Transkript
FORSCHUNG
Sicherheit und Wirksamkeit von Caulophyllum thalictroides während der Schwangerschaft und Stillzeit
Eine systematische Literaturrecherche
Der folgende Beitrag ist eine
gekürzte deutsche Überset-
zung des Artikels «Safety
and Efficacy of Blue Cohosh
(Caulophylum Thalictroides)
During Pregnancy and Lactation1. Caulophyllum wird in
der Schweiz vorwiegend in
homöopathischen Potenzen
eingesetzt und ist ein bekann-
tes Frauenmittel, zum Beispiel
für eine rasche und schmerz-
freie Entbindung.
Christoph Bachmann
Einleitung
Caulophyllum, Frauenwurzel (in Zukunft Caulophyllum genannt), ist eine kleine, ganzjährige Pflanze mit grossen blauen Beeren, die im nordöstlichen Amerika heimisch ist2. Die Namen aus der Volksmedizin, «Papoose root» (Kleinkind-Wurzel) be-
1 Originalartikel: Dugoua J., Perri D., Seely D., Mills E., Koren G.: Safety and Efficacy of Blue Cohosh (Caulophylum Thalictroides) During Pregnancy and Lactation, Can J Clin Pharmacol 2008 (1); 15: e66–e73. Übersetzung und Kürzungen: Dr. C. Bachmann 2 Anmerkung der Redaktion: Im Englischen besteht wegen der ähnlichen Namen zwischen Caulophyllum (blue cohosh) und Acteas racemosa bzw. Cimicifuga racemosa (black cohosh) die Gefahr einer sprachlichen Verwechslung.
ziehungsweise «Squaw root» (Frauenwurzel), verweisen auf die Verwendung dieser Arzneipflanze durch Frauen der amerikanischen Ureinwohner, die daraus einen Tee zur Behandlung menstrueller Krämpfe und Geburtswehen machten. Frauenwurzel ist Bestandteil einer pflanzlichen Zubereitung, die von etwa zwei Dritteln aller Hebammen in den USA zur Vorbereitung der Geburt verwendet wird. Die Pflanze dient zur Einleitung der Geburt, um den Geburtsvorgang zu beschleunigen und um die Geburtsbeschwerden zu lindern (1–3).
Methode
Für eine umfassende Literaturrecherche über die Wirksamkeit und Sicherheit von Caulophyllum wurden folgende Datenbanken bis März 2007 überprüft: AMED, CINHAL, Cochrane Database of Systematic Reviews, Cochrane CENTRAL Controlled Trials Database, MedLine, E-Psyche, AltHealth Watch und DARE. Weiter wurden folgende Datenbanken konsultiert: Die Monografien der Kommission E des Aerican Botanical Council, Natural Database und Natural Standard. Gefundene Resultate über Wirksamkeit und Sicherheit wurden gemäss den Angaben der Tabellen 1 und 2 bewertet.
Resultate
Indikation für die Verwendung
Einleitung der Geburt: Evidenzstufe E (1) Die pflanzliche Zubereitung, mit der nordamerikanische Hebammen die Geburt einleiten, kann neben Caulophyllum auch Mitchella repens, Rebhuhnbeere, Rubus idaeus, Himbeere, Actea racemosa (Cimicifuga racemosa), Traubensilberkerze sowie Chamaelirium luteum, Falsches Einkorn, enthalten. Die von Hebammen beobachteten Nebenwirkungen von Frauenwurzel und Trauben-
silberkerze umfassen Nausea, erhöhtes Mekonium-versetztes Fluid und transiente fötale Tachykardie (1). Die übliche Dosierung von Frauenwurzel zur Einleitung der Geburt betrug 5 Tropfen alle 4 Stunden oder 10 Tropfen in heissem Wasser alle 2 Stunden (1). Es gibt Berichte über unerwünschte Wirkungen von Caulophyllum. In einem Fall wurden fokale motorische Anfälle des rechten Arms auf die Anwesenheit des Kokainmetaboliten Benzoylecgonin zurückgeführt, der im Blut des Neugeborenen gefunden wurde. Die beteiligten Wissenschaftler konnten aber keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Caulophyllum und dem Benzoylecgonin erkennen (4, 5). Ein weiterer Fall berichtete von einem Neugeborenen, der mit einem akuten Herzinfarkt geboren wurde und eine hochgradige Herzinsuffizienz sowie einen Schock aufwies (6). Die beteiligten Fachleute führten die Herzinsuffizienz des Neugeborenen auf vasoaktive Glykoside und Alkaloide von Caulophyllum zurück. In einem weiteren Fall wurde bei einem Neugeborenen, dessen Geburt mit Caulophyllum und Traubensilberkerze eingeleitet worden war, eine schwere Multiorganhypoxie beobachtet. Das Baby atmete bei der Geburt nicht und trug bleibende Schäden davon. Die Hypoxie wurde auf Caulophyllum und nicht auf Traubensilberkerze zurückgeführt (3). Weiter wurde von einer nikotinergen Intoxikation (7) bei einer Frau berichtet, die Caulophyllum in abortiver Absicht einnahm. In einem Übersichtsartikel über Pflanzen mit einer Antifertilitätswirkung wurde Frauenwurzel als mögliches Abortivum, Emmenagogum und Uterusstimulans genannt (8). Das Alkaloid Methylcytisin, ein Inhaltsstoff der Frauenwurzel, zeigte bei Ratten terato-
6/2009
thema PHYTOTHERAPIE
15
FORSCHUNG
gene Wirkungen (9, 10). Bei einem weiteren Inhaltsstoff, dem Alkaloid Taspin, wurden ausgeprägte embryotoxische Eigenschaften gefunden (10). Schliesslich wird Caulophyllum auch mit oxytoxischen Eigenschaften in Zusammenhang gebracht (11).
Sicherheit während der Laktation
Mögliche kardiotoxische Wirkungen (6): Evidenzstufe schädlicher Wirkungen 4 Frauenwurzel enthält vasoaktive Glykoside und ein Alkaloid, die im Tierversuch am Myokard toxische Wirkungen ausgelöst haben (6). In der evidenzbasierten medizinischen Literatur findet man keine Angaben zu Sicherheit oder Kontraindikation von Caulophyllum während der Laktation.
Toxizität und unerwünschte Wirkungen
Frauenwurzel kann auf koronare Arterien eine vasokonstriktive Wirkung haben und so die Sauerstoffversorgung des Herzens vermindern (12). Weiter kann das Alkaloid Methylcytisin Symptome einer nikotinergen Vergiftung und in Ratten Teratogenie erzeugen (7). Das Alkaloid Taspin kann bei Ratten embryotoxisch wirken (7).
Diskussion
In der evidenzbasierten Literatur wird die Einleitung der Geburt als therapeutische Anwendung von Caulophyllum beschrieben. Allerdings handelt es sich um eine Evidenz mit geringer Qualität, die sich auf eine Befragung von Hebammen in den USA stützt. Es gibt einige wenige In-vitro-Studien, die eine uterusstimulierende Wirkung bei Tieren zeigen. Drei Fallbeschreibungen weisen auf die Möglichkeit hin, dass Frauenwurzel einen perinatalen Schlaganfall, einen akuten Myokardinfarkt, eine schwere Herzinsuffizienz mit Schock und schwere Multiorganhypoxieschäden bewirken kann. Dies wird auf die mögliche vasokonstriktive Wirkung auf Koronararterien zurückgeführt. Ausser beim perinatalen Schlaganfall nehmen die Fachleute einen Kausalzusammenhang mit der Einnahme von Caulophyllum an. Beim Schlaganfall konnte die Anwesenheit von Benzoylecgonin nicht erklärt werden. Daher wurde eher ein Messfehler angenommen. Eine weitere Evidenz für die Kardiotoxizität der Frauenwurzel sind Berichte über fetale Tachykardie, die von den befragten Hebammen stammen. Es scheint aber
Tabelle 1: Evidenzstufen der Wirksamkeit
Stufe A
B1
B2
C
D E F
Evidenz Sehr klare wissenschaftliche Evidenz Statistisch signifikante Evidenz der Wirksamkeit von einer oder mehreren systematischen Reviews/Metaanalysen. Klare wissenschaftliche Evidenz Statistisch signifikante Evidenz der Wirksamkeit von einer oder mehreren sauber durchgeführten randomisierten kontrollierten Studien (RCT). Gute wissenschaftliche Evidenz Statistisch signifikante Evidenz der Wirksamkeit von einer oder mehreren RCT. Diese haben aber entweder wenig Probanden oder weisen in ihren Methoden Diskrepanzen auf. Schwache wissenschaftliche Evidenz Statistisch signifikante Evidenz der Wirksamkeit von einer oder mehreren Kohortenstudien oder Case-control-Studien. Sehr schwache wissenschaftliche Evidenz Evidenz von Fallserien oder Fallreports. Indirekte Evidenz Expertenmeinungen oder Laborstudien. Historische oder traditionelle Evidenz Historische oder traditionelle Verwendung durch medizinische Fachleute, Kräuterheilpraktiker oder indigene Stämme.
Tabelle 2: Evidenzstufen schädlicher Wirkungen
Stufe 1
2
3a 3b 4
5 6
Evidenz Klare wissenschaftliche Evidenz Statistisch signifikante Evidenz von einer oder mehreren systematischen Reviews oder RCT. Akzeptable wissenschaftliche Evidenz Statistisch signifikante Evidenz von einer oder mehreren Kohortenstudien mit gutem Design oder Case-control-Studien. Schwache wissenschaftliche Evidenz Evidenz von einer oder mehreren Fallserien. Sehr schwache wissenschaftliche Evidenz Evidenz basierend auf Fallstudien. Indirekte wissenschaftliche Evidenz Evidenz basierend auf wissenschaftlichen Studien mit Tieren, Insekten oder Mikroorganismen oder Laborstudien mit menschlichen Zellen. Theoretische Evidenz Evidenz basierend auf einer wissenschaftlichen Theorie oder Expertenmeinungen. Unbekannt Keine Informationen erhältlich.
unwahrscheinlich, dass Hebammen, die ausgebildete Spezialistinnen sind, bei der Entbindung ein Präparat verwenden, das bei den Neugeborenen zu schweren kardialen Nebenwirkungen führen kann. Vielleicht wurde bei den vorgestellten Fallberichten Caulophyllum ausserhalb der therapeutischen Breite verwendet. Da die
Hebammen aber die Verwendung von Frauenwurzel von erfahrenen Kolleginnen erlernen, ist diese Möglichkeit kaum anzunehmen. Es liegt eine ausreichende Evidenz vor, dass Caulophyllum abortive Eigenschaften hat. Dies stützt sich auf theoretische Überlegungen und Expertenmeinungen. Daher
thema16
PHYTOTHERAPIE
6/2009
FORSCHUNG
wird es als Abortivum, Emmenagogum
und Uterusstimulans eingestuft. Obwohl
es im Fall der versuchten Abtreibung
ausserhalb der therapeutischen Breite ein-
gesetzt wurde, sollte bei der Anwendung
auf die mögliche nikotinerge Toxizität ge-
achtet werden.
In-vitro-Untersuchungen lassen terato-
gene, embryotoxische und oxytoxische Ei-
genschaften von Caulophyllum vermuten.
Über die Sicherheit der Frauenwurzel wäh-
rend der Laktation liegen keine Daten vor.
Es ist aber zu erwähnen, dass stillende
Mütter kaum Frauenwurzel einnehmen, da
diese ja während der Entbindung einge-
setzt wird.
Basierend auf den beschriebenen Fallbe-
richten sollte Caulophyllum während der
Schwangerschaft mit grösster Vorsicht
und nur unter Kontrolle von medizinischen
Fachleuten eingesetzt werden und nicht
als OTC-Präparat erhältlich sein. Im ersten
Trimester sollte es wegen der möglichen
Teratogenität und abortiver Eigenschaften
nicht eingesetzt werden.
◆
Literaturreferenzen:
1. McFarlin BL, Gibson MH, O’Rear J, Harman P. A national survey of herbal preparation use by nursemidwives for labor stimulation. Review of the literature and recommendations for practice. J Nurse Midwifery 1999; 44: 205–16.
2. Perri S. Getting to the root of it – A profile of blue cohosh. Midwifery Today Int Midwife 2002; 62: 27–8.
3. Gunn TR,Wright IM.The use of black and blue cohosh in labour. N Z Med J 1996; 109: 410–1.
4. Finkel RS, Zarlengo KM. Blue Cohosh and Perinatal Stroke. The New England Journal of Medicine 2004; 351: 302.
5. Potterton D, Chan GM, Nelson LS, Finkel RS, Zarlengo RM. More on blue cohosh and perinatal stroke. N Engl J Med 2004; 351: 2239–41.
6. Jones TK, Lawson BM. Profound neonatal congestive heart failure caused by maternal consumption of blue cohosh herbal medication. J Pediatr 1998; 132: 550–2.
7. Rao RB, Hoffman RS. Nicotinic toxicity from tincture of blue cohosh (Caulophyllum) used as an abortifacient. Vet Hum Toxicol 2002; 44: 221–2.
Redaktioneller Kommentar:
Der vorliegende Artikel wurde ganz bewusst publiziert, damit auch kritische Stimmen zu pflanzlichen Arzneimitteln zu Wort kommen. Eine verantwortungsvolle, sich auf wissenschaftliche Grundlagen stützende Phytotherapie nimmt solche kritischen Berichte ernst!
Bei der Lektüre fallen aber einige Tatsachen auf. Wenn etwa zwei Drittel aller US-amerikanischen Hebammen bei einer Geburt pflanzliche Präparate einsetzen, die unter anderem Caulophyllum thalictroides enthalten, dann nehmen jedes Jahr Hundertausende von werdenden amerikanischen Müttern Tropfen ein, die Frauenwurzel enthalten. Diesen Anwendungen stehen 3 Fallberichte entgegen, bei denen es zu schweren, davon in 1 Fall zu tragischen Zwischenfällen gekommen ist. In keinem der 3 Fälle konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den Vorfällen und der Einnahme von Caulophyllum gezeigt werden. Weiter hat Caulophyllum eine lange volksmedizinische Tradition, was für die Sicherheit der Pflanze spricht. Warum wurde im Artikel den andern Bestandteilen dieser pflanzlichen Mischung, ausser Cimicifuga racemosa, keine Beachtung geschenkt?
Allerdings sprechen theoretische Überlegungen und pharmakologische Studien dafür, dass es bei der Anwendung zu unerwünschten Wirkungen dieser Art kommen könnte. Doch warum erwiesen sich die Fallberichte als so schwerwiegend? Haben die betroffenen Frauen Caulophyllum wirklich innerhalb der therapeutischen Breite eingenommen? Der Artikel spricht nur von der Erfahrung der Hebammen.Wenn aber jährlich Hundertausende von Frauen die Tropfen einnehmen, kann es doch in seltenen Fällen vorkommen, dass eine betroffene werdende Mutter irrtümlicherweise eine zu hohe Dosis einnimmt. Im Falle der Frau mit der nikotinergen Vergiftung war das offensichtlich der Fall! Wie steht es mit synthetischen Medikamenten, die bei der Entbindung routinemässig eingesetzt werden? Welches Verhältnis findet man dort zwischen der Menge der Anwendungen und der Anzahl der unerwünschten Wirkungen?
Medikamente, die die Geburt beeinflussen, sollten in jedem Fall nur unter Kontrolle von Fachpersonen angewendet werden!
Schliesslich ist noch zu bemerken, dass Hebammen in der Schweiz routinemässig Caulophyllum nicht als pflanzliche Tinktur, sondern als homöopathisches Präparat in verschiedenen Potenzen verwenden. Ausserdem haben die beschriebenen Fälle wenigstens teilweise mit dem amerikanischen System zu tun, das pflanzliche Präparate per se nicht als Arzneipräparate, sondern nur als Nahrungsergänzungsmittel anerkennt. Das führt mit Sicherheit zu einem weniger sorgfältigen Umgang der Bevölkerung mit solchen Präparaten!
Dr. C. Bachmann
8. Farnsworth NR, Bingel AS, Cordell GA, Crane FA, Fong HH. Potential value of plants as sources of new antifertility agents I. J Pharm Sci 1975; 64: 535–98.
9. Ganzera M, Dharmaratne HR, Nanayakkara NP, Khan IA. Determination of saponins and alkaloids in Caulophyllum (blue cohosh) by high-performance liquid chromatography and evaporative light scattering detection. Phytochem Anal 2003; 14: 1–7.
10. Kennelly EJ, Flynn TJ, Mazzola EP, et al. Detecting potential teratogenic alkaloids from blue cohosh
rhizomes using an in vitro rat embryoculture. J Nat Prod 1999; 62: 1385–9.
11. Newall CA, Anderson LA, Phillipson JD. Herbal medicines: a guide for health-care professionals. London, UK: Pharmaceutical Press, 1996: 296.
12. Edmunds J. Blue cohosh and newborn myocardial infarction? Midwifery Today Int Midwife, 1999; Winter: 34–5.
6/2009
thema PHYTOTHERAPIE
17