, Koll R, Bulitta M, Staiger C. Efficacy of a Comfrey root extract ointment in comparison to a Diclofenac gel in the treatment of ankle distortions: Results of an observer-blind, randomized, multicenter study. Phytomedicine 2005; 12: 707–714. 10. Predel HG, Giannetti B, Koll R, Bulitta M, Staiger C: Efficacy of a Comfrey root extract ointment in comparison to a Diclofenacgel in the treatment of ankle distortions: Results of an observer-blind, randomized, multicenter study. Phytomedicine 2005; 12: 707–714. 11. Staiger C, Wegener T. Beinwell in der Therapie stumpfer Traumen: Anwendung bei Kindern. Comfrey extract for treating blunt injuries in children. Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29: 58–64. 12. Staiger C. Beinwell – eine moderne Arzneipflanze. Zeitschrift für Phytotherapie 2005; 26: 169–173. 13. Staiger C. Beinwell – Stand der klinischen Forschung. Zeitschrift für Phytotherapie 2007; 28: 110–114. 14. Tschaikin M. Extrakt aus Symphytum officinale. Wirksamkeit und Verträglichkeit bei topischer Anwendung. Naturheilpraxis 2004; 57: 576–578. thema22 PHYTOTHERAPIE 1/2010