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PRAXISTIPP
Blut abnehmen? Nichts leichter als das ...
Vermeidbare Fehler bei Blutentnahme, Lagerung und Transport von Probenmaterial
Durch eine sorgfältige Prä-
analytik können viele fehler-
hafte Laborresultate ver-
mieden werden. Selbst bei
einer so alltäglichen Mass-
nahme wie der Blutentnahme
für Labortests kann man eine
Menge falsch machen.
Alma Haag, Roman Fried
Es beginnt mit der Vorbereitung der Blutentnahme und der Information des Patienten. Der Termin zum Blutabnehmen sollte morgens zwischen 7 und 9 Uhr liegen.Viele Messgrössen unterliegen starken Tagesschwankungen. Der Patient soll nüchtern sein, das heisst, seit zirka 12 Stunden ohne Nahrungsaufnahme. Potenziell störende Substanzen wie beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel oder Medikamente sind erst nach der Blutabnahme einzunehmen. Bei der Überwachung eines Medikamentenspiegels ist das Konzentrationsmaximum und die Steady-State-Phase zu berücksichtigen. Vor der Blutentnahme ist eine Ruhephase von 5 bis 10 Minuten nach dem Eintreffen in der Praxis einzuhalten.
Vermeidbare Fehler vor der Blutentnahme
Lassen Sie sich nicht auf einen Handel mit dem Patienten ein, weil er beispielsweise an seinem freien Tag oder nach dem «Ausgang» nicht so früh aufstehen möchte. Insbesondere bei einer Terminvereinbarung
für die Blutentnahme am Samstagmorgen ist darauf hinzuweisen, dass nur die Blutprobe eines ausgeruhten Menschen, nüchtern und ohne Alkoholkonsum am Vorabend, aussagekräftig ist; auch «nur ein Glas» Wein oder Bier ist nicht erlaubt. Trübes Probenmaterial wird als lipämisch bezeichnet. Ursache sind meist Chylomikronen, welche nach der Nahungsaufnahme vermehrt im Blut auftreten. Stress, das heisst sowohl der Morgenlauf vor der Blutentnahme wie kurzfristigen Stress durch Zuspätkommen und ins Labor hetzen, ist zu vermeiden. Stress hat einen Einfluss auf diverse Messgrössen. Die Körperlage des Patienten hat einen Einfluss auf die Konzentration vieler Messgrössen. Besonders bei Patienten mit Ödemen ist darauf zu achten, dass die Blutentnahme immer in der gleichen Position erfolgt. Man sollte sich immer vergewissern, wie der Patient heisst. Falsche Identifikationen kommen vor, wenn man den Patienten zum Beispiel mit einem freundlichen «Guten Tag, Sie sind doch Herr Kurt Graf» begrüsst, worauf der Angesprochene mit einem begeisterten Kopfnicken anwortet, obwohl der Name nicht stimmt und er nur mit Vornamen Kurt heisst.
Venöse Blutentnahme
Die Staubinde eine Handbreit proximal von der Punktionsstelle anlegen. Der Puls muss fühlbar sein (Staudruck 50–100 mmHg). Falls die Venen schlecht oder kaum sichtbar sind, Armbeuge mit einem Wärmekissen oder warmen Umschlägen vorbereiten. Kanülen mit genügend grossem Lumen, zum Beispiel in grün (Durchmesser 0,8 mm) oder gelb (Durchmesser 0,9 mm) verwenden. Bei «schwierigen Venen» Flügelkanülen benutzen (Abbildung 1). Sobald das Blut fliesst, die Staubinde lösen. Bei Röhrchen mit einem Antikoagulans ist
Abbildung 1: Venöse Blutentnahme
der Füllstand zu beachten. Wichtig ist auch die richtige Entnahmereihenfolge gemäss Angabe des Röhrchenherstellers, wenn mehrere Blutproben für verschiedene Tests entnommen werden müssen. Blutröhrchen mit einem Antikoagulans müssen während beziehungsweise unmittelbar nach der Entnahme, das heisst vor dem Ablegen des Röhrchens, 6- bis 8-mal gekippt werden. Die Blutproben sind sofort (!) mit Name, Vorname, Geburtsdatum, Entnahmedatum und Zeit (nüchtern oder postprandial) zu beschriften.
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LABOR
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Aminotransferase, früher GOT) und LDH aus den Erythrozyten aus, was zu erhöhten Werten führt. Mit S-Monovetten kann der Sog reguliert werden. Venenklopfen und Pumpen sowie eine Stauzeit von mehr als einer Minute sind zu vermeiden. Dadurch findet unter anderem eine Verschiebung von Wasser und niedermolekularen Verbindungen vom Intravasalraum ins Interstitium statt. Durch eine vermehrte Muskelaktivität steigen die Kalium- und Magnesiumwerte an. Unzureichendes oder zu spätes Mischen (erst nach der Blutentnahme) der Röhrchen mit Antikoagulanzien führen zu Mikrogerinnselbildung und zu Thrombozytenaggregation. Zu frühes Entfernen der Röhrchen von der Kanüle, ein zu schwaches Vakuum in alten Röhrchen oder die Missachtung der Füllmarke führt zu einer Änderung des Mischverhältnisses zwischen Blut und Antikoagulans und damit zu einer Verfälschung der Messwerte.
Entnahmereihenfolge bei mehreren Analysen: 1. Gerinnungsanalysen (kapilläre PT) 2. EDTA-Microvette 3. Lithium-Heparin-Microvette 4. Fluorid-Microvette (externe Glukose-
analyse) 5. Microvette für die Serumgewinnung.
Vermeidbare Fehler bei der kapillaren Blutentnahme
Die Beimischung von Desinfektionsmittel, Gewebesaft oder Schweiss durch Verwendung des ersten Bluttropfens und durch starkes Pressen führt zu falschen Messwerten. Pressen und «Melken» der Fingerbeere führt überdies zu Hämolyse und ist grundsätzlich zu unterlassen. Bei kalter, schlecht durchbluteter Fingerbeere hilft das Einwickeln der ganzen Hand in ein maximal 40°C warmes, feuchtes Tuch oder das Wärmen der Hand während 3 bis 5 Minuten in einem Becken mit warmem Wasser.
Abbildung 2: Kapillare Blutentnahme
Vermeidbare Fehler bei der venösen Blutentnahme
Durch ein zu kleines Lumen der Kanüle (schwarze Kanüle) oder durch zu starke Aspiration kommt es zur Hämolyse. Dadurch treten Kaliumionen, AST (Aspartat-
Kapillare Blutentnahme
Die gut durchblutete, warme Fingerbeere des Zeige-, Mittel-, oder Ringfingers wird seitlich punktiert (Abbildung 2). Der erste Tropfen Blut, der sich spontan und ohne Druck auf der Fingerbeere bildet, wird mit einem sterilen Tupfer weggewischt. Geeichte Kapillaren sind nach der Blutentnahme aussen zu reinigen. Wichtig ist die
Tabelle: Zentrifugationsbedingungen für verschiedene Blutentnahmeröhrchen
Blutentnahmeröhrchen
Zeit (Minuten)
Zentrifugalkraft (g)
Venenblut-Röhrchen Monovetten-Serum (ohne Gel) Monovetten-Serum-Gel Monovetten-Li-Heparin Monovetten-Li-Heparin-Gel
Monovetten-EDTA-Gel Monovetten-Na-Citrat 1:101
Kapillarblut-Röhrchen2 Microvetten-Serum (ohne Gel) Microvetten-Serum-Gel Microvetten-Heparin Microvetten-Heparin-Gel Microvetten-Fluorid
10 10 10 10 oder 15
10 10
5 5 5 5 5
2000 g 2500 g 2000 g 3000 g 2500 g 2500 g 1800 g
10 000 g 10 000g 2000 g 10 000 g 2000 g
1 Zeit und g-Zahl sind abhängig von der Art der Gerinnungsanalysen. 2 Die Zentrifugation der Microvetten erfolgt in einer hochtourigen Spezialzentrifuge.
Zentrifugation
Die relative Zentrifugalbeschleunigung (gZahl), mit der die Röhrchen für die optimale Probengewinnung zentrifugiert werden müssen, ist abhängig vom Probenmaterial, der Beschaffenheit des Röhrchens und dem verwendeten Antikoagulanz (Tabelle). Der Röhrchenhersteller schreibt die Zeit und die g-Zahl für die Zentrifugation vor. Diese Zentrifugationsbedingungen sind unbedingt einzuhalten. Der Radius der Praxiszentrifuge (Abbildung 3) kann im Handbuch nachgelesen, beim Hersteller erfragt oder selbst gemessen werden. Anhand einer Formel oder eines Nomogramms werden die Umdrehungen pro Minute (U/min) berechnet, die für die erforderliche g-Zahl auf der eigenen Zentrifuge gewählt werden müssen. Für die Berechnung der U/min gibt es OnlineHilfen (z.B. www.sarstedt.com, ➝Rubrik: Anwenderhilfen ➝Rubrik: Zentrifugationsrechner). Die Blutgerinnung dauert 30 Minuten und muss vor der Zentrifugation des Serumröhrchens unbedingt eingehalten werden. Eine unvollständige Gerinnung kann zur Bildung von Fibrinfäden im Serum und zu einer Hämolyse führen. Neu auf dem Markt sind Serumröhrchen mit Thrombinzusatz, in denen die Gerinnung nach 30 Sekunden abgeschlossen ist (BD, RST).
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Drehachse
DrehAchse
Radius
Radius AB
Abbildung 3: Radius von Zentrifugen mit feststehendem (A) oder einem Ausschwingrotor (B)
Für Röhrchen mit Trenngel empfiehlt der Hersteller die Zentrifugation in einer Zentrifuge mit Ausschwingrotor. Falls die Zentrifugation in einem Gerät mit Festwinkelrotor erfolgt, ist die Trennung des Überstands von den Zellen zu empfehlen, da die Bildung einer stabilen Gelbarriere nicht garantiert wird.
Vermeidbare Fehler bei der Zentrifugation
Eine zu frühe Zentrifugation der Serumröhrchen führt zu einer Hämolyse und somit beispielsweise zu fehlerhaften Kaliumund AST-Werten.
Fallbeispiele aus der Praxis
Fall 1
Bei Frau Eva Zweifel wurde präoperativ ein Quick verordnet. Frau Zweifel hat kalte Hände. Die MPA punktiert die Fingerbeere des Mittelfingers 5 Sekunden nach der Desinfektion mit 70-prozentigem Alkohol. Es bildet sich nach starkem Pressen der Fingerbeere ein schwaches Blutrinnsal, welches die MPA mittels Kunststoffkapillare auf das Testfeld des CoaguChek-XS®-Geräts aufträgt. Sie trägt den gemessenen Spontanquickwert von 63 Prozent in das Patientenblatt ein und markiert das Resultat als pathologisch, da der Referenzbereich für nicht antikoagulierte Patienten > 70 Prozent beträgt. Gut gemacht: Die MPA hat die richtige Stelle punktiert und Kunststoffkapillaren für die Gerinnungsanalyse verwendet. Zu verbessern: Bei kalten Händen muss die Hand vor der Punktion mit einem maximal 40° C warmen, feuchten Tuch umwickelt oder in ein Becken mit warmem Wasser gehalten werden, bis der Entnahmefinger warm und gut durchblutet ist. Die Desinfektion der Fingerbeere sollte mit einem Alkoholtupfer (z.B. mit 70% Isopropanol) erfolgen. Der Alkohol benötigt auf dem Finger eine Einwirkzeit von 15 bis 30 Sekunden. Die Punktion darf erst erfolgen, wenn der Alkohol vollständig verdunstet ist.
Fall 2
Herr Fritz Vögeli möchte eine neue Versicherung abschliessen. Da er nachts arbeitet, hat er einen Termin um 17.45 Uhr mit seinem Hausarzt vereinbart. Es ist ihm nicht möglich, während der nächsten Woche am Mor-
gen nüchtern in die Praxis zu kommen, deshalb verordnet der Arzt eine venöse Blutentnahme und eine Urinuntersuchung. Die MPA entnimmt diverse Blutproben und erklärt dem Patienten die Mittelstrahltechnik zur Gewinnung der Urinprobe. Die Urinteststreifenanalyse führt die MPA innerhalb von 10 Minuten nach der Miktion durch. Das Li-Heparin-Röhrchen zentrifugiert sie und trennt das Plasma von den Blutzellen. Sie analysiert den Glukosewert und stellt das Plasma zusammen mit dem EDTARöhrchen und dem Na-Citrat-Röhrchen (1:5 für die BSG) in den Kühlschrank. Sie macht Feierabend, morgen ist auch noch ein Tag und Herr Vögeli ist ja nicht krank. Am nächsten Morgen kippt sie die Röhrchen, stellt das Blutsenkungsröhrchen auf und gibt das EDTA-Blut ins Hämatologiegerät. Danach bestimmt sie die restlichen klinisch-chemischen Analysen auf dem Chemie-AnalyseGerät. Das Serum für den HIV-AntikörperSuchtest stellt die MPA in eine Tüte und zusammen mit dem Auftragsformular zurück in den Kühlschrank. Es wird um 15 Uhr vom Kurier des externen Labors abgeholt. Gut gemacht: Die Urinteststreifenanalyse aus Mittelstrahlurin (MSU) wurde innerhalb von 2 Stunden nach der Miktion durchgeführt. Zur Zeitgewinnung, nach mehrmaligem Kippen und unmittelbar nach der Blutentnahme, wurde die sofortige Zentrifugation des Li-HeparinRöhrchens und das Trennen der Blutzellen vom Plasma vorgenommen. Die Glukose wurde direkt nach der Zentrifugation gemessen, da der Wert sonst aufgrund der Glykolyse im Röhrchen abnimmt. Wichtig ist ein
Hinweis auf dem Befund, dass es sich um eine Spontanglukose und nicht um eine Nüchternglukose handelt. Die Proben wurden über Nacht kühl und dunkel bei 4° C gelagert. Zu verbessern: Die Blutsenkungsreaktion (BSG) muss innerhalb von 2 Stunden nach der Blutentnahme angesetzt werden. Hämatologieproben sollten wenn möglich sofort gemessen werden. Ist dies nicht möglich, können die Proben über Nacht im Kühlschrank gelagert werden. Am nächsten Morgen muss die Probe zuerst auf Zimmertemperatur erwärmt werden, bevor sie gemischt wird.
Fall 3
Die MPA zentrifugiert ein EDTA-Röhrchen mit venös entnommenem Blut und führt am Reflotron® die Analysen für den Lipidstatus durch. Erst nachträglich realisiert sie, dass noch keine Hämatologiewerte vorhanden sind. Sie mischt das Röhrchen noch einmal schonend sowie gründlich und ermittelt die fehlenden Werte. Gut gemacht: Mit dem Reflotron® darf HDL-Cholesterin nur aus EDTA-Plasma gemessen werden. Es ist sinnvoll, alle drei Analysen des Lipidstatus aus der gleichen Probe zu bestimmen. Zu verbessern: Nach der Entnahme von Plasma darf das Vollblut nicht erneut gemischt und für die Hämatologie verwendet werden, da die Konzentrationen der Zellen nicht mehr stimmen. In diesem Fall muss die MPA eine neue Blutprobe mit einem EDTA-Röhrchen entnehmen.
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LABOR
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Die zweifache Zentrifugation von Röhrchen mit Trenngel führt zu einer Zerstörung der Gelbarriere. Man sollte die Anschaffung von Analysensystemen vermeiden, für die hochtourig zentrifugiertes Probenmaterial erforderlich ist. Die Tourenzahl der üblichen Praxiszentrifugen ist beschränkt.
Blutproben verschicken
Die Auftragsformulare für das externe Labor müssen vollständig ausgefüllt sein, inklusive Angaben der Blutentnahmezeit (nüchtern oder postprandial), Identifikation des Patienten, der MPA und des Auftraggebers sowie Angaben zur Fragestellung. Letzteres erleichtert die Beurteilung der Resultate. Flüchtig ausgestellte Formulare sind Zeitfresser. Ohne Angaben zu Anamnese, Therapie oder ohne Fragestellung erfolgt ein Mehraufwand bei der Beurteilung derWerte.
Die Proben sind dunkel und kühl zu lagern. Der Postversand von Proben soll nach Absprache mit dem externen Labor in einer schlagfesten Hülle und einer Spezialtüte erfolgen. Bei der Lagerung und dem Transport von Blutproben ist zu beachten, dass auch die Sekundärgefässe korrekt beschriftet sind. Serum muss innerhalb von 45 bis 60 Minuten nach der Blutgewinnung von den Zellen getrennt werden (ausser bei der Serumgewinnung mittels Ausschwingzentrifuge und Trenngel). Für die Glukoseanalyse ist eine spezielles Röhrchen mit Fluoridzusatz zu verwenden.
Vermeidbare Fehler beim Lagern und Verschicken
Die Lagerung von Vollblut bewirkt unter anderem einen Elektrolyteaustausch und eine Glukolyse. Durch Lichteinwirkung werden Bilirubin/Gallenfarbstoffe sowie
Vitamin C und Folsäure abgebaut. In offenen Gefässen verdunsten die Proben bei Zimmertemperatur, aber auch im Kühlschrank. Die Probengefässe sind darum immer mit einem geeigneten Deckel oder mit Parafilm zu verschliessen. Durch Temperaturschwankungen im Aussenbriefkasten können die Proben unbrauchbar werden. Falls vom externen Labor kein Kurierdienst angeboten wird, sollten die Proben korrekt verpackt am Postschalter direkt aufgegeben werden. ◆
Korrespondenzadresse: Dr. Roman Fried Verein für med. Qualitätskontrolle Universitätsspital Zürich 8091 Zürich E-Mail: roman.fried@usz.ch www.mqzh.ch
Die Abbildungen sind folgendem Buch entnommen: «Laborlehrmittel medizinische Praxisassistentin» von Roman Fried, Alma Haag und Martha Oehy. Zu beziehen unter: www.llm.ch, info@llm.ch
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