Transkript
FORUM
Kommentar zur Cochrane-Review über Serenoa repens bei benigner Prostatahyperplasie1
Auswertung einer Gruppe von pflanzlichen Arzneimitteln, die Vielstoffgemische darstellen
Der folgende Beitrag stellt
einen Kommentar einiger
europäischer Phytotherapie-
Fachleute zur kürzlich erschie-
nenen Review der Cochrane
Collaboration2 dar (vgl. Seite 8
in diesem Heft). Dieser Kom-
mentar wird in der englischen
Originalversion via einen
«Criticism Editor» als kriti-
scher Brief an ein Editoren-
kollektiv der Cochrane Colla-
boration geschickt1.
A.R. Bilia, S.F.A.J. Horsten, S. Sturm, M. Frater-Schröder
Allgemeine Bemerkungen zu Vielstoffgemischen aus Arzneipflanzen
Die Qualität eines pflanzlichen Arzneimittels ist von entscheidender Wichtigkeit. Sowohl das Sicherheitsprofil wie auch die Wirksamkeit eines pflanzlichen Arzneimittels als Vielstoffgemisch sind unabänderlich mit der Qualität verbunden. Die Qualität sollte in Übereinstimmung mit den Monografien der Europäischen Pharmako-
pöe oder anderen Pharmakopöen oder mit pharmazeutischen Referenzbüchern bewertet werden (2, 3). Diese legen die Kriterien für die Qualität eines pflanzlichen Arzneimittels als Vielstoffgemisch fest, ebenso für ausgewählte Extrakte, indem sie sich an der Klassifikation von wirksamen Inhaltsstoffen, pharmakologisch aktiven Markern und Leitsubstanzen (4, 5) orientieren. Zusätzlich existieren genau validierte Pharmakopöe-Vorschriften, die ein korrektes Einhalten der Analyseverfahren, unabhängig von den äusseren Bedingungen der Herstellung, garantieren (ICHguideline Q2 [R1]; www.ich.org). Die Qualität eines definierten Pflanzenextraktes hängt unabänderlich von der Qualität der botanischen Quelle («Pflanzen-
droge») ab, die durch den botanischen Namen der Pflanze definiert wird, gemäss dem binominalen System (Geschlecht, Art, Varietät und Autor) sowie dem verwendeten Pflanzenorgan (z.B. Blatt, Wurzel oder Frucht). Zusätzlich sollten weitere Faktoren berücksichtigt werden wie die Zubereitungsmethode (Art der Extraktion, verwendete Lösungsmittel; Löslichkeit und Stabilität der Inhaltsstoffe der Pflanze), das Drogen-Extrakt-Verhältnis (DEV), die Dauer
1Der Kommentar wurde der folgenden Internetadresse zur Publikation zugestellt: http://mrw.interscience.wiley.com/cochrane/clsysre v/articles/CD001423/frame.html zur Publikation zugestellt. 2 Übersetzung auf Deutsch: Dr. C. Bachmann. Zwischentitel von Dr. Bachmann eingefügt.
thema10
PHYTOTHERAPIE
4/2009
FORUM
und die Temperatur der Verfahren, die nicht nur für die Sicherheit, sondern auch für die Wirksamkeit des Produktes von entscheidender Bedeutung sein können (6–9). In Analogie zu den analytischen Testverfahren sollten auch die Herstellungsschritte validiert sein, damit die Konsistenz des Endproduktes so weit als möglich garantiert werden kann. Deshalb kann die finale Zusammensetzung eines Pflanzenextraktes als Vielstoffgemisch zu anderen Wirkungen und unter gewissen Umständen sogar zu einem unterschiedlichen Sicherheitsprofil führen, als dies bei einem anderen Extrakt der identischen Pflanze der Fall wäre. Diese Fakten werden für die Lege-artisHerstellung von Pflanzenextrakten berücksichtigt und dokumentiert, die im Rahmen einer neuen Serie von Monografien der Europäischen Union definiert und von der EMEA genehmigt werden (10). Es muss festgehalten werden, dass innerhalb der verschiedenen Arten von pflanzlichen Produkten, die weltweit verkauft werden, also zum Beispiel Nahrungsmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln und pflanzlichen Arzneimitteln, nur die pflanzlichen Arzneimittel unter den strengen Qualitätsvorschriften hergestellt werden, wie es zum Beispiel die Good Sourcing Practices (GSP), die Good Agricultural Practices (GAP), die Good Field Collection Practices (GFCP), die Good Processing Practices (GPP) oder die Good Manufacturing Practice (GMP) darstellen. Sofern diese Aspekte beachtet werden, kann die Qualität beurteilt und das Endprodukt nachvollziehbar bewertet werden. Diese Überlegungen zeigen, dass die Verwendung einer identischen botanischen Quelle noch keine Bioäquivalenz von verschiedenen aus ihr gewonnenen Extrakten und daraus entstandenen pflanzlichen Arzneimitteln garantieren kann.
Überlegungen zum Studiendesign der Cochrane-Review
Die Autoren der Cochrane-Review über Serenoa repens (1) haben zweifelsohne verschiedene Serenoa-repens-Extrakte, zum Teil nicht genau definierte und deshalb notwendigerweise daraus folgend unterschiedliche pflanzliche Arzneimittel, zusammengefasst und überprüft, um daraus die Schlussfolgerungen der Cochrane-Review zu ziehen.
Dies zeigt dem Leser, dass sowohl vergleichbare (bioäquivalente) wie nicht vergleichbare Präparate in diese Studie aufgenommen und verglichen wurden, obwohl diese hätten verschieden behandelt werden müssen, zum Beispiel in Bezug auf die nicht vergleichbare Sicherheit und/oder das Wirksamkeitsprofil. Diese Review bietet eine aktuelle Übersicht über ältere und neuere klinische Studien in der Behandlung einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) mit verschiedenen Serenoa-repens-Präparaten. Die Review hat mehrere Mängel. Nachfolgend werden vier Problemkreise dargestellt.
Kommentar 1: Unterlassung in der Aussage und Schlussfolgerung der Analyse
Die Review berücksichtigt sowohl plazebokontrollierte Studien wie auch Vergleichsstudien. Neben der Überprüfung in 14 plazebokontrollierten Studien wurde Serenoa in 9 Studien gegen eine etablierte synthetische Vergleichssubstanz (Finasterid, Tamsulosin, Gestonoroncaproat) geprüft. In diesen 9 Studien wurden 4 Serenoa-repens-Monopräparate und 5 Kombinationspräparate verwendet. Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen Finasterid- und Serenoapräparaten in Studien mit bis zu 1098 Patienten, bezogen auf wichtige klinische Symptome. Auch Tamsulosin war nicht signifikant verschieden von Serenoa in Bezug auf essenzielle klinische Symptome. Ebenfalls war Gestonoroncaproat nicht besser als Serenoa repens. Das zeigt deutlich, dass sich diese Substanzen in der Wirksamkeit nicht von Serenoa repens unterscheiden. Einige ausgewählte Resultate mögen dies dokumentieren: 1 Studie verglich Serenoa mit Finasterid. MD: -0,40 Punkte, 95%-KI -0,57 bis 1,37 (p > 0,05); 2 Studien verglichen Serenoa mit Tamsulosin: WMD -0,52 Punkte, 95%-KI -1,91 bis 0,88 (p > 0,05). Die Autoren folgerten nach Auswertung der plazebokontrollierten Studien ausserdem, dass beim Vergleich von Serenoa repens (entweder als Monopräparat oder als Kombinationspräparat) versus Plazebo in der Mehrheit der Studien kein Unterschied besteht. Hier kann der Leser, auch ohne die statistische Auswertung vollumfänglich nachzuvollziehen, schliessen, dass Serenoa in diesen Studien gleich wirksam war wie die etablierten synthetischen BPH-Therapeu-
tika. Die Aussage der Autoren, dass Serenoa gleich wirksam ist wie Plazebo (basierend auf 14 Studien), steht dazu im Widerspruch.
Schlussfolgerung zu Kommentar 1: Widersprüche zwischen den Studienresultaten beim Vergleich von Serenoa repens versus Plazebo (Aussage der Autoren: Serenoa ist nicht von Plazebo verschieden, d.h. Serenoa ist unwirksam) und beim Vergleich von Serenoa repens versus etablierte synthetische BPH-Therapeutika erlauben keine schlüssige Aussage über die Wirkung der Serenoa-repens-Extrakte. Die in der Cochrane-Review präsentierten Resultate erlauben dem Leser die Schlussfolgerung, dass sich Serenoa repens nicht von wirksamen BPH-Therapeutika unterscheidet.
Kommentar 2: Problem Serenoa repens, die chemische Komplexität eines Vielstoffgemisches
Die Autoren haben die untersuchten Serenoa-repens-Extrakte in den Studien jeweils wie einen «chemisch einheitlichen Stoff, bestehend aus einer chemischen Komponente» behandelt. Das heisst, die Autoren haben in der statistischen Auswertung wahrscheinlich nicht beachtet, dass jedes Serenoa-repens-Präparat ein Früchteextrakt und deshalb ein Vielstoffgemisch mit einer je nach Extraktionsmethode unterschiedlichen Zusammensetzung ist. Die Art der Standardisierung, das Extraktionsmittel, das Droge-Extrakt-Verhältnis (DEV), die Wirksamkeit mitbestimmender Stoffe sind nicht oder nur ganz am Rande erwähnt und wurden in der Auswertung nicht berücksichtigt.
Kommentar 3: Problem Dosierung
Die Dosierung der Serenoa-repens-Präparate ist direkt abhängig von der Zusammensetzung des Vielstoffgemisches. Dadurch wird die wirkliche Dosierung in den Studien, die verschiedene Serenoa-repens-Extrakte verwendeten, zu wenig berücksichtigt, auch wenn das in der Review kurz erwähnt wird (S. 6–7). Die publizierte tägliche Dosis variierte in den analysierten Studien von «20 drops», 100 mg, 160 mg, 212 mg, 286 mg, 320 mg (mehrere Studien), 480 mg bis 640 mg und wird meistens, aber nicht immer, täglich in 2 Dosen verabreicht. Es gibt keinen statistischen Vergleich von Studien mit definierten Do-
thema11
PHYTOTHERAPIE
4/2009
FORUM
sierungen. Die Studien mit den verschiedenen Dosierungen wurden addiert und gemeinsam von den Autoren ausgewertet. BPH-Behandlungen mit verschiedenen Serenoa-repens-Extrakten, mit verschiedenen Dosierungen (z.B. «Äpfel», «Birnen» und «Zitronen»), wurden in der Analyse als «identische» Therapien definiert und im statistischen Vergleich gegenüber chemisch-synthetischen Therapeutika mit exakt definierten Dosierungen ausgewertet. Es gibt eine Bemerkung in der Review (Zitat S. 13: «… of the 15 trials that were placebocontrolled and compared to Serenoa repens monotherapy, 7 utilized the commercialized Permixon, which assured that our comparators were equivalent …»), die zeigt, dass sich die Autoren bewusst waren, dass es sich nur in einem Teil, nämlich in 50 Prozent (7 von 14) der plazebokontrollierten Studien, um das gleiche beziehungsweise um ein wirklich vergleichbares Präparat handelte, welches nur Serenoa repens enthält. Die übrigen «7 plazebokontrollierten Studien» (50%) wären deshalb, bezogen auf das verwendete Serenoa-repens-Präparat, als «non-equivalent»zu klassifizieren.
Schlussfolgerung zu Kommentar 2 und 3: Der Fokus der statistischen Auswertung ist stark auf die klinische Symptomatik gerichtet, lässt aber die Heterogenität der Serenoa-repens-Präparate und die entsprechend heterogenen Dosierungen ausser Acht. Die 7 «non-equivalent»-Studien wären demnach nicht geeignet, um in die vergleichende klinische Auswertung der plazebokontrollierten Studien einbezogen zu werden.
Kommentar 4: Problem Studien mit phytotherapeutischen Mischpräparaten
9 von den 30 ausgewerteten Studien wurden mit phytotherapeutischen Mischpräparaten durchgeführt, die jeweils neben einem Serenoa-repens-Extrakt (nicht näher
definiert für die Cochrane-Analyse und ohne Dosierungsangaben) eine oder mehrere andere Extrakte anderer Arzneipflanzen enthielten.
Schlussfolgerung zu Kommentar 4: Diese Studien sagen nichts aus über die Wirkung von Serenoa repens allein. Sie gehören demnach nicht in diese Analyse.
Schlussfolgerungen der Kommentare 1–4
◆ Von den 30 ausgewerteten Studien könnten aus guten Gründen 7 plazebokontrollierte Studien mit nicht vergleichbaren Serenoa-repens-Präparaten und 9 Studien mit Kombinationspräparaten weggelassen werden. Somit blieben 14 Studien für eine Wiederholung der Vergleichsanalyse.
◆ Die Schlussfolgerung der Autoren, dass Serenoa repens sich von Plazebo nicht unterscheide, zeigt, dass diese Aussagen nicht klaren wissenschaftlichen Kriterien entsprechen. Selbst ohne Wiederholung der gesamten statistischen Auswertung – auch wenn dies für eine genaue Beurteilung erforderlich wäre – müsste die Schlussfolgerung der Autoren über die Wirksamkeit von Serenoa repens bei BPH neu beurteilt werden. ◆
Anschrift der Autoren: Prof. Dr. Anna Rita Bilia (Korrespondenzadresse) University of Florence, Phytolab, Department of Pharmaceutical Sciences, I-6 50019 Sesto Fiorentino (Florence) ar.bilia@unifi.it
S.F.A.J. Horsten, PhD Steenmarteakker 1 NL-3994 GE Houten
S. Sturm, PhD University of Innsbruck Inst. of Pharmacy/Pharmacognosy A-6020 Innsbruck
M. Frater-Schröder, PhD Schwand 9642 Ebnat-Kappel
Literatur:
1. Tacklind J, MacDonald R, Rutks I, Wilts TJ. Serenoa repens for benign prostatic hyperplasia (Review). The Cochrane Collaboration®, The Cochrane Library 2009, Issue 2, pp.1–56. Publishers John Wiley & Sons, Ltd.
2. Saw Palmetto Fruit. Sabalis serrulatae fructus. European Pharmacopoeia. Council of Europe.
3. Saw palmetto. USP, United States Pharmacopeia.
4. Guideline on declaration of herbal substances and herbal preparations in herbal medicinal products/traditional herbal medicinal products in the SPC (Summary of product characteristics). EMEA adopted guideline. London, 26 July 2007 Doc. Ref: EMEA/HMPC/CHMP/CVMP/287539/2005.
5. Reflection papers on markers used for quantitative and qualitative analyses of herbal medicinal products and traditional herbal medicinal products. EMEA adopted guideline. London, 15 July 2008. Doc. Ref. EMEA/HMPC/253629/2007.
6. Gaedcke F, Steinhoff B. In: Herbal medicinal products. Scientific and regulatory basis for development, quality assurance and marketing authorisation. CRC Press, Boca Raton, 2003.
7. Guideline on specifications: test procedures and acceptance criteria for herbal substances, herbal preparations and herbal medicinal products/ traditional herbal medicinal products. EMEA adopted guideline. London 30 March 2006. CPMP/QWP/ 2819/00 Rev 1. EMEA/CVMP/814/00 Rev 1
8. Guideline on quality of herbal medicinal products/traditional herbal medicinal products. London, 30 March 2006. EMEA adopted guideline. CPMP/ QWP/2819/00 Rev 1. EMEA/CVMP/814/00 Rev 1.
9. Vlietinck A, Pieters L, Apers S. Legal requirements for the quality of herbal substances and herbal preparations for the manufacturing of herbal medicinal products in the European Union. Planta Med 2009; 75: 683–688.
10 a) about European Community Monographs: www.emea.europa.eu/htms/human/hmpc/hmpc monographs.htm
10 b) homepage of HMPC (Herbal Medicinal Product Committee of EMEA): www.emea.europa.eu/htms/ human/hmpc/index.htm.
10 c) about HMPC documents (Herbal Medicinal Product Committee of EMEA): www.emea.europa.eu/ htms/human/hmpwp/working.htm
4/2009
thema PHYTOTHERAPIE
12