Transkript
ALLERGOLOGIE/DERMATOLOGIE
Was tut sich beim atopischen Ekzem?
Erstaunliche Komorbiditäten und erfreuliche Therapiefortschritte
Was hat Unfruchtbarkeit mit dem atopischen Ekzem zu tun? Was gibt es Neues bei der topischen und der systemischen Therapie? Über aktuelle praxisrelevante Aspekte der atopischen Dermatitis berichtete Prof. Dr. Thomas Werfel aus Hannover am 13. Allergo Update.
Die atopische Dermatitis (AD) möglichst gut zu behandeln, sei sehr wichtig, denn es handle sich um eine ernste Erkrankung mit vielen Implikationen für das Leben Betroffener, betonte der Referent. Ein Blick auf die relativ lange Liste von Komorbiditäten macht klar, dass die AD weit mehr als nur die Haut betrifft: atopische Erkrankungen (Asthma, Rhinitis, IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien), psychische Störungen in Zusammenhang mit Juckreiz, Schlaflosigkeit und Stigmatisierung (z. B. Angststörungen, Depression, Suizidalität), Autoimmunkrankheiten (z. B. Alopecia areata, Vitiligo, rheumatoide Arthritis, chronisch entzündliche Darmkrankheiten), Infektanfälligkeit (z. B. verschiedene HerpesvirusInfektionen, möglicherweise schwerere Verläufe von Mpox), arterielle Hypertonie und neuerdings Unfruchtbarkeit. Eine grosse retrospektive Kohortenstudie fand in Israel bei Frauen und Männern mit atopischer Dermatitis eine im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant höhere Prävalenz von Unfruchtbarkeit (1). Für diese erstaunliche Assoziation könnten Störungen der Expression und Funktion von Barriereproteinen pathophysiologisch verantwortlich sein. Störungen von Claudinen beeinträchtigen nicht nur die Hautbarriere, sondern auch das Endometrium im Uterus. Neben Claudinen spielen auch Okkludine eine wichtige Rolle für die BlutHoden-Barriere, die Spermatogenese und die Hautbarriere. In künftigen Studien wäre nach Ansicht von Werfel zu untersuchen, wie sich die Behandlung des atopischen Ekzems auf die Unfruchtbarkeit auswirkt (1).
Welche Basistherapie wirkt am besten?
Eine aktuelle Studie hilft bei der Beantwortung der Frage nach der am besten wirksamen Grundlage von Emollienzien (2). Bei Kindern im Alter von 6 Monaten bis 12 Jahren ergab die 16-wöchige, randomisierte, 4-armige, prospektive Studie bei der Behandlung des atopischen Ekzems mit Lotionen, Cremes, Gelen und Salben (Anwendung 2-mal täglich) keine signifikanten Unterschiede bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Welcher Typ der Emollienzienformulierung gewählt werde, sei nicht so wichtig, so der Referent. Hauptsache sei, dass Patienten oder ihre Eltern selbst eine topische Basis-
therapie auswählen, die sie gerne zur Stützung der Hautbarriere anwenden würden. Dabei könne auch auf einen günstigen Preis geachtet werden. Die Basistherapeutika sollten möglichst keine häufigen Kontaktallergene (z. B. Wollwachsalkohol, Cetylstearylalkohol, bestimmte Duftstoffe) und keine Zusätze von Nahrungsmitteln (z. B. weizenhaltige Cremes) enthalten. «Nahrungsmittel gehören nicht auf die Haut von Patienten mit atopischer Dermatitis», sagte Werfel.
Topische Entzündungshemmung
Zur antiinflammatorischen topischen Behandlung des atopischen Ekzems reichen in der Regel mässig starke Kortikosteroide der Klasse II aus (z. B. Prednicarbat, Hydrocortisonbutyrat). Stärker wirksame topische Kortikosteroide wie Mometason (Klasse III) kämen auch in Betracht, seien aber oft nicht nötig, so der Referent. Auf sensitiven Hautarealen (Gesicht, Hals, Intertrigines, perianal), wo mit Kortikosteroiden Nebenwirkungen zu befürchten sind, gelten gemäss Leitlinie topische Calcineurininhibitoren (PimecrolimusCreme, Tacrolimus-Salbe) als Mittel der ersten Wahl (3). Kinder können damit in der Schweiz ab einem Alter von 2 Jahren behandelt werden. In der EU ist Pimecrolimus auch bei Säuglingen (ab einem Alter 3 Monaten) zugelassen. Die Wirksamkeit der proaktiven Intervalltherapie nach Abheilung der Läsionen (Behandlung 1- bis 2-mal pro Woche während mehrerer Monate) sei in guten Studien bestätigt worden, so Werfel. Obschon er seinen Patienten die proaktive Therapie meist während 3 Monaten empfehle, werde sie oft nur während 4 bis 6 Wochen durchgeführt. Von den neuen topischen Medikamenten Ruxolitinib, Delgocitinib und Crisaborol werde in Europa in nächster Zeit wahrscheinlich nur der topische JAK-Inhibitor Ruxolitinib eingeführt, so der Referent.
Systemische Therapie der atopischen Dermatitis
Bei rund 80 Prozent der Betroffenen ist die Ausprägung der atopischen Dermatitis leicht bis mittelschwer, und topische Behandlungen sind in der Regel ausreichend. Zur systemischen Langzeittherapie bei chronischer moderater oder schwerer AD stehen derzeit Dupilumab, Tralokinumab, Bar-
12 ARS MEDICI DOSSIER VII | 2023
ALLERGOLOGIE/DERMATOLOGIE
icitinib, Upadacitinib und Abrocitinib zur Verfügung. Das konventionelle Immunsuppressivum Ciclosporin eignet sich nur zur Intervalltherapie bei Patienten ab 16 Jahren. Systemische Glukokortikosteroide könnten als Stosstherapie für 3 bis 4 Tage eingesetzt werden, so der Referent. Falsch seien jedoch mehr als 3-wöchige Behandlungen. Der monoklonale Antikörper Dupilumab, der bei Patienten ab 6 Jahren zur Behandlung des atopischen Ekzems zugelassen ist, blockiert die Rezeptoren der von IL(Interleukin)-4 und IL-13 und hemmt dadurch die Signalweiterleitung beider IL. Wie bereits in den USA wird die Zulassung wahrscheinlich bald auch in Europa aufgrund neuer Studiendaten ausgeweitet, damit auch Säuglinge ab 6 Monaten und Kleinkinder mit Dupilumab behandelt werden können. Drug-Survival-Daten des deutschen Registers «TREATgermany» belegen, dass fast 90 Prozent der Patienten mit moderater bis schwerer atopischer Dermatitis in der realen Welt die Dupilumabtherapie während mindestens 2 Jahren beibehielten (4). Nur wenige Patienten brachen die Therapie ab (Abbruchrate nach 1 Jahr: 5%, nach 2 Jahren: 11,4%). In den Niederlanden wurde im Rahmen einer Registerstudie gezeigt, dass es in der realen Welt möglich ist, die Dupilumabdosis durch Verlängerung der Injektionsintervalle zu reduzieren (5). Bei Patienten, deren AD nach 1-jähriger Dupilumabtherapie gut kontrolliert war, wurde das Biologikum entweder alle 2 Wochen (Gruppe A mit üblichem Dosierungsintervall) oder alle 4 beziehungsweise alle 6 bis 8 Wochen injiziert (Gruppe B bzw. C mit verlängertem Dosierungsintervall). Trotz verringerter Dupilumabserumspiegel blieb die Krankheitsaktivität (z. B. Juckreizscore und Eczema Area and Severity Index [EASI]) stabil niedrig (5). Werfel wies darauf hin, dass Dupilumab vor schweren Herpesinfektionen (Eczema herpeticatum) schützen könne. Gemäss einer amerikanischen Studie senke Dupilumab in geringem Umfang auch das Risiko schwerer COVID-19-Verläufe bei Patienten mit AD.
Interleukin-13-Blocker und JAK-Inhibitoren
Der monoklonale Antikörper Tralokinumab bindet an IL-13 und hemmt die Signalweiterleitung nur dieses Zytokins. Das Biologikum ist in der Schweiz für Erwachsene mit mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis zugelassen, wenn eine systemische Therapie benötigt wird. Nach einer Anfangsdosis von 600 mg werden alle 2 Wochen 2 subkutane Injektionen zu je 150 mg benötigt. Gemäss der Arzneimittel-
information liegt es im Ermessen der verschreibenden Ärzte,
in der Erhaltungstherapiephase eine Verlängerung der Injek-
tionsintervalle von 2 auf 4 Wochen vorzunehmen, nachdem
die praktisch vollständige Abheilung der Haut erzielt worden
ist. In der EU können auch Jugendliche ab 12 Jahren mit
Tralokinumab behandelt werden. Werfel bezeichnete Tralo-
kinumab als «Langsamstarter». Bei einigen Patienten, die
vorerst nur partiell angesprochen haben, kann die allmählich
zunehmende Wirksamkeit des Biologikums die Ansprechra-
ten (EASI-75, EASI-90) auch noch zwischen den Wochen 16
und 32 weiter verbessern.
Dagegen tritt der therapeutische Effekt bei den oral anwend-
baren JAK-Inhibitoren (Abrocitinib, Baricitinib, Upadaciti-
nib) rasch ein. Dass sie schneller als Biologika wirken, konnte
zum Beispiel für Abrocitinib und Upadacitinib in direkten
Vergleichsstudien mit Dupilumab gezeigt werden. Werfel wies
darauf hin, dass JAK-Inhibitoren mit mehr Nebenwirkungen
verbunden seien (z. B. Infektionen; Reaktivierung von Infek-
ten wie Tuberkulose, Herpes zoster, Herpes simplex). Die
JAK-Inhibitor-Behandlung erfordere besondere Vorsicht bei
Risikofaktoren für tiefe Venenthrombosen und Lungenembo-
lien, wozu auch die hormonelle Kontrazeption mit Kombina-
tionspräparaten gezählt werde. Vor dem Einsatz von JAK-In-
hibitoren ist ein Laborscreening erforderlich, und während
der Behandlung sind Laborkontrollen angezeigt.
▲
Alfred Lienhard
Quelle: Vortrag «Atopische Dermatitis» beim Allergo Update 2023 am 3. März 2023 in Frankfurt.
Referenzen: 1. Horev A et al.: Atopic dermatitis and infertility: A nationwide retrospec-
tive cohort study. Dermatology. 2022;238:313-319. 2. Ridd MJ et al.: Effectiveness and safety of lotion, cream, gel and ointment
emollients for childhood eczema: a pragmatic, randomised, phase 4, superiority trial. Lancet Child Adolesc Health. 2022;6:522-532. 3. Wollenberg A et al.: European guideline (EuroGuiDerm) on atopic eczema – part II: non-systemic treatments and treatment recommendations for special AE patient populations. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2022;36:1904-1926. 4. Stölzl D et al.: Real-world data on the effectiveness, safety and drug survival of dupilumab: an analysis from the TREATgermany registry. Br J Dermatol. 2022;187:1022-1024. 5. Spekhorst LS et al.: Patient-centered dupilumab dosing regimen leads to successful dose reduction in persistently controlled atopic dermatitis. Allergy. 2022;77:3398-3407.
ARS MEDICI DOSSIER VII | 2023
13