Transkript
MEDIZIN FÜR DIE FRAU
pAVK bei Frauen unterdiagnostiziert und unterbehandelt
Frauen werden bei einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) schlechter medizinisch versorgt als Männer. Im Rahmen eines Scoping-Reviews haben australische Wissenschaftler biologische, klinische und soziale Ursachen dafür identifiziert.
Eur Heart J Qual Care Clin Outcomes
Die pAVK gilt als Hauptursache für Amputationen der unteren Gliedmassen und gehört zu den bedeutsamsten Risikofaktoren für die kardiovaskuläre Mortalität. Aus neueren Daten geht hervor, dass diese Erkrankung bei Frauen häufiger übersehen wird und zudem mit ungünstigeren klinischen Outcomes verbunden ist als bei Männern. Mary Kavurma von der University of Sydney (Australien) und ihre Arbeitsgruppe haben nun zunächst den aktuellen Wissensstand zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im Zusammenhang mit der pAVK zusammengestellt. Anschliessend ermittelten die Autoren biologische, klinische und soziale Faktoren, die zu den Ungleichheiten bezüglich der Diagnose, der Therapie und des Managements der pAVK bei Frauen und Männern beitragen.
Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede wurden beobachtet?
Symptome: Die pAVK wird meist anhand von Instrumenten wie dem Fontaine- oder dem Rutherford-Score in 3 klinische Phasen eingeteilt: asymptomatische pAVK, Claudicatio intermittens (CI) und chronische kritische Extremitätenischämie
MERKSÄTZE
� Bei Frauen ist eine pAVK häufiger mit untypischen Symptomen und Verläufen verbunden.
� Bei Frauen wird die pAVK häufig unter- oder fehldiagnostiziert.
� Studien zur pAVK wurden bis anhin hauptsächlich mit Männern durchgeführt.
� pAVK-Patientinnen sprechen weniger gut auf medikamentöse Behandlungen und Bewegungsprogramme an.
� Zur schlechteren Versorgung von pAVK-Patientinnen tragen biologische, klinische und soziale Faktoren bei.
(chronic limb-threatening ischemia, CLTI). Allerdings durchläuft die pAVK nicht immer alle klinischen Stadien, und es wird zunehmend deutlicher, dass diese Klassifizierungen die Symptomatik vieler Patienten, und vor allem die von Frauen, nur unzureichend abbilden (Tabelle 1). Des Weiteren ist die CI-Prävalenz bei Frauen niedriger als bei Männern, dafür wird bei ihnen etwa doppelt so häufig eine CLTI diagnostiziert. Auch tritt die CI bei Frauen meist etwa 10 bis 20 Jahre später auf als bei Männern und nach der Menopause. Diagnose: In bevölkerungsbezogenen Screeningstudien wird die pAVK meist anhand eines niedrigen Knöchel-Arm-Index (ankle-brachial index, ABI) von 0,9 diagnostiziert. Bei Frauen mit reduziertem ABI treten jedoch seltener charakteristische Symptome einer pAVK auf, und sie sind häufiger asymptomatisch. Behandlung: Zur Behandlung der pAVK werden in aktuellen Leitlinien lebensstilbezogene, pharmakologische und chirurgische Massnahmen sowie Bewegungsprogramme empfohlen. Aus Studien geht hervor, dass Frauen weniger häufig eine leitliniengerechte medikamentöse Behandlung erhalten und weniger gut darauf ansprechen als Männer. Dies gilt auch für angeleitete Bewegungsprogramme, die für pAVK-Patienten als Massnahme der ersten Wahl empfohlen werden. Zudem werden bei Frauen eher endovaskuläre Behandlungen und seltener chirurgische Eingriffe wie eine Amputation durchgeführt, und es kommt bei ihnen häufiger zu eingriffsbedingten Komplikationen und Todesfällen.
Welche Faktoren tragen zu diesen Unterschieden bei?
Im Rahmen ihres Scoping-Reviews identifizierten die Autoren biologische, klinische und gesellschaftliche Faktoren, die zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden bezüglich der Diagnose, der Therapie und des Managements der pAVK beitragen (Tabelle 2). Biologische Faktoren: Bei Frauen ist eine höhere Anzahl an Thrombozyten vorhanden, und diese weisen im Vergleich zu denen der Männer eine höhere Reaktivität auf. Dies könnte
20 ARS MEDICI DOSSIER VIII | 2023
MEDIZIN FÜR DIE FRAU
Tabelle 1:
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Diagnose und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK)
Prävalenz Symptome
Diagnose Therapie
Behandlungs- ansprechen
▲ höhere Prävalenz, die sich nach der Menopause angleicht ▲ atypische oder keine Symptome ▲ geringere CI-Raten ▲ häufiger CLTI als Erstmanifestation der pAVK ▲ stadienübergreifende Erkrankung ▲ Bestimmung des Knöchel-Arm-Index, bei asymptomatischer Erkrankung weniger sensitiv ▲ geringere Wahrscheinlichkeit einer leitliniengerechten Behandlung ▲ geringere Rate chirurgischer Eingriffe ▲ häufiger endovaskuläre Behandlung als Amputationen oder offene Eingriffe, mehr Komplikationen ▲ geringere oder keine Verbesserung unter angeleiteter Bewegungstherapie ▲ höhere Mortalität infolge von Amputationen oder offenen chirurgischen Eingriffen
CI: Claudicatio intermittens, CLTI: chronic limb-threatening ischemia
Tabelle 2:
Die wichtigsten Schlüsselfaktoren für geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang mit der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK)
Biologie
Hormone
Komorbiditäten und kardiovaskuläres Risiko
▲ höheres Thromboserisiko ▲ geringere Gefässgrösse ▲ ungeklärter Einfluss von antithrombotischer Therapie und Blutungsereignissen ▲ Schwangerschaft und Präeklampsie prädizieren unabhängig akute periphere arterielle Ereignisse ▲ höhere pAVK-Raten im Zusammenhang mit dem mütterlichen Plazentasyndrom ▲ erhöhte pAVK-bedingte kardiovaskuläre Sterblichkeit und Spitalaufenthalte in Verbindung mit
mütterlichen/fetalen Komplikationen ▲ höhere pAVK-Raten in Verbindung mit der Anwendung oraler Kontrazeptiva ▲ widersprüchliche Auswirkungen einer Hormonersatztherapie auf das pAVK-Risiko ▲ höheres pAVK-Risiko in Verbindung mit Komorbiditäten wie Bluthochdruck,
Diabetes mellitus und chronischen Nierenerkrankungen ▲ assoziiert mit Depressionen und höheren Amputationsraten
auf geschlechtsspezifische Unterschiede im Hinblick auf das Thromboserisiko bei der pAVK hinweisen; zur Bestätigung sind jedoch weitere Belege erforderlich. Des Weiteren kommt es bei Frauen aufgrund der kleineren Gefässe zu ausgeprägteren Stenosen. Da in den meisten präklinischen Studien zur Untersuchung der pAVK männliche Tiere verwendet werden, sind nach Ansicht der Autoren weitere Studien bei beiden Geschlechtern unerlässlich, um das Verständnis der geschlechtsabhängigen Pathophysiologie der pAVK zu verbessern. Hormone und Schwangerschaft: Bei Frauen können reproduktive und hormonelle Faktoren das kardiovaskuläre Risiko beeinflussen. So wiesen Frauen, die orale Kontrazeptiva einnahmen, in Beobachtungsstudien höhere pAVK-Raten auf, während die Hormonersatztherapie (hormone replacement therapy, HRT) mit widersprüchlichen Auswirkungen verbunden war. Auch verschiedene schwangerschaftsbedingte Komplikationen wie ein mütterliches Plazentasyndrom oder fetale Komplikationen sind Studien zufolge mit höheren pAVK-Raten assoziiert. Komorbiditäten und Risikofaktoren: Zu den wichtigsten Risikofaktoren für eine pAVK gehören Bluthochdruck, erhöhte
Serumcholesterinwerte, Diabetes mellitus, chronische Nie-
renerkrankungen und Tabakrauchen. Bei Frauen zeigte sich
in Studien ein höheres pAVK-Risiko im Zusammenhang mit
diesen Komorbiditäten.
Klinische und soziale Faktoren tragen ebenfalls zu den ge-
schlechtsspezifischen Unterschieden bei. So erkennen Ge-
sundheitsfachleute bei Frauen seltener eine pAVK, und die
Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose ist bei ihnen höher als
bei Männern. Des Weiteren war in den letzten 10 Jahren nur
ein Drittel der Teilnehmer klinischer Studien zur Behandlung
der pAVK weiblichen Geschlechts. Auch ist der oft geringere
sozialökonomische Status von Frauen mit einem erhöhten
pAVK-Risiko im Vergleich zu Männern verbunden.
s
Petra Stölting
Quelle: Kavurma MM et al.: A hidden problem: peripheral artery disease in women. Eur Heart J Qual Care Clin Outcomes. 2023 Mar 8:qcad011; doi:10.1093/ehjqcco/qcad011.
Interessenlage: Die Autoren der referierten Studie erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
ARS MEDICI DOSSIER VIII | 2023
21