Transkript
FORTBILDUNG
HbA1c und Diabetesrisiko
Glykosiliertes Hämoglobin gilt als neuer Risikomarker
Vor einem halben Jahr emp-
fahl die amerikanische Diabe-
tesgesellschaft ADA das HbA1c
als neuen Marker für das
Diabetesrisko. Nun belegt
eine kürzlich publizierte
Studie, dass das Diabetes-
risiko bei einem HbA1c-Wert
ab zirka 6 Prozent in der Tat
deutlich erhöht ist.
New England Journal of Medicine
Bekanntermassen spiegelt das glykosilierte Hämoglobin die durchschnittlichen Blutzuckerwerte der letzten zwei bis drei Monate recht verlässlich wider. Darum wird das HbA1c bei Diabetikern in regelmässigen Abständen gemessen, um deren Blutzuckereinstellung zu kontrollieren. Dass man das HbA1c auch zum Screening des Diabetesrisikos gesunder Personen einsetzen kann, wurde bei der nachträglichen Messung tiefgefrorener Blutproben einer Studie aus den Neunzigerjahren deutlich. Ein US-amerikanisches Team um Elizabeth Selvin von der John Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore taute die Blutproben von insgesamt 11 092 Teilnehmern der ARIC-Studie auf, bestimmte den HbA1c-Wert und setzte diesen in Relation zum Diabetesrisiko.
Als normal gelten bei Nichtdiabetikern bis anhin HbA1c-Werte zwischen 4,4 und 6 Prozent. Die neue Studie aus Baltimore legt nahe, dass offenbar Werte zwischen 5 und 5,5 Prozent am günstigsten sind. In dieser Gruppe war die Mortalität in den folgenden 15 Jahren am niedrigsten (Abbildung). Das Diabetesrisiko stieg mit dem HbA1c und lag bei > 6 Prozent rund viermal so hoch wie zwischen 5 und 5,5 Prozent. Ein HbA1c-Wert über 6 Prozent sei demnach ein aussagekräftiger klinischer Marker für das Diabetesrisiko, so die Autoren der im März 2010 publizierten Studie.
Bereits im Januar 2010 hatte die American Diabetes Association (ADA) in ihren revidierten Richtlinien das HbA1c als Screeningmarker für Diabetes klassifiziert. Die amerikanischen Diabetologen definieren 5,7 bis 6,4 Prozent als Prädiabetes. Ab einem Wert von 6 Prozent werden intensive Interventionen und eine engmaschige Betreuung empfohlen. Der HbA1c-Wert ist allerdings nicht für jede Person als Screeninginstrument geeignet. Nicht aussagekräftig ist er bei Schwangeren sowie beispielsweise bei Patienten mit chronischen Nieren- oder Lebererkrankungen, perniziöser Anämie, Eisenmangelanämie, Sichelzellanämie oder Thalassämie. Auch kürzlich erlittene starke Blutungen oder Bluttransfusionen verfälschen den HbA1c-Wert und können zu falschen Schlüssen führen.
Bis anhin gilt die Messung der Nüchternglukose als routinemässiger Diabetestest. Befürworter des HbA1c-Werts als Screeninginstrument betonen, dass man das HbA1c jederzeit und unabhängig vom Nüchternstatus bestimmen kann. Auf der anderen Seite schlägt die Glukosebestimmung nur mit 2,5 Taxpunkten zu Buche,
Abbildung: Mortaliäts- und Diabetesrisiko innerhalb von 15 Jahren, adaptiert nach Selvin E et al., N Engl J Med 2010; 362: 800–811.
während es bei einer HbA1c-Messung 17,9 Taxpunkte sind. Bei welchen Personen
eine vergleichsweise teure Messung sinn-
voll sein könnte, deren Resultat allenfalls
ein weiteres Argument für einen gesünde-
ren Lebensstil liefert, bleibt darum eine
offene Frage.
◆
Renate Bonifer
Selvin E et al.: Glycated Hemoglobin, Diabetes, and Cardiovascular Risk in Nondiabetic Adults. N Engl J Med 2010; 362: 800–811.
Interessenlage: Die Studie wurde vom NIH und anderen staatlichen Institutionen finanziert.
American Diabetes Association: Standards of medical care in diabetes 2010. Diabetes Care 2010; 33: S1–S61.
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LABOR
1/2010