Transkript
FORTBILDUNG
Reisediarrhö
Mikrobiologische Diagnostik bei Reiserückkehrern
Die Reisediarrhhö stellt die
am häufigsten reisemedizi-
nisch relevante Erkrankung
für Personen aus nicht ende-
mischen Ländern dar.
Marcel Brandenberger
Man geht davon aus, dass bei Fernreisen etwa jeder dritte bis vierte Reisende eine Durchfallproblematik entwickelt. Reisen in Entwicklungsgebiete Asiens, Lateinamerikas und Afrikas haben das höchste Risiko (Inzidenz von 20 bis 50%). Das Risiko, bei Reisen nach Zentraleuropa, Australien und Nordamerika an einer Reisediarrhö zu erkranken, ist deutlich kleiner (Inzidenz unter 5%). Die entscheidenden Faktoren für die Übertragung enteropathogener Keime sind kontaminierte Nahrungsmittel und verunreinigtes Trinkwasser. Als Übertragungswege gelten die «famous four F: feces, fingers, flies and food». Der alte Leitsatz «Boil it, cook it, peel it, or forget it» sollte zwar jedem Reisenden bekannt sein, dennoch hat sich bei sicherlich mangelnder Compliance gegenüber diesen Hygieneregeln in den letzten 30 Jahren nichts an der Gesamthäufigkeit der Reisediarrhö geändert. Neben der Reisedestination spielen weitere Risikofaktoren für die Häufigkeit der Reisediarrhö eine Rolle: Jahreszeit (signifikant nur in subtropischen Destinationen), Reisestil (Badeurlaub, geführte Rundreise, Individualtourismus), Unterbringung (Standardhotels, Luxushotels, einfache Quartiere), Herkunftsland und Alter des Reisen-
den sowie die Aufenthaltsdauer in der Feriendestination. Der Aufenthalt in Luxushotels bringt keine Risikoreduktion, die Inzidenz der Reisediarrhö ist sogar etwas höher als in Standardhotels. Wahrscheinlich lässt sich der Tourist durch das luxuriöse Ambiente täuschen und verkennt Risiken, die in einfacheren Hotels offenkundig wären.
Klinisches Bild
Die akute Form macht 90 bis 95 Prozent der Fälle aus. Die Inkubationszeit beträgt wenige Stunden bis wenige Tage, sodass die Mehrzahl der Touristen innerhalb der ersten Tage ihrer Reise (3.–9. Reisetag) erkranken. Die Dauer beträgt 4 ± 2 Tage. Die Stuhlbeschaffenheit ist meist wässrig (85%); schleimig-blutige Stühle (15%) und Fieber (12–25%) sind Hinweise für dysenterische Verläufe beziehungsweise invasive Erreger. Die Erkrankung hat einen selbstlimitierenden Charakter und ist in der Symptomatologie nur selten bedrohlich. Bei etwa 1 Prozent der Betroffenen sind die Durchfälle so schwer, dass eine Krankenhausaufnahme notwendig ist, knapp 20 Prozent sind bettlägrig, die restlichen gut 80 Prozent fühlen sich in ihrer Bewegungsfreiheit mehr oder weniger eingeschränkt und sind damit nur leicht erkrankt. Bei 8 bis 15 Prozent dauert die Diarrhö über eine Woche, 2 bis 3 Prozent (bis 10%) entwickeln eine chronische Diarrhö, die mehr als vier Wochen lang besteht und deshalb oft erst nach der Rückreise ins Heimatland abgeklärt wird.
Erreger
Das Keimspektrum umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Erreger aus dem bakteriellen, parasitologischen und viralen Bereich (Tabelle).
Bakterien
Als wichtigste Verursacher der Reisediarrhö gelten die enterotoxinbildenden Escherichia-coli-Stämme (ETEC). Das klinische Bild ist durch massive wässrige Durchfälle charakterisiert. Die Pathogenität beruht unter anderem auf dem hitzelabilen Enterotoxin LT sowie auf den hitzestabilen Toxinen STa und STb. Das hitzelabile Toxin hat eine hohe Strukturähnlichkeit (80% Homologie) zum Choleratoxin (B-Subunit). In der Häufigkeit auf den folgenden Plätzen befinden sich Infektionen mit Campylobacter (v.a. jejuni), Shigellen spp. und enteritischen Salmonellen. Enteroinvasive E. coli (EIEC) sind mit Shigellen nahe verwandt. Das klinische Bild entspricht der bakteriellen Ruhr, das geprägt ist durch Stuhlbeimengungen mit Schleim, Eiter und Blut. Darmkrämpfe, schmerzhafte Stuhlentleerungen und Fieber werden im weiteren Verlauf beobachtet. Enteropathogene E. coli (EPEC) sind die klassischen Erreger der Säuglingsdiarrhö, die in den Industrienationen heute selten geworden ist. Enterohämorrhagische E. coli (EHEC) sind seltene Erreger der Reisediarrhö. Übertragen werden sie fäkal-oral über EHEC-Ausscheider oder durch Genuss EHE-haltiger Tierprodukte (Rinder, Schafe, Ziegen) über nicht pasteurisierte Milch oder rohes Rindfleisch. Neben der hämorrhagischen Kolitis kann als extraintestinale Komplikation das hämolytisch urämische Syndrom auftreten, was in zirka 5 Prozent der Fälle von EHEC-Infektionen der Fall ist. Enteroaggregative E. coli (EAEC) spielen bei den darmpathogenen E. coli eine untergeordnete Rolle. Sie führen vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern zu protrahierten Diarrhöen. Für Touristen ist das Infektionsrisiko gering, an Cholera zu erkranken. Diese Erreger haben vor allem für die einheimische
thema16
LABOR
1/2009
FORTBILDUNG
Tabelle: Keimisolationen
Isolat
Asien
Enterotoxigene E. coli (ETEC) Enteroinvasive E. coli (EIEC) Enteropathogene E. coli (EPEC), Enteroaggregative E. coli (EAEC), Enterohämorrhagische E. coli (EHEC) Salmonella spp. Shigella spp. Campylobacter spp. Aeromonas hydrophila Vibrio cholerae non O1 Giardia lamblia Entamoeba histolytica Rotaviren Andere Quelle: www.reisemed.at
6–37% 2–3% 1%
1–33% 2–26% 1–57% 1–57% 1–7% 1–12% 5–11% 1–8% bis 10%
Mittel-/Südamerika 17–70% 2–7% 5–15%
1–16% 2–30% 1–5% 1–5% 0–2% 1–2% bis 9% 0–6% bis 5%
Afrika
8–42% 0–2% 2–7%
4–25% 0–9% 1–28% 0–9% 0–4% 0–1% 2–9% 0–36% bis 8%
Bevölkerung, die unter sehr einfachen und schlechten hygienischen Verhältnissen lebt, eine Bedeutung. Vibrio parahaemolyticus, Aeromonas und Plesiomonas haben eine geringe Pathogenität und werden hauptsächlich durch verunreinigtes Trinkwasser, kontaminierte Meeresfrüchte oder rohe Fische übertragen.
Parasiten
Bei anhaltender Diarrhö nach Rückkehr aus tropischen und subtropischen Ländern sollte immer nach den Protozoen Giardia lamblia und Entamoeba histolytica gefahndet werden. Giardiainfektionen spielen zwar als Auslöser einer akuten Reisediarrhö nur eine untergeordnete Rolle, führen jedoch überaus häufig zu länger dauernden, chronisch-rezidivierenden Durchfällen, wodurch derartige Infektionen im Untersuchungsgut medizinischer Nachuntersuchungen überrepräsentiert sind. Entamoeba histolytica verursacht dysenteritische Durchfälle, gekennzeichnet durch Stuhlbeimengungen mit Blut, Schleim, Eiter und kolikartigen Schmerzen. Entamoeba histolytica hat invasives Potenzial im Gegensatz zum harmlosen kommensalen Entamoeba dispar, der morphologisch identisch aussieht und mikroskopisch nicht von Entamoeba histolytica abgegrenzt werden kann. Etwa 90 Prozent des im Stuhlmaterial nachgewiesenen Entamoeba-histolytica/dispar-Komplexes
sind dem kommensalen Entamoeba dispar zuzuschreiben. Kryptosporidien sind als seltene Durchfallerreger immer wieder gut dokumentiert und kommen mit einer Häufigkeit von 1 bis 2 Prozent vor. Bei immunkompetenten Personen ist die Infektion oft asymptomatisch oder zeigt einen selbstlimitierenden Verlauf. Bei Säuglingen und immungeschwächten Patienten sind die Verläufe schwerer und länger. Andere Protozoen (Isospora, Cyclospora) sowie Helminthen spielen als Erreger der Reisediarrhö eine untergeordnete Rolle. Im Rahmen einer Malaria tropica kann es in bis zu 20 Prozent der Fälle gleichzeitig zu einer Diarrhö kommen.
Viren
Virale Erreger haben vor allem bei einheimischen Kleinkindern in den Tropen eine grosse Bedeutung (Rotaviren, Adenoviren, Noroviren u.a.). Bis heute ist wenig bekannt über ihre Bedeutung als Erreger für die Reisediarrhö.
Toxine
Enterotoxinbildende Keime (meist Staphylococcus aureus, seltener Bacillus cereus oder Clostridium perfringens) in verdorbenen Nahrungsmitteln können ebenfalls Reisediarrhöen (meist mit Erbrechen) verursachen. Trotz akribischer Suche in der Laboratori-
umsarbeit ist bei einem beträchtlichen Prozentsatz (je nach Untersuchung 15–55%) kein pathogener Keim nachweisbar (4).
Diagnostik
Eine Stuhldiagnostik ist nicht bei jedem Patienten notwendig, sollte aber durchgeführt werden bei Patienten, die Fieber, eine blutige Diarrhö oder eine Diarrhödauer von länger als drei bis fünf Tagen aufweisen. Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Aeromonas und Vibrionen werden kulturell nachgewiesen. Der Nachweis darmpathogener E. coli ist nach vorgängiger Kultur mittels PCR möglich. Für den Transport der Stuhlmaterialien sollte ein Cary-Blair-Medium verwendet werden, da dieses Medium das Überleben der Bakterien verlängert. Parasiten werden über Anreicherungsverfahren nachgewiesen. Dazu sollte etwa 1 g frischer, lebenswarmer Stuhl zu 10 ml SAFLösung zugefügt und ans Labor eingesendet werden. Es sollten zwei bis drei Proben von verschiedenen Tagen eingesendet werden, da die Parasiten unregelmässig ausgeschieden werden. Entamoeba histolytica und Entamoeba dispar können mittels PCR aus Nativstuhl voneinander unterschieden werden. Der Nachweis von Amöbenantikörpern erlaubt eine diagnostische Orientierung, inwieweit eine invasive intestinale Amöbiasis vorliegt; in mehr als 95 Prozent ist die Leber betroffen. Bei Verdacht auf die selteneren Protozoen, wie Kryptosporidien, Cyclospora oder Mikrosporidien, muss eine gezielte Fragestellung an das Labor erfolgen, da diese Parasiten nur in Spezialfärbungen (mod. Ziehl-Neelsen-Färbung bzw. Chromotropfärbung nach Weber) nachgewiesen werden können. Eine invasive Diarrhö lässt sich durch den Nachweis von Leukozyten im Stuhl oder den Nachweis von okkultem Blut belegen. ◆
Dr. med. Marcel Brandenberger Laborleiter FAMH Med. Mikrobiologie FutureLab Dr. Güntert Labor Dr. Güntert AG Alpenquai 14 6002 Luzern E-Mail: marcel.brandenberger@future@biolab.ch
Interessenkonflikte: Der Autor ist Mitglied der Geschäftsleitung der Labor Dr. Güntert AG.
1/2009
thema LABOR
17