Transkript
INTERVIEW
«Einer der interessantesten neuen Risikofaktoren»
Interview mit Prof. Dr. med. Arnold von Eckardstein, Institut für Klinische Chemie Universitätsspital Zürich zum neuen Marker Lp-PLA2
In letzter Zeit häufen sich Pu-
blikationen und Kongress-
vorträge zu einem neuen
Entzündungsmarker, der spe-
zifisch für den Nachweis
atherosklerotischer Plaques
sein soll, die Lipoprotein-
assoziierte Phospholipase A2,
kurz Lp-PLA2.
ARS MEDICI: Herr Professor von Eckardstein, welche Bedeutung hat der Lp-PLA2Wert? Prof. Dr. med. Arnold von Eckardstein: Es handelt sich sicherlich um einen der interessantesten neuen Risikofaktoren. Die Daten zu einer kardiovaskulären Risikoassoziation mit der Konzentration oder Aktivität des Lp-PLA2 sind sehr konsistent. Dies wurde schon in vielen Studien untersucht, sowohl in der Sekundärprävention mit KHK-Patienten als auch in der Primärprävention sowie bei Diabetikern oder Patienten mit metabolischem Syndrom – und immer hat sich Lp-PLA2 als unabhängiger Risikofaktor herausgestellt. Es gibt auch Metaanalysen, die eine sehr konsistente Risikoassoziation bestätigen. Diese ist stärker und konsistenter, als wir sie zum Beispiel beim CRP kennen.
Was nützt es dem Patienten aber nun konkret, seinen Lp-PLA2-Wert zu kennen? von Eckardstein: Es gibt grundsätzlich zwei Gründe, die für den Test auf Lp-PLA2 sprechen, einen, der bereits heute gilt und ei-
Professor Dr. med. Arnold von Eckardstein, Direktor am Institut für Klinische Chemie Universitätsspital Zürich
nen, der vielleicht in fernerer Zukunft wichtig sein wird. Es ist anhand der klassischen Risikofaktoren eigentlich nicht sehr zuverlässig möglich, Patienten zu identifizieren, die später einmal einen Herzinfarkt erleiden werden. Insbesondere bei denjenigen, die ein intermediäres Risiko haben, also zwischen 10 und 20 Prozent in 10 Jahren. In diesem Fall ist es mittlerweile allgemein akzeptiert, dass man weitere Risikofaktoren braucht, um eine Aussage zum Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko machen zu können. Es geht hier letztlich um die Frage: Soll man intensiv mit Lipidsenkern behandeln oder nicht? Hier können neue Risikofaktoren, wie zum Beispiel das Lp-PLA2, hilfreich sein. Die Identifikation neuer kardiovaskulärer Risikofaktoren ist übrigens für Frauen noch viel relevanter als für Männer, da die aktuellen Algorithmen nur in den wenigsten Fällen Frauen mit hohem Risiko identifizieren. Eine Frau mittleren Alters muss exzessiv hohe Cholesterinwerte haben, rauchen und Diabetikerin sein, um gemäss gängi-
gen Risikoabschätzungen überhaupt als eine Hochrisikopatientin eingestuft zu werden. In fernerer Zukunft könnte der Lp-PLA2-Test an Bedeutung gewinnen, weil zurzeit auch ein Inhibitor der Lp-PLA2 zur Prävention und Therapie der Atherosklerose getestet wird. Diese Substanz zielt direkt auf diesen Risikofaktor. Sollte sie sich für die Therapie eignen, wäre es natürlich auch wichtig zu wissen, wie sich die Lp-PLA2-Konzentration oder -Aktivität unter Therapie entwickelt.
Wird dieser Test in der Schweiz bereits gemacht? von Eckardstein: Es bestehen gewisse Limitationen. Zum einen sind die Lp-PLA2-Tests zur Konzentrations- und Aktivitätsmessung in der Schweiz schwierig erhältlich und insbesondere die Bestimmung der Lp-PLA2-Konzentration ist sehr teuer. Selbst wenn man den Test optimal ausnutzt, kosten allein die Reagenzien pro Messung über 40 Franken. Hinzu kommen die Kosten für Personal, Maschinen und Organisation sowie eine gewisse Gewinnspanne für das Labor. Damit kommen wir in eine Preisklasse, wie wir es von BNP oder NT-proBNP kennen, also auf etwa 80 Franken. Das ist für einen Parameter, der als Risikofaktor im Extremfall genauso wie Cholesterin und zur Therapiekontrolle womöglich wiederholt gemessen würde, aus meiner Sicht zu teuer. Überdies steht er auch nicht in der eidgenössischen Analysenliste und müsste somit von den Patienten selbst bezahlt werden.
Gibt es neben finanziellen Aspekten noch einen Nachteil bei diesem Test? von Eckardstein: Eher eine wissenschaftliche Herausforderung, nämlich die Frage, wie das Lp-PLA2 transportiert wird. In den neueren Publikationen heisst es, dass es mit LDL transportiert würde und be-
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sonders atherogene LDL auszeichne. Ältere und auch unsere eigenen Daten zeigen aber, dass Lp-PLA2 zumeist nicht in LDL, sondern in HDL nachweisbar ist. So ist Lp-PLA2 auch ein alter Bekannter, der früher als PAF-Acylhydrolase (Platelet-activatingfactor-Acylhydrolase) bezeichnet wurde. Allerdings hat man damit einmal unter anderem begründet, warum HDL antiatherogen sind. Als Lp-PLA2 gilt das Enzym sozusagen als Schurke, aber unter dem alten Namen PAF-Acylhydrolase gilt es als antiatherogen und antioxidativ.
Mindern diese widersprüchlichen Erkenntnisse die Bedeutung von Lp-PLA2 als kardiovaskulären Risikofaktor? von Eckardstein: Nein. Es ist, wie gesagt, einer der interessantesten neuen kardiovaskulären Risikofaktoren. Es ist aber durchaus denkbar, dass man einmal analog zum LDL- und HDL-Cholesterin eine HDL-Lp-PLA2 von einer LDL-Lp-PLA2 differenzieren müsste. Ausserdem gibt es noch das Konzept der dysfunktionellen HDL, wonach HDL in atherogene und proatherogene Partikel differenziert werden. Mögli-
cherweise spielt das Enzym Lp-PLA2 dabei auch eine Rolle.
Herr Professor von Eckardstein, wir danken
Ihnen für das Gespräch.
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Das Interview führte Renate Bonifer.
Ein neuer kardio- und zerebrovaskulärer Marker
Lp-PLA2 ist bei vaskulären Entzündungen erhöht
Der CRP-Wert (C-reaktives Protein) hat sich als allgemein bekannter Entzündungsmarker etabliert, auch bei der Abklärung kardiologischer und zerebrovaskulärer Risiken. CRP weist zwar bekanntermassen eine hohe Spezifität und Sensitivität bei der Erkennung akuter und chronischer Entzündungen auf, ist jedoch weder erreger- noch organspezifisch. Lp-PLA2 ist hingegen nur bei vaskulären Entzündungsreaktionen erhöht. Andere Entzündungen, wie sie beispielsweise bei Infektionen der Atemwege oder rheumatoider Arthritis vorliegen, führen nicht zu einem erhöhten Blutspiegel an LpPLA2. Lp-PLA2 reichert sich in atherosklerotischen Plaques an. Physiologische Wirkungen von Lp-PLA2 sind eine erhöhte Expression von Adhäsionsmolekülen, das vermehrte Einwandern von Monozyten an den Entzündungsort und die Inhibition der endothelialen NO-Synthese. Darüber hinaus sind für Lp-PLA2 toxische Effekte auf Monozyten beziehungsweise Makrophagen und Gefässmuskelzellen bekannt. Es gibt rund zwei Dutzend Studien, die eine statistisch relevante Assoziation erhöhter Lp-PLA2-Werte mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko belegen, in einer Studie zeigte sich bei gesunden Probanden keine solche Beziehung. Demnach ist das kardiovaskuläre Risiko bei den Personen mit dem höchsten Lp-PLA2-Spiegel gegen-
über denjenigen mit dem niedrigsten Lp-PLA2-Spiegel um etwa das
Doppelte erhöht. In einer ähnlichen Grössenordnung bewegt sich
die Assoziation von Lp-PLA2-Spiegel und zerebrovaskulärem Risiko.
Die FDA hat darum Lp-PLA2 als Risikomarker für kardio- und zere-
brovaskuläre Risiken anerkannt. Nach Angaben des Herstellers
eines Tests für Lp-PLA2 seien die Werte wie folgt einzustufen:
< 200 ng/ml niedriges, 200–235 ng/ml mittleres und > 235 ng/ml
hohes Risiko.
Darapladib ist ein selektiver Hemmer der Lp-PLA2-Aktivität, dem
eine plaquestabilisierende Wirkung zugeschrieben wird. Im Januar
2009 begann eine klinische Phase-III-Studie, in die 15 000 KHK-Pa-
tienten aufgenommen werden sollen. Sie werden ihre jeweilige
Standardtherapie plus Darapladib oder ein Plazebo erhalten. Pri-
märer Endpunkt ist das Auftreten eines schweren kardiovaskulären
Ereignisses (MACE: major adverse cardiovascular event). In voran-
gegangenen Phase-II-Studien hatte man die Ausdehnung des
nekrotischen Kerns in atherosklerotischen Plaques mithilfe der
Substanz stoppen können. Nun muss sich zeigen, ob das auch kli-
nisch relevant ist.
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