Transkript
FORTBILDUNG
Fallstricke in der Präanalytik bei toxikologischen Untersuchungen und der Bestimmung von Medikamenten
Ist es wirklich wichtig, dass
Blutproben für die Bestim-
mung von Medikamenten
oder für toxikologische Unter-
suchungen zur richtigen Zeit
in einem bestimmten Röhr-
chen abgenommen werden?
Katharina Rentsch
Sämtliche Laboranalysen unterliegen präanalytischen Einfluss- und Störfaktoren. Dies gilt auch für die Bestimmung von Medikamentenkonzentrationen und für toxikologische Abklärungen. Ein Einflussfaktor führt bereits in vivo zu einer Veränderung der zu messenden Systemkomponente beziehungsweise des zu messenden Medikaments. Hier ist das erhobene Laborresultat objektiv richtig, der Vergleich mit einem vorgegebenen Referenzbereich kann aber zum Beispiel Abweichungen aufweisen. Einflussfaktoren sind abschätzbar und können durch eine Blutentnahme zum richtigen Zeitpunkt unter definierten Umständen (z. B. nüchterner Patient) grösstenteils kontrolliert werden. Störfaktoren sind Faktoren, die in vitro mit dem Nachweis oder der Bestimmung einer Systemkomponente beziehungsweise des zu messenden Medikaments interferieren und demzufolge zu einem Laborresultat führen, das objektiv falsch ist. Störfaktoren führen immer wieder zu Laborresultaten,
Teile dieses Artikels wurden an der Silamed 2009 in Horgen präsentiert.
die erst gemeinsam mit klinischen Angaben nicht plausibel erscheinen. Im Folgenden werden deshalb zuerst die wichtigsten Einflussfaktoren bei der Bestimmung von Medikamentenkonzentrationen beziehungsweise bei toxikologischen Untersuchungen dargestellt. Im zweiten Teil werden anhand von Fallbeispielen einige wichtige Störfaktoren beschrieben.
Wichtigster Einflussfaktor: Zeitpunkt der Blutentnahme
In Bezug auf die Bestimmung von Medikamentenkonzentrationen zum therapeutischen «Drug Monitoring» (TDM) ist der allerwichtigste Einflussfaktor der Zeitpunkt der Blutentnahme. Dieser Zeitpunkt muss demjenigen entsprechen, bei dem der therapeutische Bereich erhoben wurde. Ein therapeutischer Bereich beschreibt idealerweise denjenigen Konzentrationsbereich, bei dem im Allgemeinen ein therapeutischer Effekt und keine unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) erwartet werden können. In der Regel beschreibt er den Konzentrationsbereich, welcher nach Einnahme einer üblichen Dosis in der Standardformulierung erreicht wird und der im Allgemeinen keine Toxizität verursacht.
Blutentnahme erst im Steady State Da sich Medikamentenspiegel erst in einer Steady-State-Situation vernünftig interpretieren lassen, sollte die Blutentnahme erst nach Erreichen dieser Situation erfolgen. Das heisst in der Praxis, dass bei Beginn der Therapie oder nach einer Dosisänderung mindestens vier (besser fünf) Eliminationshalbwertszeiten gewartet werden muss, bis eine erste Spiegelbestimmung erfolgt. Im Fall von Carbamazepin, das eine Eliminationshalbwertszeit von zirka 20 Stunden
Wichtiger Hinweis zu den im Artikel genannten Produkten
Fallstricke in der Labormedizin haben immer mit falschen Messwerten zu tun, die mit bestimmten Analysenmethoden und -geräten durch Fachpersonal ermittelt wurden. In diesem Beitrag werden demzufolge Methoden, Geräte oder Probenröhrchen im Zusammenhang mit Fehlern erwähnt. Dies bedeutet jedoch in keiner Weise, dass diese Methoden, Geräte oder Probenröhrchen generell schlecht seien. Sie waren aber in diesen speziellen Situationen und unter den geschilderten Umständen ungeeignet.
aufweist, heisst das, dass erst nach 80 bis 100 Stunden, also frühestens nach vier Tagen eine Blutentnahme gemacht werden soll, bei der das Erreichen des therapeutischen Bereichs abgeklärt wird. Falls eine mögliche Überdosierung die Indikation für eine Blutentnahme darstellt, gilt diese Regelung selbstredend nicht!
Intervall zwischen letzter Dosis und Blutentnahme Das Intervall zwischen der Einnahme der letzten Dosis und der Blutentnahme spielt eine ebenso entscheidende Rolle. In der Regel beziehen sich die therapeutischen Bereiche auf die minimale Konzentration und spiegeln deshalb den sogenannten Talspiegel wider. Das heisst, dass die Blutentnahme möglichst kurz vor der Einnahme der nächsten Dosis stattfinden sollte. Aus praktischen Gründen ist dies im ambulanten Bereich nicht immer möglich. Das Intervall zwischen der Einnahme des Medikaments und der Blutentnahme muss aber so gross wie möglich sein. Auf jeden Fall
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sollte auf dem Auftragsformular sowohl der Zeitpunkt der Medikamenteneinnahme wie auch der Blutentnahme notiert werden. Nur mithilfe dieser Angabe kann die Medikamentenkonzentration in diesen speziellen Situationen überhaupt interpretiert werden. Für einige primär im Spitalumfeld eingesetzten Arzneimittel (z.B. Aminoglykosid-Antibiotika) werden auch Spitzenspiegel bestimmt, das heisst, eine Blutentnahme wird zum Zeitpunkt der maximalen Konzentration durchgeführt.
Störfaktoren Hämolyse, Lipämie oder Ikterie
Die klassischen Störfaktoren Hämolyse, Lipämie und Ikterie können auch bei der Bestimmung von Medikamentenkonzentrationen einen Einfluss haben. Dies nicht nur allein aufgrund der Interferenz bei der Bestimmung, sondern bei einer Hämolyse auch durch die Freisetzung eines allenfalls intrazellulär höher konzentrierten Medikaments oder aufgrund chemischer Interferenzen.
Fallbeispiel 1: Paracetamolkonzentrationssteigerung ohne Paracetamol Eine Patientin wurde aufgrund eines akuten Leberversagens in der Intensivstation hospitalisiert. Im Rahmen der labordiagnostischen Abklärungen wurde eine Paracetamolkonzentration von 62 μmol/l gemessen (therapeutischer Bereich: 66–162 μmol/l). Einen Tag später sank die Paracetamolkonzentration auf 13 μmol/l. Am nächsten Tag wurde irrtümlich erneut die Bestimmung der Paracetamolkonzentration im Labor angefordert, mit dem erstaunlichen Resultat von 31 μmol/l. Derselbe Wert wurde auch am nächsten Tag erhoben; an den folgenden Tagen stieg die Konzentration bis auf 73 μmol/l an. Da die Patientin die ganze Zeit intubiert war und sicher kein Paracetamol erhielt, kamen Zweifel an der Richtigkeit dieser Messwerte auf. Laborchemisch verschlechterte sich während dieser Zeit die Leberfunktion deutlich, am Tag der letzten Paracetamolbestimmung betrug die Bilirubinkonzentration 360 μmol/l (Referenzbereich: < 21 μmol/l). Bei einer Verdünnung der Probe im Verhältnis 1:1 wurde anstelle von 73 μmol/l eine Paracetamolkonzentration von < 9 μmol/l ermittelt, das heisst, es konnte kein Paracetamol mehr nachgewiesen werden. Dieses Resultat war absolut plausibel und liess den Verdacht auf eine
Interferenz aufkommen. Nach verschiedenen Abklärungen, Literaturrecherchen und Laborversuchen konnte gezeigt werden, dass bei hohen Bilirubinmengen in der Probe (ca. > 200 μmol/l) das Bilirubin selbst bei der enzymatischen Bestimmung von Paracetamol in der Reaktion zum nachgewiesenen Produkt führt und die gemessene Paracetamolkonzentration im paracetamolfreien Serum sehr gut mit der Bilirubinkonzentration korreliert. Diese Interferenz tritt bei der Verwendung eines immunologischen Tests nicht auf, weshalb dieser Test zur Bestimmung von Patientenproben mit hoher Bilirubinkonzentration verwendet werden sollte.
Störfaktor Probenröhrchen
Die Bestimmung eines Medikaments oder auch eine toxikologische Untersuchung wird durch die Wahl des Probenröhrchens entscheidend beeinflusst. Einerseits können die im Röhrchen enthaltenen Additiva das Messresultat beeinflussen, andererseits kann das Gel, das heute in vielen Probenröhrchen vorhanden ist, Medikamente aufnehmen und so deren Konzentration erniedrigen oder auch Stoffe abgeben. Die Hersteller der Probenröhrchen optimieren die Gels in ihren Röhrchen immer weiter, allerdings sind in Bezug auf Medikamentenbestimmungen und toxikologische Untersuchungen nur wenige Daten publiziert. Deshalb sollten generell keine Gelröhrchen für die Bestimmung von Medikamenten oder für toxikologische Untersuchungen verwendet werden. Die folgenden Fallbeispiele 2 bis 4 illustrieren eindrücklich, wie falsche Probenröhrchen zu völlig falschen Laborresultaten führen.
Fallbeispiel 2: Medikamentenbindung im Gelröhrchen In einem externen Spital wurden Kinder immer wieder mit Amikacin behandelt. Zur Kontrolle wurden regelmässig Amikacintalspiegel bestimmt, die allesamt immer unterhalb der Nachweismethode des Tests lagen. Da dies den behandelnden Ärzten nicht plausibel erschien, bestimmten sie bei einigen Kindern zusätzlich Spitzenspiegel unmittelbar nach Ende der Amikacininfusion. Zum grossen Erstaunen lagen auch in diesen Proben die Amikacinkonzentrationen unterhalb der Nachweisgrenze, was aufgrund der Infusion unmöglich war. Schliesslich stellte sich heraus,
dass im externen Spital Gelröhrchen für die Gewinnung von Serum verwendet wurden, was den Verdacht erregte, dass das Amikacin an das Gel binden könnte. Es wurden bei einem Kind zwei Röhrchen Blut zur Bestimmung eines Spitzenspiegels von Amikacin abgenommen, ein üblicherweise eingesetztes Gelröhrchen sowie ein Röhrchen ohne Gel. Beide Proben wurden sofort ins Labor des externen Spitals transportiert, dort sofort zentrifugiert und das Serum jeweils in ein Sekundärröhrchen überführt. Der Amikacinspitzenspiegel im Serum aus dem Gelröhrchen war wiederum unterhalb der Nachweisgrenze des Tests, während er im Serum aus dem Röhrchen ohne Gel 56 mg/l betrug. Dies ist ein extremes Beispiel, wie stark sich Medikamente im Gel anreichern können.
Fallbeispiel 3: Proben für toxikologische Untersuchungen immer in Probenröhrchen ohne Gel (1) Eine 31-jährige Patientin mit bekanntem Diabetes mellitus Typ 1 wurde wegen einer hyperglykämischen Blutzuckerentgleisung in ein peripheres Spital eingewiesen. Trotz Normalisierung der Blutzuckerkonzentration und der Azidämie nach Behandlung mit Volumeninfusionen, Insulin und Bikarbonat persisierte das Delirium und eine stark vergrösserte Anionenlücke, weshalb eine zusätzliche Intoxikation in Betracht gezogen und Serum ins toxikologische Labor geschickt wurde. Nach einer ersten Besserung der Symptomatik wurde die Patientin auf die Normalstation verlegt und sie injizierte das Insulin mit ihrem persönlichen Insulinpen. Nach kurzer Zeit trat wiederum eine metabolische Azidose mit hyperglykämen Blutzuckerwerten auf. Erneut wurde eine Serumprobe ins toxikologische Labor geschickt. Aufgrund der Symptomatik wurde im toxikologischen Labor auch nach organischen Lösungsmitteln gesucht, da deren Metaboliten zu einer Azidose mit vergrösserter Anionenlücke führen können. Es konnte ausser Aceton kein Lösungsmittel identifiziert werden, allerdings war im Chromatogramm ein Peak unbekannter Identität zu sehen. Da die zweite Episode während des Spitalaufenthalts erfolgte, wurden sämtliche verfügbaren Desinfektionsmittel untersucht; in keinem liess sich eine Substanz mit dem gleichen chromatografischen Verhalten wie die unbekannte Komponente nachweisen.
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Es stellte sich schliesslich heraus, dass beide Proben in einem Gelröhrchen abgenommen wurden, worauf bei einem gesunden Probanden ebenfalls Blut mit dem gleichen Röhrchentyp abgenommen wurde. Das Chromatogramm des Serums dieses Probanden zeigte den gleichen unbekannten Peak wie dasjenige der Patientin. Aufgrund von Literaturrecherchen und Laborversuchen konnte dieser unbekannte Peak schliesslich als Toluol identifiziert werden, das aus dem Gel in die Probe abgegeben wurde. Proben für toxikologische Untersuchungen mit klinischem oder forensischem Hintergrund sollten deshalb immer in Blutröhrchen ohne Gel abgenommen werden! Der Grund für die zweite hyperglykämische Entgleisung mit metabolischer Azidose war übrigens eine verstopfte und schon lange nicht mehr gewechselte Nadel des Insulinpens.
Fallbeispiel 4: Falscher Alarm wegen vermeintlicher Lithiumintoxikation Eine 33-jährige Frau wurde nach einem Suizidversuch mit Psychopharmaka auf der Intensivstation hospitalisiert. Neben einem Antidepressivum, einem Benzodiazepin und einem «mood stabilizer» wurde gemäss anamnestischen Angaben auch ein Slow-Release-Lithiumpräparat eingenommen. Nach einer einmaligen Gabe von Aktivkohle wurde die Patientin supportiv behandelt und in regelmässigen Abständen die Lithiumkonzentration bestimmt. Bei Eintritt betrug sie 3,1 mmol/l, 16 Stunden nach Einnahme der Überdosis 3,6 mmol/l und 21 Stunden nach Einnahme 5,6 mmol/l. Die Patientin war auch zu dieser Zeit klinisch asymptomatisch. Es wurde daraufhin eine erneute Blutentnahme durchgeführt (25 Stunden nach Einnahme des Lithiumpräparats), die eine Lithiumkonzentration von 2,2 mmol/l aufwies. Im Nachhinein konnte rekonstruiert werden, dass die Bestimmung des Lithiums 21 Stunden nach Einnahme aus Plasma erfolgt war, das Lithiumheparinat als Antikoagulans enthielt. Ein klassischer Fehler, der aber regelmässig zu falschen Alarmen bezüglich Lithiumintoxikationen führt.
Störfaktor Interaktionen beim Abstinenztest
Untersuchungen zum Nachweis der Abstinenz von Alkohol, Medikamenten oder Dro-
gen stellen besonders hohe Ansprüche an die Qualität der Analyse und der Sicherstellung der Präanalytik, da aufgrund der Laborergebnisse oft für den Patienten beziehungsweise Klienten wichtige Entscheide gefällt werden. Bei den normalerweise für Drogenscreeningtests eingesetzten immunologischen Tests können Interaktionen nie ganz ausgeschlossen werden, weshalb positive Resultate oder zumindest nicht plausibel erscheinende, positive Resultate mit chromatografischen Methoden bestätigt werden müssen.
Fallbeispiel 5: Chromatografische Bestätigungstests können sinnvoll sein Eine Klientin war in einer stationären Therapie und wurde regelmässig auf Drogenkonsum untersucht, da sie in dieser Phase des Aufenthalts bereits viel Ausgang hatte. Zum grossen Erstaunen der Betreuer wurde in ihrem Urin «Angel’s Dust» oder Phencyclidin (PCP) nachgewiesen. Diese Droge wird in der Schweiz selten konsumiert. Aufgrund dieses Resultats wurden vermehrt Urinproben abgenommen, dies jeweils am frühen Morgen. Aufgrund des Konzentrationsverhältnisses von PCP zu Kreatinin in den jeweiligen Urinproben zeigte sich ein sehr konstanter Nachweis dieser Substanz, was auf einen konstanten Konsum hinwies, der doch eher unwahrscheinlich erschien. Nach ungefähr drei Wochen war das Resultat plötzlich negativ, das heisst die PCP-Konzentration lag unterhalb der Cut-off-Konzentration. Auch die Ratio zum Kreatinin hatte sich etwa halbiert. Aufgrund der Diskussion der Betreuer mit dem Labor konnte eruiert werden, dass die Klientin Chlorprothixen erhielt. Dieses nahm sie jeweils am Abend ein. Chlorprothixen weist zwar nur eine sehr schwache Kreuzreaktion von 0,025 Prozent mit dem eingesetzten Test zum PCP-Nachweis auf. Aufgrund der im Vergleich zu PCP sehr hohen Dosis von Chlorprothixen konnte jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass das positive Resultat durch das im Urin vorhandene Chlorprothixen und seine Metaboliten hervorgerufen wurde. Die Tatsache, dass genau in dem Moment der PCP-Test negativ und die PCP/Kreatinin-Ratio halbiert wurde, als die Dosis des Chlorprothixens halbiert wurde, war dann Beweis, dass die Patientin kein PCP konsumiert, wohl aber regelmässig und zuverlässig das Chlorprothixen eingenommen hatte.
Bei dieser Klientin hätte eine chromatogra-
fische Bestätigungsanalyse aus der ersten
Urinprobe sofort gezeigt, dass kein Kon-
sum von PCP vorliegt, und man hätte sich
alle daraufhin erfolgten Urinscreening-
untersuchungen sparen können.
◆
PD Dr. Katharina Rentsch Spezialistin für medizinische Laboranalytik FAMH Klinische Toxikologin GTFCh Institut für Klinische Chemie UniversitätsSpital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich
Interessenkonflikte: keine
Literatur: Franz D., Rentsch K.M., Fischer-Vetter J., Stäubli M.: «Geisterpeak» in der Gas-Chromatografie bei schwerer metabolischer Azidose: Intoxikation mit einer unbekannten Substanz? Dtsch Med Woschenschr 2006; 131: 2770–2773.
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