Transkript
RHEUMATOLOGIE/DERMATOLOGIE
Kristallarthropathien
Was tut sich bei der Therapie der Gicht?
Gicht stellt ein weit verbreitetes Krankheitsbild dar, das nicht zuletzt auch mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergeht. Mit Substanzen wie den SGLT2-Antagonisten konnten neue urikosurisch wirkende Optionen identifiziert werden, die in Studien bei Personen mit Diabetes mellitus oder Herzinsuffizienz zu einer deutlichen Reduktion des Harnsäurespiegels geführt haben.
PD Dr. med. Tobias Manigold, Inselspital, Bern, sprach am Rheuma Top über das Thema Gicht – eine Wohlstandserkrankung mit einer hohen Prävalenz in Nordamerika, Kanada, Zentraleuropa, Australien und zunehmend auch China. «Das häufige Auftreten dieser Erkrankung ist dabei nicht nur durch den generellen Wohlstand in diesen Ländern bedingt, sondern hängt auch mit der Höhe des Fleischkonsums sowie dem Anteil an Menschen mit Adipositas zusammen», erklärte er. Das Management einer Gicht kann an verschiedenen Punkten ansetzen (siehe Tabelle). «Da wir es primär mit einem Problem der Harnsäureelimination und nicht mit der Aufnahme von Purinen zu tun haben, üben Lifestyle-Massnahmen wie Ernährungsanpassungen nur einen moderaten Effekt von etwa 10 bis 20 Prozent auf den Harnsäurespiegel aus», so Manigold. Jedoch könnte ein neuer Aspekt hier in Zukunft an Bedeutung gewinnen. So zeigten Untersuchungen, dass das Darmmikrobiom von Gichtbetroffenen verändert ist (1). Interessanterweise konnten in einer Studie durch eine regelmässige Verabreichung des purinabbauenden Bakterienstamms Ligilactobacillus salivarius CECT 30632 der Harnsäurespiegel und die Anzahl an Gichtanfällen sowie die Notwendigkeit einer pharmakologischen Therapie bei Personen mit wiederholten Gichtanfällen in der Vorgeschichte reduziert werden (2).
Entzündungshemmung reduziert kardiovaskuläres Risiko
Personen mit Hyperurikämie und Gichtanfällen in der Vorgeschichte weisen ein signifikant höheres Risiko für eine tödlich verlaufende Koronarerkrankung sowie insgesamt eine signifikant höhere kardiovaskuläre Mortalität (alle Ursachen) auf (3). «Eine Hyperurikämie allein, ohne berichtete Gichtanfälle, ging in dieser Untersuchung allerdings nicht mit einem erhöhten Risiko einher», so der Referent. Ein 2021 publizierter systematischer Review mit Metaanalyse, in den über 900 000 Gichterkrankte einbezogen wurden, ergab in multivariaten Analysen ein erhöhtes Risiko für Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, venöse Thromboembolien, zerebrovaskuläre Insulte und Hypertonie (4). «Damit kann eine Gicht durchaus tödlich sein», betonte Manigold.
Wie eine Studie mit einem Follow-up von 5 Jahren und mehr als 10 000 Teilnehmern mit Status nach Herzinfarkt und erhöhtem hs-CRP zeigte, schützte eine entzündungshemmende Behandlung mit dem Anti-Interleukin(IL)-1b-Antikörper Canakinumab vor kardiovaskulären Ereignissen wie nicht fatalem Herzinfarkt, nicht tödlichem Hirnschlag und kardiovaskulärem Tod, dies unabhängig von einer Gicht (5). «Mit Colchizin verfügen wir über eine günstige Substanz, die unter anderem hemmend auf das NLRP3-Inflammasom und auf die IL-1b-Produktion wirkt», so Manigold. Retrospektiv analysierte Daten von 1000 Gichtpatienten lieferten denn auch Hinweise auf einen kardioprotektiven Effekt von Colchizin (6). Eine weitere retrospektive Arbeit untersuchte Patienten, die im Rahmen einer dekompensierten Herzinsuffizienz hospitalisiert wurden und einen Gichtanfall erlitten (7). Diejenigen, deren Gichtanfall mit Colchizin behandelt wurde (n = 237), wiesen eine signifikant niedrigere kardiovaskuläre Sterblichkeit innerhalb der ersten 4 Wochen auf als die, die kein Colchizin erhielten (n = 810). Aufgrund des konsistenten kardiovaskulär protektiven Effekts plädierte der Redner für «in dubio pro Colchizin», sofern die Verträglichkeit gut sei.
SGLT2-Antagonisten als Urikosurika
Wie Manigold weiter ausführte, stelle Allopurinol nach wie vor den primär bei Gicht eingesetzten Xanthinoxidasehemmer dar. «Aufgrund der 2018 publizierten Resultate der CARES-Studie, die signifikante Unterschiede bei der kardiovaskulären und der Gesamtmortalität unter Febuxostat im Vergleich zu Allopurinol fand, erhielt Febuxostat von der FDA eine Black-Box-Warnung», sagte er (8). «Letztlich haben aber andere Arbeiten wie die FAST-Studie und eine weitere kürzlich erschienene Arbeit kein kardiovaskuläres Signal für Febuxostat gefunden, sodass es hier wahrscheinlich keine Unterschiede gegenüber Allopurinol gibt», berichtete der Experte (9). Trotzdem sieht er Allopurinol aufgrund der grossen therapeutischen Breite und der Kosten weiterhin als Erstlinientherapie zur Behandlung der Gicht. Urikosurika wie Benzbromaron und Probenicid weisen sehr viele Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auf. «Es gibt jedoch auch Medikamente zur Behandlung von Ko-
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Mögliche Ansatzpunkte im Gichtmanagement
Ansatzpunkt Massnahmen
Lebensstil
• Ernährungsberatung
• Gewichtsreduktion
Harnsäure
Urikosurika
• Losartan
• SGLT2-Antagonisten
• (Kalziumantagonisten, Statine, Fibrate)
Urikostatika
• Allopurinol
• Febuxostat
Rekombinante Urikase
• Rasburicase
• (Pegloticase)
Entzündung
Entzündungshemmung
• NSAR, Prednison, Colchizin
Interleukin-1β-Blockade
• Canakinumab oder Anakinra
(adaptiert nach Manigold)
Kalziumpyrophosphatablagerungserkrankung
Die Ablagerung von Kalziumpyrophosphat-Dihydrat-Kristallen im Rahmen einer Kalziumpyrophosphatablagerungserkrankung (calciumpyrophosphate deposition disease, CPDD) im Knorpel und im periartikulären Gewebe kann asymptomatisch und ohne Krankheitswert bleiben (radiologisch: Chondrocalcinose) oder aber zu einer akuten Arthritis (Pseudogicht, v. a. grosse Gelenke) führen. Eine CPPD kann sich aber auch als Pseudomeningitis (radiologisch: Crowned-Dens-Syndrom), als pseudorheumatoide Arthritis oder als Pseudo-Bechterew äussern. Klinik und radiologische Befunde erweisen sich beim Stellen der Diagnose häufig als hilfreich, wenn der beweisende Kristallnachweis in der Synovialflüssigkeit nicht gelingt. Dies wird auch bei den 2023 erschienenen CPPD-Klassifikationskriterien der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) berücksichtigt (15). Mit ihrer Hilfe ist eine Klassifikation ohne Kristallnachweis möglich. Ähnlich wie bei der Gicht zeigen epidemiologische Studien, dass eine CPPD mit einem erhöhten Risiko für akute Koronarsyndrome, Myokardinfarkt und Hirnschlag assoziiert ist (16). Neben der Korrektur metabolischer Risikofaktoren (Hypomagnesiämie, Hyperferritinämie/Hämochromatose, Hyperparathyreodismus) beinhaltet die Therapie NSAR, Steroide, Colchizin, Anakinra und möglicherweise andere IL-1β-Antagonisten wie Canakinumab oder künftige NLRP3-Antagonisten. Im Hinblick auf das erhöhte kardiovaskuläre Risiko wäre auch hier ein eher permissiver Gebrauch von Colchizin zu diskutieren.
morbiditäten bei Gichtpatienten, die über einen urikosurischen Effekt verfügen», so Manigold. «Dazu gehören Losartan und, wie wir seit Kurzem wissen, auch die SGLT2Antagonisten.» So ergab eine Metaanalyse mit über 29 000 Personen mit Diabetes mellitus oder Herzinsuffizienz unter Therapie mit einem SGLT2-Antagonisten eine Reduktion der Harnsäure um 24,9 bis 56,5 µmol/l sowie eine deutliche Senkung des Risikos für einen zusammengesetzten Gicht-
endpunkt (Gichtarthritis/Gichtschub und/oder Beginn einer Gichttherapie) (10). Der ausgeprägteste Effekt liess sich unter Behandlung mit dem SGLT2-Antagonisten Dapagliflozin beobachten. «Bei Gichtpatienten, bei denen wir mit harnsäuresenkenden Therapien keine ausreichende Harnsäurereduktion erreichen können, sollten wir die SGLT2-Hemmer in unsere Überlegungen zur weiteren Behandlung einbeziehen», sagte Manigold.
Therapie mit rekombinanter Urikase
Eine weitere Option bei therapierefraktärer Gicht stellt der
Einsatz einer rekombinanten Urikase, in Form von Rasburi-
case oder Pegloticase, dar. In der Schweiz ist lediglich Rasbu-
ricase verfügbar. «Bei beiden Urikasen handelt es sich um
sehr komplexe Moleküle mit einem enzymatisch aktiven
Kern. Ihr Nachteil ist, dass sie wiederholt verabreicht werden
müssen und sehr immunogen sind. Daher kann es zur Bil-
dung von Anti-Drug-Antikörpern, zu anaphylaktischen Re-
aktionen und zum Verlust der Enzymaktivität kommen»,
führte der Referent aus. Eine Studie zeigte nun, dass durch
die Gabe von Methotrexat die Ansprechrate auf Pegloticase
erhöht werden kann (11). «Es bildeten sich zwar trotzdem
Antikörper, jedoch stieg ihr Spiegel deutlich langsamer an als
unter Pegloticase allein», ergänzte Manigold.
Weitere Bestrebungen, die Immunogenität rekombinanter
Urikasen zu reduzieren, führten zur Entwicklung von SEL-
212. Dieses Zweikomponentenmedikament beinhaltet die
Infusion eines tolerogenen Nanopartikels (Rapamycinmole-
küle in einer Lipidkapsel) sowie, 15 Minuten später, die In-
fusion von Pegadricase, einer pegylierten Urikase. Die Be-
handlung wird alle 4 Wochen wiederholt. Durch die Induk-
tion regulatorischer T-Zellen soll SEL-212 zu einer Immun-
toleranz gegenüber der Urikase führen (12). «Die Resultate
eines direkten Vergleichs mit einer Pegloticasemonotherapie
sind allerdings ein bisschen enttäuschend», meinte der Red-
ner. So erwies sich SEL-212 (n = 83) bei therapierefraktärer
Gicht lediglich als gleich gut wirksam wie eine Pegloticase-
monotherapie (n = 87), bei einer leicht höheren Rate an In-
fusionsreaktionen (15,7% unter SEL-212 vs. 11,5% unter
Pegloticase) (13). «Aber vielleicht sind ja noch weitere Unter-
suchungen geplant, zum Beispiel mit höheren Dosen des to-
lerogenen Nanopartikels, um die Antikörperbildung weiter
zu reduzieren. Denn eigentlich wäre das ein schönes Wirk-
prinzip für eine neuartige Therapie, die dann womöglich
auch in Europa verfügbar wäre, wo es keinen Zugang zu
Pegloticase gibt», fand Manigold.
Zum Abschluss beleuchtete er eine Studie zu einer durch
Pflegeexperten geführten Gichtsprechstunde (14). Gegen-
über einer ärztlich geführten Sprechstunde zeichnete sich
diese sowohl durch eine deutlich höhere Zufriedenheit der
Patienten als auch durch weniger Gichtschübe aus. In diesem
Zusammenhang wies Manigold auf die neue Gichtsprech-
stunde am Inselspital hin, die unter seiner Supervision eben-
falls durch eine Pflegeexpertin geführt wird.
s
Therese Schwender
Quelle: Rheuma Top – Symposium für die Praxis, 24. August 2023, Pfäffikon/ SZ und online.
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