Transkript
FORTBILDUNG
Procalcitonintest bei Atemwegserkrankungen
Spezifischer Test für bakterielle Infektionen hilft Antibiotika sparen
Procalcitonin ist ein guter Ent-
zündungsmarker für bakte-
rielle Infektionen. In einer
Schweizer Studie wurde kürz-
lich nachgewiesen, dass auch
in der Hausarztpraxis mithilfe
eines quantitativen Procalci-
tonintests bei Atemwegs-
erkrankungen Antibiotika in
grossem Masse eingespart
werden können.
Bei bakteriellen Infektionen steigt der Serumspiegel von Procalcitonin rasch an, bei viral bedingten Infektionen bleibt er hingegen relativ niedrig. Nachdem in Studien belegt werden konnte, dass mithilfe eines quantitativen Procalcitonintests der Antibiotikaverbrauch ohne Risiko für die Patienten auf Notfall- und Intensivstationen gesenkt werden konnte, wurde der Test vor einigen Jahren für Notfall- und Intensivstationen zugelassen. Ein grosser Einfluss auf die Resistenzentwicklung ist davon allerdings kaum zu erwarten. Obwohl man auf Intensivstationen in der Tat viele Antibiotika verwendet, betrifft dies nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung. Die Resistenzentwicklung gegenüber gängigen Antibiotika in der Humanmedizin beruht aber auf der massenhaften Antibiotikaverordnung in der Praxis. Zwar verschreiben die Schweizer Hausärzte schon heute generell weit weniger Antibiotika als es in anderen euro-
päischen Ländern üblich ist. Trotzdem sind selbst hierzulande rund drei Viertel aller gegen Atemwegsinfekte verordneten Antibiotika überflüssig und nutzlos, weil diese von Viren und nicht von Bakterien verursacht werden.
Antibiotikagabe nach Procalcitoninspiegel in der Hausarztpraxis
Vor Kurzem bewies eine Studie in Hausarztpraxen der Nordwestschweiz*, dass der Procalcitonintest die Antibiotikagabe deutlich vermindern kann, ohne die Patienten zu gefährden. An der Studie nahmen 53 Hausärztinnen und Hausärzte teil. Sie identifizierten insgesamt 458 Patientinnen und Patienten mit einer akuten Atemwegsinfektion, bei denen ihrer Ansicht nach eine Antibiotikagabe indiziert war. Ausschlusskriterien waren Antibiotikagebrauch in den 28 Tagen vor der ersten Konsultation sowie weitere Hinderungsgründe für die Teilnahme, wie beispielsweise fehlendes Einverständnis des Patienten, bestimmte Vorerkrankungen oder die Notwendigkeit der Hospitalisation. Die Patienten wurden von der zentralen Studienleitung nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen zugeteilt: Eine Gruppe wurde wie üblich auf Verdacht mit Antibiotika behandelt, bei den Patienten der zweiten Gruppe wurde zunächst der Procalcitonintest durchgeführt. Das Testresultat wurde der Praxis innert zwei bis vier Stunden nach der Blutentnahme mitgeteilt. Die Patienten erhielten entweder vorab ihre Antibiotikaverschreibung mit der Bitte, auf den telefonischen Bescheid ihres Arztes zu warten, oder sie konnten das Antibiotikum nach dem Bescheid direkt bei ihrem Arzt abholen. Bei einem Procalcitoninspiegel ≤ 0,1 μg/l gilt eine bakterielle Infektion als sehr unwahrscheinlich, bis zu einem Wert von
≤ 0,25 μg/l als unwahrscheinlich. Dem behandelnden Arzt wurde in diesen Fällen abgeraten, ein Antibiotikum zu verabreichen. Ab einem Procalcitoninspiegel von > 0,25 μg/l besteht Verdacht auf eine bakterielle Infektion, sodass den Ärzten zur Antibiotikaverordnung geraten wurde. Den letztendlichen Entscheid für oder gegen ein Antibiotikum traf der behandelnde Arzt. Sofern kein Antibiotikum verabreicht wurde, erfolgte aus Sicherheitsgründen nach 6 und 24 Stunden eine weitere Procalcitoninbestimmung. Lag dann das Procalcitonin über 0,25 μg/l oder hatte sich der Wert um mehr als 50 Prozent seit der ersten Messung erhöht, wurde eine Antibiotikagabe empfohlen. Bei allen Patienten, die in der Procalcitonintestgruppe ein Antibiotikum erhalten hatten, wurde der Procalcitoninspiegel nach drei Tagen erneut bestimmt. Lag er dann unter 0,25μg/l, wurde von einer weiteren Antibiotikagabe abgeraten. Der Entscheid lag beim Hausarzt. Das Follow-up für die ersten sieben Tage erfolgte durch die behandelnden Hausärzte. An den Tagen 14 und 28 wurden die Probanden von Studienmitarbeitern befragt.
Gleicher Behandlungserfolg trotz deutlich weniger Antibiotikaverordnungen
Die Dauer der Beschwerden war in beiden Gruppen praktisch gleich (8,6 vs. 8,7 Tage), aber nur jeder vierte Patient mit Procalcitonintest bekam ein Antibiotikum (25%) gegenüber so gut wie jedem in der Gruppe ohne Test (97%). Der Rückgang der Antibiotikaverordnung war besonders hoch bei Patienten mit akuten Infektionen der oberen Atemwege oder akuter Bronchitis (-80%). Bei Patienten mit COPD- oder Asthmaexazerbationen beziehungsweise Pneumonie wurden 40 Prozent weniger Antibiotika
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verordnet. Wenn Antibiotika verabreicht
wurden, erfolgte dies im Durchschnitt für
einen Tag weniger in der Procalcitonintest-
gruppe (6,2 vs. 7,1 Tage).
13 Patienten (7%), die in der Procalcitonin-
testgruppe zunächst kein Antibiotikum er-
hielten, weil ihr Wert unter 0,25 μg/l gele-
gen hatte, wiesen beim Wiederholungs-
test nach 6 beziehungsweise 24 Stunden
doch höhere Werte (bzw. eine Steigerung
um mehr als 50%) auf, sodass auch sie mit
einem Antibiotikum behandelt wurden.
Die Frage, ob sich die Steuerung der Anti-
biotikaverordnung auch bei mehreren
Tests pro Patient noch rechne, habe sich in
dieser Studie nicht gestellt, so die Autoren.
Vielmehr sei es hier um den Beweis gegan-
gen, dass eine Procalcitonintest-gesteu-
erte Antibiotikagabe möglich und sicher
ist. Ausserhalb von Studien sei es denkbar,
Wiederholungstests nur bei Patienten
durchzuführen, deren Zustand sich nicht
verbessert. Voraussetzung für eine breite
Einführung des Tests in der Praxis sei es
aber, dass man nicht auf Zentrallabors an-
gewiesen sei und Procalcitonintests in der
Hausarztpraxis beziehungsweise Ambu-
lanzen durchgeführt werden.
Hinsichtlich der Eindämmung neuer Anti-
biotikaresistenzen steht die Nützlichkeit
des Tests ausser Frage. Wie Professor Beat
Müller, Kantonsspital Aarau, an einer Pres-
sekonferenz zum Procalcitonintest mit-
teilte, wurde der Test entgegen den Emp-
fehlungen von Schweizer Infektiologen und
Internisten bei der Revision der Analysen-
liste aber nicht für das Praxislabor, sondern
nur für Auftraglabors (Fachbereich C, klini-
sche Chemie) zugelassen; auch die ärztliche
Empfehlung, den Tarif auf zirka 40 Franken
zu senken, wurde vom BAG nicht aufgegrif-
fen (Nr. 1619.00, Tx 84, gem. Analysenliste
vom 1.7.2009). Obwohl der Test an sich nur
20 Minuten dauert, vergehen somit Stun-
den oder gar ein ganzer Tag, bis das Ergeb-
nis des externen Labors vorliegt.
◆
Renate Bonifer
*Briel M. et al.: Procalcitonin-guided antibiotic use vs a standard approach for acute respiratory tract infections in primary care. Arch Int Med 2008; 168: 2000–2007.
Interessenlage: Die Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds SNF und der Universität Basel finanziert. Einige Autoren gaben Unterstützung durch santésuisse und verschiedene Stiftungen an; einer der Autoren erhielt Forschungsunterstützung von der Brahms AG.
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INTERVIEW
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