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23. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 20. NOVEMBER 2008
Akute Lebervergiftungen durch Pflanzen und Naturstoffe
Thomas Zilker
Einleitung
Nicht alles, was uns die Natur gegeben hat, ist harmlos und hilfreich. Dies mag, teleologisch gesehen, in dem Bestreben jeder einzelnen Spezies fortzubestehen seine Ursache haben. Damit können Naturstoffe auch als Abwehrstoffe gesehen werden, was oft daran erkenntlich ist, dass Pflanzen mit toxischen Inhaltsstoffen von empfindlichen Tierspezies gemieden werden. Unter den Naturstoffen, die in der Naturheilkunde Anwendung finden oder die als Nahrungsergänzungsmittel gelegentlich empfohlen werden, finden sich nur wenige, die zu klinisch relevanten Leberschädigungen führen. Da kaum Forschungsmittel für die Aufklärung des Wirkmechanismus dieser Stoffe zur Verfügung stehen, ist die Ursache der Wirkung dieser Naturtoxine im Detail nicht aufgeklärt. Für folgende naturheilkundlichen Mittel beziehungsweise Nahrungsergänzungsmittel ist die Lebertoxizität weitestgehend gesichert: 1. Englische Wasserminze (englisch Penny-
royal, lateinisch Presila cervina) 2. Garmander (englisch Germander, latei-
nisch Teuricum chamaedrys) 3. Gemeiner Beinwell (englisch Comfrey,
lateinisch Symphytum officinalis) 4. Kreosotbusch (englisch Chaparral, latei-
nisch Larrea tridentata) 5. Kava-Kava (englisch Kava-kava, lateinisch
Piper methysticum). Unzweifelhaft und jedem bekannt ist die verheerende lebertoxische Wirkung der Amatoxine (␣-, -, ␥-Amanitin) aus verschiedenen Pilzspezies wie den Knollenblätterpilzen (Amanita phalloides, Amanita virosa), dem Nadelholzhäubling (Galeria marginata) und verschiedenen Lepiotaarten wie dem Fleischbräunlichen Schirmling (Le-
piota brunneoincarnata). Die Amatoxine haben verständlicherweise nie in die Naturheilkunde Einzug genommen, obwohl sie durchaus als Antikrebsmittel vorstellbar sind, wenn sie isoliert in die Krebszellen herangebracht werden könnten. Allerdings hat der Naturstoff aus der Mariendistel, das Silymarin (Silibinin), schon längst Einzug in die Therapie der Amanitinvergiftung genommen, seine Wirksamkeit ist wahrscheinlich, obwohl nicht hundertprozentig gesichert, da randomisierte Studien mit ausreichender Power nicht durchführbar sind.
Presila cervina (Englische Wasserminze)
Die Englische Wasserminze, besser bekannt als Pennyroyal, enthält ätherische Öle, Limonen, Menthol und als hauptsächlichen Giftstoff Pulegon. Pulegon hat seinen Namen von dem lateinischen «Pulex», der Floh, da Presila cervina, das auch Mentha pulegium heisst, bereits im alten Rom, wie Plinius der Ältere in seiner «Historia naturalis» schreibt, als Insekten-Repellent Verwendung fand. Das Öl der Englischen Wasserminze wurde über Jahrhunderte als Abortivum verwendet (1–3). Dies fand auch seinen Ausdruck durch die Musikband Nirvana, die in dem Album «In Utero» dem Pennyroyal einen Song widmete mit dem Vers: «Sit and drink pennyroyal tea, distill the life inside me.» Seine toxische Wirkung wurde erstmals 1897 von Allen im «Lancet» unter der Überschrift «Note of a case of supposed poisoning by pennyroyal» (4) beschrieben. Pennyroyal galt lange als pflanzliches Tonikum. Es fand Anwendung bei Kopfschmerzen, Migräne, Fieber, Husten, gastrointestinalen und rheumatischen Beschwerden. Die Hauptgefahr geht von seinem Öl aus. Zwei Kinder kamen zu Tode, die das Öl getrunken hatten. Ein fulminantes Leberversagen war die Todesursache (5).
Die toxische Wirkung dieser Minze wird grösstenteils verstanden. So wird der wesentliche Inhaltsstoff Pulegon, ein Monoterpen, über das CYP2E1 zu Menthofuran metabolisiert. Menthofuran bindet an Strukturproteine der Leberzellen, es kommt zu einer Verarmung an Glutathion durch eine Reaktion mit den Sulfhydrylgruppen. Beide Mechanismen enden in einer zentrilobulären Leberzellnekrose. Dies konnte auch im Tierversuch an Mäusen gezeigt werden (6,7).Am Beginn des klinischen Verlaufs dieser Vergiftung stehen gastrointestinale Symptome mit Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Es kommt möglicherweise bereits im Zusammenhang mit dem Leberversagen zu Schwindel, Krampfanfall und Koma. Alle Zeichen des Leberversagens werden manifest mit Transaminasenerhöhung, Gerinnungsstörung und Bilirubinanstieg. Schliesslich kommt es auch noch zum Nierenversagen (8, 9). Für den Menschen gelten 500 mg/kg Körpergewicht als tödliche Dosis. Dies entspricht für den Erwachsenen ungefähr 15 ml des Öls. Aufgrund des oben beschriebenen toxischen Mechanismus ist sicherlich die hoch dosierte i.v.-NAC-Gabe (N-AcetylcysteinGabe) sinnvoll, da diese zu einer Restitution der Glutathionreserven führt. Hierfür gibt es natürlich keine klinischen Studien, da die Fallzahlen zu niedrig sind.
Teucrium chamaedrys (Garmander)
Die Blätter des Garmanders, als Teezubereitung oder in Kapseln, gelten in der traditionellen Herbalmedizin als gutes Choleretikum und Antiseptikum. Die Hepatotoxizität fiel erst auf, als 1986 Garmander enthaltende Kapseln zur Gewichtsreduktion in Frankreich auf den Markt kamen. In der Regel kam es nach zwei Monaten des Gebrauchs zu einer mässigen bis mittelschweren Hepatitis mit Bilirubin- und
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Transaminasenanstieg. Die pathologischen Leberwerte besserten sich nach Absetzen wieder, allerdings erst über einen Zeitraum von zwei bis sechs Monaten (10). 1992 wurde die Verwendung von Teuricum chamaedrys als Nahrungsergängzungsmittel in Frankreich verboten. Allerdings traten hernach noch Vergiftungen in Kanada und Spanien auf (11, 12). Der Garmander enthält Saponine, Flavonoide und ein Diterpenfuran (Teucrin A, Furano-neo-clerodan-diterpen), das über CYP3A4 zu einem starken elektrophilen Metaboliten transformiert wird und zur zellulären Verarmung von Sulfhydrilgruppen führt, in deren Folge der intrazelluläre Kalziumfluss überhandnimmt, was wiederum zur Apoptose der Zelle führt. Allerdings fanden sich im Serum von Patienten mit Garmander-Hepatitis Antikörper gegen mikrosomale Epoxidhydrogenasen. Dies könnte möglicherweise auf eine immunologische Auslösung der Hepatitis hinweisen (13), zumal es nach kurzfristiger Reexposition erneut zu hepatotoxischen Zeichen kam. Ein Fall wurde beschrieben, der einer Lebertransplantation nach 10-tägigem Gebrauch eines Tees aus Teucrium polium bedurfte (14). Die geringste tödliche Dosis, die beschrieben wurde, lag bei 135 mg/Tag über 14 Tage. Da es sich dabei um eine Reexposition handelte, könnte hier ein immunologisches Geschehen den Tod herbeigeführt haben (15). Die maximal überlebten Dosen lagen bei 1620 mg/Tag über 8 Wochen (16) und bei 900 mg/Tag über 8 Wochen (17). Die zuletzt erwähnten drei Fälle wiesen alle eine schwere Hepatopathie auf, ohne zu versterben.
Symphytum officinalis (Beinwell)
Die Verwendung des Beinwells hat eine lange Geschichte. Bereits Pedamos Dioscurides, der zur Zeit der Kaiser Claudius und Nero im 1. Jahrhundert als griechischer Arzt im römischen Militärdienst stand, hat den Beinwell in seiner Schrift «Materia Medica» erwähnt. Sowohl Hildegard von Bingen als auch Paracelsus benutzten Beinwell zur Behandlung von Knochenschäden und Wunden. Aus der Wurzel und dem Kraut gewonnene Kaltauszüge werden in der Volksheilkunde bei Knochenbruch verwendet. Auch Salben mit den Inhaltsstoffen der Wurzel finden äussere Anwendung zur Schmerzlinderung. Zurzeit gibt es einen durch ständige Wiederholungen eher
schmerzhaften Reklamespot für Kyttasalbe im Fernsehen («Ein Indianer kennt keinen Schmerz»). Diese Präparate sind Pyrrolizidin-abgereichert. Bei innerer Anwendung kann der Beinwell aufgrund der in ihm enthaltenen Pyrrolizinalkaloide gefährlich werden. Diese Pyrrolizidinalkaloide sind in mindestens 13 Pflanzengenera und zirka 3000 Spezies enthalten. In der Veterinärmedizin ist die Vergiftung durch das zu den Greiskräutern (Senecio) gehörige Jakobskreuzkraut bekannt, das bei Kühen und Pferden, wenn es im Heu enthalten ist, zum Leberausfall führt (18). Sowohl in Europa als auch in den USA sind nach der oralen Aufnahme von Symphytum officinalis als Tee oder Nahrungsergänzungsmittel schwere Leberschäden aufgetreten (19–22). Auch in Russland kam es durch die Aufnahme von Symphytum im Salat zur Massenerkrankung (23). Der Inhaltsstoff im Beinwell, der als positiv wirksam angesehen wird, ist Allantoin. Die hepatotoxischen Bestandteile sind die Pyrrolizidinalkaloide. Mehrere hundert dieser Alkaloide sind bekannt (24). Sie können in vier Klassen eingeteilt werden. Makrozyklische Diester, offene Diester, Monoester und Necinbasen. Über das Zytochrom-P450System entstehen Dehydroalkaloide und Pyrrole, die besonders reaktiv sind (25). Sie können Makroproteine und Nukleinsäuren in der DNA alkylieren. Die Toxizität wird abgemildert durch Glutathion und Taurin, mit denen die Dehydroalkaloide eine Bindung eingehen. Zur Schädigung der Sinusoide in der Leber scheint es dadurch zu kommen, dass diese Alkaloide dort «recycelt» werden. In der Leberhistologie findet sich ein durch Kollagen verursachter Verschluss der kleinen Lebervenen mit Aufstau in die Sinusoide und Bildung von Kollateralen. Gleichzeitig kommt es aber auch zu einer zentrilobulären Nekrose. Diese Erkrankung wird als veno-okklusive Erkrankung bezeichnet und ähnelt dem Budd-Chiari-Syndrom (26). Die Symptome bestehen in Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen und einem Anschwellen des Abdomens wegen Aszitesbildung. Sie können akut auftreten und nach Absetzen der schädlichen Substanzen auch ausheilen. Leider kann dieses Stadium aber auch übergehen in eine Fibrose der gesamten Leber mit nachfolgender Leberzirrhose (27), die dann irreversibel ist. Ein fulminantes Leberversagen kann rasch zum Tod führen.
Besteht die Zirrhose über einen längeren Zeitraum, so neigen diese Lebern zur Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms (HCC). Eine Behandlung ist nur im frühen Stadium möglich. Die intravenöse Gabe von NAC ist hierfür sinnvoll, wenn ihr Effekt auch nicht bewiesen ist. Sicherlich kann mit dieser Massnahme eine Beschleunigung der Ausscheidung der Pyrrolizinalkaloide aufgrund der Bindung an Glutathion erreicht werden.
Larrea tridentata (Kreosotbusch)
Der im Englischen als Chaparral bezeichnete Kreosotbusch ist ein Strauch, der in den nördlichen Teilen Mexikos bis weit in den Norden der USA verbreitet ist. Sein lateinischer Name geht auf den Spanier de Larrea zurück. Tridentata beschreibt die dreigezähnten Blüten- und Strauchblätter. Der Geruch nach Kresol ist intensiv, was für die deutsche Namensbezeichnung verantwortlich ist. Die nordamerikanischen Indianer kannten seine antiinflammatorische Wirkung und haben den wässrigen Extrakt aus seinen Blättern und Zweigen breit eingesetzt. So glaubten sie, damit Erkältungen, Bronchitis, Magenbeschwerden, Rheumatismus, aber auch Windpocken, Schlangenbisse, Geschlechtskrankheiten und sogar Krebs heilen zu können. Der Tee wurde auch mit Öl versetzt und äusserlich als Salbe gegen Sonnenbrand angewandt. Zumindest in den USA spielte die Anwendung von Chaparral als Nahrungsergänzungsmittel eine Rolle. Chaparral gilt in der Naturheilkunde als starkes Antioxidans und als «Antiageing-Substanz». Unter anderen gibt es Untersuchungen, dass die Lebensdauer von Moskitos, die mit Chaparral gefüttert wurden, um 50 Prozent verlängert wurde (28). Vielfältige Indikationen sind in der modernen Naturheilkunde bekannt: Infertilität, Rheuma, Gallensteine, Nierensteine, Infektionen, Diabetes und Akne. Zwischen 1992 und 1994 wurden der FDA 13 Fälle gemeldet, die im Zusammenhang mit der Einnahme von Chaparralpräparaten einen Leberschaden erlitten hatten. Innerhalb von 3 bis 52 Wochen nach der regelmässigen Einnahme von Chaparral als Kapsel oder als Tee kam es zur Hepatitis mit cholestatischem Einschlag, die bei 4 Patienten zur Zirrhose und bei 2 Patienten zum fulminanten Leberversagen geführt
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hatte (29). Das histologische Bild besteht in den meisten Fällen in einer hepatzozellulären Nekrose mit Fibrosebildung und Galleablagerung (Cholestase). 1 Patientin ist beschrieben (30), die nach Reexposition sofort erneut eine Hepatitis entwickelte, was den Verdacht auf eine immunologische Wirkung des Chaparrals aufkommen liess. Die norhydroguaioretische Säure ist der hepatotoxische Bestandteil im Kreosotbusch. Es ist ein starkes Antioxidans, das ein Hemmer der Zyklooxygenase und Lipoxygenase ist (31). Möglicherweise wirken niedrige Dosen antiinflammatorisch, höhere Dosen stimulieren proinflammatorische Mediatoren, die die Leber schädigen (32). Die toxische Dosis für den Menschen scheint bei 1500 mg/Tag zu liegen. Dieses war die niedrigste Dosis, die bei 6-wöchigem Gebrauch zur Hepatitis führte.
Piper methysticum (Kava-Kava)
Kava gehört zu den Pfeffergewächsen. Aus getrockneten Pflanzenbestandteilen wird im Westpazifik traditionell ein leicht berauschendes Getränk hergestellt. Aus dem Wurzelstock der Kavapflanze wurde das als pflanzliches Naturheilmittel geschätzte Extrakt hergestellt, das in Deutschland bis zum Jahr 2002 zugelassen war. Es war ein beliebtes Mittel gegen Angstzustände und diente auch als mildes Schlafmittel, das keinen Überhang bewirkte. Die empfohlene Dosis lag bei 100 bis 200 mg pro Tag. Die Wurzelstöcke der Kavapflanze enthalten bis zu 20 Prozent Kavalactone. Ausserdem enthalten die Wurzeln Flavokain A und B, Stigmastendion und Cephardion. Etherische Öle und einige organische Säuren sind ebenfalls in geringen Mengen enthalten. Ein Anstieg der Transaminasen nach dem chronischen Gebrauch von Kavapräparaten ist schon länger bekannt (33). In einer retrospektiven Auswertung von unerwünschten Wirkungen über den Zeitraum von 1990 bis 2002 kam das BfARM zu der Überzeugung, dass Kavapräparate ein zu grosses Risiko darstellten. In 21 Fällen wurde der Zusammenhang zwischen der Einnahme von Kava-Kava und einer Leberzellschädigung als wahrscheinlich klassifiziert, in 12 Fällen galt der Zusammenhang als gesichert. In 9 Fällen kam es zum fulminanten Leberversagen. 8 Patienten mussten sich einer Lebertransplantation unterziehen. Insgesamt verstarben 3 Patienten vor beziehungsweise nach der Lebertrans-
plantation. Dies führte dazu, dass 2002 das BfARM die Zulassung für Kava-Kava und Kavain-haltige Arzneimittel widerrief (34). Die Zulassung ruhte bis 2005. Da es nicht gelang, die Unbedenklichkeit nachzuweisen, wurde im Jahre 2007 der Widerruf der Zulassung erneuert. Die beobachteten Leberschädigungen reichten von einer milden Hepatitis über eine schwere Hepatitis mit cholestatischem Einschlag bis zur Zirrhose und zum akuten Leberversagen. Der Wirkmechanismus bleibt unklar. Eine Induktion verschiedener CYP450-Mischoxygenasen erscheint wahrscheinlich. Eine spezifische Therapie steht mangels Erkenntnis über den Pathomechanismus nicht zur Verfügung. Nach rechtzeitigem Absetzen der Medikation kam es jedoch zur Normalisierung der Leberwerte in einem Zeitraum zwischen 1 Woche und 4 Monaten. In den USA wurden Kavapräparate nicht verboten, allerdings wurde der Verbraucher auf das Risiko einer Leberschädigung hingewiesen.
Knollenblätterpilzvergiftung (Amanitasyndrom)
Das letzte Kapitel dieses Referates beschäftigt sich nun endgültig mit etwas Erfreulichem. Die Ultragifte der Amatoxine, die in den Knollenblätterpilzen, in manchen Galerina- und Lepiotaarten enthalten sind, führen zum fulminanten Leberversagen. Der Wirkmechanismus ist weitgehend aufgeklärt. Durch eine Blockade der Polymerase B wird die Transkription mit der Information zur Eiweisssynthese blockiert. Aufgrund von im Zytoplasma noch vorhandener RNA kann die Zelle noch für einen Zeitraum weiter existieren, worin die unheimliche Latenzzeit des Auftretens des Leberschadens begründet liegt. Mit einer Verzögerung von 24 Stunden kommt es zur Manifestation einer schweren Leberschädigung mit Anstieg der Transaminasen und dem Zusammenbruch der plasmatischen Gerinnung. In den Siebzigerjahren galt Penicillin als Antidot. Seine Wirkung schien jedoch unbefriedigend. Die Letalität lag bei 20 Prozent (35). In den Achtzigerjahren kam Silibinin, ein Extrakt aus der Mariendistel, als zusätzliches Therapieprinzip für die Knollenblätterpilzvergiftung hinzu. Viele Jahre, in manchen Kliniken bis zum heutigen Tag, wurde jetzt die Amatoxinvergiftung mit einer Kombinationstherapie
aus Penicillin und Silibinin behandelt. In unserem Zentrum lag unter dieser Therapie die Letalität noch bei 16 Prozent. In einer umfassenden Studie konnten wir zusammen mit der Herstellerfirma Madaus eine Auswertung von über 600 Knollenblätterpilzvergiftungen vornehmen und die Kombinationstherapie (36) von Penicillin und Silibinin mit der alleinigen Silibinintherapie vergleichen. Schliesslich konnten 367 Fälle retrospektiv aufgrund der «Postmarketing»-Protokolle in die Auswertung einfliessen. Es konnten 118 Patienten, die eine alleinige Silibinintherapie erhalten hatten, mit 249 Patienten, die eine kombinierte Therapie aus Penicillin und Silibinin erhalten hatten, verglichen werden. Mit einer logistischen Repressionsanalyse wurden die beiden Therapieschemata miteinander verglichen. Es wurde nach Unterschieden hinsichtlich des Auftretens von Sterbe- und Transplantationsfällen gesucht. Ferner wurde der Ausgang der Behandlung von Patienten, die eine Therapie vor und jenen, die eine solche nach der 24. Stunde nach Pilzmahlzeit erhalten hatten, verglichen. In der Kombinationstherapiegruppe beträgt der Anteil verstorbener oder lebertransplantierter Patienten 8,8 Prozent, in der Monotherapiegruppe mit Silbinin allein dagegen nur 5,1 Prozent. Das bedeutet ein Absinken der Mortalität der Knollenblätterpilzvergiftung durch die Monotherapie um 40 Prozent. Dieser Unterschied war nicht eindeutig signifikant. Es hätten, um die notwendige Power für eine hundertprozentige Aussage zu erreichen, in jeder dieser Gruppen 600 Patienten behandelt werden müssen. Das positive Ergebnis besteht aber darin, dass ein signifikanter Unterschied gefunden wurde zwischen der Gruppe, die vor der 24. Stunde und jener, die nach der 24. Stunde Silibinin erhielt. Das Risiko zu sterben war bei Patienten, die die Therapie früh erhielten, signifikant abgesenkt (OR: 6, 10, 95%-KI 1,77–21,3 p < 0,004). Dies kann als Hinweis auf die Wirksamkeit der Silibinintherapie gewertet werden. Das Ergebnis ist deshalb von Bedeutung, weil ein Vergleich einer Plazebo-Therapie zur Silibinintherapie ethisch zweifelhaft ist und mit der notwendigen Fallzahl nicht realisiert werden kann. Ich schliesse also mit der Feststellung: 1. Die Silibininmonotherapie ist vom heu- tigen Kenntnisstand aus betrachtet die einzig sinnvolle Therapie. thema PHYTOTHERAPIE 19 23. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 20. NOVEMBER 2008 2. Der Naturheilstoff Silibinin aus der Ma- riendistel scheint ein wirksames Prinzip gegen diese natürlichen Ultragifte, die Amatoxine, zu sein. ◆ Anschrift des Referenten: Prof. Dr. Thomas Zilker Toxikologische Abteilung II. Med. Klinik der Technischen Universität München Ismaninger Str. 22 D-81675 München tox@lrz.tum.de Literaturreferenzen: 1. Crellin JK, Philpott J. Herbal Medicine Past and Present. Vol 2 Durham, NC, Duke University Press, 1990, 88: 327–330. 2. Braithewaite PF. 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