Transkript
DERMATOLOGIE
Aktinische Keratose
Neue Farbe auf der topischen Therapiepalette
Mit Tirbanibulin steht eine weitere Option für die Behandlung von aktinischen Keratosen zur Verfügung. Die Substanz wirkt antiproliferativ und muss im Vergleich zu den bereits etablierten Topika nur kurz, nämlich 5 Tage, aufgetragen werden.
Die aktinische Keratose (AK) ist eine der häufigsten Diagnosen, die von Dermatologen gestellt werden; ihre Prävalenz beträgt in der europäischen Bevölkerung etwa 18 Prozent (1, 2). Damit sich aus den AK keine Plattenepithelkarzinome entwickeln, gilt es, diese Präkanzerosen zu beseitigen. Bekanntlich sind AK Folge von UV-Schäden und entstehen auf stark belichteten Hautarealen – also Handrücken, Gesicht und bei Männern im Glatzenbereich. Meist entwickeln sich nicht Einzelläsionen, sondern viele, sodass von Feldkanzerisierung gesprochen wird. Um die AK zu entfernen, steht eine ganze Reihe äusserlich anwendbarer Präparate zur Verfügung. Die chirurgischen Optionen wie Kryotherapie oder Laser bieten sich vor allem für einzeln stehende AK an. Für grössere Areale kommen die Topika in Betracht: zum Beispiel 5-Fluorouracil, Imiquimod, Diclofenac/Hyaluronsäure oder die Photodynamische Therapie (PDT). Seit Sommer 2021 stehe nun mit Tirbanibulin eine weitere Substanz in einer Salbengrundlage zur Verfügung, berichtete Prof. Julia Welzel aus Augsburg (D). Der Wirkmechanismus ist neu: Tirbanibulin ist ein Mikrotubuli-Inhibitor. Er bindet selektiv a- und b-Tubulin und hemmt die Tubulin-Polymerisation, was den Zellzyklus unterbricht und zur Apoptose führt. Zudem hemmt Tirbanibulin den Src-Tyrosinkinase-Signalweg und wirkt antiproliferativ. Damit gilt Tirbanibulin als erster Wirkstoff dieser Substanzklasse (first in class). Die Effektivität wurde unter anderen in zwei Phase-III-Studien belegt, über die Welzel berichtete. Rund 700 Patienten mit AK (überwiegend auf der unbehaarten Kopfhaut) trugen entweder 5 Tage lang Tirbanibulin-Salbe (10 mg/g) oder lediglich die Salbengrundlage auf (3). Das Ergebnis aus den gepoolten Daten dieser beiden Studien: Nach 57 Tagen wurde bei 49 Prozent der Patienten aus der Verumgruppe eine komplette Abheilung aller Keratosen festgestellt, im Kontrollarm nur bei 9 Prozent. Bei 72 Prozent der mit Tirbanibulin Behandelten waren immerhin 75 Prozent der Läsionen verschwunden (18% im Kontrollarm). 204 Patienten mit vollständiger Abheilung wurden 1 Jahr lang nachbeobachtet. Nach 1 Jahr hatten 73 Prozent dieser Patienten allerdings wieder neue Läsionen. Das komme allerdings auch bei den anderen topischen AK-Externa vor, erläuterte Welzel. Die Rezidive liegen in der Pathogenese der AK begründet. Anders ausgedrückt: Wann eine Zelle aufgrund des langjährigen Lichtschadens anfange, unkontrolliert zu proliferieren, lasse sich nicht vorhersehen.
Doch die verschiedenen Externa können nur auf bereits vor-
handene Läsionen wirken und sind keine Prophylaxe.
Tirbanibulin habe etwa die Effektivität der bereits etablierten
AK-Topika, wie Welzel erläuterte. Sie verdeutlichte das an-
hand einer Metaanalyse, in der die Ergebnisse mit den gängi-
gen AK-Topika 5-Fluorouracil, Diclofenac-Natrium, Imiqui-
mod, Ingenolmebutat und PDT mit 5-Aminolävulinsäure
oder Methyl-Aminolävulinat verglichen wurden (4). Danach
war 5-Fluorouracil (5%) am effektivsten: 90 Prozent der
Patienten hatten 3 Monate nach der Therapie kein Rezidiv.
Allerdings traten 1 Jahr nach Therapieende bei 75 Prozent
dieser Patienten erneute AK auf.
Anders als bei den anderen AK-Topika, die teilweise über
Monate aufgetragen werden müssen, erfordert Tirbanibulin
nur eine kurze Therapiedauer und ist einfach in der Anwen-
dung: Die Tirbanibulin-Salbe (1%) muss nur 5 Tage lang
1-mal täglich auf das zu behandelnde Areal aufgetragen wer-
den.
Zudem ist die Anwendung sicher. Bei den meisten Patienten
werden als Nebenwirkungen Erytheme (91% der Patienten)
und Schuppenbildung (82%) beobachtet. Im Mittel erreichen
diese lokalen Reaktionen am Tag 8 der Behandlung ihren
Höhepunkt und klingen bis zum Tag 29 ab. Gelegentlich be-
richteten die Patienten über Juckreiz und Schmerzen an der
Applikationsstelle, die ebenfalls spontan abklangen. Auf-
grund des neuen Wirkmechanismus kommt es kaum zu Ne-
krosen im behandelten Areal. Entsprechend gibt es kaum
kosmetisch störende Effekte wie postinflammatorische Hy-
perpigmentationen.
Tirbanibulin (Klisyri®) ist seit Juli 2021 in Europa und seit
Anfang 2022 in der Schweiz zugelassen.
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Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Webinar «Neuigkeiten bei Topika» (Veranstalter: Almirall Deutschland) am 26. Januar 2022, online.
Referenzen: 1. Lucas R et al.: Solar ultraviolet radiation: Global burden of disease from
solar ultraviolet radiation: World Health Organization 2006. 2. Worldometer. Population of Europe. 2020. Online auf https://www.worl-
dometers.info/world-population/europe-population/ 3. Blauvelt A et al.: Phase 3 Trials of Tirbanibulin Ointment for Actinic Kera-
tosis. N Engl J Med. 2021;384:512-520. 4. Ezzedine K et al.: Systematic Literature Review and Network Meta-ana-
lysis of the Efficacy and Acceptability of Interventions in Actinic Keratoses. Acta Derm Venereol. 2021;101(1):adv00358.
16 ARS MEDICI DOSSIER VII | 2022