Transkript
Chronischer Pruritus
Strategien gegen den Juckreiz
DERMATOLOGIE
Chronischer Pruritus beeinträchtigt erheblich die Lebensqualität. Durch das ständige Kratzen leidet zudem die Haut. Besteht Hauttrockenheit (Xerosis), gehört die Rückfettung zu den Basismassnahmen. Darüber hinaus steht eine Reihe antipruritisch wirkender Substanzen zur Verfügung.
«Chronischer Pruritus ist definiert durch eine Dauer von mindestens 6 Wochen und tritt häufig mit beziehungsweise bei trockener Haut auf», erklärte Dr. med. Claudia Zeidler, Klinik für Hautkrankheiten am Universitätsklinikum Münster, im Rahmen eines Vortrags an der DERM-Tagung 2021 in Frankenthal (D).
Ursachen und Folgen
Die Patienten haben einen hohen Leidensdruck, durch das Kratzen verursachen sie weitere Hautschäden. Es gibt viele verschiedene Ursachen und Komorbiditäten. So kann man primäre Hautveränderungen wie bei der atopischen Dermatitis sehen, bei der nahezu 100 Prozent der Patienten unter chronischem Pruritus leiden. Durch das Kratzen kommt es zu sekundären Kratzveränderungen. Das kann zu Stigmatisierungen führen, die Lebensqualität dieser Patienten ist sehr eingeschränkt. Das Symptom selbst kann sehr variabel sein in Dauer, Qualität, Ausprägung und Verlauf. Viele Patienten, die schon sehr lang an chronischem Pruritus leiden, haben mit psychischen Konsequenzen wie Angst und Depression zu kämpfen. In einer internationalen Studie aus dem Jahr 2014 (Global Burden of Disease Project) rangierte Pruritus unter den Top 50 der interdisziplinären Erkrankungen und unter den Top 15 der Dermatosen.
KURZ & BÜNDIG
� Chronischer Pruritus ist definiert durch eine Dauer von mindestens 6 Wochen und tritt häufig mit beziehungsweise bei trockener Haut auf.
� Pruritus kann selbst bei gleicher zugrunde liegender Ursache ganz unterschiedliche Erscheinungsbilder aufweisen. Umgekehrt kann ein ähnliches Hautbild verschiedene Auslöser haben. Sekundäre Kratzläsionen können umfangreiche Hautschäden verursachen.
� Bei der Therapie des chronischen Pruritus sind zunächst die Diagnose und die Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung sowie eine dermatologische Basistherapie in Form einer Rückfettung wichtig. Darüber hinaus steht eine Reihe juckreizstillender Medikamente zur Verfügung.
Sekundäre Kratzläsionen können bei den Patienten umfangreiche Hautschäden verursachen. Typisch ist das sogenannte «butterfly sign», das gekennzeichnet ist durch eine Aussparung der Kratzeffloreszenzen im Rückenbereich, da die Patienten diesen nur schwer erreichen können, um zu kratzen. Ausserdem ist die Morphe der Kratzläsionen davon abhängig, wie der Patient kratzt. Pruritus kann von Fall zu Fall bei gleicher zugrunde liegender Ursache ganz unterschiedliche Erscheinungsbilder aufweisen. Umgekehrt kann ein ähnliches Hautbild unterschiedliche Auslöser haben, zum Beispiel nephrogenen Pruritus, Skabies oder paraneoplastischen Pruritus beim Lungenkarzinom. Die Anamnese spielt also eine wichtige Rolle. Ätiologisch lässt sich chronischer Pruritus in 6 Kategorien nach der Klassifikation des International Forum for the Study of Itch einteilen (Tabelle 1).
Therapieoptionen
Chronischer Pruritus ist schwierig zu behandeln, weil es kaum zugelassene Therapien gibt und die Versorgungsstruktur bei Patienten mit chronischem Pruritus noch ausbaufähig ist. Zeidler sieht im Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus in Münster viele Patienten mit Pruritus bei Xerosis. «50 bis 70 Prozent der Patienten mit chronischem Pruritus haben eine Xerosis als Nebenbefund oder Hauptursache», erklärte sie. Als Ursache können der genetische Hintergrund, Umwelteinflüsse, Komorbiditäten (z. B . urämische Xerosis, chronische Prurigo) oder eine physiologische Abnahme der Lipidproduktion mit steigendem Alter eine Rolle spielen. Durch die abnehmende Lipidproduktion kommt es zu einer Schädigung der Hautbarriere und dadurch zu Wasserverlust und einer Sensibilisierung der Nerven. Bei der Therapie des chronischen Pruritus sind natürlich zunächst die Diagnose und die Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung sowie eine dermatologische Basistherapie in Form einer Rückfettung wichtig. Je nach Hautstatus ist dabei eine unterschiedliche Galenik auszuwählen. So empfehlen sich bei trockener Haut eine Lipolotio oder Creme und bei sehr trockener Haut eine Salbe. Allgemeine Empfehlungen beinhalten zum Beispiel den Rat, nicht zu heiss zu duschen und trockene Luft zu vermeiden. Beispiele für antipruritisch wirkende Substanzen sind in Tabelle 2 aufgeführt. Was die Substanz Waid angeht, berichtete Zeidler über eine in Münster durchgeführte Studie. Waid (Isatis tinctoria) stammt aus einer in Westasien heimischen Pflanze und ent-
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DERMATOLOGIE
Tabelle 1:
Mögliche Ursachen des chronischen Pruritus
Kategorie Ursachen
I. Dermatologisch
ausgehend von Hauterkrankungen: atopische Dermatitis, Urtikaria, Psoriasis,
Exsikkationsekzem, Skabies, Xerosis
II. Systemisch
ausgehend von systemischen Erkrankungen: Lebererkrankungen
(z. B. primäre biliäre Cholangitis), Nierenerkrankungen, hämatologische
Erkrankungen, metabolische Erkrankungen, Schwangerschaft oder
Medikamenteneinnahme
III. Neurologisch
ausgehend von Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems:
z. B. degenerativer oder komprimierender Nervenschaden
IV. Psychiatrisch/psychosomatisch
somatoformer Pruritus mit Komorbiditäten
V. Gemischt
multifaktorieller Pruritus
VI. Andere
unbekannte Ursache
Tabelle 2:
Antipruritische Substanzen (Auswahl)*
Substanz Beispiel
Cannabinoide
Physiogel® A.I. Creme/Lotion1
Gerbstoff
Tannosynt®
Harnstoff, Natriumsalz
Tannolact®1
Harnstoff
Eucerin® Trockene Haut 10% Urea Creme/Lotion
Nutraplus® Creme/Lotion
Harnstoff und Polidocanol
Optiderm® Creme/Lotion
Pruri-med® Lipolotion
Kampfer
Caladryl® Lotion
Thermalwasser (Kühlung)
Avene® XeraCalm1
Lidocain
Amavita® Topicalm Gel
Solarcaine® Lotion
Menthol, Kampfer
Pruricalm®1
Menthoxypropandiol
Atopi® Control Akutcreme1
Polidocanol
Antidry Calm®
Parapic® flüssig
Pruri-med® Hautwaschemulsion
Waid
Vitop® forte1
* nach C. Zeidler, 1 nicht im Arzneimittelkompendium der Schweiz
hält Tryptanthrin, Indol-3-Acetonitril und Alpha-Linolensäure. Im Mausmodell kommt es unter Verwendung von Waid zu einer Verhinderung des Kontaktekzems durch eine Reduktion der Mastzelldegranulation und eine reduzierte Ausschüttung von inflammatorischen Mediatoren (z. B . IL-4). In dieser einarmigen, dermatokosmetischen Studie mit 52 Patienten mit trockener, irritierter und/oder juckender Haut an Körper und Extremitäten wandten die Teilnehmer über 2 Wochen 2-mal täglich Waid an. Die Kratzintensität reduzierte sich um 46,7 Prozent, die durchschnittliche Intensität des Juckreizes auf einer numerischen Rating-Skala (NRS) nahm von 3,73 vor der Behandlung auf 2,08 nach der Behandlung ab. Die Patienten gaben zudem eine subjektiv empfundene Besserung des Hautzustands an, vor allem hinsichtlich einer Abnahme von Rauigkeit, Glanzlosigkeit und Schuppung. Allerdings gab Zeidler zu bedenken, dass es sich
um eine einarmige Studie gehandelt habe, sodass weitere
kontrollierte Daten erhoben werden sollten.
Zum Schluss empfahl Zeidler, bei Patienten mit chroni-
schem Pruritus immer nach trockener Haut zu fahnden und
dann mit dem Patienten eine optimale Hautpflege zu be-
sprechen.
s
Vera Seifert
Quelle: «Therapie des chronischen Pruritus bei trockener, juckender Haut», Vortrag von Dr. Claudia Zeidler, Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Münster (D), an der DERM-Tagung, 11. September 2021 in Frankenthal (D).
Interessenlage: keine Angaben
Dieser Artikel erschien zuerst in «DERMAforum» 12/2021. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
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