Transkript
ANLASS
Johanniskraut, was ist Mythos und was Realität?
Schulmedizin und Komplementärmedizin im Dialog: Depression Kurzform des Referates der Fortbildungsveranstaltung am 12. März 2009 in der Aeskulap-Klinik in Brunnen
Simon Feldhaus
In der Behandlung depressiver Störungen spielt die Pharmakotherapie eine wichtige, natürlich aber nicht die einzige und hauptsächliche Rolle. Die seitens der Schulmedizin häufig verwendeten Medikamente vom Typ SSRI haben aber doch einige unangenehme Nebenwirkungen. So sind Suizide bei jüngeren Patienten gehäuft beschrieben worden, und auch aggressives Verhalten gerade bei jüngeren Patienten ist in neuesten Studien signifikant höher. Die Phytotherapie mit standardisierten Johanniskraut-Extrakten in Tablettenform kann mittlerweile als eindeutig wirksam auch unter den Kriterien der Evidence Based Medicine eingestuft werden. Dennoch wird sie häufig deutlich unter Wert verwendet. Der Eindruck ist immer noch, Johanniskraut sei nur bei ganz leichten Formen sinnvoll, und vor allem müsse man auf die häufigen Nebenwirkungen achten. 2008 erschien ein Cochrane Review mit dem Inhalt «St. Johns wort for major depression», in dem Johanniskraut den Standard-Antidepressiva klar gleichgestellt wurde. Lange erforscht wurden mögliche Wirkungsmechanismen. Hier stellt die Phytotherapie einen Spezialfall da. Nicht eine Inhaltssubstanz von einem JohanniskrautExtrakt wirkt, sondern der Extrakt an sich. Es ist somit ein Vielstoffgemisch, welches aufgrund der unterschiedlichen Inhaltsstoffe auch auf unterschiedlichen Ebenen wirkt. Nachgewiesen sind Wirkungen im Bereich der Aufnahme von Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA und Glutamat. Insofern könnte man Johanniskraut als BreitbandWiederaufnahmehemmer bezeichnen. Zudem konnte der experimentelle Nachweis
erbracht werden, dass Johanniskraut genau wie die SSRI im Bereich des Recyclings der Beta-Adrenorezeptoren und der Modifikation der cAMP-Antwort Wirkung zeigt. Zusammenfassend ist also sowohl auf Seiten der klinischen Studien wie auch im experimentellen Bereich die Wirkungsäquivalenz von Johanniskrautextrakt zu den Standard-Antidepressiva nachgewiesen. Was ist nun mit den so gefürchteten Nebenwirkungen? Nebenwirkungen treten bei einer Behandlung mit Johanniskraut um den Faktor 5 bis 10 seltener auf als bei der Therapie beispielsweise mit SSRI. Auch dies konnte in den Vergleichsstudien beispielsweise mit Paroxetin eindrücklich nachgewiesen werden. Dieser Faktor erschwert sogar die Verblindung bei solchen Studien, da häufig aufgrund der vom Patienten beschriebenen typischen Nebenwirkungen der SSRI zu erkennen ist, ob ein Patient ein solches Präparat oder Johanniskraut bekommen hat ... Auch die immer wieder beschriebene Photosensibilisierung, die theoretisch auftreten kann, ist im Alltag kein Problem und tritt nur bei massiver Überdosierung auf. Klinische Fälle sind nicht beschrieben worden. Was zu beachten ist, sind mögliche Interaktionen durch Induktion des CYP 3A4. Somit könnte bei Antikoagulation eine leichte Dosiserhöhung von Marcoumar notwendig sein. Eine Kombination mit Cyclosporin und Proteasen-Hemmstoffen (HIV-Therapie) gilt als Kontraindikation. Auch eine Wirkungsabschwächung der hormonellen Antikonzeptiva erscheint denkbar, wenn auch bislang kein einziger Fall weltweit beschrieben wurde, in dem eine Johanniskraut-Therapie zu einer ungewünschten Schwangerschaft geführt hat. Diese in der Praxis kaum relevanten Interaktionen von Johanniskraut stehen dem
massiven Interaktionspotenzial beispielweise der SSRI gegenüber. Hier finden sich Beeinflussungen von bis zu 6 Einheiten des Cytochrom-P-450-Systems, Johanniskraut ist nur für eine Einheit relevant! Insofern ist bei der Pharmakotherapie von SSRI ein massiv grösseres Interaktionspotenzial zu beachten als bei Johanniskraut! Unter anderem hat sich eine bis zu fünffache Erhöhung des gastrointestinalen Blutungsrisikos bei der Kombination vom SSRI mit NSAR gezeigt. Also ist auch das Argument der problematischen Kombination von Johanniskraut mit anderen Medikamenten als Mythos zu bezeichnen, und das wesentlich geringere Potenzial im Vergleich zu den StandardAntidepressiva spricht im Gegenteil gerade für die Anwendung der Phytotherapie. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Gerade für die in der täglichen ambulanten Praxis vorkommenden depressiven Störungen stellt die Phytotherapie mit standardisierten Johanniskrautextrakten eine ideale Behandlungsmöglichkeit dar. Sie ist der klassischen Behandlung mit SSRI ebenbürtig, hat deutlich weniger Nebenwirkungen und ist zudem noch fünffach günstiger, was die Tagestherapiekosten angeht. Es wäre an der Zeit, den Mythos Johanniskraut durch die Realität zu ersetzen: ein wirkungsvolles, zweckmässiges und wirtschaftliches Präparat zur Behandlung depressiver Störungen. Das genau wird heutzutage gefordert! ◆
Anschrift des Referenten: Dr. med. Simon Feldhaus Paramed-Zentrum Haldenstrasse 1 6342 Baar E-Mail: s.feldhaus@paramed.ch
thema20
PHYTOTHERAPIE
4/2009