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EDITORIAL WENIG BEKANNTE SYNDROME
Das Alice-im-Wunderland-Syndrom
Das Alice-im-Wunderland-Syndrom (AIWS) ist eine seltene neurologische Störung, die durch Wahrnehmungsveränderungen gekennzeichnet ist. Sie führt zu einer verzerrten Wahrnehmung von Grösse, Form und Lage von Körperteilen oder äusseren Objekten, was die betroffene Person in eine Art «verzerrte Realität» versetzt. Das Syndrom wurde in den 1950er Jahren erstmals vom britischen Psychiater John Todd beschrieben, der den Namen aufgrund der Ähnlichkeiten zu den Erlebnissen von Alice in Lewis Carrolls Roman «Alice›s Adventures in Wonderland» wählte.
Das AIWS ist schwer zu diagnostizieren, da es keine spezifischen Tests gibt. Die Diagnose basiert auf den beschriebenen Symptomen und der Anamnese der Patienten. Es ist wichtig, andere neurologische Erkrankungen auszuschliessen.
Das Alice-im-Wunderland-Syndrom kann episodisch auftreten, wobei die Dauer der Episoden von Minuten bis zu mehreren Stunden reicht. Bei manchen Menschen treten die Symptome nur einmal im Leben auf, während andere wiederholt betroffen sein können.
Zu den Hauptmerkmalen des Alice-im-Wunderland-Syndroms gehören Wahrnehmungsveränderungen wie Mikropsie und Makropsie oder Störungen, die den Eindruck erwecken, dass sich Objekte weiter entfernt oder näher befinden, als sie in Wirklichkeit sind. Dazu kommen Zeitverzerrungen, Körperbildverzerrungen (das Gefühl, Teile des Körpers seien verformt) und manchmal Halluzinationen oder veränderte Tastempfindung und ein gestörtes Raumgefühl.
Als Ursachen und Auslöser kommen verschiedene Ursachen in Frage, zum Beispiel Migräne mit Aura, Epilepsien (vor allem des Temporallappens), Infektionskrankheiten (z. B. Infekte mit dem Epstein-Barr-Virus, das die Mononucleose verursacht), aber auch Drogen, Medikamente mit Einfluss auf das ZNS oder gar Stress und Schlafmangel.
Es gibt keine spezifischen Therapiemassnahmen. Die Therapie konzentriert sich auf die Behandlung der zugrunde liegenden Ursachen wie Migräne oder Epilepsie. In einigen Fällen können die Symptome mit der Zeit von selbst verschwinden. Obwohl die Symptome für die Betroffenen beängstigend sein können, sind sie in der Regel nicht gefährlich und verschwinden meist ohne bleibende Schäden.
Das Alice-im-Wunderland-Syndrom ist faszinierend, aber auch verstörend für diejenigen, die es erleben. Es bleibt ein interessantes Gebiet der neurologischen Forschung.
Richard Altorfer
ARS MEDICI DOSSIER VIII | 2024
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