Transkript
GASTROENTEROLOGIE
Chronische Verstopfung
Die richtigen Fragen stellen
Ein Dauerthema in der Gastroenterologie ist die chronische Verstopfung. Sie ist mitunter hartnäckig, kann viele Ursachen haben und ist in der Abklärung und der Behandlung eine Herausforderung. An der UEG-Week wurde wegen der Wichtigkeit und der Verbreitung des Leidens eine Hauptsession abgehalten. Dabei gab es Tipps, woran man bei der Abklärung denken soll, welche Fasern als Nahrungsergänzung unter den vielen eher zum Erfolg führen und welche Medikamente wann eingesetzt werden sollten.
Bei Patienten mit Verstopfung sollte als Erstes eine organische Erkrankung als Ursache ausgeschlossen werden. In die Überlegungen, was die Gründe für die Obstipation sein könnten, müssten auch sekundäre Ursachen wie beispielsweise eine allfällige Opioidtherapie einfliessen, riet die Obstipationsspezialistin Prof. Maura Corsetti, Nottingham Digestive Disease Biomedical Research Centre (UK). Eine solche könne zu einer zusätzlichen Stuhlentleerungsstörung führen. Eine retrospektive Analyse habe nämlich gezeigt, dass chronisch verstopfte Patienten mit Opioidgebrauch schwerere Obstipationssymptome aufwiesen als chronisch verstopfte Personen ohne Opioidgebrauch (1), so die Expertin weiter. Auf dem weiteren Weg der Abklärung soll der Patient seine Obstipationsbeschwerden beschreiben. Wievielmal pro Woche findet eine Defäkation statt? Ist diese nach Ansicht des Patienten zu selten? Zwischen 3 und 7 Stuhlentleerungen pro Woche gälten als normal, so Corsetti. Erfolge sie nicht täglich, handle es sich nicht zwingend um eine Verstopfung. Weitere Fragen betreffen die Stuhlkonsistenz sowie abdominale Schmerzen, die mit der Obstipation einhergehen. Tritt bei der Defäkation eine Schmerzlinderung ein, könnte es sich um ein verstopfungslastiges Reizdarmsyndrom handeln. Entstehe der Schmerz jedoch erst nach Tagen ohne Stuhlentleerung, sei das ein Hinweis für eine funktionelle Obstipation (2), erklärte Corsetti. Als Nächstes soll der Pa-
KURZ & BÜNDIG
� Bei Obstipation organische und sekundäre Ursachen ausschliessen.
� Die Patienten ihre Beschwerden beschreiben lassen.
� Pflanzenfasern nach ihrer Wasseraufnahmekapazität wählen.
� Bei medikamentöser Therapie mit osmotischen Laxanzien beginnen.
tient seine Gewohnheiten hinsichtlich der Einnahme von Fasern, Probiotika, der Flüssigkeitsaufnahme und seiner Bewegung beschreiben. Eine weitere Frage betrifft die Stuhlgewohnheiten. Wird der morgendliche Stuhlgang wegen Zeitmangels unterdrückt? In einer chinesischen Untersuchung mit 6318 obstipierten Patienten hätten nämlich 76 Prozent der Befragten angegeben, morgens für einen Stuhlgang nicht zur Toilette zu gehen, weil sie in Eile seien (3), so Corsetti.
Erste Massnahmen
Als erste Massnahme zur Förderung der Stuhlfrequenz soll mit der Korrektur des Lebensstils begonnen werden. Dazu gehören mehr Bewegung, eine Erhöhung des Faseranteils in der Nahrung sowie eine Erhöhung der Flüssigkeitsmenge. Mineralwässer mit hohem Magnesiumsulfatgehalt beispielsweise entfalten zusätzlich eine laxative Wirkung und können bei Patienten mit funktioneller Obstipation die Stuhlfrequenz erhöhen, wie ein systematischer Review zeigt (4).
Welche Fasern sich besser eignen
Pflanzenfasern in der Nahrung haben unterschiedliche Eigenschaften. Essbare Fasern bestehen aus Kohlenhydratpolymeren, die im Darm nicht hydrolysiert werden. Diese stammt aus verzehrten natürlichen Nahrungsmitteln, aus der Gewinnung aus rohen Nahrungsmitteln oder seien synthetisch hergestellt, erklärte Prof. Kristin Verbeke, Tanslational Research in Gastrointestinal Disorders, KU Leuven (B). Hauptkriterien für den Nutzen von Fasern bei Patienten mit Obstipation sind Löslichkeit, Viskosität und Fermentierbarkeit. Unlösliche Fasern, wie beispielsweise Weizenkleie, binden physikalisch Wasser an ihrer Oberfläche. Damit erhöhen sie bei der Darmpassage den Wassergehalt des Stuhls und verringern die Obstipation. Grobe Weizenkleie nehme mehr Wasser auf als fein gemahlene, die den Stuhl nicht mehr aufweichen könne und die Verstopfung eher verstärke, so Verbeke. Auch die Löslichkeit als Fasereigenschaft kann zur Linderung der Obstipation führen. Gelbildende Fasern wie zum Beispiel Psyllium (Flohsamen) binden Wasser und sind ge-
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genüber einer Dehydratation resistent. Der Wassergehalt im Kolon steigt damit ebenfalls. In einem systematischen Review mit Metaanalyse wurde Psyllium als effizient in Bezug auf Therapieansprechen und Stuhlkonsistenz beurteilt (5). Fermentierbare Fasern führen zwar zu einer Erhöhung der Biomasse, haben aber mehrheitlich keinen laxativen Effekt in Bezug auf Stuhlproduktion, Stuhlerweichung oder Stuhlfrequenz, wie die Autoren eines Reviews zusammenfassten (6). Die Herkunft der Pflanzenfaser ist nicht so entscheidend, Fasern von Getreide und Gemüse nehmen etwas mehr Wasser auf als jene aus Früchten und sind damit leicht stärker laxativ. Fruchtfasern beziehungsweise Pektine liessen sich nicht per se als laxativ bezeichnen, denn es komme auf ihre Zusammensetzung an, die je nach Frucht sehr unterschiedlich sein könne, so Verbeke. Weil es verschiedene Fasern mit unterschiedlichen Eigenschaften gibt, reicht es nicht, obstipierten Patienten eine Erhöhung der Fasereinnahme zu empfehlen. Denn manche Fasern helfen, andere nützen nichts, und wieder andere verschlechtern die Symptomatik sogar noch. Die besten Fasern zur Obstipationstherapie seien grobe unlösliche Fasern (z. B. Weizenkleie) in Kombination mit Psyllium, so der Tipp von Verbeke. Die stuhlfördernden und stuhlkonsistenzverbessernden Eigenschaften von Weizenkleie sind seit über 100 Jahren bekannt.
Medikamentöse Optionen
Würden pharmakologische Massnahmen nötig, seien osmotische Laxanzien die erste Wahl, erklärt Corsetti. Dabei zeigen Polyethylenglykole (PEG) beziehungsweise Macrogole mit Elekrolytzusatz eine gute Wirksamkeit bei gutem Sicherheitsprofil. Lactulose zählt ebenfalls zu den osmotischen Laxanzien (2). Hinsichtlich einer Erhöhung der Stuhlfrequenz, einer Verbesserung der Stuhlkonsistenz, einer Linderung von abdominalem Schmerzen und einer Reduktion beim Gebrauch von anderen Laxanzien ist PEG der Anwendung von Lactulose gemäss einem Cochrane-Review jedoch überlegen (7). Persistieren die Symptome weiter, empfiehlt Corsetti die Kombination mit stimulierenden Laxanzien wie Senna, Bisacodyl (5–10 mg/Tag) oder Natriumpicosulfat (5–10 mg/Tag) (2). Die beiden Letzteren zeigen gegenüber Plazebo signifikante Vorteile hinsichtlich Darmsymptomen und Lebensqualität. Allerdings können Bauchschmerzen und Diarrhö als Nebenwirkungen auftreten (8). Die gewählten medikamentösen Massnahmen sollten während 4 bis 8 Wochen ausprobiert werden, bevor bei Nichtansprechen von Therapieversagen gesprochen werden kann. Bei ungenügender Symptomlinderung folgt ein Wechsel auf Prokinetika wie Prucaloprid (1–2 mg/Tag) oder Linaclotid (290 µg/Tag). Diese können auch mit Laxanzien oder Sekretagoga kombiniert werden (2). Schwächt sich die Obstipation ab, doch die Abdominalschmerzen als dominantes Symptom persistieren weiter, ist dies ein Hinweis auf ein Reizdarmsyndrom. In diesem Fall empfiehlt Corsetti den Einsatz von Spasmolytika oder Neuromodulatoren (2).
Wenn Medikamente nicht helfen
Wenn alle oralen Massnahmen fehlschlagen, ist der nächste
Schritt die transanale Irrigation. Damit kann der Stuhl aus
dem Rektum und dem distalen Kolon entfernt werden. Diese
Methode eignet sich vor allem bei Patienten mit neurologisch
bedingter Obstipation. Ob die Wirkung durch die Spülung
und/oder durch die Stimulation der Peristaltik entsteht, ist
nicht ganz klar (2).
Kann mit pharmakologischen Methoden keine Verbesserung
induziert werden, ist eine anorektale manometrische Abklä-
rung mittels Ballonexpulsionstest angezeigt. Fällt der Test
positiv aus, kann Biofeedback als Therapie möglicherweise
helfen. Weiteren Aufschluss liefert die Defäkografie, die An-
haltspunkte über die Notwendigkeit von operativen Mass-
nahmen gibt (2).
Bei persitierenden Symptomen solle man laut der Referentin
auch an das «bowel obsession syndrome» denken, das in den
1980er-Jahren beschrieben worden sei. Dieses sei charakteri-
siert durch eine überbordende und irrational starke Angst
vor fäkaler Inkontinenz und gehe mit Angststörungen einher
(9). Zu Stuhlentleerungsproblemen könnten aber auch frühe
traumatische Lebenserfahrungen und posttraumatische Stö-
rungen führen (10), so Corsetti abschliessend.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Constipation». United European Gastroenterology Week (UEGW), 9. bis 11. Oktober 2022, in Wien.
Referenzen: 1. Nojkov B et al.: Is dyssynergic defecation an unrecognized cause of
chronic constipation in patients using opioids?. Am J Gastroenterol. 2019;114(11):1772-1777. 2. Corsetti M et al.: Chronic constipation in adults: Contemporary perspectives and clinical challenges. 2: Conservative, behavioural, medical and surgical treatment. Neurogastroenterol Motil. 2021;33(7):e14070. 3. Song J et al.: Clinical features and treatment options among chinese adults with self-reported constipation: An internet-based survey. J Dig Dis. 2019 Aug;20(8):409-414. 4. Dupont C et al.: Magnesium sulfate-rich natural mineral waters in the treatment of functional constipation – a review. Nutrients. 2020;12(7):2052. 5. van der Schoot A et al.: The effect of fiber supplementation on chronic constipation in adults: an updated systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Am J Clin Nutr. 2022;116(4):953-969. 6. McRorie JW Jr et al.: Understanding the physics of functional fibers in the gastrointestinal tract: an evidence-based approach to resolving enduring misconceptions about Insoluble and soluble fiber. J Acad Nutr Diet. 2017;117(2):251-264. 7. Lee-Robichaud H et al.: Lactulose versus polyethylene glycol for chronic constipation. Cochrane Database Syst Rev. 2011;CD007570. 8. Ford AC et al.: American College of Gastroenterology monograph on the management of irritable bowel syndrome and chronic idiopathic constipation. Am J Gastroenterol. 2014;109(Suppl 1):S2-S26. 9. Cosci F: «Bowel obsession syndrome» in a patient with chronic constipation. Gen Hosp Psychiatry. 2013;35(4):451.e1-451.e4513. 10. Hendrix J et al.: Early adverse life events and post-traumatic stress disorder in patients with constipation and suspected disordered defecation. Neurogastroenterol Motil. 2022;34(3):e14195.
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