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ANLASS
Ganzheitlicher Ansatz in der Behandlung von depressiven Zuständen
Schriftliche Fassung des Referats von Dr. med. Cesar Winnicki
Der lateinische Begriff «Depression» wird seit nicht einmal 100 Jahren in der Medizin verwendet und leitet sich vom lateinischen Wort «deprimere» ab, was «niederdrücken» heisst. Eine gedrückte Stimmung gehört neben Antriebshemmung, vegetativen und körperlichen Symptomen zu den wichtigsten Merkmalen der Depression. Bei einer Inzidenz von 1 bis 2 Prozent und Prävalenz von etwa 5 Prozent in der Schweizer Bevölkerung gehören die depressiven Zustände zu den häufigsten gesundheitlichen Problemen unserer Patienten.
Cesar Winnicki
In der Aeskulap-Klinik in Brunnen, dem Zentrum für ärztliche Ganzheitsmedizin, wird seit mehreren Jahren ein duales ganzheitliches Therapiekonzept zur Behandlung von depressiven Zuständen angewandt. Die harmonische und individuelle Kombination von konventionellen Therapien mit den Methoden der etablierten Komplementärmedizin ergeben einen ganzheitlichen integrativen Ansatz. Die konventionelle Therapie umfasst Psychopharmakologie, Psychotherapie und andere etwas weniger bekannte, aber evidenzbasierte Methoden wie Lichttherapie. Zu den Methoden der Komplementärmedizin zählen folgende Massnahmen: Phytotherapie, Bewegung, orthomolekulare Therapie, Wärmeanwendungen, Immunstimulativa, Homöopathie, ganzheitliche Schmerztherapie, Zahnmedizin sowie Ernährung.
Mit Phytotherapie gegen Depression
In der Phytotherapie von Depression spielen die Hypericumextrakte (Johanniskraut) eine besondere Rolle. Wie die neuste Cochrane-Metaanalyse (1) von 29 Studien bei über 5000 Patienten belegen konnte, sind die Hypericumextrakte bei Major Depression erstens dem Plazebo überlegen, zweitens vergleichbar wirksam wie synthetische Antidepressiva und verursachen drittens weniger Nebenwirkungen. Diese Metaanalyse bestätigt vollumfänglich die jahrzehntelange Erfahrung der Komplementärmedizin, die Johanniskrautextrakte gegen milde bis mittelschwere Depressionen, aber auch psychovegetative Störungen, Angst, menopausale Beschwerden und Schlafstörungen einsetzt.
Schlafstörungen gehen regelmässig einer Depression voraus oder begleiten diesen Zustand. Dagegen setzt die Komplementärmedizin mit grossen Erfolgen unter anderem folgende Heilkräuter ein: Baldrian (Valeriana officinalis), Hopfen (Humulus lupulus) und Passionsblume (Passiflora incarnata). Für die schlaffördernde Wirkung von Baldrian liegen einige Analysen vor (2). Die anxiolytische Wirkung von Passiflora wurde mit einer klinischen Studie belegt (3). Der gewöhnliche Pestwurz, der viele alpine Wanderwege im Frühling säumt, wird vor allem. gegen Unruhe und Nervosität eingesetzt. In einer ganzheitlichen Therapie von depressiven Zuständen darf eine phytotherapeutische Unterstützung der Leberfunktion in keinem Fall fehlen. Für diese etwas ungewöhnliche Indikation gibt es neue biochemische Erkenntnisse. Das hepatische Zytochrom P450 spielt eine wesentliche Rolle im Stoffwechsel aller Hormone. Somit kann eine funktionelle Störung der Leber die Entstehung einer Depression massgeblich beeinflussen. Detoxifierend und unterstützend auf die Leberfunktion wirken unter anderem folgende Heilpflanzen: Löwenzahn (Taraxacum officinale), Mariendistel (Silybum marianum) oder Wermut (Artemisia absinthium). Der bekannte schweizerische «Kräuterpfarrer» Johannes Künzle (1857–1945) äusserte sich wie folgt zum Einsatz von Wermut bei depressiven Zuständen: «Ist einer grün wie ein Laubfrosch, mager wie eine Pappel, nimmt an Gewicht und Humor ab und wirft keinen Schatten mehr, der probiere es mit einem Teelöffel voll Wermuttee alle 2 Stunden.»
Sport und Ganzkörperhyperthermie
Es kann auf den ersten Blick überraschend sein, dass für die körperliche Aktivität die
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PHYTOTHERAPIE
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Evidenzlage genauso eindeutig ist wie für den Einsatz von Hypericum. Mit einer prospektiven Studie, die über acht Jahre ging, konnte aufgezeigt werden, dass Probanden mit geringer körperlicher Aktivität im Vergleich zu sportlich aktiven Personen eine doppelt so hohe Depressionsinzidenz hatten (4). Der therapeutische Einsatz von Bewegung wurde in einer CochraneMetaanalyse von 25 klinischen Studien evaluiert (5). Sport besserte eindeutig die Symptome der Depression, aufgrund der Heterogenität der Studien konnte die Wirkstärke leider nicht genau beurteilt werden. Laut vorhandenen Studien scheinen Patienten unter körperlicher Aktivität doppelt so schnell ihre Depression zu überwinden als die Kontrollgruppe. Angesichts der eindeutigen Datenlage soll jeder depressive Patient nach vorgängiger Trainingsberatung zu Bewegung und Sport angehalten werden. Bei der körperlichen Aktivität von depressiven Patienten müssen Frequenz (am besten jeden Tag), Intensität (angepasst an die Kondition des Patienten) und Trainingszeiten (mit kurzen Einheiten beginnen) beachtet werden. In der Aeskulap-Klinik wird bei vielen «degenerativen Krankheiten» wie Arthrose, Immunprozesse, Krebs, aber auch Depression die Ganzkörperhyperthermie (mit Wasser gefilterte Infrarotstrahlung) angewandt. Vor Kurzem wurde eine randomisierte, kontrollierte Studie zur Wirksamkeit der Hyperthermie als Zusatzbehandlung zu rehabilitativen Standardtherapien bei Fibromyalgiesyndrom publiziert. Die Autoren kamen zum Schluss, dass Hyperthermiebehandlungen über drei Wochen eine signifikante und nachhaltige Verbesserung sowohl der Schmerzsituation als auch der gesamten Lebensqualität inklusive Psyche bewirken (6).
Der orthomolekulare Ansatz
Der orthomolekulare Ansatz (Behandlung mit körpereigenen Mediatorstoffen wie Vitaminen und Spurenelementen) wird je nach vorhandener klinischer Situation mit grossem Erfolg bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt. Die Substitution mit Schilddrüsenhormonen gehört zum Standardrepertoire der konventionellen Medizin. Hingegen wird die Bedeutung der «latenten» Eisenanämie (tiefer Ferritinwert bei normalem Hämoglobin) bei der Entstehung von depressiven Zuständen
kritisch diskutiert. Eine orale, allenfalls intravenöse Eisensubstitution kann in diesen Situationen einen entscheidenden Erfolg herbeiführen. Bei den Immunostimulativa handelt es sich um diverse Substanzen pflanzlicher, bakterieller, aber auch organischer Herkunft, die imstande sind, das menschliche Immunsystem positiv zu beeinflussen. Mistelextrakte (Viscum album) werden beispielsweise seit mehreren Jahrzehnten supportiv in der Onkologie eingesetzt. Die Mistelextrakte bessern nicht nur die Prognose von Krebskranken sowie die Verträglichkeit von onkologischen Standardmassnahmen, sondern haben einen nachgewiesenen Einfluss auf die gesamte Lebensqualität. Effekte wie Schmerzlinderung, Besserung der Schlafqualität und Aufhellung der Stimmung werden beschrieben (7). Aus diesem Grund werden in der Aeskulap-Klinik Mistelektrakte auch bei nicht onkologischen Indikationen wie Chronic-FatigueSyndrom, Depression und Schlafstörungen eingesetzt.
Auch eine richtige Ernährung gehört dazu
Da das Serotonin die Schmerzschwelle physiologisch anhebt, gehen die depressiven Zustände mit vermehrter Empfindlichkeit gegen Schmerzen einher. Aus diesem Grund sind sowohl die eingehende Abklärung der beklagten Schmerzbeschwerden zum Beispiel im Sinne der zahnärztlichen Untersuchung als auch der ganzheitliche Ansatz in Schmerztherapie von grosser Relevanz. Folgende komplementäre Massnahmen kommen dabei infrage: Akupunktur, Neuraltherapie, Osteopathie und Phytotherapie (Salix alba, Harpagophytum, Botswellia serrata). Bei einer ganzheitlichen Betreuung von depressiven Patienten muss unbedingt die Frage nach richtiger Ernährung beachtet werden. Empfohlen ist eine ausgewogene, eiweissarme, kohlenhydratreiche Kost mit viel Obst und Gemüse. Die positive Wirkung der sekundären Pflanzenstoffe ist bei unzähligen Krankheiten, auch bei der Depression, nachgewiesen. Auf dem Menüplan eines Depressiven darf der Fisch aufgrund ungesättigter Fettsäuren nicht fehlen. Die Patienten sollen angehalten werden, auf Alkohol und Nikotin zu verzichten. Der duale, sowohl schulmedizinische wie
komplementärmedizinische Ansatz in der
Behandlung von depressiven Zuständen
trägt einerseits der komplexen Pathogenese
von psychiatrischen Leiden Rechnung und
bringt andererseits höhere Heilungsraten
bei weniger Nebenwirkungen.
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Dr. med. Cesar Winnicki FMH Allgemeinmedizin Chefarzt Aeskulap-Klinik 6440 Brunnen
Literaturreferenzen:
1. Linde K et al.: The Cochrane Library 2008, Issue 4.
2. Bent S et al.: Valerian for Sleep: A Systematic Review and Meta-Analysis, Amer J Med, Volume 119, Issue 12.
3. Akhondzadeh S et al.: Passionflower in the treatment of anxiety, J Clin Pharm Ther, Oct 2001, 26 (5).
4. Farmer et al.: Physical activity and depressive symptoms, Amer J Epidem; 1988, Vol. 128, 6.
5. Mead GE et al.: Exercise for Depression, Cochrane Database, 2008, Issue 4.
6. Brockow et al.: Clin J Pain, 2007, 23.
7. Horneber MA et al.: Mistletoe therapy in oncology. Cochrane Database Syst Rev. 2008 Apr 16; (2): CD003297.
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