Transkript
FORSCHUNG
Vergleichbare Wirksamkeit und Sicherheit einer täglichen Einmaldosis des Hypericumextrakts STW3-VI und Citalopram bei Patienten mit mittelschwerer Depression
Eine doppelblinde, randomisierte, plazebokontrollierte Multizenterstudie1
Der Hypericumextrakt STW3-
VI ist der erste und bis anhin
einzige Johanniskrautextrakt der Schweiz2, der die Zulas-
sung für leichte und mittel-
schwere Depressionen erhal-
ten hat. Für diese Zulassung
spielte auch die folgende Stu-
die eine wichtige Rolle, bei
der eine tägliche Einmaldosis
von 900 mg STW3-VI gegen-
über Citalopram und Plazebo
bei Patienten mit mittel-
schweren Depressionen ver-
glichen wurde.
Christoph Bachmann
Einleitung
Das Ziel der vorliegenden Studie war, die vergleichbare Wirksamkeit einer täglichen Einmaldosis des Hypericumextrakts STW3VI gegenüber Citalopram in einer Kurzzeitbehandlung von Patienten mit einer mittelschweren Depression (ICD-10 F32.1 oder F33.1) zu zeigen.Weiter sollte die Überlegenheit des Johanniskrautextrakts gegen-
über Plazebo dokumentiert sowie die Sicherheit und Verträglichkeit von STW3-VI nachgewiesen werden.
Probanden
Geeignete Patientinnen und Patienten wurden von Oktober 2002 bis Mai 2003 von Allgemeinpraktikern rekrutiert. Dabei galten neben den üblichen GCP-Regeln und ethischen Prinzipien folgende Einschluss- und Ausschlusskriterien:
Einschlusskriterien: ◆ 18 bis 70 Jahre (Frauen: genügende
Kontrazeption oder keine Gebärfähigkeit) ◆ erstmalige oder wiederholte Depression
mit einem HAMD-Score > 20 und < 24 (HAMD 1–17) sowie mittelschwere Depression gemäss ICD-10 F32.1 oder F33.1.
Ausschlusskriterien: ◆ Diagnose einer therapieresistenten De-
pression ◆ Schizophrenie ◆ Psychose oder Demenz ◆ Depression, die auf eine schwere andere
Erkrankung zurückgeführt werden kann ◆ bekannte Hypersensibilität auf eines
der Prüfpräparate ◆ Pharmakotherapie oder Psychotherapie
einer Depression während der letzten drei Wochen (Fluoxetin: 6 Wochen) beziehungsweise der letzten zwei Monate vor Aufnahme in die Studie ◆ Suizidalität (> 2 bei Punkt 3 der HAMD) oder bekannter Suizidversuch.
Studiendesign
Die Studie wurde als doppelblinde, randomisierte Multizenterstudie angelegt, um die Wirksamkeit von STW3-VI gegenüber Citalopram und Plazebo zu vergleichen. Die Studie dauerte von Baseline bis zum Ende
sechs Wochen. Bei Baseline sowie an den Tagen 7, 21 und 42 fanden Visiten statt, bei denen der Zustand der Probanden mit der HAMD-Skala, der Von-Zerssen’s-AdjectiveMood-Skala (BfS) sowie der Clinical-GlobalImpression-Skala überprüft wurde. Diese und alle weiteren Untersuchungen wurden gemäss einem festgelegten Plan durchgeführt.
Prüfmedikamente
Der Johanniskrautextrakt STW3-VI ist ein hydroalkoholischer Extrakt aus Hypericum perforatum. Die Tabletten à 900 mg wurden aus je 4 Gramm der getrockneten Arzneipflanze hergestellt. Dies entspricht der maximal empfohlenen Tagesdosis (1, 2). Für Citalopram liegt die empfohlene Tagesdosis bei ambulanten Patienten mit Depression bei 20 mg (3–6).
Zielparameter für Wirksamkeit und Sicherheit
Primäre Zielvariable der Studie war die Nichtunterlegenheit von STW3-VI gegenüber Citalopram und die Überlegenheit gegenüber Plazebo, gemessen auf der HAMD-Skala in einer sechswöchigen Behandlung einer mittelschweren Depression. Aufgrund von klinischen Überlegungen wurde als Nichtunterlegenheit ein Unterschied von maximal 3 Punkten auf der HAMD-Skala definiert.
1 Auf Deutsch übersetzte Kurzfassung des Originalartikels von Gastpar M., Singer A. und Zeller K.: Comparative Efficacy and Safety of a Once-Daily Dosage of Hypericum Extract STW3-VI and Citalopram in Patients with Moderate Depressions: A Double-Blind, Randomised, Multicentre, PlaceboControlled Study, Pharmacopsychiatry 2006; 39: 66–75. Übersetzung und Kürzungen: Dr. C. Bachmann 2 Der Johanniskrautextrakt STW3-VI wird in der Schweiz von der Firma Permamed AG unter dem Markennamen Solevita® forte Rx vertrieben.
thema2
PHYTOTHERAPIE
6/2009
FORSCHUNG
Tabelle 1: Durchschnittliche (mean) Verbesserung auf der HAND-Skala während der Behandlung
Verlauf Baseline Tag 7 Tag 21 Tag 42 Baseline – Tag 42
STW3-VI 21,9 18,7 13,5 10,3 11,6
Citalopram 21,8 18,3 13,7 10,3 11,4
Plazebo 22,0 18,7 15,3 13,0 9,0
Tabelle 2: Durchschnittliche Verbesserung auf der BfS-Skala im Verlauf der Behandlung
Verlauf Baseline Tag 7 Tag 21 Tag 42 Baseline – Tag 42
STW3-VI 35,9 32,0 27,7 21,1 14,7
Citalopram 34,8 31,9 27,1 21,3 13,2
Plazebo 33,8 32,6 29,9 27,4 6,1
BfS-Skala Die Bewertung auf der BfS-Skala wurde von den Probanden unabhängig vollzogen. Sie zeigt eine lineare Abnahme im Verlauf der Behandlung (vgl. Tabelle 2) In Übereinstimmung mit den schon vorgestellten Resultaten zeigen diese Werte sowohl mit der ITT- wie auch mit der PP-Auswertung die Überlegenheit von STW3-VI und Citalopram gegenüber Plazebo (beide p < 0,0001). CGI Mit der CGI-Auswertung wurden die Schwere der Krankheit, die Verbesserung des allgemeinen Zustands sowie die therapeutische Wirkung erfasst. In allen drei Bereichen zeigte sich eine signifikante Überlegenheit der beiden Aktivgruppen gegenüber Plazebo (beide p < 0,0001). Sekundäre Zielvariablen waren die Wirksamkeitparameter BfS, CGI sowie Sicherheit und Verträglichkeit von STW3-VI gegenüber Citalopram und Plazebo. Als Behandlungserfolge wurden auch die ermittelten Responderraten bestimmt. Als Therapieresponder wurden Patienten definiert, die am Behandlungsende einen HAMD-Score von < 10 oder eine Verbesserung von mindestens 50 Prozent aufwiesen. Die Beurteilung durch die Patienten wurde mit der BfS erfasst, die Verträglichkeit wurde von den Prüfärzten auf der Basis der CGI beurteilt, ebenso das Auftreten von unerwünschten Ereignissen (AE). Auswertung Die Resultate wurden mit anerkannten statistischen Methoden ausgewertet. Darauf basierend und mit der Annahme von etwa 20 Prozent Drop-outs und nicht auswertbaren Patienten mussten 390 Patienten randomisiert werden. Der gesamte Patientenfluss wurde genau dokumentiert. Von den 394 rekrutieren Patienten wurden 388 in die ITT-Population aufgenommen. Davon wurden 131 in die Hypericumgruppe, 127 in die Citalopram- und 120 in die Plazebogruppe randomisiert. Alle folgenden Resultate entstammen der ITT-Auswertung. Ihre demografischen Daten wiesen keine Unterschiede auf. Die erste Diagnose einer Depression fand durchschnittlich vor 35,9 Monaten statt. Resultate der Wirksamkeit – primäre Zielvariablen HAMD Die Verbesserung auf der HAMD-Skala im Verlauf der sechswöchigen Behandlung ist in Tabelle 1 aufgezeigt. Die Resultate zeigen eine nahezu identische Verbesserung bei den beiden Verumgruppen, die gegenüber Plazebo überlegen sind. Die Hypothese der Nichtunterlegenheit von Hypericum gegenüber Citalopram konnte mit hoher Signifikanz bestätigt werden, ebenso bestätigt wurde die Überlegenheit von Hypericum gegenüber Plazebo. Diese Resultate wurden sowohl in der ITTwie auch in der PP-Auswertung gefunden. Sekundäre Zielvariablen Responder Als Responder gemäss vorgegebener Definition (vgl. oben) galten am Ende der Behandlung 54,2 Prozent der Probanden der STW3-VI-Gruppe sowie 55,9 Prozent der Probanden der Citalopramgruppe. In der Plazebogruppe waren dies nur 39,2 Prozent (ITT-Auswertung). Daraus folgerte eine Überlegenheit der beiden Aktivgruppen gegenüber Plazebo (p = 0,0026 für Hypericum; bzw. p = 0,006 für Citalopram), jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen Hypericum und Citalopram (p = 0,6252). Auch die PP-Auswertung führte zu diesen Ergebnissen. Sicherheit: unerwünschte Wirkungen (AE) und Verträglichkeit In der Hypericumgruppe traten weniger unerwünschte Wirkungen als in den beiden anderen Gruppen auf. Es gab weniger schwere AE und weniger AE mit einem sicheren, wahrscheinlichen oder möglichen Zusammenhang mit dem Studienpräparat als in der Citalopram- und der Plazebogruppe. Weiter mussten in der Johanniskrautgruppe weniger AE-bedingte Therapieabbrüche vorgenommen werden als in den anderen (Tabelle 3). Bei Therapieende bezeichneten alle Prüfärzte die Verträglichkeit von STW3-VI als sehr gut bis gut. In der Citalopramgruppe bezeichnete 11 Prozent der Patienten die Verträglichkeit als moderat bis schlecht, in der Plazebogruppe waren es 2,3 Prozent. Hypericum wurde also signifikant besser vertragen als Citalopram (p = 0,0005) und Plazebo (p = 0,0234). Diskussion Die vorliegende Studie ist die erste, die die Wirksamkeit und Sicherheit einer täglichen Einmaldosis von Johanniskrautextrakt gegenüber Citalopram und Plazebo bei Patienten mit mittelschweren Depressionen verglich. In Bezug auf die Wirksamkeit liess sich zwischen der STW3-VI-Gruppe und der Citalopramgruppe kein Unterschied feststellen. Die Nichtunterlegenheit von STW3-VI gegenüber Citalopram sowie die Überlegenheit der beiden Aktivgruppen gegen- 6/2009 thema PHYTOTHERAPIE 3 FORSCHUNG Tabelle 3: Unerwünschte Wirkungen AE total (Patienten) davon schwer Zusammenhang mit dem Prüfpräparat : sicher, wahrscheinlich oder möglich Zusammenhang sicher Therapieabbruch nötig Dokumentierte schwere AE STW3-VI 58 (39) 1 10 2 4 0 Citalopram 94 (53) 3 Plazebo 70 (46) 1 50 21 10 4 11 6 24 über Plazebo wurden durch diese Studie dokumentiert. Ebenso wurde die bessere Sicherheit und Verträglichkeit des Hypericumpräparats gegenüber Citalopram gezeigt. Die vorliegenden Resultate liegen in Übereinstimmung mit kürzlich erschienenen Studien, die ebenfalls die Nichtunterlegenheit eines Johanniskrautextrakts gegenüber Sertralin (7) beziehungsweise Citalopram (8) gezeigt haben. Diese Resultate zeigen, dass Hypericum bei der Behandlung von mittelschweren Depressionen eine valable Alternative zu den SSRI ist und in der Behandlung der mittelschweren Depressionen eine wichtige Rolle spielt. Auch in Bezug auf die Responderrate stimmt die vorliegende Studie mit den Resultaten vorheriger Studien überein (9–11). Bezüglich der Sicherheit und Verträglichkeit erwies sich STW3-VI gegenüber Citalopram als überlegen. Die Inzidenz von AE bei einer Behandlung mit Johanniskraut liegt bei 1 bis 3 Prozent und damit mehrfach unter der Inzidenzrate synthetischer Antidepressiva. Schlussfolgerung Die vorliegende, doppelblinde, randomi- sierte Multizenterstudie vergleicht die Wirk- samkeit einer täglichen Einmaldosis des Johanniskrautextrakts STW3-VI gegen den SSRI Citalopram während sechs Wochen bei Patienten mit einer mittelschweren Depres- sion. Die therapeutische Wirksamkeit, Si- cherheit und Verträglichkeit von Hypericum konnte gezeigt werden. Die klinische Studie zeigt klar, dass STW3-VI gegenüber Citalo- pram nicht unterlegen ist. ◆ Dr. C. Bachmann Literaturreferenzen: 1. ESCOP: Hyperici herba, St. John’s wort. ESCOP Monography 1996. 2. Kommission E: Monographie Hyperici herba (Johanniskraut), Bundesanzeiger 228, 05.12.1984. 3. Bezchlibnyk-Burtler K., Aleksic I., Kennedey S.H.: Citalopram – a review of pharmacological and clinical effects, J Psychiatry Neurosc 2000; 25: 241–254. 4. Keller M.B.: Citalopram therapy for depression: a review of 10 years of European experience and data from U.S. clinical trials, J Clin Psychiatry 2000; 61: 896–908. 5. Möller J.J. et al.: Psychiatrie. Hippokrates-Verlag, Stuttgart: 1996. 6. Parker N.G., Brown C.S.: Citalopram in the treatment of depression, Ann Pharmacother 2000; 37: 761–771. 7. Brenner R., Azbel V.: Comparison of an extract of hypericum (LI 160) and Sertralin in the treatment of depression: a double-blind, randomised pilot study, Clin Ther 2000; 22: 411–149. 8. Gastpar M., Singer A., Zeller K.: Efficacy and Tolerability of Hypericum Extract STW3 in Long-Term Treatment with a Once-Daily Dosage in Comparison with Sertraline, Pharmacopsychiatry 2005; 38: 78–86. 9. Linde K., Ramirez G., Mulrow C.D., Pauls A., Weidenhammer W., Melchart D.: St. John’ s wort for depression (Cochrane Review). In:The Cochrane Library, Issue 3, 2003. Oxford: Update Software – an overview and meta-analysis of randomised clinical trials, BMJ 1996; 313: 253–258. 10. Schulz V., Hänsel R., Tyler V.E.: Rational Phytotherapy; 4th ed Springer, Berlin, 2001: 64–70. 11. Volz H.P.: Controlled Clinical Trials of Hypericum Extracts in Depressed Patients – an Overview, Pharmacopsychiatry 1997; 30: 72–76. Die Situation der Hypericum-Präparate in der Schweiz Vergleich von Solevita® forte Rx mit anderen Johanniskrautpräparaten Indikation Index therapeuticus ATC-Code Rezeptpflicht Dosierung Krankenkassenpflicht Solevita forte Rx leichte und mittelgradige depressive Episoden (ICD-10 F32.0 bzw. F32.1 1.06 Antidepressiva N06AX: andere Antidepressiva Ja (Liste B) einmal täglich 900 mg SL (Grundversicherung) Alle andern Präparate gedrückte Stimmung, Stimmungslabilität, innere Unruhe, Spannungszustände und damit einhergehende Ein- und Durchschlafstörungen 1.04 Sedativa N06AX: andere Antidepressiva Nein (Liste C) täglich 300–650 mg, verteilt auf 1 bis 3 Dosen teils SL, teils nicht thema4 PHYTOTHERAPIE 6/2009