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PNEUMOLOGIE/ALLERGOLOGIE
Respiratorische Infekte
Bieten Sie Ihren Patienten eine Alternative an
Solange ein Atemwegsinfekt bakteriell bedingt ist, lässt er sich mit Antibiotika behandeln. Dabei kann die Resistenzbildung durch Zuwarten jedoch verringert werden. Bei viral bedingten respiratorischen Infekten dagegen gibt es ausser Impfungen keine Kausaltherapie. Hier können aber Infektrate und Symptomdauer durch Immunstimulation gesenkt werden. Wie und womit, erklärte Prof. Philipp Tarr, Co-Chefarzt, Medizinische Universitätsklinik, Leiter Infektiologie und Spitalhygiene, Kantonsspital Baselland, am FOMF-WebUp Pneumologie.
Wird bei Patienten eine Pneumonie diagnostiziert, besteht die Behandlung zunächst aus einer Therapie mit Amoxicillin/ Clavulansäure 1,2 g i.v. 3-mal/Tag. Wird der Zustand nach 72 Stunden nicht besser, aber auch nicht schlechter, stellt sich die Frage, wie die Therapie fortgesetzt werden soll. Da es, so Tarr, in den meisten Fällen zu keiner Komplikation komme, lohne es sich, noch weitere 1 bis 2 Tage zuzuwarten, bevor die Therapie verändert werde. Bei schwer kranken, älteren oder multimorbiden Patienten könne es nämlich bis zu 7 Tage dauern, bis eine Besserung eintrete. Differenzialdiagnostisch sollten jedoch eine COPD-Exazerbation, Influenza, COVID-19, Lungenembolie, Herzinsuffizienz oder ein Empyem ausgeschlossen werden. Britische Guidelines empfehlen laut Tarr die Zugabe von Makroliden oder Chinolonen zur Abdeckung von atypischen Keimen, wenn sich der Zustand nach 72 Stunden nicht verbessert. Zu bedenken sei gemäss Tarr ausserdem, dass bei 20 Prozent der Pneumoniepatienten im Zuge der Pneumonie zusätzlich ein kardiales Ereignis auftritt, wahrscheinlich infolge Entzündung und Hypoxämie. Zu solchen kardialen Ereignissen gehören beispielsweise Vorhofflimmern oder eine neue beziehungsweise eine dekompensierte Herzinsuffizienz, was die Mortalität weiter erhöht. Das Risiko für ein akutes Koronarsyndrom steigt ebenfalls und bleibt noch Wochen bis Monate nach einer Pneumonie erhöht (1–3).
Bei Verdacht auf Aspirationspneumonie 3 bis 4 Tage warten
Verschlechtert sich bei alten und dementen Patienten der Allgemeinzustand plötzlich, haben sie leichtes Fieber (38 ° C) und sind in der Auskultation Rasselgeräusche feststellbar, kann der Hinweis auf ein Verschlucken beim Essen für die Diagnose hilfreich sein, die mit einem Röntgenbild bestätigt wird. Eine Aspirationspneumonie wird idealerweise mit Amoxicillin/Clavulansäure, Metronidazol oder Clindamycin behandelt. Amoxicillin allein ist möglicherweise nicht ausreichend, da mit der Therapie auch Anaerobier abgedeckt werden sollten, wie Tarr empfiehlt. Das Keimspektrum besteht aus etwa 50 Prozent gramnegativen Bakterien, davon
etwa 15 Prozent anaerobe. Bei zahnlosen Patienten siedeln allerdings keine anaeroben Keime. Doch sollte die Antibiotikatherapie nicht unbedingt sofort erfolgen, denn aus einer Aspiration müsse sich nicht zwingend eine Pneumonie entwickeln, so Tarr. Die Symptome können durch eine «chemische» beziehungsweise eine entzündliche Pneumonitis hervorgerufen werden, die meist nach 3 bis 4 Tagen wieder abheilt. Falls sich der Allgemeinzustand auch nach 4 bis 5 Tagen nicht verbessert, sondern verschlechtert und sich zusätzlich Auswurf bildet, kann sich eine infektiöse Aspirationspneumonie entwickelt haben. Eine Antibiose sei in dieser Situation nun indiziert, so Tarr. Zu einem früheren Zeitpunkt, wie zum Beispiel am Aspirationstag, würde sie dagegen eine Resistenzbildung begünstigen (4, 5).
Corona oder Influenza?
Bei Patienten mit Husten, leichtem Fieber und Gliederschmerzen stellt sich die Frage, ob es sich um eine Coronainfektion oder um eine Influenza handelt. Klinisch sind diese beiden Erkrankungen nicht unterscheidbar. Denn auch bei einer Grippe weist nur ein Drittel die typischen Symptome wie hohes Fieber und starke Gliederschmerzen auf, ein Drittel hat milde Symptome, und ein Drittel bleibt gar asymptomatisch (6). Ein Nasopharynxabstrich oder eine Mundspülung (PCR oder Schnelltest) kann Klarheit bringen. Ein an Influenza erkrankter Patient steckt etwa 10 bis 20 Prozent der Haushaltsmitglieder an, bei COVID-19 liegt dieser Anteil etwa bei 30 Prozent, im Vergleich dazu infiziert eine an Varizellen oder Masern erkrankte Person 60 bis 80 Prozent der ungeimpften Haushaltsmitglieder (6).
Erkältungsprophylaxe als Perspektive
Respiratorische Infekte wie Erkältungen, Rhinitis, Sinusitis oder Bronchitis sind meist viral. Antibiotika verkürzen in diesem Fall weder die Symptomdauer noch verringern sie die Komplikationsrate. Durch Immunstimulation besteht jedoch die Möglichkeit für eine Erkältungsprophylaxe. Das eröffnet die Perspektive, den Patienten etwas anzubieten, das auf breite Akzeptanz stösst. In diesem Feld gibt es viele Prophy-
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laktika, für die es jedoch wenig bis keine Evidenz gibt. Solide Daten bestünden dagegen bei Echinacea (Roter Sonnenhut) und Vitamin D, wie Tarr berichtet. Für die Prophylaxe mit Echinacea ergab eine Metaanalyse eine Erkältungsrate von 43 Prozent, während sich unter Plazebo 56 Prozent der Studienteilnehmer erkälteten. Das entspricht einer NNT (number needed to treat) von 7,8 (8). In einer weiteren Metaanalyse erreichte Echinacea als Erkältungsprophylaxe eine NNT von 6, und die Symptomdauer verkürzte sich durchschnittlich um 1,4 Tage (9). Der Unterschied ist zwar laut Tarr nicht so riesig, doch mit einer NNT zwischen 6 und 8 gibt es nicht so viele medizinische Interventionen. Die NNT der Influenzaimpfung liegt zum Vergleich zwischen 30 und 70, je nach Alter der Patienten. Als Therapie einer Erkältung zeigt Echinacea gemäss einer Cochrane-Analyse dagegen keine eindeutige Wirksamkeit, das heisst, die Symptomdauer verkürzte sich im Vergleich zu Plazebo nicht signifikant (10).
Vitamin D bei tiefen Spiegeln wirksam
Inwieweit die Gabe von Vitamin D einer Erkältung vorbeugen kann, zeigten 2 grosse systematische Reviews mit Metaanalysen (11, 12). Aus diesen geht hervor, dass Patienten mit einem Vitamin-D-Spiegel von < 25 nmol/l unter einer Vitamin-D-Supplementierung 70 Prozent weniger Infektionen erleiden (NNT = 4) als unter Plazebo. Das heisst, unter Vitamin D kam es bei 32 Prozent der Patienten zu ≥ 1 respiratorischen Infekt versus 60 Prozent aus der Plazebogruppe. Bei Patienten mit höheren Vitamin-D-Spiegeln (> 25 nmol/l) war die Wirkung mit 25 Prozent weniger Infektionen dagegen kleiner (NNT = 20) (12). Das zeige, dass ab einem gewissen Vitamin-D-Spiegel kein geschwächtes Immunsystem vorliege, so Tarr. Es zeigte sich ausserdem, dass Bolusdosen von ≥ 30 000 Einheiten nicht wirksam waren, auch nicht bei Vitamin-D-defizienten Patienten (12). Eine präventive Wirkung gegen eine Coronainfektion bietet die Vitamin-D-Supplementation dagegen nicht, wie 2 neue Studien zeigten: Die Infektionsrate war nicht tiefer als unter Plazebo (13, 14). Doch nahm laut Tarr in der einen Studie (13) etwa die Hälfte der Plazebogruppe ebenfalls Vitamin D
ein, sodass ein Effekt von Vitamin D nicht wirklich gezeigt
werden konnte. Ausserdem lagen die Vitamin-D-Spiegel der
Teilnehmer meist > 30 nmol/l. Deshalb seien die Bücher
hierzu noch nicht endgültig geschlossen, so Tarr abschlies-
send.
s
Valérie Herzog
Quelle: FOMF-WebUp Pneumologie, Vortrag «Respiratorische Infekte» von Prof. Philipp Tarr, 20. September 2022.
Referenzen: 1. Musher DM et al.: The association between pneumococcal pneumonia
and acute cardiac events. Clin Infect Dis. 2007;45(2):158-165. 2. Eurich DT et al.: Risk of heart failure after community acquired pneumo-
nia: prospective controlled study with 10 years of follow-up. BMJ. 2017;356:j413. 3. Cangemi R et al.: Platelet activation is associated with myocardial infarction in patients with pneumonia. J Am Coll Cardiol. 2014;64(18):19171925. 4. Bartlett JG et al.: The triple threat of aspiration pneumonia. Chest. 1975;68(4):560-566. 5. Marik PE: Aspiration pneumonitis and aspiration pneumonia. N Engl J Med. 2001;344(9):665-671. 6. Dietrich L et al.: COVID-19, Influenza und grippeähnliche Erkrankungen. Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(01):16-20. 7. German M et al.: Immunstimulation zur Prävention und Therapie von akuten Luftwegsinfektionen. Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(11):345-349. 8. Karsch-Völk M et al.: Echinacea for preventing and treating the common cold. JAMA. 2015;313(6):618-619. 9. Shah SA et al.: Evaluation of echinacea for the prevention and treatment of the common cold: a meta-analysis. Lancet Infect Dis. 2017;7(7)473480. 10. Karsch-Völk M et al.: Echinacea for preventing and treating the common cold. Cochrane Database Syst Rev. 2014;2(2):CD000530. 11. Martineau AR et al.: Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory tract infections: systematic review and meta-analysis of individual participant data. BMJ. 2017;356:i6583. 12. Autier P et al.:Effect of vitamin D supplementation on non-skeletal disorders: a systematic review of meta-analyses and randomised trials. Lancet Diabetes Endo. 2017;5(12):986-1004. 13. Jolliffe DA et al.: Effect of a test-and-treat approach to vitamin D supplementation on risk of all cause acute respiratory tract infection and COVID-19: phase 3 randomised controlled trial (CORONAVIT). BMJ. 2022;378:e071230. 14. Brunvoll SH et al.: Prevention of COVID-19 and other acute respiratory infections with cod liver oil supplementation, a low dose vitamin D supplement: quadruple blinded, randomised placebo controlled trial. BMJ. 2022;378:e071245.
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