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21. Schweizerische Tagung für Phytotherapie, Baden, 23. November 2006
Haut und Schleimhäute in der Gynäkologie
Phytotherapeutische Tipps für eine Tabuzone
Die Intimhaut der Frau ist eine Tabuzone. Davon beeinflusst ist nicht nur die Frau selber. Das Tabu zieht sich quer durch die Medizin. Es betrifft die Pflege, die ärztliche Seite und die Forschung. Es wird nicht nur nach rein dermatologischen Gesichtspunkten vorgegangen.
Regina Widmer
Die Tabuauswirkung zeigt sich in minimalen offiziellen Richtlinien und Anleitungen zur Intimwäsche, einer praktisch durchwegs fehlenden Empfehlung zur Grundpflege der Intimhaut und einer faktisch totalen Absenz einer Prophylaxe von Hautbeschwerden im Intimbereich.
Während für die Körperhaut selbstverständlich eine fettende Pflege praktiziert wird, gilt für die Intimhaut «waschen und trocknen» und «nur bei Beschwerden gezielt therapeutisch behandeln». Es gibt keinen Grund, nicht auch die anogenitale Region in die Hautpflege einzubeziehen.
Mit Intimhaut werden im Folgenden die kleinen Labien, die Klitoris, Vestibulum (Scheidenvorhof), Introitus
(Scheideneingang), Damm und After bezeichnet. Es gibt langjährige Erfahrungen mit phytotherapeutischer Intimpflege und -therapie. Ein paar wenige Kliniken haben sie in ihre Pflegeund Therapiestandards integriert. Ansonsten finden sich vereinzelt in Kliniken, Praxen, Alters- und Pflegeheimen und in der Spitex aufgrund von initiativen, phytotherapiekundigen Fachpersonen aus dem pflegerischen oder ärztlichen Bereich einige bemerkenswerte Trouvaillen. Sie könnten zu neuen Pflege- und Therapierichtlinien für die Intimzone von Frau (und Mann) inspirieren. Phytotherapeutika eignen sich aufgrund ihrer Wirksamkeit und guten Akzeptanz («natürliches Mittel», angenehmer Duft) besonders gut. Es gibt et-
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Abbildung: Klitoris 1 Kopf und Hals, 2 kleine Labien, 3 Klitoris-Schenkel, 4 Urethraöffnung, 5 Klitoris-Schwellkörper, 6 Vagina
liche konfektionierte phytotherapeutische Dermatologika. Für individuelle Bedürfnisse können spezielle Rezepturen erstellt werden (Magistralrezeptur). Dazu ist eine enge ärztliche und pharmazeutische Zusammenarbeit empfehlenswert. Für die Vagina (nicht verhornendes Plattenepithel) gibt es fast keine pflanzlichen Fertigprodukte. Magistralrezepturen sind hier besonders notwendig. Vulvovaginale und urethrale Beschwerden sind häufig. Bei der jungen Frau überwiegen banale Infekte wie Vulvovaginale Mykose, in den Wechseljahren vaginale Trockenheit mit Dyspareunie und im Alter trockene Intimhaut mit Pruritus, bei Inkontinenz Hautreizung bis Wundsein, Soor und Harnwegsinfekte. Bei Bettlägrigkeit, Pflegebedürftigkeit und in der Palliativmedizin können sich die genannten Probleme summieren.
Von meinem phytotherapeutischen AAA-Konzept (Antiseptika, Ansäuerung, anogenitale Grundpflege) für vulvovaginale und urethrale Beschwerden ist die anogenitale Pflege der allerwichtigste Grundpfeiler in der Prophylaxe, Nachbehandlung und Sekundärprophylaxe. Sie beinhaltet das tägliche Cremen oder Fetten der Intimhaut. Dabei spielt es eine erstaunlich kleine Rolle, wie gross der Fettgehalt der Produkte für das feuchte Milieu der Vulva und Vagina ist. Die Produkte sollen aus hochwertigen Grundlagen bestehen im Sinne von «nur das Feinste vom Feinen für die Intimregion».
Im Folgenden eine kleine Auswahl möglicher Anwendungsmöglichkeiten von Phytotherapeutika bei Haut und Schleimhäuten der Frau:
1. Intimtoilette der Frau bei intakter Intimhaut a) Waschen mit ● reinem Wasser ● Wasser und ätherischem Öl (z.B. we-
nige Tropfen Lavendelöl in Kaffeerähmchen ins Waschwasser geben) ● Wasser und phytotherapeutischen Badezusätzen (z.B. mit Lavendel, Ringelblume, Rosmarin) ● Tee (z.B. Melisse, Lavendel, Malve, Kamille) ● Wasser und rückfettenden pflanzlichen Ölen ● Wasser und etwas Essig oder Zitronensaft (Schutz des Säuremantels der Haut).
b) Nach dem Trocknen: Pflege mit ● individuellem erprobtem Pflegemit-
tel der Frau (Body Lotion, Intimöl, milde unparfümierte Gesichtscreme etc.) ● pflanzlichen Ölen, Salben, Cremen, Emulsionen, Lotionen. Je nach Hautbeschaffenheit Verhältnis von Wasser zu Öl wählen. Es gibt keine allgemeingültigen Empfehlungen, die für alle Hauttypen gelten. Das Grundmittel kann alleine angewandt werden, oder es können hautpflegende Pflanzenextrakte wie Hamamelis, Ringelblume, Stiefmütterchen oder ätherische Öle enthalten sein (Lavendel, Melisse etc.). Vorsicht bei Vaseline und Melkfett: Diese dichten komplett ab (cave: Okklusion, Wärmestau) und sollten nur als Hautschutz vor dem Hallenbad oder einer Velotour dick aufgetragen werden.
2. Intimtoilette der Frau bei lädierter Intimhaut a) Waschen/Abspülen mit Wasser und pflanzlichen Zusätzen je nach Befund: ● bei nässenden Läsionen wie Herpes
und bei feuchter, wunder Haut: Gerbstoffe (z.B. Eichenrinde, Hamamelis) ● bei juckender Haut: Lavendelwasser, Melissenwasser.
b) Nach dem Trocknen: Pflege der Haut ● bei nässenden Läsionen mit gerb-
stoffhaltiger kühlender Lotio ● bei Pruritus mit fettendem Phytothe-
rapeutikum ● bei Rötung mit Pflegemittel zum Bei-
spiel mit Ringelblume ● bei offener Haut mit Arnikaplätz-
chen (in der Geburtshilfe verbreitet: verdünnte Arnikatinktur auf kühle
Gazeplätzchen auf Geburtsverletzungen legen) ● bei stark lädierter feuchter Haut: zum Beispiel hautschützende Ringelblumen-Zink-Salbe.
3. Intimhaut und Vagina der jungen Frau a) bei vulvovaginaler Mykose ● Ovula mit antimykotischen ätheri-
schen Ölen (Lavendel, Thymian, Teebaum etc.) ● fettes Öl mit denselben ätherischen Ölen für den Introitus und Scheidenvorhof, inklusive After.
b) bei bakterieller Vaginose ● Ansäuerung der Vagina (siehe Intim-
merkblatt der Runa) ● Ovula mit keimreduzierenden ätheri-
schen Ölen (wie bei Mykose) ● Introituspflege wie oben.
c) Bei Herpes genitalis der Vulva: gerbstoffhaltige Mittel.
Immer bei empfindlicher Intimhaut und bei Rezidivtendenz: Langzeitprophylaxe durch anogenitales Fetten.
4. Haut und Schleimhäute in den Wechseljahren
Östrogenrückgangsbedingte Atrophisierung von Haut und Schleimhäuten. Grundsätzlich auf genügend Flüssigkeitszufuhr achten, phytoöstrogenreiche Ernährung (Leinsamen, Soja etc.) a) Atrophie der Intimhaut, Vagina und Trockenheit mit Dyspareunie ● bei leichter Atrophie/Trockenheit/
Dyspareunie genügt meist eine fettende Grundpflege des Scheideneinganges und -vorhofes, mit oder ohne phytotherapeutischem Zusatz ● bei ausgeprägter Atrophie erst mit lokalen synthetischen Östrogenen das Vaginalepithel und die Introitushaut aufbauen (Ovula oder Creme mit Applikator), dann Übergang zu phytoöstrogenhaltigen Produkten (Soja, Majoran, Salbei, Rhabarber/ Rheuma rhaponticum, Granatapfel [Punica granatum] etc.), bei Bedarf sporadisch synthetisch östrogenisieren ● pflanzliche Öle sind ausgezeichnete Gleitmittel (nicht mit Latexkondom), zum Beispiel ein fettes Wildrosenöl oder Rosenovula (Kakaobutter oder Shea Butter mit ätherischem Rosenöl) ● immer Fetten als Grundpflege, nicht nur bei GV.
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b) Atrophie der Intimhaut, Vagina und Urethra mit Drangsymptomatik, Reizharnröhre (Urethralsyndrom) bis Dranginkontinenz ● erst lokal synthetisch östrogenisie-
ren, dann Phytotherapeutika (wie oben), fetten ● Erhaltungstherapie individuell ● viel trinken.
c) Trockene Augen, Nase, Mund und Rachen ● viel trinken ● befeuchten: Augen mit Augentrost-
Tropfen, Nase mit Nasensalbe, Mund und Rachen mit pflanzlichen zahnschonenden Bonbons, HeilkräuterDampf-Inhalationen ● Schleimbildende Heilpflanzen: Malve und Eibisch als Tee, Leinsamen peroral.
5. Jüngere Frauen mit Mammakarzinom
Eine adjuvante Chemotherapie und eine therapeutische Östrogensuppression katapultiert Frauen im fertilen Alter in die Wechseljahre. Da meist die Hitzewallungen im Vordergrund stehen, geraten Trockenheit von Vagina, Augen und Mund/Rachen leider oft in den Hintergrund. Pflege und Therapie wie unter 3.
6. Altershaut Die Altershaut ist noch dünner und
empfindlicher als die perimenopausale Haut. Wichtig sind Schutz vor Austrocknung, mechanischer Schädigung und vor körpereigenen Flüssigkeiten wie Schweiss, Harn oder Stuhl.
Grundsätzlich ● genügend Flüssigkeitszufuhr ● wenig und nur kurze Zeit baden
(cave: Entfettung und Mazeration der Haut mit erhöhter Infektanfälligkeit)
● sorgfältige Wahl der Pflegemittel für die Haut und Intimhaut. Immer ein gewisser Wasseranteil im Produkt, damit die Haut atmen kann (cave: Okklusivsituation mit Hitzestau und Unmöglichkeit zur Verdunstung)
● bei Pruritus aufgrund von trockener Haut kann eine alleinige fettende Pflege genügen
● zurückhaltende Verordnung von vaginalen Therapeutika bei der jetzigen Generation der Bewohnerinnen von Alters- und Pflegeheimen, da oft grosse Schamgefühle bestehen. Die Bewohnerinnen und die Pflegenden werden es danken. Schon die Pflege der Vulva kann heikel sein, wird aber eher toleriert.
● keine vaginalen Ansäuerungen mit Laktobazillen notwendig, da im Alter physiologischerweise keine Milchsäurebakterienflora vorhanden sind (Döderlein-Bakterien sind indirekt östrogenabhängig).
7. Intertrigoprophylaxe und -therapie (submammär, Bauchfalten, Leisten,
intergluteal, Vulva) ● klassisch: trocken halten ● oft gute Resultate mit pflegenden
Mitteln, zum Beispiel mit prophylaktisch niedrigprozentig Lavendelöl enthaltend, therapeutisch etwas höherprozentig.
8. Immunsuppression Erhöhte Infektanfälligkeit für
● Soorinfekte; Pflege mit Johannisöl (Rotöl) oder Lavendelöl-Produkten wie unter 6
● Herpes-Infekte und Herpes Zoster: Gerbstoffe.
9. Inkontinenz, wunde Haut, Strahlenhaut
Die Behandlung ist hier am anspruchsvollsten. Es gibt keine allgemeingültigen bewährten Rezepturen.
a) Rötungen und Wundsein ● bei feuchtem Milieu (Harn- und
Stuhlinkontinenz): Hautschutz im Vordergrund: zum Beispiel mit zinkhaltiger Calendula-Salbe.
b) Dauerkatheter-Trägerinnen: zum Beispiel mit Lavendelwasser zum Waschen, eine Lavendelöl-Mischung zur Pflege
c) Strahlenhaut ● kühlende, juckreizstillende Produkte,
zum Beispiel mit Menthol (Puder, Schüttelmixtur), Zitronenfeuchtcreme (Magistralrezeptur). Vor einer geplanten Bestrahlung lohnt sich eine besonders intensive pflegende Vorbereitung der Haut. Eventuell profitiert die Patientin von einer prophylaktischen Vitamin-E-Gabe.
Weitere Tipps, Erfahrungen und An-
regungen nehme ich gerne entgegen
und bin sehr am Austausch interes-
siert (info@frauenpraxis-runa.ch). Wer
weiss, woher die weitverbreitete, sich
hartnäckig haltende Meinung kommt,
Fett gehöre nicht in die Vagina, möge
bitte mit mir Kontakt aufnehmen.
Es besteht auch die Möglichkeit, sich
beim Netzwerk für Phytotherapie in
der Frauenheilkunde «Herbadonna»
zu melden (bei mir oder Dr. sc. nat. Be-
atrix Falch: bfalch@gmx.ch). Eine sehr
informative und praktische Broschüre
über Lavendelöl-Anwendungen von
M. Koradi und Esther Müller-Häller
kann unter www.phytotherapie-semi-
nare.ch bestellt werden.
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Anschrift der Referentin: Dr. med. Regina Widmer Frauenärztin FMH Frauenpraxis runa 4500 Solothurn E-Mail: regina.elizabeth@bluewin.ch
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